• 30.06.2017 08:58

  • von Roman Wittemeier

LMP1-Hybride nicht reif für Le Mans? Das sehen nicht alle so

Ein Statement von Toyota-Konzernchef Akio Toyoda sorgt nach den 24 Stunden von Le Mans für viel Wirbel: Auf dem Prüfstand an der Sarthe sind Defekte Teil des Spiels

(Motorsport-Total.com) - Bei den zurückliegenden 24 Stunden von Le Mans 2017 konnte erstmals ein Fahrzeug der Kategorie LMP2 einige Führungsrunden einfahren. Der Grund: Alle fünf Werks-LMP1-Autos von Toyota und Porsche gerieten in Probleme. Am Ende siegte der Porsche #2 (Bernhard/Hartley/Bamber) trotz eines rund einstündigen Reparaturstopps am Samstagabend. Das Schwesterauto schied mit Motorschaden ebenso aus wie die Toyotas mit den Nummern 9 (Unfallschaden) und 7 (Kupplungsdefekt).

Titel-Bild zur News: Start Le Mans 2017

Am Samstagnachmittag um 15:00 Uhr war die LMP1-Welt in Le Mans noch in Ordnung Zoom

Die umfangreichen Zuverlässigkeitssorgen waren für Akio Toyoda der Anlass, in einem Statement zu behaupten, dass die LMP1-Hybridautos zwar für die 6-Stunden-Rennen der WEC gut genug seien, aber für den 24 Stunden langen Sprint an der Sarthe noch nicht reif. Nicht jeder im Lager der Toyota Motorsport GmbH (TMG) mit Sitz in Köln ist der Ansicht des Konzernchefs. Schließlich stellt man auf diesem Wege das eigene Engagement in der Szene infrage.

Bei Porsche hat LMP1-Teamchef Andreas Seidl eine klare Meinung hierzu. "Le Mans war schon immer der härteste Prüfstand. Darum tritt Porsche dort seit den 1950er-Jahren an. Es ist keine Floskel, sondern für Porsche ist Le Mans das schnellste Labor der Welt. Wir erproben dort Technologien. Und diese Erprobung auf diesem öffentlichen Prüfstand inmitten des härtesten Rennens der Welt findet nur einmal im Jahr statt. Du kannst in Aragon testen oder kannst in Le Castellet tausende Kilometer fahren, wo wir versuchen, die Belastungen von Le Mans bestmöglich zu simulieren, aber am Ende ist alles doch nicht 1:1 das gleiche wie unter Rennbedingungen in Le Mans", so der Porsche-Verantwortliche im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'.

Ausfälle passieren auch ohne Hybridtechnik

"In den Vorjahren sind in Le Mans drei oder mehr Fahrzeuge mit anspruchsvollster Hybrid-Technologie ohne große Probleme über die Distanz gekommen. Von daher sind wir definitiv der Meinung, dass Hybridtechnologie reif für die 24 Stunden von Le Mans ist", sagt Seidl. Natürlich habe man den Anspruch mittels bestmöglicher Vorbereitung ohne technische Probleme die 24 Stunden zu bestreiten, trotzdem seien Defekte beim Klassiker an der Sarthe eben auch Teil des Wettbewerbs.

Schließlich geht man über 24 Stunden an die ultimativen Grenzen von Mensch und Material, die statistische Absicherung der finalen Le-Mans-Fahrzeugspezifikation ist selbst bei optimaler Vorbereitung immer noch niedrig. "Nach jedem Rennen ist es dann wichtig, die aufgetretenen Probleme im Detail zu Hause in Weissach zu analysieren, Ursachen einzukreisen und entsprechende Abhilfemaßnahmen einzuleiten beziehungsweise die Technologie zu verbessern", so Seidl.

"Wenn man sich die Geschichte von Le Mans anschaut, dann war es schon immer ein Teil dieses Mythos, dass Autos nicht problemlos über die Distanz kommen. Sei es aufgrund von technischen Problemen oder Zwischenfällen auf der Strecke. Und es ist Teil des Wettbewerbs, sich als Team eben auch auf diese Szenarien bestmöglich vorzubereiten", erklärt der erfahrene Ingenieur.


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"Man versucht dann schnellstmöglich zu reparieren, fährt weiter und erreicht hoffentlich dank einer starken Teamleistung immer noch das Ziel. Und im Gegensatz zu ganz früher hat sich Le Mans natürlich auch verändert! Es ist keine Ausdauerprüfung mehr, es geht um Racing am absoluten Limit, 24 Stunden lang", so Seidl. "2010 zum Beispiel, noch vor Einführung der Hybridtechnologie, ist auch nur ein Werksauto ins Ziel gekommen, nachdem es bei den Topfahrzeugen drei Motorschäden gab und zwei weitere Fahrzeuge mit Unfällen ausgeschieden sind. Die sind ans Limit gegangen, in allen Bereichen. Genauso war es jetzt auch."

