• 06.10.2012 07:12

  • von Roman Wittemeier

Projektstart: Ein weißes Blatt mit Antrieb

Im ersten Teil unserer Serie über das Toyota-Engagement auf der Langstrecke blicken wir auf die Schritte beim Entwurf und Bau eines neuen LMP1-Autos

(Motorsport-Total.com) - In der Le-Mans-Szene ist auch 2012 Spannung garantiert. Nach dem plötzlichen Rückzug von Peugeot sprang Toyota in die Bresche. Die Japaner mit Entwicklungsstandort in Köln machten aus dem geplanten Testjahr mit dem neuen TS030 Hybrid ein Einsatzjahr und verhalfen der neuen WEC zu mehr Wettbewerb. In unserer Serie stellen wir das Toyota-Projekt genauer vor. Heute: Der Antriebsstrang aus Japan und der Chassisbau in Köln-Marsdorf.

Titel-Bild zur News:

In den TMG-Hallen in Köln-Marsdorf entsteht der Le-Mans-Prototyp TS030 Zoom

Die Toyota Motorsport GmbH (TMG) an der A4 bei Frechen hat in den vergangenen Jahren einen erheblichen Wandel vollzogen. Nach vielen erfolgreichen Jahren im Rallyesport folgte von 2002 bis 2009 der große Angriff in der Formel 1. Mit fast 800 Fachleuten arbeitete man in jenen Jahren an den Boliden, die in der Königsklasse Siege einfahren sollten. Leider kam es nicht mehr dazu, denn der Konzern verabschiedete sich 2009 aus der Szene.

Zahlreiche Mitarbeiter des ehemaligen Formel-1-Riesen wechselten nach dem Abschied von der großen Bühne das Team, oder suchten sich in anderen Motorsportkategorien neue Herausforderungen. Ein harter Kern blieb jedoch, unter anderem Technikchef Pascal Vasselon. Unter dessen Leitung bietet TMG seit Jahren hochwertige Dienstleistungen im Motorsport an: vom Design, über Produktion bis zur Entwicklung im Windkanal oder auf den Hightech-Prüfständen.

Neuer Kernpunkt der eigenen Aktivitäten ist das LMP1-Programm, mit dem Toyota den 1998 und 1999 knapp verpassten Triumph bei den 24 Stunden von Le Mans nachholen möchte. "Damals in Le Mans war es sehr schön. Es war aber nur der zweite Platz, da fehlt also noch etwas. Ich hatte immer den Wunsch, wieder nach Le Mans zurückzukehren", sagt Projektleiter John Litjens, der zehn Jahre lang wichtige Funktionen im Toyota-Formel-1-Programm innehatte. "Wenn es damals ein Formel-1- und ein Le-Mans-Projekt gleichzeitig gegeben hätte, dann hätte ich wohl die LMP1 gewählt."

Zehn Monate Vollgas

"Wenn man die gesamte technische Herausforderung betrachtet, mit all dem, was laut LMP1-Reglement möglich ist, dann ist ein Prototyp mindestens ebenso reizvoll wie ein Formel-1-Auto", erklärt der Niederländer, der seit dem Projektstart im Frühjahr 2011 voll in seinem Element ist. "Es fing an, weil unsere Kollegen in Japan schon am Antriebsstrang dran waren. Die hatten im Dome als Testträger schon Tests absolviert. Man hat sich dann gefragt, wie es weitergehen soll."

"Bei uns war das Formel-1-Projekt beendet, daher war es die logische Konsequenz. Da wir am Standort Köln alle Möglichkeiten haben, ist man darauf gekommen, dass wir die Entwicklung des Autos machen sollten", sagt Litjens, der gemeinsam mit seiner TMG-Mannschaft innerhalb von nur zehn Monaten von einer Idee, über ein Konzept bis hin zum Shakedown des fertigen LMP1-Hybridbenziners TS030 kam. Bis zu diesen ersten Fahrten in Le Castellet wurden viele Hürden genommen.

