• 15.03.2014 17:38

  • von Dieter Rencken & Timo Pape

Reifenabnutzung und Spritverbrauch wohl nur Randthemen

Die meisten Fahrer sind sich einig: Weder Pirelli noch das neue Spritlimit werden zum entscheidenden Faktor im Rennen - Der Reifenhersteller ist somit zufrieden

(Motorsport-Total.com) - Beim verregneten Qualifying in Melbourne kam es zu einer beeindruckenden ersten Startreihe - auch in Anbetracht der Reifen. Denn während Pole-Setter Lewis Hamilton seine Bestzeit auf Regenreifen fuhr, kam Lokalmatador Daniel Ricciardo seinerseits auf Intermediates zum zweiten Startplatz beim persönlichen Red-Bull-Debüt. Sollte es auch am Sonntag regnen, könnten sich interessante Reifenstrategien für das Rennen entwickeln.

Titel-Bild zur News: Pirelli-Reifen, Intermediate

Pirellis Intermediate-Reifen kam im Qualifying direkt zu Einsatz und sorgte für Platz zwei Zoom

Dass beide Pneuvarianten für nasse Bedingungen eine fast identische Pace zuließen, ist kein Zufall, denn Reifenlieferant Pirelli hat diverse Veränderungen an seinen 2014er-Gummis vorgenommen. Sowohl der Intermediate als auch der Regenreifen wurden komplett überarbeitet, um den neuen Autos, die ein höheres Drehmoment, gleichzeitig aber weniger Anpressdruck haben, entgegenzukommen. Besonders der "Full Wet" wurde verbessert und verdrängt bei Höchstgeschwindigkeit nun 65 Liter Wasser pro Sekunde (statt zuvor 60).

Während des dritten und letzten Qualifying-Abschnitts sei die Strecke laut Pirelli exakt am Übergangspunkt zwischen Intermediate und Regenreifen gewesen, daher die ähnlichen Rundenzeiten. Davon abgesehen hatte das italienische Unternehmen den Leistungsbereich seines Regenreifens ohnehin vergrößert. Seit dieser Saison würden die Fahrer im Normalfall auf dem Satz Reifen ins Rennen starten, mit dem sie ihre schnellste Runde in Q2 gefahren sind. Da aber auch dort nasse Bedingungen herrschten, haben alle Piloten am Start die freie Wahl.

Hembery zufrieden

Obwohl die Wettervorhersagen auch für den ersten WM-Lauf weitere Regenschauer zulassen, ist ein Rennen unter trockenen Bedingungen derzeit realistischer. So erwartet Pirelli vor allem Zweistoppstrategien. Dabei müssen der Medium-Reifen sowie die softe Variante wie gehabt jeweils mindestens einmal zum Zug kommen. Pirelli schlägt darauf basierend vor: Start auf Soft, Wechsel auf Soft in Runde 23, Wechsel auf Medium in Runde 51. 2013 führte eine ähnliche Strategie zum Sieg: Während die gesamte Spitzengruppe dreimal stoppte, kam Kimi Räikkönen mit zwei Stopps über die Runden und blieb bis zum Ende vorn.

Pirelli-Sportdirektor Paul Hembery zeigt sich nach dem ersten Tag unter Wettkampfbedingungen zufrieden: "Wir warten noch auf das präzise Feedback der Teams, aber von dem, was wir bisher sehen konnten, sind wir mit der Performance der Intermediates und Regenreifen an den 2014er-Autos ziemlich zufrieden." Für generelle Schlüsse seien die heutigen Reifendaten aber nicht repräsentativ. "Es ist noch zu früh, irgendwelche Schlüsse zu ziehen, denn die tatsächliche Rennpace wird ein entscheidender Faktor dieser Saison bleiben", prophezeit Hembery.

"Von dem, was wir bisher sehen konnten, sind wir mit der Performance der Intermediates und Regenreifen an den 2014er-Autos ziemlich zufrieden." Paul Hembery

"Wenn es trocken bleibt, wird die Reifenabnutzung morgen ein großer Faktor werden, auch wenn es etwas kälter werden soll - was aber zumindest helfen sollte", glaubt Mercedes-Pilot Nico Rosberg als einer der wenigen Fahrer. "Es könnte vielleicht ein bisschen wie vor einem Jahr werden: Wir hatten damals nach den Wintertests erwartet, dass wir mit einem Stopp über die Runden kommen könnten. Ganz so ist es jetzt nicht, aber es wird im Rennen trotzdem schwierig zu managen sein."

