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  • 12.11.2012 08:26

  • von Roman Wittemeier

Lotus T128: Die Entstehung des neuen LMP2-Autos

Mitte Januar wird der neue LMP2-Wagen von Lotus erstmals getestet - Entwickler Stephane Chosse im Interview: Die Vorzüge des neuen T128

(Motorsport-Total.com) - In der abgelaufenen WEC-Saison hat das stark besetzte LMP2-Feld immer wieder spannenden Sport geboten. Das wird 2013 kaum anders sein - im Gegenteil: weitere Teams sollen hinzukommen. Nach einer durchwachsenen ersten Saison in der neuen WM tritt die deutsche Lotus-LMP2-Mannschaft im kommenden Jahr mit ihrer neuen Waffe an: Lotus T128. Entwickler Stephane Chosse, der viele Jahre in der Formel 1 (Ligier, Toyota, Sauber, HRT) war, erklärt die Vorzüge des neuen Prototypen im Interview.

Titel-Bild zur News:

Der neue Lotus T128 soll zu Beginn des Jahres auf die Strecke gehen Zoom

Frage: "Stephane, der neue Lotus T128 wird von ihrer Firma Adess in München entwickelt. Wann sehen wir das neue LMP2-Auto erstmals auf der Strecke?"
Stephane Chosse: "Eigentlich wollten wir in der dritten Dezember-Woche mit dem ersten Test beginnen. Leider werden einige Teile nun erst etwas später fertig. Es wird nun also die dritte Januarwoche. Wir beginnen am 8. Januar mit dem kompletten Zusammenbau des Fahrzeuges und starten nach Abschluss dieser Arbeiten mit den Fahrten auf der Strecke."

Frage: "Worauf muss man gefasst sein?"
Chosse: "Auf ein sehr konkurrenzfähiges Auto. Ich finde, es ist zusätzlich auch noch schön. Wir haben das Auto intensiv im Mercedes-Windkanal in Großbritannien entwickelt. Es war ein sehr ernsthaftes Windkanalprogramm: mit Modell, begleitet von CFD. Die Werte, die wir aus den Windkanaltests erhalten haben, sind sehr gut. Das Auto wird nicht nur schnell, sondern auch sehr sicher. Sicher meine ich dem Sinne, dass die Balanceänderungen beim Fahren sehr gering ausfallen werden. Das Auto liegt also extrem stabil auch bei Lastwechseln."

Frage: "Das Auto wird vom Unternehmen Adess in München entwickelt. Wer oder was ist Adess?"
Chosse: "Adess ist mein Unternehmen. Ich bin Projektleiter und habe den Auftrag von Kolles' Firma Kodewa bekommen, ein solches Fahrzeug zu entwickeln. Ich habe eine internationale Gruppe von 15 Leuten um mich. Es sind einige Leute mit Formel-1-Erfahrung dabei, andere kommen aus LMP1-Programmen."

Frage: "Wie ist die Entwicklung eines LMP-Autos, wenn man aus der Formel 1 kommt?"
Chosse: "Wenn man mit einem weißen Blatt Papier beginnen kann, dann macht die Arbeit an einem LMP-Projekt sehr viel Spaß - und wir haben wirklich bei Null begonnen. Ein Le-Mans-Prototyp ist deutlich effizienter als ein Formel-1-Auto. Bei einem Formel-1-Auto stehen die Räder im Wind, bei einem LMP nicht. Diese Prototypen sind schon allein deshalb aerodynamisch sehr effizient. Außerdem ist das Auto breit und lang, die Fläche des Unterbodens ist viel größer. Das produziert viel Abtrieb. Die gesamte Strömung bei einem LMP ist sauberer als bei einem Formel-1-Auto."

Frage: "Welche Stationen dürchläuft man bei der Entwicklung eines LMP-Autos?"
Chosse: "Wir haben eine erste Form konstruiert, dann eine lange Weile CFD-Entwicklung gemacht. Anschließend wurde ein 50-Prozent-Modell für den Windkanal gebaut. Mit diesem Modell haben wir erste Windkanal-Tests absolviert, parallel wurde das Auto weiterentwickelt. Monocoque, Nase, Motorinstallation, eigenes Getriebe - all dies und noch viel mehr wurde Schritt für Schritt entworfen. Das macht alles viel Spaß. Im Vergleich zur Formel 1 gibt es mehr Freiheiten. Ausnahme ist der Unterboden samt Diffusor. Es ist dort nur eine Ebene erlaubt, nur eine Finne und der Winkel ist klar definiert. Am Rest des Autos geht viel, zum Beispiel am Frontsplitter."


Fotos: WEC in Schanghai


Frage: "Und genau dieses Bauteil gilt beim Entwurf eines Le-Mans-Prototypen als sehr wichtig. Warum?"
Chosse: "Der Frontsplitter ist letztlich so etwas wie der Frontflügel am Formel-1-Auto, der enormen Einfluss auf die Stabilität des Autos hat. Gleichzeitig geht dieser Splitter im Grunde in die Radkästen über. Es geht bei diesem Bauteil im Kern um Abtrieb und Stabilität."

