• 03.05.2011 14:20

  • von Roman Wittemeier

Hintergrund: Warum Audi auf den V6-Diesel setzt

Audi-Motorenchef Ulrich Baretzky über die Vorzüge des neuen V6-Turbodiesels für Le Mans: Kompaktes Aggregat mit der "heißen Seite" im Zentrum

(Motorsport-Total.com) - Audi geht mit einem ganz neuen Triebwerk auf die Langstrecke. Die Ingolstädter fahren in diesem Jahr in Le Mans erstmals mit dem neuen V6-Diesel, der am kommenden Wochenende in Spa-Francorchamps im Rahmen des Intercontinental-Le-Mans-Cups (ILMC) seine Rennpremiere erleben wird. Die bisherigen Tests waren äußerst vielversprechend.

Titel-Bild zur News:

Der neue V6-Dieselmotor im Audi R18 TDi ist extrem kurz und kompakt

Beim Vortest am Ostersonntag in Le Mans waren die drei Audi R18 TDI schnell und konstant unterwegs. "Für Freude war nicht viel Zeit. Man geht nicht dorthin, um Spaß zu haben", sagt Audi-Motorenchef Ulrich Baretzky im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'. "Man will dort Daten sammeln und Dinge ausprobieren, die man nur dort ausprobieren kann. Das haben wir gemacht."

"Wir sind mit unserem Programm sehr schön durchgekommen. So gesehen bin ich leicht zufrieden. Richtig zufrieden ist man erst ganz kurz nach dem Rennen, wenn man gewonnen hat. Am Tag danach ist man dann schon wieder unzufrieden, weil dann geht es auf das nächste Jahr zu", sagt der erfahrene Triebwerksentwickler. Auf dem Weg zum möglichen Triumph an der Sarthe gab es allerdings bereits positive Signale.

Die drei neuen R18 TDI spulten ihre Runden ohne technische Probleme ab und waren dabei stets schneller als die Konkurrenz von Peugeot. Erst als das französische "Vollgastier" Stephane Sarrazin im neuen 908 mal richtig auf die Tube drückte, kam Peugeot annähernd an die Audi-Zeiten heran. In 3:27.687 Minuten waren McNish/Kristensen/Capello deutlich schneller als die vom ACO gewünschte "magische Marke" von 3:30 Minuten.

Die LMP1-Diesel sind schneller als gewünscht

"3:30 Minuten sind ein frommer Wunsch", lacht Baretzky. "Beim Vortest haben wir in etwa die schnellen Rennrunden gesehen. Im Qualifying wird es bestimmt nochmal etwas schneller gehen. Aber das Qualifying in Le Mans hat nur eine psychologische Wirkung. Bei einem 24-Stunden-Rennen ist es eigentlich egal, wo du stehst. Entscheidend ist nur, wo du am Ende ankommst."

Ulrich Baretzky zählt zweifellos zu den weltweit besten Motorenentwicklern Zoom

"Die Grenze von 3:30 Minuten wird man weiter im Auge behalten. Ich schätze, dass der ACO diesbezüglich noch nachlegen wird. Ich finde das eigentlich auch ganz vernünftig, denn niemand will in Le Mans schlimme Unfälle sehen. In den vergangenen Jahren haben wir viel Glück gehabt", erklärt der deutsche "Mororenguru". Vor allem der Crash von Marc Gene 2008 ist bei vielen im Hinterkopf.

"Es ist kritisch. Wenn du mit einem solchen Auto mit widerstandsarmer Aerodynamik bei Tempo 330 km/h auf der Geraden fährst, dann muss man den Vergleich zum Flugzeug mal sehen. Ein vollbeladener Jumbo hebt bei 200 km/ ab und landet bei 160 km/h. Das muss man sich vor Augen halten. Dann weiß man, was es heißt, ein solches Auto bei über 300 km/h mit allen Rädern auf der Straße zu halten."

Der Le-Mans-Veranstalter hat sich per Regelment vorbehalten, die Leistungen der Antriebskonzepte noch einmal anzupassen. Man wird aber zunächst noch die Generalprobe in Spa-Francorchamps am Wochenende abwarten. Sicher ist: Die LMP1-Topautos von Audi und Peugeot sind schon jetzt viel schneller als es den Regelwächtern des ACO lieb sein kann. Vor allem die Tests in Le Castellet zeigten, dass man kaum langsamer ist als 2010.

¿pbvin|64|3499||0|1pb¿"Die Motorleistung ist um 20 Prozent geringer. Je nach Basis fehlen also in diesem Jahr zwischen 100 und 160 PS. In dieser Dimension bewegt sich das", sagt Baretzky, der sich aufgrund der neuen Voraussetzungen für den ganz neuen V6-Motor entschied. "Für einen Motorenmann wie mich ist es dann immer wieder überraschend, was man am Auto noch machen kann und wie schnell es am Ende ist."

