• 09.06.2018 20:21

  • von Neel Jani

Kolumne von Neel Jani: "Le Mans wird kein Campingurlaub!"

Porsche-Werksfahrer Neel Jani berichtet über seine Rekordfahrt in Spa, die Eindrücke vom WEC-Auftakt und das Leben als "Underdog" mit Rebellion

(Motorsport-Total.com) - Liebe LMP1-Fans,
seit meiner letzten Kolumne ist wieder einmal einiges geschehen. Das erste WEC-Rennen in Spa mit Rebellion, erste Le-Mans-Runden am vergangenen Sonntag, Rundenrekord in Spa-Francorchamps mit dem "Monster" Porsche 919 Evo und noch vieles mehr.

Titel-Bild zur News: Neel Jani

An die Power und den Abtrieb des 919 Hybrid Evo musste ich mich gewöhnen Zoom

Das erste Saisonrennen in Belgien ist vorbei, Le Mans steht vor der Tür. Die WEC geht weiter. Und doch fehlt mir nach vier Jahren mit Porsche etwas in der Boxengasse: Porsche und Audi haben schon ein Lücke hinterlassen, aber freuen kann ich mich für mein altes und neues Team Rebellion, denn nun besteht eine reelle Chance, ganz vorne dabei zu sein.

Wie das Unterbewusstsein doch mitspielen kann. Fast wäre ich beim ersten Freien Training in Spa an der Rebellion-Box vorbeigefahren, denn ich wollte automatisch ans Ende der Boxengasse fahren, wo vergangenes Jahr die Porsche-Box war! Da wird einem bewusst, wie gewisse Dinge verinnerlicht sind, über die man dann nicht mehr nachdenkt, sondern einfach ausführt. Auch sonst ist es nach vier Jahren eine Umstellung, nun zu Rebellion zurückzukehren.

Kein Werksteam mehr: "Freestyler" Neel Jani in Action

Früher ein großes Werksteam mit vielen Mitarbeitern und exakten Strukturen, nun ein kleineres Team mit weniger Strukturen aber auch großen Ambitionen. Kein exakt vorgegebener Zeitplan - "Freestylen" ist angesagt. Auch das hat seine Reize, sich dauernd auf neue Situationen einzulassen, nicht träge zu werden. Persönlich glaube ich, dass genau solche kleinen Veränderungen einen besser machen, denn man muss auf der Hut und flexibel bleiben, um das Maximum herauszuholen.

Apropos träge: Ich erinnere da nur an die Rekordrunde im Porsche 919 Hybrid Evo in Spa-Francorchamps. Was für eine großartige Geschichte, die nicht nur Porsche, sondern auch mir persönlich viel Respekt und Anerkennung beschert hat. Es war eines dieser "Wow- Erlebnisse", die man sein Leben lang nicht mehr vergisst. Spaßfaktor hoch zwei, unglaublich!

Jetzt darf ich es ja verraten: Wir hatten den Angriff auf den Rundenrekord eigentlich gar nicht für diese drei Tage Anfang April vorgesehen. Der Plan war ursprünglich, das modifizierte LMP1-Geschoss ausgiebig zu testen und einzustellen, dann noch mögliche Anpassungen vorzunehmen und später im Jahr nach Spa zurückzukehren. War ganz Porsche-like, aber gar nicht nötig: Der Wagen rannte aus dem Stand wie die Hölle und der Rekord konnte schon jetzt aufgestellt werden.

Safety first: Entschärfen der "Bombe" 919 Evo

Als wir für die drei Tage nach Belgien gefahren sind, gab es bei uns noch einige Fragezeichen. Wir hatten Simulationen durchgeführt, das Auto auch kurz auf dem Testgelände in Weissach ausprobiert, aber eine richtige Rennstrecke hatte der Wagen vorher noch nie gesehen. Am ersten Tag sind Timo und ich gefahren. Uns war völlig klar, dass wir Fahrer uns ans Limit dieser "Bombe unter dem Hintern" langsam und ganz bewusst annähern müssen.

Schritt für Schritt haben wir uns an die Grenzen getastet, im Hinterkopf auch immer das Thema Sicherheit. Es macht sicherlich keinen Sinn, gleich von Anfang an auf Teufel komm raus zu fahren. Dass man plötzlich abfliegt, weil zum Beispiel das Auto zu tief ist und man in Eau Rouge mit 300 km/h zu stark aufsetzt, daran war niemandem gelegen. Ich muss hier ein großes Lob an die Mannschaft aussprechen, von Mechanikern bis Ingenieuren, welche die Sicherheit immer in den Vordergrund gestellt haben.

