• 25.05.2016 08:27

  • von Marcus Simmons (Haymarket)

Jamie Green im Interview: "Bei Mercedes war ich ein Junior"

Jamie Green erinnert sich an seinen Wechsel von Mercedes zu Audi zurück - Auch rückblickend betrachtet war es für den Vizechampion die richtige Entscheidung

(Motorsport-Total.com) - Jamie Green kam im Jahr 2003 zu Mercedes. Nach einem Jahrzehnt, einem Formel-3-Titel und acht DTM-Saisons (inklusive acht Siegen) mit den Stuttgartern wechselte er ins rivalisierte Lager. Der Wechsel von Green zu Audi 2013 war das Ende einer Vereinbarung zwischen den beiden Herstellern, keine Piloten des jeweils anderen unter Vertrag zu nehmen. Im Interview spricht Green darüber, wie es dazu kam, und wie das Leben in einem anderen Teil des DTM-Fahrerlagers ist (zur Fahrer- und Teamübersicht der DTM).

Titel-Bild zur News: Jamie Green

Jamie Green wechselte 2013 nach vielen Jahren bei Mercedes zu Audi Zoom

Frage: "Bevor BMW in die DTM einstieg haben Mercedes und Audi nie die Fahrer des jeweils anderen abgeworben. Wie wichtig war das?"
Jamie Green: "Ich denke, dass sie diese Dinge begonnen haben. Als BMW kam, da nahmen sie Martin Tomczyk von Audi und Bruno Spengler von Mercedes unter Vertrag. Das war ein Zeichen dafür, dass sie die Dinge ernst nehmen. Das hat definitiv Türen für andere Leute geöffnet."

"Meine Leistung 2011 und 2012 - und vielleicht auch davor - hat Interesse bei anderen Herstellern geweckt. Als klar wurde, dass der Markt sich öffnete, stand ich bei einigen Leuten auf der Liste. Ich hatte das Gefühl, dass ich Mercedes einige gute Jahre meiner Karriere gegeben hatte. Es war an der Zeit für mich, den nächsten Schritt zu gehen. Bei Mercedes fühlte ich mich wie ein Juniorfahrer, denn dort war ich seit dem Beginn meiner Karriere."

Frage: "Selbst nach acht Jahren in der DTM?"
Green: "Ja, ich fühlte mich noch immer wie ein Junior. Ich hatte das Gefühl, dass ich das tun muss, was man mir sagt. Bei Audi werde ich eher wie ein Erwachsener behandelt. Es war ein bisschen, als würde man aufwachsen und dann von zuhause ausziehen. Es war ein großer Schritt und es lohnte sich nur dann, wenn ich davon profitieren würde. Es war ein Risiko, Mercedes zu verlassen."

"Das Risiko war es also nur dann wert, wenn woanders etwas Besseres wartete. Ich hatte das Gefühl, dass ich in der Lage bin, die Meisterschaft in der DTM zu gewinnen, aber dazu musste ich mich in die richtige Position bringen. Langfristig würde ich sowieso kein Formel-1-Pilot werden. Bei Mercedes zu bleiben, die eine sehr enge Verbindung zur Formel 1 haben, passte also nicht unbedingt zu meiner Zukunft. Audi hingegen ist zwar auch in anderen Meisterschaften abseits der DTM vertreten, aber nicht in der Formel 1."


Fotostrecke: DTM: Alle Auftaktsieger seit 2000

"Audi ergab für mich Sinn, und ich war entschlossen, dort erfolgreich zu sein. Das erste Jahr war sehr schwierig, denn alles war neu. Es gab weniger Zeit auf der Strecke am Wochenende, denn in diesem Jahr änderten sich die Regeln. Es gab kaum Freie Trainings, am Freitag gab es nur ein Rollout und das Auto war komplett anders. Ich hatte keine Zeit, mich daran anzupassen. Auch mit den Ingenieuren und dem Team lief es in diesem Jahr nicht so. Privat war alles in Ordnung, aber professionell waren wir keine gute Mischung."

"Der Wechsel zu Rosberg war viel besser für mich. Ich brauchte lange, um mich einzuleben - viel länger, als ich jemals erwartet hätte. Darum war 2013 - mein erstes Jahr bei Audi - in Sachen Ergebnissen mein schlechtestes DTM-Jahr. Das war eine bittere Pille, und darum war das vergangene Jahr (2015; Anm. d. Red.) so eine massive Belohnung. Ich bin das Risiko eingegangen, Mercedes zu verlassen, und ich habe es geschafft, als Audi-Pilot Erfolg zu haben."

