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  • 03.06.2011 12:06

Spielberg: Das Natur-Monument für Rennautos

Kurze Reise durch Zeit und Speed: Helmut Marko erinnert sich in 'The Red Bulletin' an seine Erfahrungen mit dem heutigen Red-Bull-Ring

(Motorsport-Total.com) - Das feine Gefühl für Speed in einer speziellen Gegend des Landes kommt ja nicht aus dem Nichts, diesen schlanken Satz wollen wir gleich so stehen lassen. Urzeitlicher Auslöser der flinken Denkungsart war der Flugplatz von Zeltweg gewesen, mit Strohballen hinreichend eingesäumt für tadellose Rennen ab 1957, es gab ja noch keine "wirklichen" Rennstrecken.

Titel-Bild zur News:

Zurück in Spielberg: Die DTM startet auf dem Red-Bull-Ring

Heroes, und damit sind gemeint: leibhaftige Heroes! Stirling Moss, Graf von Trips, Jim Clark, Hans Herrmann, Innes Ireland, Jack Brabham, John Surtees, Mike Hailwood - sie hatten durch ihre Starts in der Steiermark ein Publikum an jugendlichen Fans geschaffen, die dann zum Beispiel hießen: Jochen Rindt, Helmut Marko, Gerold Pankl. Da konnte sich auch tief in der Provinz einiges verdichten zu einem brisanten Gemenge der Sehnsüchte.

Daraus entstand dieses ganz besondere Kraftfeld in der Steiermark zwischen Graz und Leoben, das dann auch entsprechend dekoriert wurde - mit dem ersten Formel-1-WM-Lauf in Österreich, 1964. Die schlechte Nachricht war, dass das halbe Starterfeld an den Betonfugen des Flugplatzes zerbröselte. Aus für Zeltweg und Formel 1. Aber deswegen löste sich das Kraftfeld keineswegs auf. Es blieb die Begeisterung, man wollte sich diese Region einfach nicht mehr ohne Rennsport vorstellen.

So kam es zum Bau des Österreichrings im passendsten Gelände unweit Zeltwegs, das war Spielberg im Aichfeld. Die Rennstrecke war 1969 fertig. Da war Helmut Marko 26 Jahre alt und seit zwei Jahren Doktor der Rechtswissenschaften, respektables Mitglied der Bürgerschaft von Graz.

Die alten Geschichten aus der Halbstarkenzeit, die nächtlichen Straßenrennen mit entlehnten Automobilen, der Gleichklang mit Jochen Rindt, in der Straßenrennerei wie auch im selben Gymnasium in Graz, waren aus dem Register gestrichen. Man hatte ja den beiden jungen Herren mitten im Schuljahr einen verlockenden Vorschlag gemacht.

Man würde sie, allen schulischen Leistungen zum Hohn, mit einem positiven Abgangszeugnis ausstatten, wenn sie bloß blitzartig verschwinden und in einer anderen Schule andocken würden - an einem fremden Ort, möglichst weit weg. 160 Kilometer Entfernung bis zum "Internat der letzten Hoffnung" in Bad Aussee sollten reichen.

Berge, Bäume und Boliden: Die Rennstrecke fügt sich in die Landschaft ein Zoom

Wie auch immer: Die Jungen Steirischen Wilden hatten ihre Lehrjahre überstanden. Helmut Marko: "Heute kommen alle jungen Talente von den Kartbahnen. Wir hatten die winkeligen Landstraßen und die armen Autos aus Vaters Garage. Unsere Nahverkehrs-Competition ersetzte zwei Formel-3-Saisons, heute wäre das ein Fall fürs Jugendgericht."

1969, im Eröffnungsjahr des Österreichrings, fuhr Jochen Rindt, damals 27, bereits für Lotus in der Formel-1-Weltspitze. Helmut Marko, ein Jahr jünger, ab nun "der Doktor", hatte infolge seines Studiums ein Manko von ungefähr tausend Rennrunden und boxte sich noch durch die diversen mittleren Rennklassen.

Ein hübscher Zufall, aus heutiger Sicht, wollte es, dass Marko die beiden allerersten Rahmenrennen des allerersten Renntags gewann. In der 'Autorevue' von 1969 ist festgehalten, dass Marko "mit einem Stoß von Homologierungsblättern" bei den technischen Kommissaren antanzte und ihnen nachwies, dass sein blauer Camaro ein lupenreiner Gruppe-2-Tourenwagen sei.


Fotos: DTM in Spielberg


So also erkennen wir Helmut Marko schon beim Eintritt in die Rennsportgeschichte als kundigen "Merchant of Speed". Der Rest jenes Samstags war lässige Routine für den Camaro. Mehr Action gab es im Formel-V-Rennen, Marko war nur um eine Nasenlänge vorn. Als Achten finden wir in diesem Ergebnis: N. Lauda.

Helmut Marko: "Mit einem Mal hatten wir direkt vor der Haustür eine unglaublich aufregende Rennstrecke. Ja, aufregend ist das richtige Wort, spannender als alle anderen Strecken, die wir kannten: Diese Berg-und-Tal-Bahn mit ihrer Arena-Atmosphäre, der Rhythmuswechsel zwischen Vollgas-Überwindung und Slalom im Infield. Darum hatten wir gleich auch wieder die Größten und Besten zu Gast in der Steiermark, wie früher auf dem Flugplatz."

Die Größten, das waren die Weißen Riesen, die sagenhaften Porsche 917, möglich geworden durch einen Kraftakt Ferdinand Piëchs, der heute noch sagt: "Der 917 war das ultimative Tier unter den Rennwagen." Piëch war selbst angereist, machte gute Figur in Leder-Knickerbockers mit smarten grünen Hosenträgern, dies war eindeutig die Zeit vor der feuerfesten Kleiderordnung an den Boxen.