Frage: "Welche Motoren können im neuen T128 verbaut werden?"
Chosse: "Man kann den Judd-V8 nehmen, der dieses Jahr auch unter dem Namen Lotus lief. Der Nissan wird passen, auch der HPD-V6-Biturbo wird später in das Chassis integrierbar sein. Wir planen auch, dass der neue Mazda-Diesel herein passt, aber da braucht es noch etwas Arbeit. Das ist nicht so einfach, wegen der anderen Bauform. Außerdem braucht es dann wieder ein anderes Getriebe."

James Key

Ex-Sauber-Chefdesigner James Key wirkte phasenweise am T128-Projekt mit Zoom

"Judd und Nismo sind sicher, denn dafür haben wir das Auto entwickelt. Das Reglement schreibt vor, dass LMP2-Autos für den Einsatz von mindestens zwei verschiedenen Motoren konzipiert sein müssen. Ich denke aber, dass wir den Honda-Motor relativ schnell installieren könnten."

Frage: "Was wird an dem neuen Lotus-LMP2 besser sein als an dem alten?"
Chosse: "Der bisherige ist gar kein echter Lotus, sondern ein alter Lola. Das neue Auto ist aerodynamisch besser. Die Ergebnisse aus dem Windkanal zeigen dies. Zweitens ist die Monocque-Konstruktion zeitgemäß. Das Monocoque entspricht schon den neuen LMP1-Vorgaben ab 2014 bezüglich Sitzposition und Sicht. Das Layout von vorderer und hinterer Aufhängung ist besser. Hinzu kommt, dass ein neues Getriebe entwickelt wurde. Das haben wir gemeinsam mit Hewland auf den Weg gebracht."

Frage: "Welches war bisher die größte Schwierigkeit bei der Entwicklung des neuen LMP-Autos?"
Chosse: "Die Zeit. Wir Aerodynamiker wollen immer bis zum allerletzten Moment weiter an der aerodynamischen Entwicklung arbeiten. Aber im Dezember steht unser letzter Windkanaltest vor dem Rollout an. Bis dorthin müssen wir die letzten Kleinigkeiten wie Rückspiegel oder diverse Flaps fertig haben. Wir nutzen die Zeit bis zu dieser Windkanalsession bis zur letzten Minute aus. Am Ende hat man immer das Gefühl, dass einem Zeit fehlt."

Frage: "Sicher ist, dass Kodewa unter dem Titel Lotus-LMP2 zwei der neuen Autos in der WEC-Saison 2013 einsetzen wird. Gibt es weitere Interessenten?"
Chosse: "Ja, es gibt relativ viel Interesse. Es waren schon einige Leute bei uns in München. Das Auto ist neu, das Reglement wird eine Zeit lang stabil bleiben. Es ist durchaus sinnvoll, sich jetzt um ein Auto zu kümmern, das man ab 2013 für mindestens drei Jahre fahren kann. Die alte Saison ist erst vor wenigen Wochen beendet worden. Fünf oder sechs Teams haben sich genau informiert, es gibt sogar noch weitere Kontakte. Wichtig ist, dass unser Auto bald auf der Strecke zu sehen ist."

Frage: "Konnte man vom alten Lola einige Ideen übernehmen?"
Chosse: "Nein, wir sind wirklich bei Null gestartet. Der Lola war für größere Motoren entwickelt, hatte auch noch einen viel größeren Tank. Bei uns ist alles neu und selbst entwickelt."

Frage: "In diesem Jahr sind die LMP2-Autos im Le-Mans-Qualifying Rundenzeiten von etwa 3:42 Minuten gefahren. Wie viel schneller wird das neue Auto sein? Da gibt es doch sicherlich Berechnungen..."
Chosse: "Ja, wir haben das simuliert. Aber die Ergebnisse behalten wir für uns." (lacht)

Frage: "Wieso?"
Chosse: "In der LMP2-Klasse gibt es eine Balance-of-Performance. Wenn der ACO sieht, dass ein Auto zu schnell ist, dann bekommt das Auto mehr Gewicht, einen kleineren Restriktor oder beides. Dieses Jahr war der Lola in Le Castellet ziemlich schnell. Dann gab es einen kleineren Restriktor. Wir sind vorsichtig."

"Ich muss eines dazu sagen: Wir haben das Auto nicht nur für die absolute Performance entwickelt, sondern auch in Richtung Fahrbarkeit. Das Auto wird viel einfacher zu fahren sein. Das ist in der LMP2-Klasse, wo Gentleman-Piloten Pflicht sind, sehr wichtig. Die Paydriver verlieren im Vergleich zu den Profis zwei bis fünf Sekunden. Wenn ein Auto gut fahrbar ist, relativiert sich dieser Rückstand und die Gesamtperformance des Teams wird besser. Die Sicht ist wegen des Monocoques nach 2014er-Reglement deutlich besser."