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  • 29.11.2015 13:14

  • von Roman Wittemeier

Private LMP1-Klasse: Die Situation und der Ausweg

Interview mit ByKolles-Rennleiter Boris Bermes: So ist die Situation der privaten LMP1-Teams, das sind die denkbaren Lösungsansätze für eine goldene Zukunft

(Motorsport-Total.com) - Bei einem Meeting in Bahrain hat ACO-Sportchef Vincent Beaumesnil endlich die Verantwortlichen der privaten LMP1-Teams mit den entscheidenden Personen der Sporthoheit zusammengebracht. Der Le-Mans-Veranstalter will die privaten Teams der größten Prototypenklasse schützen und ihnen eine positive Zukunft ermöglichen. Bislang stehen ByKolles und Rebellion im dunklen Schatten der Werke. Wie eine solche Situation entstehen konnte und wo mögliche Auswege zu finden sein könnten, erklärt ByKolles-Einsatzleiter Boris Bermes im Interview mit 'Motorsport-Total.com'.

Titel-Bild zur News: Alexandre Imperatori, Dominik Kraihamer, Daniel Abt

Abstand zur LMP2 zu gering: Rebellion und ByKolles nur knapp vor den Ligiers Zoom

Frage: "Boris, wie bewertest du die aktuelle Situation bei den privaten LMP1-Teams in der WEC?"
Boris Bermes: "Die Situation ist schwierig - nicht erst seit gestern. Der Abstand zu den Werksteams ist definitiv zu groß, der Vorsprung auf die LMP2-Klasse zu gering. Nicht nur wir, sondern auch der ACO hat festgestellt, dass ein Teil des gültigen LMP1-Reglements für die privaten Teams nicht sonderlich gut anwendbar ist. Es braucht für uns gewisse Anpassungen, damit das sportliche Gefüge passen kann."

"Diese gesamte Situation ist durch die Einführung des neuen LMP1-Reglements 2014 um einiges schwieriger worden. Das Regelwerk funktioniert für die Werke gut, für die Privaten nicht ganz so gut. Die Hersteller fahren in einer anderen Liga, weil sie mit einem Hybrid unterwegs sind. Hybridantrieb bedeutet: mehr als 1.200 PS und Allradantrieb. Das darf man als Wettbewerbsvorteil nicht unterschätzen. Hinzu kommt, dass wir gerade einen extrem intensiven Wettstreit von drei großen Herstellern erleben, die sich gegenseitig enorm Druck machen."

"Es sind schließlich nicht irgendwelche Hersteller, die sich dort gerade auf höchstem Niveau begegnen. Audi hat über 15 Jahre Le-Mans-Erfahrung, Toyota bringt Kenntnisse und Strukturen aus zehn Jahren Formel 1 mit und Porsche hat mit umfangreichen Mitteln eine starke Truppe aus Leuten mit Formel-1- und LMP-Erfahrung zusammengestellt. Die Ressourcen der Werke sind in wirtschaftlicher und technischer Sicht unglaublich."

Antrieb als wichtige Stellschraube

Frage: "In Bahrain gab es ein Meeting mit dem Thema: Wie machen wir die private LMP1-Klasse attraktiv und setzen sie sportlich in das richtige Fenster. Wer war an diesem Treffen beteiligt?"
Bermes: "Unsere Belange hat man in der WEC in den vergangenen Monaten leider nie ganz ernst genommen, aber wir sind froh über die aktuellen Entwicklungen und wir hoffen, dass der ACO zu seinem Wort steht. Die Initiative ging von dort aus. Sportchef Vincent Beaumesnil hat die Beteiligten an einen Tisch gebracht. Es waren unter anderem die Technischen Kommissare von ACO und FIA dabei, natürlich Rebellion und wir als aktuelle private Starter in der LMP1 sowie auch noch einige Interessenten, die unter entsprechend verbesserten Bedingungen mit uns in einen Wettbewerb treten möchten. Da gibt es so einige."