"Zuerst schaut man sich das Regelwerk genau an. Das war für uns sehr interessant, vor allem für die Kollegen aus der Aerodynamikabteilung. In der Formel 1 ist es so, dass man alles machen darf, was dort nicht ausdrücklich verboten ist. Im Prototypen-Reglement ist es eher umgekehrt. Kurz gesagt: In der Formel 1 schaust du, was im Reglement nicht steht, in der LMP1 schaust du, was drin steht", schmunzelt der erfahrene Ingenieur.

Viel Erfahrung: John Litjens war bereits 1998 und 1999 mit Toyota in Le Mans Zoom

"Und dennoch kommt man auf kreative Lösungen. Man hat nur einen anderen Blickwinkel. Es ist auch gut, dass man mal frisch in ein neues Umfeld kommt und nicht das weitermacht, was man jahrelang getan hat", sagt der frühere Formel-1-Chefdesigner. "Also: Man liest das Reglement ganz genau, aber man wirft natürlich auch einen Blick auf die aktuell vorhandenen Topautos. Dann legt man eine aerodynamische Basiskonfiguration fest."

Grundlage für die Entwicklung des neuen LMP1-Boliden für Le Mans und die WEC war ein konventionelles Design, beeinflusst von Erkenntnissen vom alten Dome-Chassis und den Eindrücken der damals aktuellen Fahrzeuge von Audi und Peugeot. "Wir hatten die Idee, den Frontsplitter eher ein wenig im Formel-1-Stil zu gestalten. Das ist eine Richtung, in die auch Audi geht. Wenn es um Cockpit oder Seitenkästen geht, dann sind wir eher dem Peugeot etwas ähnlich. All diese Dinge sind aber letztlich aus unseren eigenen Ideen entstanden. Man muss es selbst kreieren, um es weiterentwickeln zu können", betont Litjens.

Monocoque steht frühzeitig fest

In den Designbüros am Standort Köln war ein ein Prozess des Umdenkens schnell abgeschlossen. Hatte jeder Fachmann in Zeiten des Formel-1-Projektes seinen haargenau definierten Arbeitsbereich, ist in den aktuellen LMP1-Zeiten bei allen der Blick auf das große Ganze erforderlich. Eine neue Herausforderung, eine neue Chance. Gemeinsam erarbeitete man sich die spezifischen Kenntnisse, die beim Bau eines Le-Mans-Prototypen gefragt sind.

"Wir mussten herausbekommen, wie ein geschlossenes Auto reagiert, wie ein geschlossener Radkasten oder wie der Luftstrom um das Auto herum aussieht. Wenn man die Basis hat, dann kann man die Formel-1-Erfahrungen hernehmen, um Wege zum Ziel zu finden", sagt der Projektleiter. Das Design des TS030 wurde finalisiert, die Anforderungen an Bauteile festgeschrieben, der Zeitplan von Produktionsbeginn über Prüfstandsläufe bis hin zum ersten Test erarbeitet.

Der erste Schritt auf dem Weg zum fertigen Chassis war der Bau des Monocoque und des Getriebes. "Das liegt an den langen Vorlaufzeiten bei diesen Elementen", sagt Litjens. "Windschutzscheibe, Dachkontur und Lufteinlässe müssen ebenso feststehen. Außerdem muss man die Grundzüge der Fahrwerks-Kinematik fertig haben, um die Anlenkpunkte am Monocoque festlegen zu können." Bei diesem Prozess spielte der Faktor Zeit eine erhebliche Rolle, denn Monocoque und Crashstrukturen mussten von der FIA genehmigt werden. Es erfolgten bis zur Abnahme zahlreiche Crashtests.