Reifenabnutzung halb so wild

Daniel Ricciardo, der den Deutschen überraschend im Qualifying schlagen konnte, sieht die Situation nicht ganz so dramatisch: "Ich denke, die Reifenabnutzung wird kein so großes Thema sein morgen." Durch den heutigen Regen sei die Strecke wieder ein bisschen jungfräulicher geworden, wodurch sie "wahrscheinlich ziemlich gnädig zu den Hinterreifen sein wird", so der Red-Bull-Pilot.

Auch Lewis Hamilton widerspricht seinem Teamkollegen: "Ich denke, die Reifen werden für uns kein so großes Thema sein. Es ist nicht mehr so wie in den vergangenen Jahren. Aber es bleibt knifflig: Im Nassen ist es wirklich sehr schwierig, sogar schwieriger als ich erwartet hatte. Wenn es morgen wechselhaft sein sollte, dann wird es ein sehr, sehr schwieriges Rennen - vielleicht eines der härtesten, die ich mir vorstellen kann."

"Wenn es morgen wechselhaft sein sollte, dann wird es ein sehr, sehr schwieriges Rennen - vielleicht eines der härtesten, die ich mir vorstellen kann." Lewis Hamilton

McLaren-Pilot Jenson Button, der sich lediglich als Elfter qualifizieren konnte, erwartet ebenfalls keine großen Reifenkomplikationen: "Wir sprechen viel über die Reifen und wie sie arbeiten unter diesen schwierigen Bedingungen. Morgen sollte es aber trocken sein, dann wird es für die meisten wohl ein ziemlich geradliniges Rennen, was die Reifen angeht. Dann werden wir wohl nicht allzu viele verschiedene Strategien sehen."


Fotos: Großer Preis von Australien, Samstag


Sutil noch nicht zufrieden mit Pirelli

"Wenn es regnen sollte, würde es wahrscheinlich ein bisschen komplizierter werden", glaubt der Brite und denkt an das aus seiner Sicht chaotische Qualifying, bei dem er sich seinem neuen Teamkollegen Kevin Magnussen direkt geschlagen geben musste. "Ich glaube, am frustrierendsten für mich heute war, dass das Auto eigentlich echt gut funktioniert hat - besonders unter den Intermediate-Bedingungen in Q2." Morgen soll dann alles besser werden für Button.

Sauber-Pilot Adrian Sutil lässt mal wieder kein gutes Haar an Pirelli: "Ich bin immer noch nicht so zufrieden mit den Reifen und dem Verständnis von Pirelli. Die (Reifen; Anm. d. Red.) arbeiten ganz komisch, vor allem dieser Grip, den man zur Verfügung hat... Das Fenster, in dem der Reifen operiert, ist sehr, sehr klein. Und wenn man nur ein bisschen quersteht, dann ist der ganze Grip weg. Das trifft auf beide (Regenvarianten; Anm. d. Red.) zu, aber der Intermediate kann noch schwieriger zu fahren sein."

"Das Fenster, in dem der Reifen operiert, ist sehr, sehr klein. Und wenn man nur ein bisschen quersteht, dann ist der ganze Grip weg." Adrian Sutil

Für Marussia-Pilot Jules Bianchi steht indes vor allem die Zuverlässigkeit im Mittelpunkt: "Entscheidend wird sein, die Zielflagge zu sehen. Es wird sicherlich einiges passieren. Wer da ins Ziel kommt, hat schon viel erreicht." Die Reifen spielen für ihn deshalb - und auch aufgrund des neuen Kraftstofflimits von 100 Kilogramm - eine eher untergeordnete Rolle. "Wenn du dich so sehr auf das Spritsparen konzentrierst, hast du viel weniger Reifenverschleiß. Ich denke daher nicht, dass die Reifen eine so entscheidende Rolle spielen werden wie im vergangenen Jahr. Vielleicht ist sogar eine Einstoppstrategie möglich."

