• 05.09.2010 05:45

  • von Pete Fink

Castroneves-Poker geht auf - Titelkampf wird dramatisch!

Helio Castroneves und seine Penske-Crew schlagen dem Panther-Team ein Schnippchen - Dario Franchitti setzt Tabellenführer Will Power unter Druck

(Motorsport-Total.com) - Es ist eine uralte Motorsport-Regel: Manchmal gewinnt nicht der schnellste Fahrer, sondern der cleverste. So geschehen in der Nacht von Samstag auf Sonntag auf dem Kentucky Motor Speedway. Helio Castroneves (Penske) war der einzige Pilot aus einer neunköpfigen Spitzengruppe, der sich einen späten Tankstopp sparen konnte und auf diese Art und Weise sein zweites Saisonrennen gewann.

Titel-Bild zur News: Helio Castroneves

Sieg ist Sieg: Helio Castroneves jubelt nach seinem erfolgreichen Spritpoker

Der große Leidtragende war Dan Wheldon, der bis vier Runden vor Schluss guter Hoffnung sein konnte, seinen ersten IndyCar-Sieg seit Mitte 2008 sicher in der Tasche zu haben. Der Panther-Pilot zeigte sich über weite Strecken als der eindeutig schnellste Mann von Kentucky, aber das Rennglück sollte ihm nicht gewogen sein. Im Gegenteil: Wheldon fiel nach seinem Stopp sogar noch auf Rang drei zurück, weil sein Teamkollege und Polesitter Ed Carpenter (2.) an der Tankstelle schneller gearbeitet hatte.#w1#

"Das war einer der klassischen Penske-Tricks", stöhnte Wheldon. "Menschenskinder, ich habe wirklich geglaubt, dieses Rennen ist meines." Castroneves wiederum war dies herzlich egal: "Ein Sieg ist ein Sieg, egal auf welche Art und Weise er zustande gekommen ist." Damit stand der Brasilianer aber ziemlich alleine da, denn sogar sein Uralt-Kumpel Tony Kanaan (Andretti; 4.) war der Meinung: "Der verdiente Sieger wäre Dan gewesen."

Crash zwischen de Silvestro und Meira

Es war also ein waschechter IndyCar-Benzinkrimi, dessen Geschichte in Runde 93 begann. Zu diesem Zeitpunkt lief gerade die zweite Gelbphase nach einem heftigen Unfall zwischen Simona de Silvestro (HVM) und Vitor Meira (Foyt), dem auch der völlig unschuldige Ryan Briscoe (Penske) zum Opfer fiel. Die junge Schweizerin wurde von der Spitzengruppe überrundet und hielt sich auf der Gegengerade nicht vollständig an der unteren weißen Linie auf.

Ryan Briscoe

Ryan Briscoe fliegt unschuldig ab und schlägt hart in die Mauer Zoom

Meira agierte gleichzeitig zu ungeduldig und attackierte innen eingangs Turn 3. Es kam wie es kommen musste: De Silvestro zog nach unten, dort befand sich Meira und es krachte. "Ich wurde getroffen, ich denke nicht, dass ich im Weg herumgestanden bin", lautete die erste Reaktion der 21-Jährigen. Meira wiederum kommentierte lapidar: "Simona war überrundet, ich habe hingegen um meine Position gekämpft."

Castroneves hatte zu diesem Zeitpunkt nichts mit der Spitzengruppe zu tun. "Es gab Missverständnis bei unserem Stopp", erklärte der spätere Sieger, der dabei aus den Top 10 heraus gefallen war. Chef-Stratege Tim Cindric beorderte seinen Schützling in Runde 93 noch einmal zum Volltanken, während der Rest des Feldes hinter dem Pace-Car seine Runden drehte. Beim Restart in Runde 95 gondelte Castroneves auf Platz 18 herum.

Wheldon und Power ohne Rennglück

Vorne hatte sich Tabellenführer Will Power eingenistet. Der Penske-Pilot konnte sich bei freier Fahrt auf ein nahezu perfekt liegendes Auto verlassen und hielt den andauernd drängelnden Wheldon auf Distanz. Das Ganassi-Duo Scott Dixon und Dario Franchitti, sowie Marco Andretti, Kanaan, Carpenter und Danica Patrick befanden sich im direkten Schlepptau.

