• 03.06.2015 09:13

  • von Roman Wittemeier

Formel 1 vs. LMP1: Die Sicht des Geschäftsmanns

Der große Vergleich zwischen der Formel 1 und der LMP1-Szene in Le Mans und der WEC: Geringere Budgets, mehr Testfahrten und mehr Augenmaß in der WEC?

(Motorsport-Total.com) - Die LMP1-Szene der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) als neue Königsklasse im Motorsport? Über diese Frage wird seit vielen Monaten leidenschaftlich diskutiert. Tatsache ist: Während die Formel 1 in Bezug auf Zuschauerzahlen und TV-Interesse derzeit auf dem absteigenden Ast ist, legt die höchste Le-Mans-Kategorie in allen Belangen weiter zu. Die LMP1-Autos werden immer attraktiver - für Fahrer, Techniker, Geschäftsleute. 'Motorsport-Total.com' fragt nach den Gründen. Heute: Das Business.

Titel-Bild zur News: Rob Leupen

Rob Leupen leitet die Geschicke der Toyota Motorsport GmbH (TMG) in Köln Zoom

"Unser heutiges Budget in der LMP1 ist sicherlich nicht so groß wie damals in der Formel 1", sagt der Geschäftsführer der Toyota Motorsport GmbH (TMG) Rob Leupen. Der Niederländer arbeitet nach der Toyota-Zeit in der Grand-Prix-Szene zwar noch am selben Ort (Köln-Marsdorf), aber dennoch unter völlig anderen Voraussetzungen. Die Zahl der Mitarbeiter ist erheblich geringer, die zahlreichen Maschinen und Testeinrichtungen laufen nicht mehr rund um die Uhr, das Geld muss mit Bedacht und Augenmaß eingesetzt werden.

"Wir haben weniger Rennen, haben dementsprechend weniger Aufwendungen. Dafür haben wir mehr Tests", fasst Leupen die Voraussetzungen in der LMP1-Szene zusammen. Erst seit diesem Jahr sind die Testtage für die Hersteller in der WEC begrenzt. In den Vorjahren war "Freies Fahren" angesagt - und das nutzten Audi, Porsche und Toyota aus. Im Gegensatz zur Formel 1 mit ihren rund 20 Saisonrennen ist in der WEC alles auf ein einziges Ziel fokussiert. "Es gibt da dieses Rennen in Le Mans", so der TMG-Businessmann.

Toyota-Budget nicht auf Formel-1-Niveau

TMG agiert in der WEC mit einem Budget von deutlich unterhalb der 100-Millionen-Euro-Marke, die Konkurrenz von Audi und Porsche ist diesbezüglich erheblich besser ausgestattet. Die Japaner liefern den kompletten Hybridantrieb, in Köln findet die gesamte Fahrzeugentwicklung statt. "In der Formel 1 ist alles Aerodynamik-lastiger", sagt Leupen. Zwischen 2002 und 2009 investierte man in Details. Es standen phasenweise über 400 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung, über 1.000 Menschen arbeiteten an dem Formel-1-Projekt.

"Als wir damals in der Formel 1 waren, haben wir 120 Leute allein in der Aero-Abteilung gehabt. Wir hatten damals zwei Windkanäle, die 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche gelaufen sind", blickt Leupen schmunzelnd auf die "fetten Jahre" im Grand-Prix-Sport zurück. Heutzutage werden die Windkanäle an Kunden wie Ferrari vermietet, man hat Straßenfahrzeuge auf dem 7-Stempel-Prüfstand, die unzähligen Rapid-Prototype-Anlagen stehen auch mal still, ebenso die beiden riesigen Autoclaven.

TMG Toyota Köln

In Köln-Marsdorf werden unter anderem LMP1- und WRC-Autos entwickelt Zoom

"Wir reden ungefähr über zweieinhalb, 3.000 Stunden pro Jahr an Windkanal-Zeit. Wir haben dort maximal zwölf, dreizehn Leute im Einsatz. Die entsprechende Fertigung kommt dann natürlich noch mit dazu", blickt Leupen auf die heutige Aerodyamik-Entwicklung. "Also kann man in Hochzeiten von 20 bis 25 Personen ausgehen. Wir haben natürlich den Vorteil, dass wir den Windkanal vor Ort haben, dass wir die Teile vor Ort produzieren." Audi weicht beispielsweise auf den Windkanal von Sauber aus.

