• 13.12.2016 08:56

  • von Roman Wittemeier

Kolumne: Anekdoten von der WEC-Weltreise 2016

'Motorsport-Total.com'-Redakteur Roman Wittemeier über die Erlebnisse abseits des WEC-Geschehens auf den Strecken: Wurz-Jagd, Essensbetrug und die "Spazmatics"

Liebe Freunde des Hybridboosts,

Titel-Bild zur News: WEC Schilder Weltreise

Die WEC-Weltreise hatte inklusive Prolog 2016 insgesamt zehn Stationen Zoom

die Saison 2016 in der WEC ist vorbei und hat uns wieder reichlich Action und Dramen an den neun Rennschauplätzen des Jahres geboten. Das unfassbare Finale in Le Mans bleibt bei mir auf immer und ewig haften - das ist mal sicher! Noch nie habe ich eine solche Ungläubigkeit im Paddock erlebt. Alles in allem war es kitschig, dramatisch und denkwürdig. Alles, was der Motorsport so bieten kann, spielte sich innerhalb weniger Minuten vor all unseren Augen ab. Damit muss man erst einmal klarkommen...

Ich habe auch in diesem Jahr nicht nur bei den unzähligen wilden Manövern und traurigen Ausfällen mehrfach mit dem Kopf geschüttelt. Auch abseits der Rennstrecken sind im Jahr 2016 viele Dinge passiert, die einem wohl nur auf der WEC-Rundreise in dieser Form passieren können. Vom vielen Lachen hatte ich manchmal fast eine Bauchmuskelzerrung. Schmerzen anderer Art zog ich mir am Rande des Prologs im März in Le Castellet zu. Aber der Reihe nach.

Andreas Seidl

Ganz einsam mit seinem Laptop: Porsche-Teamchef Andreas Seidl beim Test Zoom

Die WEC-Reisen haben in diesem Jahr früher für mich begonnen als eigentlich gedacht. Im Februar gab mir Porsche die großartige Chance, mal bei einem Test dabei sein zu dürfen. In Abu Dhabi standen ausgiebige Probefahrten mit neuen Michelin-Pneus auf dem Programm. Also ab in die Sonne und hinein ins Fahrerlager des Yas Marina Circuit. Näher dran geht nicht, das kann ich euch verraten. Der Teamchef allein mit seinem Laptop an einem kleinen Tisch, die Fahrer jederzeit ansprechbar, die Box immer zugänglich.

Über die Inhalte und Vorgehensweisen habe ich euch im Rahmen einer anderen Kolumne bereits ausführlich berichtet. Gern erinnere ich mich an diesen tollen Einblick in die Arbeit eines LMP1-Werksteams zurück. Eine Kleinigkeit, die eigentlich so gar nichts mit dem Test in Abu Dhabi zu tun hat, ist bei mir aber ebenso haften geblieben: der rund 1,50 Meter "große" Ordner am Zugangstor vom Hotel zum Paddock. Der gute Mann ist bis heute wahrscheinlich nicht davon abzubringen, mich für Timo Bernhard zu halten. Sorry, Timo. Das "Kompliment" stammt nicht von mir.

Kartfahren in Le Castellet: Wehe, wenn Alex Wurz kommt!

Beim Prolog in Le Castellet ging es mal so richtig handfest zur Sache - und das nicht nur auf der Teststrecke mit allen Teilnehmern der WEC. Toyota hatte im Rahmen der Vorstellung des neuen TS050 zu einem Kartrennen auf der benachbarten Piste eingeladen. In den zwei Qualifyings und Vorläufen lief es blendend für mich. Pole für den Finallauf! Aber dann kam Alex Wurz ins Spiel. Der Ex-Le-Mans-Champion mischte plötzlich mit, ging aber aus Rücksicht auf uns Laien von der letzten Position ins Rennen.

"Don't crack under pressure", so seine spaßige Ansage vor dem Start. Und was passiert? Wittemeier zerbricht unter dem Druck des früheren Formel-1-Fahrers wie eine Nussschale unter einem Traktorrad. In aller Kürze: Ich konnte mich einige Runden in Führung halten, bis plötzlich Herr Wurz im nicht vorhandenen Rückspiegel auftauchte. Auf Start und Ziel hatte ich ihn am Heck, in Kurve 1 war er vorbei, weil ich geradeaus über Randstein und dahinterliegenden "Baguette" geflogen war. Peinlich!