Jamie Green

2007 in Barcelona feierte Jamie Green im Mercedes seinen ersten DTM-Sieg Zoom

"Ich hätte mich dieser Herausforderung nicht stellen müssen, aber ich wollte es. Ich wollte für mehr als einen Hersteller Rennen in der DTM gewinnen. Das haben nicht so viele Leute geschafft, weshalb ich das Gefühl habe, dass ich mich hier bewiesen habe. Ich bin in verschiedenen Autos schnell, und jetzt muss ich das Beste daraus machen. Im vergangenen Jahr war es etwas unglücklich, nicht die Meisterschaft zu gewinnen. Trotzdem bin ich stolz auf meine Pace, und dass ich gezeigt habe, zu was ich in der Lage bin."

Green kannte eigenes Setup nicht

Frage: "Es wäre also möglich, dieses Momentum 2016 mitzunehmen und den Titel zu gewinnen?"
Green: "Ich bin ein Kerl, der noch besser werden kann. Du gewinnst in jedem Jahr Erfahrung dazu. Der einzige Grund, warum du als Rennfahrer nicht mehr besser wirst, ist der, dass du zu alt wirst und nicht mehr so scharfsinnig, hungrig und motiviert bist. Auch deine Fitness ist dann nicht mehr sehr gut. Die Autos in der DTM sind sehr schnell."

"Du musst fit sein, aber ich arbeite hart an all diesen Dingen. Ich bin fit genug und noch immer hungrig. Ich will die Meisterschaft nach wie vor gewinnen. Was auch immer im vorherigen Jahr passiert ist, ich denke immer, dass ich im neuen Jahr noch besser sein kann. Selbst wenn ich im vergangenen Jahr die Meisterschaft gewonnen hätte, würde ich trotzdem hier sitzen und sagen: 'Ich denke, ich kann die ersten fünf und nicht nur die ersten vier Rennen gewinnen.'"

"Ein Grund dafür ist, dass Audi den Fahrern die Setup-Informationen offen zur Verfügung stellt. Als ich bei Mercedes war, da konnte ich das Setup des Autos nicht sehen. Auf der technischen Seite war ich daher nicht so sehr involviert."


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Frage: "Nicht einmal das Setup deines eigenen Autos?"
Green: "Nein. Bei Audi ist es komplett offen. Als wir in diesem Jahr getestet haben - und es waren nur zwei Tests -, da war es interessant, denn ich wusste, welche Teile wir bekommen. Ich wusste, welche Kompromisse wir bei welchem Teil eingehen mussten. Wir haben das Auto abgestimmt, und ich konnte etwas darüber lernen."

"Ich habe mit Eric Baumgartner einen sehr guten Ingenieur. In der Formel 3 war er der Ingenieur von Nico Rosberg und Gary Paffett. Technisch ist er sehr gut. Wir kommen sehr gut klar, und ich lerne viel von ihm. Wenn man darüber nachdenkt, dann ist es ziemlich lustig: Du fährst seit acht Jahren in der DTM, und plötzlich lernst du noch ganz viele Sachen dazu."

"Das kommt daher, dass ich jetzt in einer ganz anderen Umgebung bin. Für mich ist das, im Vergleich zu den Jahren davor, ein ganz frischer Wind. Mein Ansatz beim Racing ist es, so gut zu sein, wie ich eben sein kann. Ich will das Beste aus mir und aus dem Auto herausholen. Im vergangenen Jahr war das Auto gut genug, um damit Rennen zu gewinnen."

Jamie Green

2012 wurde Jamie Green in seiner letzten Mercedes-Saison Meisterschafts-Dritter Zoom

"Selbst wenn das in diesem Jahr nicht der Fall wäre, würde ich trotzdem das Beste aus unserem Paket herausholen wollen. Für mich ist das eine aufregende Herausforderung, auch wenn es nur reicht, um in der Meisterschaft Dritter oder so zu werden. Das motiviert mich, und mit der Meisterschaft wird es eines Tages klappen, wenn das Glück auf meiner Seite ist. Ich denke mir nicht: "Oh, jetzt bin ich gut genug.'"

Frage: "In der vergangenen Saison sah es für dich am Anfang sehr gut aus. Du konntest schnell drei Rennen gewinnen. Hast du dir gedacht, dass das dein Jahr wird?"
Green: "Wenn du drei der ersten vier Rennen gewinnst, dann denkst du dir schon, dass es verdammt gut aussieht. Aber ich weiß, wie schwierig die DTM sein kann, und im vergangenen Jahr waren die Performance-Gewichte ein gutes Beispiel dafür."