Start Kentucky

Dan Wheldon (li.) und Ed Carpenter (re.) waren von Beginn an schnell Zoom

Ab Runde 142 kam es dann zu weiteren Tankstopps unter Grüner Flagge. Power und Dixon fielen dabei etwas zurück und leisteten sich darüber hinaus noch einen Beinahe-Abflug. Zudem wurde es offensichtlich, dass der Power-Penske im Verkehr bei weitem nicht mehr so gut lag wie bei freier Fahrt. Die Folge: Der IndyCar-Tabellenführer geriet zunehmend in Schwierigkeiten.

Wheldon hingegen hatte die Sache vorne scheinbar im Griff. Direkt hinter ihm machte sich sein britischer Landsmann und Chicagoland-Drafting-Partner Franchitti breit, während abwechselnd Kanaan und Andretti auf der Außenbahn verhungerten. Auch Carpenter robbte sich sukzessive in eine gute Ausgangsposition. Das Benzinfenster in Kentucky beträgt etwa 50 Runden, Castroneves hatte erst in Runde 148 nachgefasst.


Fotos: IndyCars in Kentucky


Penske-Poker geht auf

Der Brasilianer schaltete nun komplett in den Spritsparmodus um. 30 Runden vor Schluss berichtete die Penske-Box, dass sein Spritfenster nur noch einen einzigen fehlenden Umlauf von 1,5 Meilen aufwies. Der IndyCar-Routinier ließ den Kontakt zur Spitzengruppe komplett abreißen. Ein gewagtes Pokerspiel, denn eine einzige Gelbphase hätte diese Strategie natürlich ad absurdum geführt. "Aber wir hatten nur diese Chance", kommentierte Chef-Stratege Cindric.

Helio Castroneves

Helio Castroneves hatte am Ende 13 Sekunden Vorsprung Zoom

Der Benzinkrimi von Kentucky nahm jetzt seinen logischen Lauf. In Runde 192 musste Kanaan den Tankreigen eröffnen, Wheldon, Franchitti, Power, Dixon, Patrick, Carpenter und Andretti folgten. Daher hatte Castroneves in Runde 198 plötzlich 13 Sekunden Vorsprung vor Carpenter. Mit all seiner Routine brachte der 35-Jährige die Startnummer drei über die Ziellinie - und hatte danach sogar noch Sprit für ein paar Burnouts.

"Ich habe mich einfach nur im Windschatten versteckt und dabei Benzin gespart", jubelte der "Spiderman". "Nach unserem Problem an der Box blieb uns ja gar nichts anderes übrig, als so etwas zu versuchen. Dieses Rennen ging über 200 Runden und wir hatten noch genügend Zeit. Am Ende hat es sich wirklich gelohnt."

Power ab sofort unter Franchitti-Druck

Hinter Castroneves, Carpenter, Wheldon und Kanaan kam Dario Franchitti am Ende als Fünfter ins Ziel. "Wichtig war nur, dass wir vor Will lagen", bilanzierte der Schotte, der in Kentucky weitere sechs Punkte in der IndyCar-Gesamtwertung abknabberte. Hinter Andretti und Dixon holte sich Power Rang acht, knapp vor Danica Patrick.

Will Power

Tabellenführer Will Power verlor 42 Punkte in nur zwei Oval-Rennen Zoom

"Wieder ein schlechtes Oval-Resultat", urteilte Power, dessen aktueller Vorsprung nun noch 17 Punkte beträgt. Zur Erinnerung: Vor dem Chicagoland-Rennen hatte der Australier satte 59 Zähler Distanz auf Franchitti geschaffen. Binnen zwei Oval-Wochenenden verlor er also 42 Punkte - und nun folgen mit Motegi und Homestead noch zwei weitere 1,5 Meiler.

Der Druck liegt also - trotz Tabellenführung - bei Power. "Ich war noch nie in meinem Leben in Motegi", lautet sein Unkenruf, während sich Franchitti in Japan bekanntlich pudelwohl fühlt. Und in Homestead schnappte sich der alte IndyCar-Fuchs im Vorjahr seinen zweiten Titel. So verwundert Powers Gedankengang nur wenig: "Ich befürchte, in den letzten beiden Rennen muss ich jetzt einen außerordentlich guten Job erledigen." Vielleicht nach dem Kentucky-Beispiel seines Teamkollegen Castroneves?