"Das erste Gespräch war sehr positiv. Erstmals ist klar geworden, dass es eine gemeinsame Marschrichtung geben kann - und sehr wahrscheinlich auch bald geben wird. Der ACO hat unmissverständlich klargemacht, dass man eine Zukunft für die privaten LMP1 sieht und diese stärken möchte. Das war ein tolles Signal. Wir alle haben ähnliche Ideen, somit wird es bestimmt so sein, dass es sich in die richtige Richtung entwickeln wird. Ich hoffe, dass wir die ersten Schritte bereits im kommenden Jahr machen werden."

Frage: "Welche Maßnahmen oder Anpassungen im Reglement könnten euch helfen, um den großen Werksteams etwas näher zu kommen?"
Bermes: "Man müsste sich zunächst einmal den Antrieb anschauen. Hier haben die Werke den größten Vorteil mit der Hybrid-Allrad-Technologie Hier spricht man über mehr als 1.200-PS-Hypridpower und über einen Allradantrieb. Zum Vergleich: Die Privaten fahren mit 650-PS-Hinterradantrieb. In diesem Bereich sollte man auch das Regelwerk bezüglich Regelung der Motorleistung überdenken. Muss dies in der privaten LMP1 tatsächlich auch über den Fuel-Flow und die Energiezuweisungen geregelt sein?"


Porsche: WEC-Saison 2015 im Rückblick

Porsche blickt zurück auf die erfolgreiche WEC-Saison 2015, mit einigen schönen Bildern.

"So etwas könnte man auch über Restriktoren machen. Das wäre nicht nur gut anwendbar, sondern zudem auch noch viel günstiger. Derzeit geben wir sehr viel Geld für die Fuel-Flow-Meter und deren Kalibrierung aus. Hinzu kommen noch teure zusätzliche Sensoren und Telemetrie zur Überwachung des Benzindurchflusses. Dieses Geld könnte man sehr gut in die Verbesserung der Fahrzeugperformance investieren."

Werke bremsen, Private schneller machen

"Natürlich muss man gleichzeitig auch immer überlegen, wie man die Werks-LMP1 in puncto Tempo etwas im Zaum halten kann. Zum kommenden Jahr werden sie über geringere Energiezuweisungen etwas eingebremst. Dieses Defizit (drei bis vier Sekunden; Anm. d. Red.) werden die Werke aber über die 'normale' Entwicklung wieder deutlich reduzieren. Daher muss man schauen, wie man die privaten LMP1-Autos schneller machen kann."

"Wir müssten ungefähr dorthin kommen, wo wir schon mal waren, als wir unsere ersten Einsätze als Team in Le Mans hatten. 2009 war zum Beispiel der beste private LMP1-Wagen im Qualifying in Le Mans nur fünf Sekunden hinter der Polezeit. In diesem Jahr war der schnellste Private satte zehn Sekunden weg. Wir sollten möglichst wieder in den Bereich von früher kommen. Dann hätten wir auf den kürzeren Rennstrecken im WEC-Kalender einen Abstand von zwei bis drei Sekunden pro Runde - das würde passen."

Simon Trummer, Pierre Kaffer

Der CLM P1/01 von ByKolles wurde von 2014 auf 2015 stark verbessert Zoom

"Einige Beobachter werden vielleicht meinen, dass wir im Vergleich so langsam sind, weil wir das Geschäft nicht so professionell betreiben. Dem muss ich aber entschieden widersprechen: Wir geben auf Grundlage unserer Möglichkeiten und des gültigen Reglements alles - das gilt für Rebellion ganz genauso. Wir sind immer am Limit, wodurch es natürlich auch manchmal Probleme mit der Standfestigkeit geben kann. Unsere Möglichkeiten sind aber natürlich viel überschaubarer als jene der Werke, wo in den Windkanälen und in den Hallen mit den Prüfständen kaum noch das Licht ausgeht."