Kameramann, Koch & Taxifahrer: Webbers Jobsuche

Nachdem Mark Webber seine aktive Rennfahrerkarriere mit Ende 2016 an den Nagel hängt, muss er sich bald um einen neuen Job umschauen... Weitere Langstrecke-Videos

Mit Wut im Bauch habe ich es am Ende immerhin noch auf P3 geschafft, aber der Kommentar von Alex tat schon weh. "Muss ich noch was sagen?", grinste er mich nur an. Erst nach der Siegerehrung wurde mir bewusst, dass nicht nur mein Fauxpas und Alex' Worte schmerzten, sondern die gesamte linke Hälfte meines Oberkörpers. Die Nummer entpuppte sich als ordentliche Rippenprellung. Seitdem ist für mich klar: Baguettes kannst essen, aber bitte nicht an Rennstrecken verbauen.

Um die Verletzung hat sich am nächsten Tag übrigens Porsche-Rennarzt Jürgen Lindemann gekümmert. Drei verschiedene Salben, ein dicker Verband und die anschließende Ansage "Jetzt gehen wir erst mal zusammen eine rauchen" haben mir wirklich schnell geholfen. Danke nochmal für die unkomplizierte Genesungshilfe. Doc Lindemann ist ein echter Racer mit viel Humor. Er betreut neben Rennfahrern auch die Berliner Philharmoniker - lustige Kombination, oder?

Schnee in Silverstone und Essensbetrug bei Audi

In Silverstone hatte ich großes Glück, oder ich meinte zumindest, einen Volltreffer gelandet zu haben. Nach der Ankunft am Flughafen in Birmingham staunte ich nicht schlecht, als man mir einen kleinen gelben Flitzer überließ. Ein Audi TT Cabrio! Und was passiert? Es schneit am ersten Rennwochenende der WEC 2016. Selbst die abgehärtetsten Briten haben etwas seltsam geschaut, als ich am Samstag aus Prinzip mit offenem Verdeck zur Strecke gefahren bin. Boah, war das kalt! Aber auch cool!

Eiskalt erwischt hat es nach dem Rennen die Jungs von Audi. Lotterer/Treluyer/Fässler waren als Erste ins Ziel gekommen. Neel Jani meinte beim Verlassen der Strecke am Abend zu mir: "Jetzt geht unser Pech so weiter wie im Vorjahr..." Und dann? Wird der Audi nachträglich disqualifiziert. Ich habe Neel dann eine SMS geschrieben: "Hey, Glückwunsch zum Sieg". Seine Antwort: "Ohaaa. Stimmt das?" Neel war zu jenem Zeitpunkt bereits bei Verwandtschaft in London. Da wurde nachträglich dann noch gefeiert.


Fotostrecke: Toyota in Le Mans: Der lange Weg zum Erfolg

Das für mich unterhaltsamste Erlebnis in Silverstone war ein Abendessen bei Audi gemeinsam mit Andre Lotterer und Marcel Fässler am Vorabend des Rennens. Aus der guten Küche bekam ich ein Steak serviert, die Vollgashelden mussten auf Anweisung des Teamarztes mit Gemüse auskommen. "Denkt dran, euer Magen ist mit der Verdauung von Fleisch 24 Stunden lang beschäftigt. Und ihr habt morgen ein Rennen", so die Ermahnung des italienischen Mediziners.

Die neidischen Blicke der beiden Audi-Piloten waren rührend, deren Lustlosigkeit beim Einnehmen der leichten Kost ebenso. Beim Dessert war Schluss. Für mich Mousse au Chocolat und Mousse au Vanille an einer Kugel Eis. Für die Jungs nur ein Vollkornkeks mit Früchten drauf. "Rück ein bisschen nach rechts rum", meinte "Lotti" plötzlich. "Damit der Doc uns nicht sieht." Ich rückte tatsächlich etwas. Als ich wieder nach vorn schaute, machten sich Andre und Marcel über mein Dessert her und ich saß da mit dem traurigen Vollkornkeks...

Regen in Le Mans: Der Schlaf bleibt im Schlamm stecken

In Le Mans nervte der Regen nicht nur Fans und Fahrer, sondern auch mich. Und das in übler Form. Der Renntag begann wie für die Teams auch bei mir mit der Ankunft im Fahrerlager um 8:00 Uhr am Samstag, denn blöderweise steht immer noch ein Warmup auf dem Plan, das den ohnehin unendlich lang erscheinenden Arbeitstag noch viel länger werden lässt.