Hartes Duell zwischen Toyota und Porsche

"An der Spitze fahren nur Porsche und Toyota gegeneinander. Das klingt so harmlos, ist es aber überhaupt nicht. Wir haben einen unglaublich harten und konsequenten Wettbewerb, wir pushen uns ans absolute Limit - vielleicht manchmal darüber hinaus", schildert der Porsche-Teamchef. Der Toyota TS050 sei in Le Mans das schnellere Auto gewesen. "Unter dieser Voraussetzung haben wir die selbst gesteckten Limits nochmal anheben, teilweise sogar darüber gehen müssen. Damit steigt das Risiko, in Probleme zu laufen."

"Nehmen wir mal unseren Verbrennungsmotor als Beispiel. Wir haben für dieses Jahr ein großes Update gebracht, das unser Konzept ans absolute Limit gebracht hat. Bei den letzten Erprobungen hat alles funktioniert, aber in Le Mans gab es dann einen Schaden am führenden Auto mit der Startnummer 1", sagt der Bayer. Andre Lotterer hatte das Fahrzeug in deutlicher Führungsposition am Sonntagvormittag abgestellt. Der Schaden am 2,0-Liter-V4-Turbomotor habe sich nicht angekündigt. Ähnliche Schäden hatte man bei letzten Testfahrten mit der finalen Le Mans Spezifikation nie erlebt.


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"Es ist immer ein Spagat zwischen drei Bereichen: Performance, Haltbarkeit und Servicefreundlichkeit des Autos. In diesem Dreieck bewegt man sich ständig", so Seidl. Im drittgenannten Punkt ergab sich für Porsche der entscheidende Vorteil. "Unsere Crew zeigte enormen Kampfgeist und wechselte die E-Antriebseinheit an der Vorderachse in 1:05 Stunden." Der Schlüssel zum Erfolg in diesem Jahr. Toyota benötigte zur Behebung eines vergleichbaren Schadens am Auto mit der Startnummer 8 satte 54 Minuten mehr. Am Ende lag der Toyota neun Runden hinter dem Sieger-Porsche. Mit einer ähnlich schnellen Reparatur wäre man vermutlich vorn gewesen.

"Wir haben bei der Reparatur der Startnummer 2 gesehen, wie gut unsere Vorbereitung war. Alle Ersatzteile waren eingefahren, die Aufhängungsecken waren vorbereitet und vermessen. Diese Komponenten haben wir blind wechseln und direkt wieder herausfahren können", sagt Seidl. Anschließend gab es für die Fahrer nur noch Attacke, um den führenden LMP2-Wagen noch dem Fallen der Zielflagge zu überholen. Eine Fahrt am absoluten Limit - ohne weitere Schäden, trotz Hybridtechnologie.

Anthony Davidson, Kazuki Nakajima

Entscheidend: Toyota arbeitete erheblich länger an der Vorderachse als Porsche Zoom

Die hohe Defektquote bei den Werksautos der LMP1-Klasse will man bei Porsche nicht überbewertet sehen. "Betrachten wir mal die LMP2 Autos in diesem Jahr, welche weniger komplex sind und ohne Hybridtechnologie am Start waren", sagt Seidl. "Auch hier gilt - wie für alle Teilnehmer in Le Mans -, dass die grösste Herausforderung in Le Mans zunächst ist, dieses Rennen an sich zu überstehen und zu besiegen. 25 dieser Autos waren in Le Mans unterwegs. Wie viele haben es ohne Probleme überstanden und waren am Ende des Rennens noch innerhalb weniger Runden in Schlagdistanz zum Klassensieger? Fast alle hatten ebenso mit kleineren oder grösseren Problemen zu kämpfen."

"Wer siegen will, muss ans Maximum gehen. Für uns zählt in Le Mans nur der erste Platz. Wir sind Racer", so der Porsche-LMP1-Teamchef. "Wenn ich beim Verbrenner in der Entwicklung konservativ rangehe und eine Sekunde pro Runde dafür opfere, dann muss ich mir darum fast keinen Kopf mehr machen. Wenn ich auch beim Hybrid eine Sekunde rausnehme, dann ist das Auto nahezu bulletproof (zu deutsch: kugelsicher; Anm. d. Red.). Dann muss man durchrollen und darauf hoffen, dass alle anderen Probleme bekommen. Das ist aber nicht unser Ansatz und Anspruch. Klar ist, dass man am Ende einfach auch das notwendige Rennglück braucht, um dieses Rennen zu gewinnen."

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