Hybridsystem auch für die privaten LMP1-Teams

Frage: "Wie stellt ihr euch Anpassungen im Reglement für die privaten LMP1-Teams vor?"
Bermes: "Neben den Möglichkeiten im Bereich Antrieb sehe ich verschiedene andere Stellschrauben. Zum Beispiel im Bereich Aerodynamik. Weil die Werke in allen Bereichen ans Limit gehen, gibt es aufwändige Deflection-Tests. Diese Dinge sind bei uns eigentlich nicht notwendig. Wir haben nicht die Möglichkeit, uns so extrem an die Limits des Reglements zu tasten, können uns gewisse Materialien gar nicht leisten. Es kostet viel Geld, entsprechende Tests umzusetzen und Einrichtungen zu schaffen."

"Generell denke ich, wäre es ein vernünftiger Ansatz, dass neue Regeln zunächst nur für die Werks-LMP1 eingesetzt werden. Die Hersteller sollten die neuen Vorgaben ausloten, ans Limit treiben und schauen, ob die Regularien sinnvoll und für Private überhaupt umsetzbar sind. Wenn etwas nicht funktioniert und kurzfristig wieder angepasst wird, dann können die Werke viel schneller und konsequenter reagieren als wir. Außerdem könnten wir erst einmal Kosten sparen. Wenn 2018 neue Monocoques kommen, dann wäre es nicht falsch, uns eine Übergangszeit einzuräumen, um zu schauen, wie es sich bewährt."

"Durch eine stufenweise Einführung neuer Regeln könnten sich ganz neue Felder eröffnen. Der ACO ist mit der LMP1 absoluter Vorreiter beim Thema Hybrid. Diese Technologie könnte in den kommenden Jahren doch in einer abgespeckten Version auch bei den Privaten zum Einsatz kommen. Die Systeme laufen bei den Herstellern mittlerweile enorm zuverlässig. Nun kann das Thema doch langsam mal auf andere Klassen überschwappen."


Fotostrecke: Porsches Weg zum WM-Titel 2015

Frage: "Du hältst den Einsatz von Hybridtechnologie bei Privaten tatsächlich für denkbar?"
Bermes: "Ja, absolut. Es war immer die Idee von ACO und FIA, dass erst die Werke diese Systeme bringen und entwickeln. Später sollte diese Technologie in andere Klassen Einzug halten. Es geht heutzutage alle Entwicklung in Richtung Hybrid - bei Sport und Automotive. In der nahen Zukunft muss also Hybrid ein Thema für private LMP1 sein. Man sollte nicht warten, bis irgendwelche GT- oder Formelserien das machen. Wir stellen uns ein bewährtes, getestetes System vor - quasi ein Baukasten."

"Bosch oder Magneti Marelli bieten solche Systeme bereits an. Es muss aber gar nicht mal von externen Zulieferern kommen, die direkt in die WEC nicht involviert sind. Die Hersteller der LMP1 könnten doch einen 'Hybrid-Light' für die Privaten anbieten. Man könnte die Technologe auf diesem Wege noch breit gefächerter zeigen. Es gäbe mittelfristig die Möglichkeit, für die anderen Klassen wie GTE oder LMP2 ähnliche Systeme zu entwickeln. Der ACO könnte die Vorreiterrolle also noch ausbauen. Vielleicht würden dann bald in Le Mans fast alle mit Hybridpower fahren. Das wäre ein starkes Zeichen!"

Privatteams bauen aus Leidenschaft eigene Autos

Frage: "Bei den Herstellern ist vor allem in diesem Jahr aufgefallen, dass gewaltige Schritte im Bereich Performance gelungen sind. Wie groß sind eure Schritte im Vergleich?"
Bermes: "Natürlich etwas geringer, aber auch unser Performance-Zuwachs ist sehr gut. Wir haben von 2014 auf 2015 vier bis fünf Sekunden auf verschiedenen Strecken zulegen können. Das ist ein gewaltiger Schritt. Diese Zahlen sollten aber deutlich machen, wie hart auch wir an Verbesserungen arbeiten. Für nächstes Jahr müssen wir nun den nächsten Schritt machen. Hierfür haben wir einen festen Plan. Vor allem im Bereich Aerodynamik schlummert bei uns noch viel Potenzial. Wir werden das Auto aber auch in anderen Bereichen verbessern"