Die Vorteile des V6-Konzeptes

"Für uns Fahrer ist das Gefühl beim Beschleunigen aus langsamen Kurven nicht mehr ganz so aufregend", beschreibt Allan McNish seine Eindrücke aus dem Cockpit. "Als ich erstmals im R18 auf das Gaspedal trat und dort 'nur' noch 550 PS anschoben, war es schon komisch. Es fehlt im Vergleich zum Vorjahr auch an Drehmoment." Aber unter anderem durch ein neues Sechsgang-Getriebe konnte man viel Leistungsverlust kaschieren. Die Topspeeds sind immer noch hoch.

Audi-Motorenbauer Baretzky sieht den anhaltend hohen Speed der LMP1-Autos auch mit einem weinenden Auge. "Man ärgert sich eigentlich. Man fragt sich: Wie schnell hätten wir mit dem früher deutlich stärkeren Aggregat sein können, wenn wir diese Aerodynamik schon vorher gehabt hätten", sagt er mit einem Grinsen im Gesicht. Der Motorenmann kann nie genug Speed sehen.

Mike Rockenfeller, Romain Dumas, Timo Bernhard

Beim Vortest in Le Mans war Audi etwas schneller als die französische Konkurrenz Zoom

Bevor es an die Entwicklung des neuen R18 ging, musste man sich bei Audi in allen Bereichen auf ein schlüssiges Konzept einigen. Im Bereich Motor setzte sich Baretzky mit seinem Vorschlag durch. "Der V6 bietet grundsätzlich den Vorteil, dass der Motor sehr kurz ist. Das verschafft uns Möglichkeiten für die kommenden Jahre, denn der Motor wird einige Jahre laufen", erklärt er.

"Im Hinblick auf alle möglichen Arten von Energie-Rückgewinnung ist der notwendige Platz vorhanden", beschreibt er den Vorteil des neuen Triebwerks. Bisher verzichtet Audi jedoch auf KERS und Co. Wie man den Worten des Motorenchefs zwischen den Zeilen entnehmen kann, wird dies auch in näherer Zukunft so bleiben, denn man möchte sich zusätzliches Gewicht im Fahrzeug erparen.

"Der Öffnungswinkel von 120 Grad ist einerseits dem Schwerpunkt geschuldet, andererseits konnten wir so die 'heiße Seite' mit Turbo und Auspuffkrümmer dort platzieren", erklärt Baretzky den Audi-Ansatz. "Das hat aerodynamische Vorteile und auch andere Vorzüge, die ich nicht nennen möchte. Ich will unseren Wettbewerbern in Frankreich keine Steilvorlage liefern. Die sind immer gut im Kopieren. Das wollen wir nun nicht zu sehr forcieren."

Mut von Audi, Zurückhaltung von Peugeot

"Es ist eine sehr logische Anordnung. Wir haben die Luft vom Dach, die genau in die Mitte vom V geht", sagt Baretzky und macht dort einen Vorteil im Vergleich zur Konkurrenz aus. "Peugeot hat die Turbolader links und rechts nach außen gelegt. Dann hat man das Problem, dass man die Luft aufteilen muss auf die beiden Seiten. Du musst die Luft mehrfach umlenken, hast durch Staudruck Einbußen. An der Stelle verliert man Leistung."

Kein Umlenken der Luft: Am Audi R18 TDI wird die Luft zentral nach hinten geleitet Zoom

"Wir haben ein nettes Basistriebwerk, das uns in Zukunft hoffentlich noch viel Freude machen wird", meint der Audi-Motorenchef stolz. In diesem Bereich könnte auf mittelfristige Sicht das Gold für Ingolstadt vergraben sein. Das neue Audi-Motorenkonzept scheint ein Volltreffer zu sein, Peugeot beschreitet indes - auch nach den negativen Le-Mans-Erfahrungen von 2010 - einen deutlich vorsichtigeren Weg.

"Peugeot ist im Verhältnis zu uns deutlich langsamer geworden", stellt Baretzky dar. "Im vergangenen Jahr waren wir nicht so schnell wie Peugeot, da haben uns drei Sekunden gefehlt. Wir haben unsere Aufgabe vielleicht etwas besser gelöst als Peugeot. Beim Motor sind sie einen sehr konservativen Weg gegangen. Brutal gesprochen haben sie einfach vom Zwölfzylinder vier Zylinder abgesägt, das vorherige Grundkonzept beibehalten. Das lähmt und engt die Entwicklungsmöglichkeiten ein."