Fotos: Bau des Toyota TS030 bei TMG


Zum Jahreswechsel 2011/2012 erblickte der fertige TS030 das Licht der Welt, Ende Januar stellte man das neue Projekt vor und absolvierte sofort die ersten Testfahrten in Le Castellet. Mit Erfolg. Alexander Wurz und Nicolas Lapierre, die man aufgrund ihrer Erfahrung und der technischen Kenntnisse von Peugeot und Oreca geholt hatte, erkannten das große Potenzial des Fahrzeuges bereits nach den ersten Metern auf der südfranzösischen Teststrecke.

"Die Fahrer haben von Beginn an immer ein gutes Gefühl im Auto gehabt. Die Piloten haben viel Erfahrung, aber Alex und Nico kommen aus Dieselautos. Außerdem hat das Hybridsystem einen gewissen Einfluss. Dennoch: Die waren jederzeit sehr zufrieden. Das ist ein Indikator. Ein Fahrer merkt, wenn nicht das vorhanden ist, was er braucht", beschreibt Litjens das wichtige Feedback der beiden LMP1-Vollgashelden. Bei der Entwicklung verlässt man sich allerdings nicht auf die Aussagen der Piloten allein.

Peugeot-Rundenzeiten als Anhaltspunkt

Toyota suchte sich bei den weiteren Erprobungen Referenzwerte. "Wir waren auf Teststrecken, wo Peugeot und Audi gewisse Vorgaben gemacht hatten, allerdings nicht mit Fahrzeugen in 2012er-Konfiguration", sagt der TMG-Projektleiter. Man hatte zwar Testzeiten der Konkurrenz, aber konnte deren Entwicklungsschritt zum Jahr 2012 nur erahnen. Die neuen Löcher auf den Radkästen wurden in die Abschätzung ebenso mit einbezogen, wie der natürliche Fortschritt bei der Verbesserung eines LMP1-Autos.

"Es war klar, dass die Autos mit den großen Löchern in den Radkästen langsamer werden. Wir haben gedacht, dass dies in etwa durch die normalen Entwicklungen ausgeglichen wird. Fragezeichen gab es aber natürlich dennoch", fasst Litjens zusammen. "Wir hatten beispielsweise Rundenzeiten von Peugeot, von denen wir wussten, mit welcher Aero-Konfiguration die dort gefahren sind. Als wir mit gleicher Aero-Konfiguration dort gleich schnell oder sogar etwas schneller waren, wurde uns klar, dass wir recht gut dabei sein sollten."

Zwischen Projektstart und den ersten Tests des LMP1 lagen nur wenige Monate Zoom

Diese Erkenntnis gab der gesamten Mannschaft zusätzlichen Schub. Die Techniker mit der umfangreichen Erfahrung aus der Formel 1 hatten ein schnelles Auto entworfen, der Hybridantrieb sorgte für ordentlich Vortrieb und die Hinweise von Wurz und Lapierre waren ermutigend. Dies wurde in der Folge noch weiter gesteigert, nachdem die anerkannt guten LMP1-Fachleute Stephane Sarrazin und Anthony Davidson nach den ersten Runden im TS030 ebenfalls ein Lächeln im Gesicht trugen.

"Wir haben gedacht, dass wir in Le Mans eine gute Performance zeigen können, aber das wir so nahe an Audi dran waren, hat uns überrascht. Es bleibt natürlich die Frage, wie Audis Hybridsystem funktioniert hat und ob sie Turboboost zurückgehalten haben. Das ist schwierig zu sagen", sinniert Litjens. "Wenn man sich den Abstand zwischen uns und den anderen Benzinern anschaut, dann wird aber klar, dass wir gute Arbeit geleistet haben. Das liegt an unseren guten Leuten, dem Windkanal und unserer tollen Ausstattung bei TMG."

Lesen Sie morgen den zweiten Teil unseres Toyota-Features auf 'Motorsport-Total.com': Die Produktion des LMP1-Autos am Standort Köln - von minus 23 Grad aus der Kühlhalle in das heiße Renncockpit.