Das Team von 'Motorsport-Total.com' bildeten in diesem Jahr Sven Haidinger, Heiko Stritzke und ich. Weil solch ein 24-Stunden-Rennen mitsamt aller Vor- und Nachberichterstattung reichlich Kraft kostet, haben wir uns bezüglich kurzer Ruhephasen in der Nacht abgesprochen. Schlafen im Wechsel - so der Plan. Ich habe also gegen 21:00 Uhr das Medienzentrum verlassen, um pünktlich nachts um 03:00 Uhr von den Kollegen wieder übernehmen zu können. Aber da war ja der Regen...

Als ich auf dem Parkplatz (P6 im Infield des Circuit Bugatti) ankam, stellte ich tiefe Furchen auf der dortigen Wiese fest. Ich ahnte schon Böses. Das sollte sich bestätigen. Mein Auto (Audi ohne quattro) kam rückwärts noch rund einen Meter weit, dann hatten sich die Antriebsräder fast bis zur Radnabe eingebuddelt. Ordner kamen, um zu helfen, aber es war alles vergebens. Aufgrund des dämlichen Winkels der Parklücken und der Enge vor Ort konnte mich nicht einmal der nette Belgier mit seinem Landrover befreien.

Fans Le Mans

In der WEC begegne ich oftmals schrägen, leidenschaftlichen Motorsportfans Zoom

Was soll ich sagen? Es dauerte fast vier (!) Stunden, bis ich mit Hilfe von diversen Matten unter den Rädern sowie dem Schieben von sechs Ordnern endlich ins Rollen kam. Die Zeit reichte ganz genau für die Fahrt ins Hotel, eine schnelle Dusche und den Rückweg zur Strecke. An Schlaf war anschließend aufgrund der dramatischen Ereignisse im Rennen sowieso nicht mehr zu denken. "Wenn der Brad Pitt das als Film so gedreht hätte, wäre er ganz schnell raus aus dem Geschäft - und Angelina wäre vielleicht auch wieder zu haben", meinte ein Audi-Fahrer nach dem denkwürdigen Rennen.

Nach dem Rennen auf dem Nürburgring ging es erstmals mit der WEC nach Mexiko. Ich war bereits 2008 schon einmal dort gewesen, als gewisse Herren mit Namen Alexander Rossi (Indy-500-Sieger), Michael Christensen (Porsche) oder Esteban Gutierrez (Haas) dort um den Sieg beim Formel-BMW-Weltfinale gekämpft hatten. Vor acht Jahren habe ich Mexiko-Stadt mit einem mulmigen Gefühl als unsicher empfunden. Das war in diesem Jahr ganz anders. Ungemach gab es aber dennoch.

Partystimmung in Austin: 99 Luftballons und ein Engel

Wie schon in Brasilien 2014 war auf der langen Reise mal wieder mein Koffer verloren gegangen. Also hieß es in aller Eile, in einem Shoppingcenter im Turbotempo das Nötigste zu besorgen. Unterhosen, Shirts - alles gut. Dazu eine leichte Strickjacke, die ich ohne Anprobe mitgenommen habe. Als ich diese an der Strecke irgendwann auspackte und überstreifte, gab es völlige Irritation: Warum ist der Reißverschluss von rechts zu bedienen? Ich hatte eine Damenjacke gekauft...Fällt aber bis heute kaum jemandem auf.

Austin Rocks

Diese Stadt muss einem Musikliebhaber ans Herz wachsen: Austin in der Hammer! Zoom

2015 hatten die Damen vom Kosmetikerinnenkongress in Austin für eine bleibende Erinnerung gesorgt, in diesem Jahr waren es die "Spazmatics". Die texanische Hauptstadt ist ein Mekka der Livemusik. Also war ich gemeinsam mit einigen Kollegen am Mittwochabend vor dem Rennen unterwegs. Weit sind wir vom Hotel aus nicht gekommen, längst nicht bis zur berühmten 6th Street mit ihren unzähligen Bars. Nach 200 Metern Fußweg war das Ziel bereits erreicht.

"Cedar Street Courtyard", ein Hinterhoflokal mitten in Austin, ist für mich ab sofort die Topadresse in ganz Texas. Aus dem Hof war 1980er-Jahre-Musik zu hören, von einer völlig schrägen Kapelle mit teilweise leichten Punkelementen versehen. Zehn Dollar Eintritt und der Spaß konnte beginnen. Vier wilde Typen auf der Bühne, immer wieder überraschende Songs und auf der Empore (VIP-Bereich des Cedar) ein Engel wie er sonst in Weihnachtsbüchern gemalt ist.

