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  • 02.07.2014 20:02

  • von Bernd Mayländer

Bernd-Mayländer-Kolumne: Zwischen Charakter und Chaos

Der große Grand-Prix-Check des Safety-Car-Fahrers: Von Wetterkapriolen, besonderen Fans und einem deutschen Zittersieg mit Hexenschuss-Garantie

Titel-Bild zur News: Bernd Mayländer

Trotz Fußball-Ablenkung bin ich am Wochenende auf meinen Job fokussiert Zoom

Hallo, liebe Leser,

zwar steht am Wochenende für mich der Grand Prix in Großbritannien im Vordergrund, doch auch der Motorsport kann die Augen vor dem Fußball nicht verschließen. England mag bei der Weltmeisterschaft keine Rolle mehr spielen, doch wir Deutschen haben den Einzug ins Viertelfinale glücklicherweise geschafft! Während viele von euch das Spiel sicherlich beim Public Viewing verfolgt haben, war ich mit Freunden zu Hause, wo wir einen richtig schönen Fußballabend hatten. Der ein oder andere von uns hat wohl einen Hexenschuss bekommen, weil wir so häufig aufgesprungen sind, auch wenn's mit dem Tor lange nicht geklappt hat.

Aber was zählt, ist der Sieg! Ich als Ober-Fußballer (Achtung, Ironie) kann da zwar gar nicht so viel sagen, aber trotzdem hat die Mannschaft verdient gewonnen. Das Viertelfinale werde ich mir jetzt in England anschauen müssen, was aus bekannten Umständen immer ein bisschen schwierig ist. Ich hoffe, dass wir im Hotel einen Fernseher haben, dann werde ich mir das am Freitagabend ganz gemütlich angucken.

Fachkundige Fans überall

Natürlich bin ich nicht nur zum Fußballschauen in Silverstone, mein Hauptaugenmerk liegt selbstverständlich auf der Formel 1, und die hält für uns das nächste Highlight im Kalender bereit: Vom Red-Bull-Heimspiel kommen wir jetzt zum Heimspiel von ganz vielen Teams, angefangen von Force India über Mercedes und Williams. Das allein macht das Rennen nicht besonders, doch Silverstone hat einfach seinen eigenen Charakter.

Auch mit den Umbaumaßnahmen vor ein paar Jahren hat die Strecke ihren Charakter behalten. Sie ist zwar ein bisschen länger geworden, aber das wurde absolut super gemacht. Selbst mein privates Training am Donnerstagnachmittag macht richtig Spaß, weil es einfach fahrerisch eine anstrengende und schwierige Strecke ist. Man muss hier wirklich den Kompromiss finden. Man muss auf DRS hinarbeiten, braucht aber gleichzeitig viel Abtrieb für die schnellen Ecken.

Lewis Hamilton, Jenson Button

Jedes Mal wieder: Die Fans in Silverstone sind einfach einmalig Zoom

Und überall bekommt man die fantastischen Fans mit, die auch in diesem Jahr wieder zahlreich an die Strecke pilgern werden und einfach einzigartig sind. Das Publikum ist unheimlich fachkundig, die kommen mit Bildern der 80er und 90er auf mich zu. Da habe ich gerade erst mit Motorsport angefangen! Das Ganze ist einfach eine riesige Veranstaltung, auch wenn es organisatorisch schwierig zu stemmen ist, denn das Wetter hier ist bekanntlich nicht immer das beste.

Auch neben der Strecke: Chaos ist vorprogrammiert

Ich erinnere mich noch sehr gut an mein erstes Jahr als Safety-Car-Fahrer hier: 2000 gab es ein wirkliches Nebel- und Regenchaos - und ich war mittendrin. Damals bin ich nämlich auch selbst Porsche-Supercup gefahren und wurde mit meinem Porsche-Overall von der Race-Control angefunkt, ob ich im Warmup mit dem Safety-Car vorausfahren könnte. Ja, das gab es damals am Sonntagmorgen noch! Ich bin mit dem Porsche aber schon in der Vorstartaufstellung gewesen.

Mein Mechaniker hat das Auto dann auf den Grid gestellt, weil ich im Formel-1-Fahrerlager war. Der Helikopter konnte nicht fliegen, und man hat gesagt, dass die Piloten ein paar Informationsrunden drehen können. Dann wurde aber entschieden, dass das Warmup nicht mit dem Safety-Car gefahren werden soll. Nachmittags wurde es ein wenig besser, sodass das Rennen doch regulär gestartet werden konnte. Aber ringsherum war Chaos. Die Wiesen standen unter Wasser und man hat sich in Dreck eingebuddelt. Hoffentlich wird das in diesem Jahr nicht so.