Ohne Vertrauen in die Mannschaft fährt keiner mit 333km/h durch Blanchimont! Das gesamte Paket aus Technik und Mensch hat sich über die drei Tage gemeinsam entwickelt. Wir sind es angegangen wie ein Rennwochenende. Eineinhalb Tage lang haben wir uns mit dem Set-up und Hybrideinstellungen herangetastet. Das Auto war mit so viel Abtrieb und derart viel Power ganz anders zu fahren. Um diese Power und den Abtrieb effizient zu nutzen, mussten wir schon einige Set-up-Änderungen vornehmen.

Attacke am dritten Tag: Die Formel 1 muss kontern

Wir mussten zum Beispiel den Reifendruck der Michelin-Reifen um einiges erhöhen. Dies aus Sicherheitsgründen, da der Reifen jetzt viel mehr aushalten musste, obwohl wir damit einiges an Rundenzeit hergaben Weiteres Beispiel ist der Topspeed. In der Vergangenheit waren wir nie schneller als 340 km/h. Doch nun mit dem höheren Topspeed begann das Auto auf der Vorderachse zu springen. Sprich: Wir mussten wieder Abtrieb verschenken, um die Vorderachse zu beruhigen. Einige Kompromisse sind wir eingegangen, aber am dritten Tag war Attacke angesagt.

Neel Jani, Timo Bernhard

Unsere Rakete Porsche 919 Evo soll bald auch auf der Nordschleife angreifen Zoom

Wir hatten auf Grundlage der Daten gehofft, dass wir an Hamiltons Rekord herankommen und diesen sogar unterbieten können. Theorie und Praxis stimmen aber nicht immer überein. Also die Hoffnung war da, aber so ganz sicher waren wir halt doch nicht. Tatsache ist, dass wir es geschafft haben. 1:41.770 Minuten - ganze 12 Sekunden schneller als meine letztjährige Polezeit. Dieser Rekord wurde unter Aufsicht eines Notars gefahren. So besteht dieser Rekord jetzt mal mindestens bis zum Formel-1-Rennwochenende im August in Spa.

Aus Erfahrung in der WEC wusste ich, dass wegen des Peaks der Reifen nur genau eine Runde viel Grip hat, also musste alles in der einen Runde passen. Weil bei der Fahrt mmer alles so schnell ging, hatte ich mir im Kopf einen Plan zurechtgelegt, denn - wie schon oben erwähnt - könnte mir das Unterbewusstsein auch hier einen Streich spielen und ich würde mich dem alten Fahrstil des 919 anpassen. Ich musste viele Erfahrungen von Fahrten im Porsche 919 Hybrid an diesen Tagen über Bord werfen.

Rekordzeit gelingt ohne perfekte Hybridleistung

Einige Kurven, für die man im "normalen" LMP1 kurz lupfen muss, gehen nun komplett voll. Da musste ich mich im Kopf darauf vorbereiten. Der Plan in meinem Hirn musste über die üblichen Instinkte siegen. Vollgas stehen lassen, auch wenn der Instinkt und die Erfahrung etwas anderes sagen.

Ein Beispiel war die Passage Les Combes, also das Geschlängel nach der langen Kemmel-Geraden. Die Linkskurve und die anschließende Rechts den Berg herunter habe ich mich gezwungen, einfach Vollgas stehen zu lassen. Es müsste gehen - so zumindest die Theorie. Dabei muss aber bezüglich der Einlenkpunkte alles perfekt passen. Wenn du einmal einen Hauch daneben liegst, klappt es nicht mehr mit Vollgas. Ich habe die Reflexe besiegt und bin optimal dort hindurch gekommen.

Als mir die Ingenieure die Werte der Runde gezeigt haben, war ich schon auch überrascht. Durch Eau Rouge mit einem Minimalspeed von 310 km/h. Die Daten der Ingenieure zeigten, dass dort vertikal über 5g wirkten und lateral über 4,5g. Ich verstand nun, warum das Atmen nicht immer einfach war. Der Spitzenwert auf der Runde war 5,8g. Topspeed auf der schnellsten Runde war 359 km/h, im Versuch davor war ich sogar 368 km/h schnell gewesen. Wisst ihr, woran das lag?