Geld kommt auch aus dem Entwicklungstopf

"In Stoßzeiten, also in Vorbereitung auf einen neue Saison arbeiten wir insgesamt mit ungefähr 120 bis 130 Mitarbeitern. Danach geht es wieder herunter auf circa 100. Das ist dann das Maximum, das wir haben", sagt der TMG-Finanzchef. "Da muss man ein bisschen aufpassen, da wir natürlich sehr viel in-House produzieren und unsere Produktion so aussieht, dass es eine Art Profit-Center ist. Das nutzen wir dann nicht nur für dieses Projekt, sondern auch andere Produkte wie die WRC oder für die Toyota Motor Corporation."

Im Vergleich zur Formel 1 benötige man in der LMP1 nur "rund 20 bis 40 Prozent", sagt Leupen und meint damit Werte wie Budget und Mitarbeiterzahl. Hinzu kommt aus Businesssicht ein weiterer wichtiger Faktor: Weil die Entwicklungen in der LMP1 mit ihren umfangreichen Hybridsystemen mehr Relevanz für den Bau von zukünftigen Straßenfahrzeugen hat, lässt sich im Konzern eher mal etwas aus dem Budget für Forschung und Entwicklung abzwacken - die WEC ist mehr als PR und Marketing.

"Es ist ein Teil R&D-Budget dabei, weil das, was wir einsetzen, wieder sofort in die Serie zurückfließen kann. Da sehe ich die Möglichkeiten der Formel 1 viel geringer", erklärt der Niederländer. "Natürlich gibt es auch was von der Marketingseite, aber es hängt immer daran, wie das Unternehmen strukturiert ist. Wir bekommen einen Teil aus dem Marketing, einen Teil aus der Entwicklung. Unterschiedliche Töpfe geben vielleicht etwas mehr Flexibilität, das heißt aber nicht, dass die Bäume in den Himmel wachsen."


Testfahrten des Toyota TS040 Hybrid

Sebastien Buemi hat den Toyota TS040 Hybrid getestet. Toyota gibt Einblicke vom Cockpit und der Rennstrecke aus

Das zur Verfügung stehende Budget wird im Hause TMG anders eingesetzt als der Inhalt des großen Topfes während der Formel-1-Zeit. "Allein schon wegen des Reglements", erklärt Leupen. "Wir müssen nicht unbedingt Zehntelsekunden suchen in eineinhalb Stunden. Es gibt noch ein bisschen mehr Spielräume und andere Komponenten, die zusätzlich eine Rolle spielen - eine größere Rolle spielen als in der Formel 1. Testen ist natürlich intensiver. Man testet auch länger. Die Fahrzeuge fahren 30 Stunden."

Einnahmen: Die große Flaute in der WEC

"In der Formel 1 braucht es, um einen Boxenstopp hinzubekommen, sehr eingespielte Leute, sehr hohe Fitness, sehr hohe Koordination. In der WEC ist die Ausdauer eine sehr wichtige Komponente", nennt der TMG-Geschäftsführer einen weiteren Unterschied. Auf dem Weg zu einem erfolgreichen Businessmodell in der Langstrecken-WM ist ebenfalls ein langer Atem gefragt. Toyota wird bis mindestens 2017 in der Szene bleiben, in der Hoffnung, dass sich bis dorthin womöglich auch die Einnahmenseite verändert.

"In der Formel 1 nimmt man abhängig von der errungenen Weltmeisterschafts-Position wesentlich mehr ein. Ich glaube aber auch, dass da die Budgets wesentlich höher sein müssen, um da vorne mitzufahren. Das kompensiert sich in der Form wieder", sagt Leupen. "Auf der anderen Seite haben wir hier natürlich viel mehr die Möglichkeit, viel mehr die Technologie der jeweiligen Hersteller zu präsentieren. Also glaube ich, dass wir einen höheren Marketingwert haben für den Konzern."