Schlammparkplatz in Silverstone

Abseits der Strecke kann das Geschehen allerdings sehr chaotisch werden... Zoom

Wobei: Ganz ohne Chaos geht es in Silverstone eigentlich nicht. Unzählige Male stand ich dort schon im Stau. Mittlerweile kenne ich zum Glück einige Schleichwege. Hoffentlich gelingt mir das auch am Sonntagabend, da ich einen frühen Flieger nach Deutschland habe. Das Schwierige ist, aus dem Infield von den Parkplätzen runterzukommen und schnell auf der Hauptstraße zu sein. Man sollte nicht im Infield steckenbleiben, sonst ist "Grande Casino" angesagt, und dann ist erstmal alles vorbei. Da kann man dann gleich umbuchen.

Augenhöhe bei Mercedes

Für das Wochenende selbst erwarte ich wieder ein spannendes Rennen. Man hat gesehen, dass Williams im vergangenen Rennen an Mercedes dran war. Ich könnte mir vorstellen, dass sich das jetzt ein wenig zusammenschiebt. Klar ist Silverstone durch die vielen Geraden eine Powerstrecke, aber Mercedes darf sich keinen Schnitzer erlauben. Doch auch wenn die anderen ein bisschen aufschließen, konzentriert sich der Kampf in England weiter auf Lewis und Nico.

Lewis hat dieses Mal Hausrecht, und da bin ich gespannt, wie das ausgeht. Ich glaube, er fährt mit einer großen Portion Selbstvertrauen nach Silverstone. Nico muss schauen, dass er sein Auto einfach ins Ziel bringt, auch wenn es am Wochenende nicht so läuft. In Montreal hat er das ja phänomenal gemacht. Von einer Nummer 1 und 2 würde ich dort jedenfalls nicht sprechen. Die zwei befinden sich absolut auf Augenhöhe.

Dahinter wird es sehr hart. Red Bull ist jetzt gefragt, dass sie mit dem zweiten Auto von Sebastian wieder zu Daniel Ricciardo aufschließen. Der Red Bull hat angeblich sehr gute Abtriebswerte, das kann in Silverstone ein sehr großer Vorteil sein. Andererseits braucht man wieder viel Power, um auf den Geraden richtig auf Speed zu kommen. Da ist Effizienz gefragt. Es bringt ja nichts, wenn du nur schnell um die Ecken fahren kannst und sich die anderen auf den Geraden ansaugen können, um easy an dir vorbeizufahren.


Fotostrecke: Triumphe & Tragödien in Großbritannien

Ferrari kann ich im Moment nur sehr schwierig einschätzen. Speziell in Sachen Strategie machen sie derzeit einige Fehler, was besonders Kimi zu spüren bekommt. Kimi muss sich richtig wohlfühlen. Der braucht einfach ein Auto, das richtig funktioniert. Ferrari steckt derzeit wirklich in der Krise, bei Red Bull betrifft das wenigstens nur ein Auto. Wobei man auch sagen muss, dass Fernando einen wirklich tollen Job erledigt.

Mit mir im Renntaxi!

In diesem Zusammenhang muss ich noch zwei andere Fahrer loben. Am vergangenen Wochenende war die DTM (und ich) am Norisring zu Gast. Der Sieg von Robert Wickens war phänomenal. Ich kann mich nicht erinnern, wann das letzte Mal jemand so einen Vorsprung hatte. Jamie Green war wie immer am Norisring bärenstark und wurde dafür mit dem zweiten Platz belohnt. Er hat dort als einziger Fahrer schon viermal gewonnen. Da muss man wirklich sagen: Hut ab!

Ich selbst war übrigens auch im Einsatz: Als Markenbotschafter von Mercedes habe ich das Vergnügen, ein DTM-Renntaxi zu fahren. Und ich kann euch sagen: Da war was los! Am Norisring hatten David Coulthard, Susie Wolff und ich so viele Leute zu fahren, einfach weil es der größte Event ist. Es ist jedes Mal faszinierend, die Leute so erstaunen zu können, weil der Unterschied zu einem normalen Serienfahrzeug einfach so groß ist.

Bernd Mayländer

Selbst die Jungs von Motorsport-Total.com werden als Beifahrer plötzlich ruhig... Zoom

Felipe Massa ist ebenfalls mitgefahren, aber leider bei Susie. Ich glaube, er war sehr fasziniert, wie schnell so ein DTM-Auto sein kann. Jetzt weiß er auch, wie es auf dem Norisring zugeht. Doch vom aufregenden Stadtkurs geht es nun in das nicht minder aufregende Silverstone. Ich freue mich drauf!

Euer

Bernd Mayländer