Das neue Spritlimit

So spricht der Franzose auch gleich die nächste taktische Herausforderung für das Rennen an: den Spritverbrauch. Fernando Alonso will dahingehend jedoch noch keine genaue Prognose wagen: "Da müssen wir den Sonntag oder sogar die kommenden Rennen abwarten. Dann wissen wir mehr, auch im Vergleich zu den anderen. Beim Testen oder im Training kann man das nie so genau sagen. Ich glaube nicht, dass der Verbrauch die Dinge zu sehr verändert, denn beim Spritsparen verlieren alle Autos gut eine halbe Sekunde."

"Ja, ich denke, es wird für jeden das Gleiche sein", pflichtet Ricciardo ihm bei. "Der Sprit ist wahrscheinlich für die meisten Teams eine gewisse Variable. Wir haben bislang noch keine Renndistanz absolviert, also wird das wohl zu jenen Dingen zählen, die wir erst erfahren müssen. Hinter dem Lenkrad ändert sich aber nicht allzu viel. Ich bekomme halt weiterhin meine Informationen über Funk. Es gibt verschiedene Modi, die ich am Lenkrad einstellen kann, also werde ich einfach tun, wie mir geheißen."

"Es gibt verschiedene Modi, die ich am Lenkrad einstellen kann, also werde ich einfach tun, wie mir geheißen." Daniel Ricciardo

Ebenso wird Esteban Gutierrez das Rennen einfach auf sich zukommen lassen: "Ich mache mir ehrlich gesagt nicht so viele Gedanken darüber. Eigentlich ist das keine große Sache. Wir kennen das alle bereits, und es ist auch Teil unseres Jobs, die Situation zu beurteilen. Das war im vergangenen Jahr manchmal auch wichtig, weil damals die Reifen so unterschiedlich waren und verschiedene Abnutzungserscheinungen hatten." Als Fahrer müsse man sich in erster Linie darauf konzentrieren, was vor einem passiert, findet der Mexikaner.

Sein Co-Teamchef bei Force India, Rob Fernley, schildert die Herausforderung Spritverbrauch aus seiner Sicht: "Es muss alles funktionieren. Wir passen uns immer mehr an, und so langsam wird es zur Routine. Der Einfluss des Fahrers und des Kommandostandes hat sich im Vergleich zum vergangenen Jahr massiv verändert. Es kommt auf diese Anweisungen an, sie sind jetzt mindestens dreimal so wichtig. Es gibt an der Boxenmauer keine Ruhephasen mehr."

Indes spricht Rosberg über eine neue potenzielle Gefahr der Hybridmotoren. "Ich weiß, dass der elektronische Schub plötzlich ausfallen könnte", wodurch der Vordermann abrupt an Geschwindigkeit verlieren würde. So könnte es womöglich zu schweren Auffahrunfällen kommen. "Ich weiß, dass viele Dinge passieren könnten, die seine Höchstgeschwindigkeit verändern, also werde ich auf der Start- und Zielgeraden nicht ganz bis zum Ende im Windschatten fahren oder direkt in seinem Getriebe stecken", so der 28-Jährige. Trotz alledem sei dies nur ein Randthema und nichts Weltbewegendes.


Fotostrecke: FIA-Fast-Facts: Australien

Zu Ausfällen wird es im Rennen aller Voraussicht nach aber schon kommen, schließlich ist die Technik noch nicht ausgereift, und die neuen Autos sind schwieriger zu fahren als noch im Vorjahr. "Melbourne ist historisch gesehen ein Rennen mit hoher Safety-Car-Wahrscheinlichkeit", gibt Bianchi deshalb zu bedenken und wittert seine Chance. "Ich denke, das wird in diesem Jahr umso mehr der Fall sein." Statistisch gesehen kommt Bernd Mayländer im Albert Park mit einer Wahrscheinlichkeit von 55 Prozent zum Einsatz, morgen könnte er diese Zahl weiter steigern.

"Melbourne ist historisch gesehen ein Rennen mit hoher Safety-Car-Wahrscheinlichkeit." Jules Bianchi