"Nach den ersten vier Rennen hatten wir einen gewaltigen Gewichtsnachteil. Dadurch war es in der Mitte der Saison sogar sehr schwierig, einfach nur in die Punkte zu fahren. Ich dachte mir, dass wir eine gute Chance hätten, aber ich war keinesfalls selbstzufrieden - auch nicht nach drei Siegen in den ersten vier Rennen. Ich wusste immer, dass es hart werden würde."

Kein Durck von Audi

Frage: "Es gab eine schlechte Phase: Auf dem Red-Bull-Ring ging dein Getriebe kaputt, in Zandvoort bist du ausgeschieden, auf dem Nürburgring hattest du einen schlechten Start..."
Green: "Und dazu kommt noch unsere Performance im Regen! Mattias Ekström hat die beiden Regenrennen gewonnen, während ich in keinem davon gepunktet habe. Das wären potenziell 50 Punkte gewesen, denn Audi war dort siegfähig."

"Letztendlich lag es daran, dass das Team das falsche Setup für diese Bedingungen wählte. Natürlich fährt das Auto nicht von alleine - ganz besonders im Regen. Also muss ich mich auch selbst in die Pflicht nehmen, weil ich im Nassen nicht schnell genug war. Im Regen ist es immer eine kleine Lotterie. Du musst abschätzen, wie viel Regen fällt, wie viel Reifendruck du verwendest, ob es eher noch nasser oder trockener wird. Das ist immer ein Risiko."

"Manchmal bekommst du es hin und sieht wie ein Superstar aus - wir sahen leider dumm aus. Und dann das Getriebe in Spielberg: Ich verlor die Meisterschaft wegen 19 Punkten. Dort hätte ich 25 geholt, wenn ich meine Position gehalten hätte. Auf dem Nürburgring war ich Dritter in der Startaufstellung und kam nicht weg. Wir haben häufig Punkte verschenkt. Der Speed war nicht das Problem, es waren diese Böcke, die wir geschossen haben. Vieles davon lag nicht in meiner Macht."


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"Selbst als ich in Zandvoort abgeflogen bin, war ich in dieser Runde ein Gang kaputt. Ich hörte dieses scheppernde Geräusch. Ich wunderte mich, und nach dem Rennen haben wir herausgefunden, dass ein Gang kaputtgegangen war. Wahrscheinlich wäre in den nächsten Runden sowieso das ganze Getriebe kaputtgegangen. Es war kein vermeidbarer Fehler, dann die merkwürdigen Geräusche lenkten mich ab. na ja, es sollte nicht sein..."

Frage: "Hast du nach deiner schwierigen ersten Saison 2013 jemals Druck von Audi gespürt?"
Green: "Sie waren sehr gut. Darum denke ich, dass Audi die richtige Wahl für mich war. Audi hat mich von Mercedes geholt, damit ich Rennen gewinne. Ich hatte bereits gezeigt, dass ich gewinnen kann. Also wären alle anderen Dinge als Siege im Audi eine Enttäuschung gewesen - für mich und für sie. Natürlich hatte ich also etwas Druck, und in den ersten beiden Jahren schaffte ich es nicht."

Jamie Green

2015 gewann Jamie Green für Audi drei der ersten vier Saisonrennen Zoom

"Aber sie verloren nie das Vertrauen in mich. Sie waren immer geduldig. In schlechten Zeiten zeigt sich der wahre Charakter, nicht in den guten Zeiten. Auch in diesen Zeiten waren sie sehr professionell und haben mich unterstützt. Darum bin ich hier bei Audi sehr glücklich. Jetzt hatte ich mein Jahr, in dem ich ihnen zeigen konnte, zu was ich in der Lage bin. Das rechtfertigt meine Entscheidung, zu Audi zu wechseln, und es rechtfertigt ihre Geduld mit mir."

"Ich fühle mich hier sehr glücklich. Ich möchte eine lange Karriere haben, und ich werde nicht in die Formel 1 wechseln. Ich werde auch nicht in der IndyCar-Serie fahren. Wo soll ich also hingehen? Die DTM ist meine beste Option, und im Hinblick darauf, dass ich so lange wie möglich erfolgreich sein will, war es der beste Weg, von Mercedes zu Audi zu wechseln. Das einzige, was wirklich fehlt, ist ein Titel."