Rekord in Le Mans 1971: Helmut Marko und Gijs van Lennep im Porsche 917 Zoom

Tatsächlich kam es in der Steiermark 1969 zum weltweit ersten Sieg eines 917 - noch vor den Le-Mans-Heldentaten, bei denen natürlich Helmut Marko eine entscheidende Rolle spielte (Sieg 1971 mit Rekordwert, der bis 2010 hielt). Der 917, in all seinen Auswüchsen, ist auch Symbol für die Extreme des alten Österreichrings mit seinem Speed und seiner Gefährlichkeit.

Nach einer langen Schrecksekunde knebelte die Sportbehörde das Reglement auf allgemeine Verträglichkeit, und so blieben die europäischen Heydays des 917 auf drei Jahre beschränkt. Irgendwie typisch: erster Sieg in der Steiermark, letzter Sieg in der Steiermark (1969/1971). Dass dann drüben in Amerika ein zweites Leben für den 917 begann, ist eine andere Geschichte, sie führt gleich weiter zur Hall of Fame der feinsten Automuseen der Welt.

¿pbvin|1|3744||0|1pb¿Ein würdiger Höhepunkt der Eröffnung des Red Bull Rings: Das Porsche-Museum schickte einen waschechten 917er vorbei, und Helmut Marko, der ihn zum Rekordsieg in Le Mans führte, durfte vierzig Jahre danach eine Zeitreise zelebrieren. Erste reflexmäßige Erinnerung an damals? Marko: "Da habe ich sofort wieder dieses kreischende Singen auf der langen Geraden im Ohr, Tinnitus-artig. Und dass ich total fertig war im Ziel: wie ich noch gezittert hab, als ich den Telefonhörer fürs erste Radio-Interview in der Hand hielt."

Helmut Marko fuhr ab 1971 in der Formel 1 für das britische BRM-Team, bis zum Grand Prix von Frankreich 1972. Die Pisten waren nicht so glattgefegt wie heute, die Visiere der Helme nicht schussfest. So konnte ein vom Vordermann bei Tempo 250 aufgewirbeltes Steinchen ein Unglück befeuern. Helmut Marko verlor sein linkes Auge und steckte sich ohne Lamento das Glasauge ins Gesicht, so formuliert er es selbst.

Von da an sah er die Welt aus seiner ganz speziellen Sicht, die ihm allemal einen geschärften Blick erlauben würde auf die Dinge, die da liefen im Motorsport, aber auch in der Kunst, Architektur, im Geschäftsleben. Bloß die eigene Rennkarriere, die war vorbei.

Marko unterhielt Rennteams in diversen Formeln, wurde ein überragender Talente-Scout, hatte langfristige Managementverträge (er nannte sie "Anlage in hochriskante Aktien") mit Fahrern, an die er glaubte, Gerhard Berger und Karl Wendlinger sind die bekanntesten Namen.

Helmut Marko (Motorsportchef)

Helmut Marko leitet das Motorsport-Programm im Hause Red Bull Zoom

Als Red Bull vor gut zehn Jahren in den Motorsport ging, war Marko die logische Wunschperson als Berater, als Ideen-Entwickler, unbestechlicher Szene-Beobachter vorerst für das Juniorteam. Der Formel-1-Einstieg führte in neue Dimensionen, die strategische Seite der Geschichte ist ja wohlbekannt.

Mit der Eröffnung des Red-Bull-Rings an der alten Stätte in Spielberg klicken da für Marko mehr als vier Jahrzehnte ineinander. Man wird ihn deswegen zu keinen Sentimentalitäten hinreißen können (das wäre ihm zutiefst wesensfremd), aber für seine Verhältnisse ist da fast ein Überschwang herauszuhören, wenn er die Wirkung des alten Strecken-Layouts im neuen Gewand beschreibt.

"Der neue Ring lebt in einer tollen Symbiose mit Architektur und Landschaft. Ich kenne weltweit keine andere Strecke, die so prächtig in eine attraktive Gegend eingebettet ist. Die neuen Kurse sind eher steril und fokussieren ihre Attraktivität auf Monumentalbauten, die nichts mit Racing selbst zu tun haben. Hier, dieses Auf und Ab in der Landschaft, das hat etwas charakteristisch Persönliches."

"Für mich bedeutet es eine Verbundenheit des ganzen Umlands mit der Strecke. Die Attraktivität der Anlage hat auch mit dem hügeligen Gelände zu tun, das eine natürliche Arena schafft. Naturtribünen sind hilfreich, um das Dilemma zwischen Sicherheit und Publikumsnähe auf ideale Weise zu lösen. Im besten Fall sitzt du quasi über dem Rennauto und schaust dem Fahrer beim Anbremsen, Einlenken, Herausbeschleunigen ins Cockpit, das ergibt ein Gefühl von Eingebundenheit in die Action, während man an den meisten anderen Strecken so weit weg ist, dass die Leute zum Fernglas greifen."


Fotos: Showevent in Graz


"Demut", sagt Helmut Marko, "jede Menge Demut" erfahre er im alten Porsche 917. "Es ist ja unglaublich, was für ein wildes Vieh dieses Auto damals war, so brutal im Schub, so heikel im Fahrverhalten, so filigran im Leichtbau-Irrwitz." Hatte man als Fahrer Angst, wenn man in einen 917 einstieg, vor vierzig Jahren? "Angst war nicht angebracht", sagt Marko, "da hätte man's bleibenlassen müssen. Rational war dieses Auto ja nicht in die Reihe zu kriegen."