"Wenn man sich das Psychogramm von Peugeot anschaut, dann steht bei denen der Sicherheitsgedanke sehr weit vorne", meint der Audi-Techniker, der den Peugeot-Weg in den Ausfällen von 2010 zumindet teilweise begründet sieht. "Deren Motor ist von 2007. Sie haben jetzt vier Jahre lang an diesem Triebwerk entwickelt. Wenn sie die Grundabmessungen übernommen haben - wovon ich ausgehe -, dann sind sie in den weiteren Möglichkeiten etwas begrenzt."

Aston Martin und der "unmögliche Motor"

"Wir sind mit dem V6 einen Schritt weiter gegangen. Wir haben uns damit natürlich Risiken eingehandelt. Ob sich das auszahlt, werden wir in ein paar Wochen sehen. Wir haben aber das größere Entwicklungspotenzial für die kommenden Jahre", meint Baretzky und blickt dabei auf die Konkurrenz, die an den Risiken zu knabbern hat. Aston Martin hat sich offenbar mit dem Bau eines neuen Triebwerks keinen Gefallen getan.

"Als ich gelesen habe, dass die einen Reihen-Sechszylinder bauen, da dachte ich zuerst, es sei ein Druckfehler. Das ist so ziemlich das allerletzte Aggregat, was man bauen sollte, wenn man im Rennsport erfolgreich sein will", meint der Audi-Motorenchef. "Ein Anruf bei BMW hätte genügt. Die haben damals in den 1970er-Jahren ausreichend schlechte Erfahrung mit dem Reihen-Sechszylinder im M1 gemacht."


Fotos: Le-Mans-Vortest


Der BMW M1 war schnell, schön und laut, aber für die Langstrecke einfach nicht standfest zu bekommen. "Das Aggregat ist lang und die einseitige Kurbelwelle des Sechszylinder produziert Torsionsschwingungen. Ich weiß nicht, wer den Stein der Weisen diesbezüglich in der Tasche haben soll - Aston Martin defitiniv nicht", sagt Baretzky, der andere Hintergründe hinter der Entscheidung der Briten vermutet.

"Ich kenne meinen Kollegen von Aston Martin. Das ist ein sehr vernünftiger Mensch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses Konzept auf seinem Mist gewachsen ist. Da scheinen die Marketingleute ganz stark die Oberhand gewonnen zu haben", erklärt er und fügt hinzu: "In Le Mans gewinnt man nicht mit Marketing, sondern mit rennfähigen und siegfähigen Konzepten. Da zählt ein Reihen-Sechszylinder nicht wirklich dazu."

Ein Benziner auf dem Niveau der Diesel?

Baretzky empfindet ob der Probleme bei Aston Martin alles andere als Schadenfreude. Im Gegenteil: Dem Deutschen wäre ein starker Konkurrent aus dem Lager der Benziner viel lieber. "Es beginnt schnell wieder die Schreierei, dass es ungerecht sei. Tatsache ist aber, dass es niemanden gibt, der mit dem selben Aufwand und dem Know-how ein Benzinerfahrzeug hinstellt. Wenn es den gäbe, dann bin ich sicher, dass wir auf der Dieselseite erhebliche Schwierigkeiten hätten - wirklich erhebliche sogar."

Effizienz mit besten Mitteln: Audi setzt ab sofort auch auf Leichtbau in Le Mans Zoom

Da Aston Martin diese Chance mit einem Reihen-Sechszylinder kaum nutzen wird, könnte zumindest Toyota vielleicht diese Chance nutzen. Die Japaner sind bei Rebellion mit einem Semi-Werkseinsatz im Boot. Möglicherwese wird Toyota schon bald den komplett werksseitigen Schritt in Richtung Le Mans zurück wagen.

"Mit einem konsequent entwickelten Benzinerfahrzeug könnten sie auf Augenhöhe mit den Dieseln fahren", sagt Baretzky. "Möglicherweise wären sie sogar etwas schneller. Wenn man aus unserem früheren Direkteinspritzer-Turbo-Benziner einen guten Vierzylinder bauen würde, dann wäre das ein konkurrenzfähiges Konzept."

Mit dem neuen Le-Mans-Reglement ab 2014 dürfte es viele neue Chancen für Motorenbauer geben. Downsizing ist das Stichwort, das auch an der Sarthe wichtig ist. "Jedes Jahr ist wieder neu, aber die Gesetze sind immer gleich. Nur wenn du am Ende vorne fährst, dann hast du gewonnen. Egal, wie schnell du vorher warst", fasst Le-Mans-Fan Baretzky seine umfassenden Erfahrungen in wenigen Worten zusammen.