Toyota

Zu Formel-1-Zeiten liefen die TMG-Windkanäle rund um die Uhr Zoom

"Das wiegt sich vielleicht nicht ganz gegeneinander auf, aber man muss realistisch sein. Die Serie entwickelt sich, sie muss sich noch weiterentwickeln. Ich glaube nicht, dass es an der Zeit ist, zu sagen, dass wir hier sofort Geld verdienen müssen. Nein, vergiss es, das ist nicht der Fokus", stellt der 51-Jährige aus Helmond klar. Es geht um die Darstellung von Kompetenzen, um eine schnelle Entwicklung, von der die Serie profitiert. Gelingt dies, steigt die Relevanz des Engagements - Motorsport rechtfertigt sich auf diesem Wege.

Diese Rechtfertigung muss allerdings bei allen in einem Unternehmen ankommen - und auch bei den potenziellen Kunden. Dafür braucht es den entsprechenden Transport in Haushalte - sprich: TV- und sonstige Medienpräsenz. Und genau daran hapert es noch in der WEC. "In der Vergangenheit waren wir nicht sehr glücklich - zum Beispiel vergangenes Jahr im April in Silverstone, als wir erfahren haben, dass wir keinen kostenlosen Livestream mehr haben", berichtet Leupen. "Aber in diesem Bereich bewegt sich was."

WEC muss weiter an Vermarktung arbeiten

Die WEC bekommt Druck von den Herstellern, damit die Vermarktung der Serie in die richtigen Bahnen gelenkt wird. Vor dem Start in die aktuelle Saison wechselte man den Partner: Statt IMG soll nun Infront für mehr Präsenz sorgen. Gleichzeitig suchen sich die Hersteller eigene Wege. "Es gibt eine Kooperation zwischen Porsche, Toyota und RTL, um es auch in Deutschland im Rahmen der Formel 1 ein bisschen besser bekanntzumachen."

"Es kann sicherlich alles noch besser laufen. Wir sagen nicht, dass wir zufrieden sind", stellt der TMG-Vizepräsident klar. "Das heißt jetzt aber nicht, dass wir sagen, was Bernie Ecclestone macht, ist das Allerheiligste." Ein gesunder Mittelweg ist dem Niederländer am liebsten. Eine professionelle Vermarktung durch die Serienverantwortlichen, eine optimale Ausnutzung des WEC-Engagements und der Erfolge (Toyota ist Weltmeister!) durch die eigene Marketingabteilung zugleich.

Erst wenn sich auf diesen zwei Wegen die Darstellung der WEC in der Öffentlichkeit erheblich erweitert und verändert, darf man auch auf Veränderungen auf Einnahmenseite hoffen. Bislang sieht man auf den Fahrzeugen von Audi, Porsche und Toyota kaum echte Sponsoren. In fast allen Fällen stecken Businesspartnerschaften hinter den Schriftzügen auf den Autos - wie DMG Mori (Porsche), Mahle (Audi) oder Denso (Toyota). Klassisches Sponsorengeld fließt in den seltensten Fällen.


Fotostrecke: 24 Stunden von Le Mans: Die großen Helden

Solange auf Einnahmenseite nichts passiert, ist Obacht angesagt. Die Kosten, die in der LMP1-Klasse binnen weniger Jahre durch den intensiven Wettbewerb in die Höhe geschossen sind, gilt es einzudämmen. Dies passiert: weniger Tests, weniger Personal an der Strecke, weniger Motoren. "Wir müssen sehen, dass wir noch weitere Kostenreduzierungen umsetzen, um die schöne Rennserie, die wir jetzt haben, weiter voranzubringen", appelliert Leupen. Geplant sind unter anderem Einschränkungen bei der Windkanal-Nutzung - wie in der Formel 1. Das Wort "Budgetobergrenze" hat in der WEC noch niemand in den Mund genommen.