Die Blicke aller Männer gingen in regelmäßigen Abständen in Richtung Empore. Blond zieht halt an. Als sich die junge Dame schließlich doch von ihrem VIP-Bereich lösen konnte, um mit dem Fußvolk zu tanzen, meinte ein Kollege nur: "Ich habe es gewusst: Engeln geht beim Fliegen auch mal der Sprit aus. Dann muss sie halt laufen!" Als die Band tief in der Nacht plötzlich "99 Luftballons" von Nena spielte, wurde alles etwas unwirklich. Könnte aber auch an der Wirkung des Gin Tonic gelegen haben.

Treffen mit Ex-Porsche-Technikchef: Es ist alles so geheim...

Im Fahrerlager von Austin gab es eine richtig nette Begegnung mit einem alten Bekannten. Der ehemalige Porsche-Technikchef Alex Hitzinger war zu Gast. Mit ihm habe ich zu Mittag gegessen, in der Hoffnung, dass ich der erste sein werde, der herausbekommt, was Alex in den USA eigentlich beruflich macht. Denn daraus wird ein großes Geheimnis gemacht. Google? Apple? Irgendwie so etwas muss es sein. "Es ist so geheim, dass am Firmengebäude nicht mal ein Name steht", so der Bayer grinsend.


Fotos: Mark Webber im Porsche 919 in London


Immerhin konnte ich Alex entlocken, dass er ein Team von rund 200 Technikern anleitet und man gemeinsam an Zukunftstechnologien im Silicon Valley forscht. Nicht mehr gefangen in den Porsche-Interessen, konnte ich mit Alex endlich mal ganz befreit über zukünftige LMP1-Antriebe sprechen. Seine Ansage war wirklich interessant: "Wenn es überhaupt mal komplett in Richtung E-Antriebe geht, dann wird dort ein anderer Zwischenschritt nötig sein. Für mich ist das der Verbrenner mit Gas", so Hitzinger.

Wenn ich von solchen Reiseerlebnissen berichte, dann wirkt das bei mir im Freundeskreis oftmals so, als mache ich gemeinsam mit der WEC eine entspannte Weltreise mit Sightseeing und Spaßprogramm. Ganz ehrlich: Das ist nicht so. In den allermeisten Fällen bekommt man neben Flughafen, Hotel und Rennstrecke nur sehr wenig zu sehen. So ist das auch in Bahrain, wo sich der gesamte WEC-Tross auf wenige Hotels verteilt und man vom Leben in dem Königreich nichts mitbekommt.

Wenn der WEC-Boss spricht: Saufen erst im Anschluss

Im Hotel hockt der Rennzirkus zusammen. Das sorgt im ohnehin recht familiären Umfeld für eine noch engere Bindung. Ich kann es mir kaum ausmalen, wie sich Wolfgang Ullrich gefühlt haben muss, als er in diesem Jahr auch abseits der Strecke jederzeit mit der WEC konfrontiert war. "Ich fühle mich schei...", gab er eines abends in Bahrain offen zu, als wir uns auf der Hotelterrasse begegneten und der Audi-Sportchef gar nicht recht wusste, wohin mit sich und seiner Trauer angesichts des bevorstehenden WEC-Ausstiegs.

Fans Fuji WEC

Die armen Toyota-Fans: Dürfen die Japaner 2017 endlich in Le Mans jubeln? Zoom

Bei der offiziellen WEC-Abschlussparty am Sonntag nach dem Saisonfinale wurden Audi und Wolfgang Ullrich ganz speziell viel Ehre zuteil. Vorher setzte sich allerdings Serienchef Gerard Neveu wieder reichlich in Szene - mit Moderation, Videoeinspielungen und Erfolgsmeldungen. Während des offiziellen Teils wurde der Getränkeausschank unterbrochen, was einen LMP1-Fahrer zu der Aussage hinreißen ließ: "Das ist nüchtern doch nicht zu ertragen. Weiß er das nicht?"

Richtig schön wurde die Party erst nach dem Ende des offiziellen Teils. Dann mischten sich - wie in der WEC absolut üblich - Vertreter aller Teams und Werke bunt durcheinander. Genau in diesen Momenten wird deutlich, dass sich die Szene tatsächlich als Familie fühlt. In Bahrain nahmen sich vor allem die arg getroffenen Audianer in ihren Emotionen nicht zurück. Bei einem gemeinsamen Bier mit Audi-LMP1-Leiter Stefan Dreyer traten mir die Tränen in die Augen. Der Stefan bedankte sich bei mir für die faire Berichterstattung und die tolle Zusammenarbeit. Das hatte Stil. Das hat mich berührt. Danke zurück und auf bald!

Viele Grüße,

Roman Wittemeier

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