Kein Witz: Auf unserer Rekordrunde hatten wir ein kleines Boost-Problem, wodurch wir noch einiges an Zeit verloren haben. Es hätte also definitiv noch schneller gehen können. Wir hätten ganz bestimmt eine Runde im Bereich von 1:40 Minuten schaffen können. Hätte, wäre und könnte ... all das gilt nicht. Aber - wie immer in einem Rennteam - man hat immer das Gefühl, dass es noch schneller geht, will das Potenzial maximal ausnutzen.

Da staunen sogar die Streckenposten nicht schlecht

Wir alle waren aber trotzdem stolz und glücklich, dass der Rekord im Moment auf Porsche gestellt ist, denn es war mehr oder weniger "straight out of the box" und es hat gezeigt, wie schnell diese Hybrid-LMP1-Autos waren, oder eben auch, wie stark wir vom Reglement her beschnitten waren. Denn Chassis, Motor und Elektroantrieb waren Standard, die größte Änderung kam von der Aero.

In Pouhon war ich nie langsamer als 260 km/h. Da zerrt es schon ganz gut am Nacken. Gut, dass ich vorher nochmals spezifisch den Nacken trainiert hatte. Durch Blanchimont bin ich mit 333 km/h gefahren. Das sind Zahlen, die auch unsere eigene Vorstellungskraft übersteigen. Die Streckenposten, die seit Jahren bei vielen Veranstaltungen ihren Dienst tun, waren auch bei unserer Fahrt vor Ort. Von denen kam ein riesiges "Wooow". Die Posten in Eau Rouge haben mir gesagt, dass sie noch nie so etwas gesehen hatten. Es sei das Beeindruckendste, was Sie bisher in Eau Rouge gesehen hätten - und sie hätten gedacht, schon alles gesehen zu haben.


Streckenrekord in Spa: Porsche lässt den 919 los

Porsche hat den LMP1-Boliden modifiziert und ist damit in Spa-Francorchamps neuen Streckenrekord - schneller als die Formel 1 - gefahren

Die Resonanz auf diese Aktion war erstaunlich groß. Ich war zum Beispiel kurz auf Besuch bei der Formel 1 in Barcelona. Da bin ich von so vielen Leuten angesprochen worden, aus der Formel 1 genauso wie aus dem Formel Renault Eurocup - einfach alle wussten von unserer Rekordfahrt. Ich bin im Vergleich zu anderen ganz bestimmt kein Facebook-Held mit Millionen von Followern, aber das Video auf meiner Seite hat satte 1.800.000 Leute erreicht. Viele haben mir geschrieben, dass genau solch ein Auto sie zum Träumen bringt. Es hat die Menschen berührt und für mich ist es ein unvergessliches Erlebnis gewesen.

Die Motorsportwelt dreht sich aber immer weiter. Real Racing ist angesagt. Jetzt steht für mich das wichtigste Rennen des Jahres vor der Tür: Le Mans. Wir sind mit Rebellion in Spa ganz gut in die WEC gestartet. Dass wir unseren Podestplatz später aufgrund einer zu stark abgefahrenen Bodenplatte verloren haben, ist nicht schön, aber auch nicht so wichtig. Unsere WM-Chancen halte ich angesichts der Konkurrenz aus Japan mit den Hybrid-LMP1 ohnehin für sehr begrenzt. Mehr als P3 ist da sowieso nicht drin - also egal, konzentrieren wir uns auf Einzelresultate, vor allem jene in Le Mans.

Rebellion muss Potenzial des R13 weiter ausschöpfen

Unter dem Strich steht bisher, dass unser neuer R13 aus dem Stand ziemlich stabil läuft. Oreca hat hier in kurzer Zeit eine sehr gute Basis geschaffen. Es ist für uns ein großer Erfolg, dass beide Autos in Spa ohne größere Probleme über die Distanz gefahren sind. Man darf nicht vergessen, dass wir mit unserem neuen Wagen vorher noch nie mehr als 19 Runden am Stück gefahren sind. So gesehen war Spa ein guter Auftritt. Es steckt aber noch viel mehr Potenzial im Auto. Bei einem Test in Monza haben wir kürzlich versucht, einen Teil davon zu entschlüsseln. Wir sind so gut auf Le Mans vorbereitet wie es unter unseren Umständen möglich war, aber unser längster Dauerlauf war bisher das Rennen in Spa.

