Langes Zittern um geschenkten Sprint-Sieg - Norris: "Ich bin nicht stolz darauf"

McLaren macht es spannend: Oscar Piastri lässt Teamkollege Lando Norris im Sprint von Sao Paulo erst spät vorbei - so erklärt das Team das ungewöhnliche Vorgehen

(Motorsport-Total.com) - Das lange Zögern McLarens vor dem Platztausch zwischen Oscar Piastri und Lando Norris im Brasilien-Sprint sorgt bei vielen Beobachtern am Samstag in Sao Paulo für Verwirrung - bei manchen offenbar sogar so sehr, dass eine Reporterin des brasilianischen Senders Globo TV Piastri in der Pressekonferenz nach dem Sprint zum Sieg gratuliert ...

Titel-Bild zur News: Für die WM: Oscar Piastri schenkte Lando Norris den Sprint-Sieg in Sao Paulo

Für die WM: Oscar Piastri schenkte Lando Norris den Sprint-Sieg in Sao Paulo Zoom

"Ich weiß nicht, was ich gewonnen habe, aber danke dafür", kann sich der Australier ein Grinsen nicht verkneifen, und auch sein Teamkollege greift die kuriose Szene auf: "Ich bin nicht stolz darauf, ein Rennen so zu gewinnen wie heute, also bin ich happy damit, dass Oscar zum Sieg gratuliert wurde", schmunzelt der nominelle Sieger Norris.

Der WM-Aspirant räumt mit Blick auf die Stallorder bei McLaren ein: "Wir wollten es vermeiden, so gut es geht. Aber gleichzeitig ist es auch so: Wir haben dafür unterschrieben, wir müssen als Team zusammenarbeiten, uns wird gesagt, was zu tun ist. Wir haben einen Boss - und wir geben unser Bestes, um uns zu helfen", sagt Norris.

Stallgefährte Piastri sitzt unterdessen nickend neben ihm: "Natürlich macht es nicht so viel Spaß wie gewinnen", erklärt der Australier in Bezug auf den angeordneten Positionstausch: "Aber ich kenne die Position in der Meisterschaft, und wir reden ja schon seit Monaten drüber. Es ist das erste Mal, dass wir es anwenden mussten", gibt sich Piastri pragmatisch.

"Wir wussten ja, dass sowas an einem gewissen Punkt wahrscheinlich passieren wird, aber für mich war das in Ordnung", erklärt er nach dem Sprint. Allein: Ob er auch im Rennen am Sonntag Edelhelfer spielen muss, damit will sich Piastri noch nicht auseinandersetzen: "Es könnte morgen ganz anders sein. Es ist selten, dass man das gleiche Szenario hat. Also mal sehen, welches wir nach dem Qualifying haben, und welches dann morgen im Rennen."

Oscar Piastri ließ Stallgefährte Lando Norris am Samstag lange zittern

Oscar Piastri ließ Stallgefährte Lando Norris am Samstag lange zittern Zoom

Insgesamt gibt Piastri zu bedenken: "Es ist immer sehr schwer das vorher zu planen. Aber wir haben schon oft genug gezeigt, in beide Richtungen, dass wir uns helfen, wenn es nötig ist." Wie schwer die Planung derartiger Szenarien aber tatsächlich ist, das zeigt sich am Samstag bereits auf der Strecke: "Man kann nie genau planen welche Runde, welche Zeit, es ist unmöglich, diese Dinge zur Perfektion vorherzusehen", weiß auch Norris.

Für das lange Zögern des Teams bis zur Order hat er deshalb Verständnis: "Vor allem wollten wir sicherstellen, dass niemand ins Risiko gerät, weder Oscar noch ich, wir wollten uns gegenseitig helfen, und am Ende haben wir das auch genau so umgesetzt", erklärt Norris, wenngleich er einräumt: "Natürlich war ich unter Druck."

Norris: "Kein Team im Feld macht das so gut"

Denn seine Hintermänner "hatten fast jede Runde DRS", erklärt der McLaren-Star: "Max war auch am Ende des Rennens viel schneller. Also meine Zuversicht war nicht gerade hoch, im Mittelteil des Rennens. Aber so ist das Leben, Oscar ist gut gefahren und er hätte den Sieg heute verdient gehabt", sagt Norris: "Ich danke Oscar und dem Team natürlich."