Frage: "Ihr werdet 2016 definitiv weitermachen, euer Programm vielleicht sogar auf zwei Fahrzeuge ausweiten. Warum bleibt ihr trotz aller Probleme der privaten LMP1 so konsequent am Ball?"
Bermes: "Das hat verschiedene Gründe. Der wichtigste ist erst einmal, dass wir leidenschaftliche Racer sind, die gern ein eigenes Auto bauen und auf die Strecke bringen möchten. Das ist uns sehr wichtig. Und es ist auch wichtig für den ACO und den Event in Le Mans. Die Vielfalt macht es doch aus. Wir sind unwahrscheinlich stolz auf unser Auto, unsere Mannschaft und unsere Teilnahme an der WEC. Wir haben einen der schnellsten Sportwagen der Welt, mit dem du in Le Mans in die Top 10 fahren kannst!"


Fotos: WEC in Bahrain


"Zweitens sehen wir in der Serie und in unserer Klasse ein enormes Potenzial. Wenn man - wie eben gesagt - ein Racerherz hat und mit einem eigenen Auto Motorsport auf höchstem Niveau betreiben möchte, wo will man denn dann hin? Man sieht doch, was in der Formel 1 los ist. Dort wird ein immer fragwürdigeres Wettrüsten ohne Rücksicht auf finanzielle Verluste praktiziert, das die kleinen Teams an den Rand gedrängt hat, wobei gerade diese Teams für die Stabilität und Ausgeglichenheit des Sports wichtig sind."

LMP1-Privatteams als Chance für Nachwuchspiloten

"Bei den Herstellern hat es schon immer ein Kommen und Gehen gegeben, das sollte man nicht vergessen. In der LMP1 Klasse der WEC steuern wir leider auf ein ähnliches Problem zu. Ich hoffe, dass die Sporthoheit auch hier langsam eingreift, um die Privatteams mit einem vernünftigen Reglement zu schützen. Wenn in der Formel 1 selbst ein Weltmeisterteam wie Red Bull plötzlich kaum noch mithält und die Szene von Mercedes und in Teilen von Ferrari bestimmt wird, ist es nicht gerade reizvoll. Hinzu kommt noch, dass wir in der privaten LMP1-Klasse große Chancen für junge Fahrer sehen."

"In der Formel 1 kannst du so gut sein wie du willst: Wenn du nicht von einem Topteam gefördert wirst und dort zum passenden Zeitpunkt ein Cockpit frei wird, dann landest du in einer Sackgasse. Die Beispiele Kevin Magnussen oder Stoffel Vandoorne sprechen Bände. Die Privatteams nehmen keinen Fahrer, der nicht mindestens fünf Millionen Euro mitbringt - eher muss er sogar mehr bringen. Bei uns kann man hingegen hochklassigen Motorsport in sehr schnellen und weit entwickelten Autos für ein normaleres Budget haben."

"Der Vorteil für junge Piloten mit sportlichen Ansprüchen und Zielen ist klar: Im Gegensatz zur LMP2-Klasse müssen wir als privates LMP1-Team keine Gentleman-Fahrer an Bord haben. Das heißt, dass die sportlichen Ergebnisse nicht durch den Einsatz eines Amateurs geschmälert werden. In der LMP2-Klasse gewinnt nur derjenige, der sich einen besonders guten Silber- oder Bronze-Fahrer hat sichern können. Bei uns arbeitest du mit Profis zusammen. Und die Aussicht, sich vielleicht für einen Werks-LMP1 zu empfehlen, ist auch nicht zu verachten."


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Frage: "Fazit: Ihr wollt die große Prototypenklasse also nicht nur den Werken überlassen?"
Bermes: "Auf gar keinen Fall. Ich denke, dass ByKOLLES Racing mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen ein sehr gutes Auto gebaut hat und bin, was unsere Entwicklung betrifft, eigentlich sehr zuversichtlich. Erstens weiß niemand, ob in drei Jahren noch alle Werksteams am Start sein werden, und zweitens werden wir mittelfristig auch selbst eine interessante Einstiegsplattform unter etwas anderen Rahmenbedingungen bieten können. Wir haben nämlich schon in der Formel 1 bewiesen, dass wir mit kleinen Budgets unseren Job erledigen können."

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