Was ist nun also das Ziel für Le Mans? Irgendwie in der Nähe der Toyotas bleiben und ankommen. Was dann unter dem Strich als Ergebnis dabei herauskommt, liegt nicht in unserer Hand allein. Wäre im vergangenen Jahr eines der heutigen LMP1-Privatautos sauber durchgefahren, dann hätte man gesiegt. Es kann in diesem Jahr wieder solch eine Chance geben. In Le Mans ist das nie ausgeschlossen. Le Mans gewinnst du nicht, Le Mans lässt dich gewinnen ...

Offensichtlich war, dass in Spa nach dem Rennen die Toyota Fahrer nicht so happy auf dem Podium standen. Ein Fahrer ist sogar nicht einmal mehr zur Pokalzeremonie auf das Podium gekommen. Teamorder beim ersten Rennen ist wohl nicht gut angekommen. Da gibt es Feuer bei Toyota. Das kann für uns nur gut sein. Ich will niemandem etwas Böses, aber ich hätte nichts gegen eine Konstellation nach dem Motto "Wenn zwei sich streiten, dann ..." - ihr wisst, schon worauf ich hinaus will.

Deshalb konzentrieren wir uns nur auf uns, versuchen unsere Möglichkeiten zu maximieren und wollen bereitstehen, falls Toyota "Zuckungen" hat. Der Le Mans Test war jedenfalls schon einmal positiv, unsere Autos standen auf P2 und P4, somit waren wir erste Toyota-Verfolger.

ACO und FIA haben über die sogenannte Equivalence of Technology (EoT) versucht, dass wir private LMP1-Teams bezüglich der Rundenzeiten ganz nahe an das Tempo der Toyotas herankommen. Das hat in Spa nicht ganz funktioniert. Das lag aber sicherlich nicht nur an den nicht ganz optimalen Vorgaben bei Energiezuweisungen, sondern teils auch an uns selbst. Wir haben halt das volle Potenzial unseres Autos noch nicht ausschöpfen können. Das geht anderen Privatteams ganz sicher ähnlich.

Chancenlos im Kampf um den Sieg? In Le Mans ist alles möglich!

Unser Hauptproblem ist das Benzinsparen, oder vielmehr das Einteilen der Energie vom Kraftstoff über eine Runde. Wir haben in unserem Auto einfach nicht diese ausgefeilten Systeme wie im Porsche 919. Wir Fahrer müssen uns quasi nach Gutdünken an das Verbrauchslimit herantasten. Das ist anstrengend und wenig effizient. Oftmals haben wir das volle Spritlimit gar nicht genutzt. Da geht halt viel an Rundenzeit verloren. Zum Glück war dies beim Le-Mans-Test schon viel besser, was uns auch näher an Toyota gebracht hat.

Auch an anderer Stelle können wir noch viel im Sinne der Performance nachlegen. Zum Beispiel in der Zusammenarbeit mit Oreca bei der Aero-Entwicklung. Bei uns wird aus Kostengründen nicht so umfangreich wie bei den Werksteams im Windkanal gearbeitet, sondern viel mehr über CFD erledigt. Die Tools sind gut, aber der Windkanal kommt der Wahrheit auf der Strecke dennoch näher. Die Konsequenz ist, dass es bei uns größere Aero-Schwankungen gibt, die wir nun Schritt um Schritt in den Griff bekommen müssen.


Teaser: 24 Stunden von Le Mans 2018

Wenn man all diese Voraussetzungen mal nimmt, dann kann man festhalten, dass ich nach vier Jahren wieder zu den Jägern in Le Mans gehöre und nicht mehr zu den Gejagten. Mit dem Porsche 919 gab es immer nur ein Ziel: Sieg. Das Auto gab das her, wir mussten es entsprechend auf der Strecke umsetzen. Nun sieht es ganz anders aus. Toyota muss sich in der Position des Gejagten beweisen. Wenn alles normal und ohne besondere Zwischenfälle verläuft, dann können wir maximal Dritter werden. An meiner Herangehensweise ändert das aber rein gar nichts. Es wird kein Campingurlaub!

Auch wir von Rebellion gehen mit dem Ziel dorthin, das Rennen zu gewinnen. Um das auch nur ansatzweise realistisch werden zu lassen, muss alles - wirklich restlos alles - perfekt laufen. Wir haben nichts zu verlieren. Unter diesen Umständen können wir aber sehr viel gewinnen. Ich hoffe einfach, dass es keine langweilige Demofahrt von Toyota wird, sondern wir einen echten Wettkampf liefern können. Drückt uns für die 24 Stunden von Le Mans alle Daumen!

Viele Grüße und bis bald,

Neel Jani

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