Dabei ist Norris mit seiner eigenen Pace im Sprint dennoch zufrieden: "Ich habe mich das ganze Rennen über schnell gefühlt, dass ich locker wegziehen könnte, wenn ich freie Fahrt hätte. Aber gleichzeitig wusste ich auch für die letzten Runden, dass Oscar das DRS brauchen würde, weswegen ich bisschen langsamer gemacht habe, um ihm zu helfen."

Handschlag auf das gute Teamwork: Piastri und Norris im Ziel

Handschlag auf das gute Teamwork: Piastri und Norris im Ziel Zoom

Fazit Norris: "Also er hat mir geholfen, ich habe ihm geholfen. Ich weiß, ich habe davon am Ende mehr profitiert, aber in der Position sind wir in der Meisterschaft nun eben." Im Grand Prix am Sonntag möchte er auf fremde Schützenhilfe aber am liebsten verzichten: "Ich arbeite hart, um im Qualifying später einen besseren Job zu machen und mich fürs Rennen in eine bessere Position zu bringen", so Norris.

Sollte er allerdings erneut die Hilfe von Piastri benötigen, hat der Brite keine Zweifel daran, dass er sie wieder bekommen wird: "Wir haben uns die letzten zwei Jahre mit verschiedenen Dingen geholfen. Ich denke, das ist eine unserer Stärken, wir arbeiten als Team. Und ich glaube es gibt kein Team im Feld, dass das so gut macht, darauf bin ich stolz."

Stella erklärt langes Warten und verteilt Lob

Stolz auf die Zusammenarbeit seiner Piloten ist am Samstag auch Teamchef Andrea Stella, der deswegen auch die Vorgehensweise des Teams im Sprint verteidigt: "Dass wir uns das Leben schwer machen, liegt in der Natur der Sache. Wenn du zwei Fahrer hast, die Rennen gewinnen können, und ein Auto, das Rennen gewinnen kann, musst du akzeptieren, dass es für sowas keine einfachen Lösungen gibt."

Im Gespräch mit Autosport, einer Schwesterplattform von Motorsport-Total.com, verrät der McLaren-Teamchef: "Wir gingen heute mit dem Plan in den Sprint, dass wir keinem die Tür aufmachen, sollten wir den Start gewinnen, und wir unser Tempo so hoch wie möglich anlegen müssen."

Stella: "Ja, wir wollten Plätze tauschen. Aber wir warteten auf den richtigen Abstand hinter Lando, denn wenn wir Platz tauschen und das Auto hinter uns DRS hat, kompromittieren wir womöglich eins unserer wichtigsten Prinzipien, nämlich das Resultat für das Team zu maximieren."

Positionstausch: Norris vor Piastri, hinten lauert schon Max Verstappen

Positionstausch: Norris vor Piastri, hinten lauert schon Max Verstappen Zoom

Deshalb entwickelte sich die Angelegenheit vor allem für Norris zwischenzeitlich zum Geduldspiel: "Wir haben beobachtet, und anfangs gewartet auf ein paar Sekunden, für mehrere Runden hintereinander. Stattdessen hatten wir einmal zwei Sekunden, aber die nächste Runde waren es wieder 1,2 Sekunden. Wir warteten auf die richtige Gelegenheit", erklärt Stella.

"Wir wollten nicht zu aufgeregt handeln und eine Situation schaffen, die nicht mit dem maximierten Teamergebnis endet. Wir wussten, dass wir dafür Zeit hatten", erklärt der Italiener - mit einer Einschränkung jedoch: "Es sei denn, es besteht das Risiko eines Safety-Cars. Sobald wir das Risiko eines Safety-Cars am Rennende sahen, mussten wir den Prozess beschleunigen."

Denn durch den Defekt von Haas-Pilot Nico Hülkenberg in der Schlussphase des Sprints musste der McLaren-Kommandostand plötzlich zittern. Bei Sky lobt Stella jedoch die Reaktion seiner Strategen - und der Piloten: "Wir haben das dann sofort umgesetzt. Es wurde vom Team gut gemacht, aber es wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht beide Fahrer zusammengearbeitet hätten. Wir sind definitiv sehr glücklich mit den Konversationen, die derzeit stattfinden, und mit der Unterstützung, die Oscar Lando gibt."