• 01.06.2015 12:42

  • von Roman Wittemeier

Formel 1 vs. LMP1: Die Sicht des Fahrers

Der große Vergleich zwischen der Formel 1 und der LMP1-Szene in Le Mans und der WEC: Fahrer genießen Respekt und Umgang untereinander

(Motorsport-Total.com) - Die LMP1-Szene der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) als neue Königsklasse im Motorsport? Über diese Frage wird seit vielen Monaten leidenschaftlich diskutiert. Tatsache ist: Während die Formel 1 in Bezug auf Zuschauerzahlen und TV-Interesse derzeit auf dem absteigenden Ast ist, legt die höchste Le-Mans-Kategorie in allen Belangen weiter zu. Die LMP1-Autos werden immer attraktiver - für Fahrer, Techniker, Geschäftsleute. 'Motorsport-Total.com' fragt nach den Gründen. Heute: Die Sicht der Fahrer.

Titel-Bild zur News: Alexander Wurz

Alexander Wurz kennt beide Szenen seit Jahren sehr genau: Formel 1 und LMP1 Zoom

Die LMP1-Boliden von Audi, Porsche und Toyota unterscheiden sich nicht nur optisch erheblich von den Fahrzeugen aus der Formel 1. Allein die Tatsache, dass solch ein Prototyp für Le Mans im Rennbetrieb rund 250 Kilogramm schwerer ist als ein Grand-Prix-Auto, bedingt einen anderen Fahrstil. Die technisch hoch entwickelten LMP1-Fahrzeuge haben trotz des Gewichts ihre Vorteile beim Beschleunigen: Traktionskontolle, Allradantrieb, Reifen und Hybridpower sei Dank.

Jene Piloten, die ihre Erfahrungen in der modernen Formel 1 und in einem Le-Mans-Prototypen gemacht haben, nennen meist die Unterschiede beim Umgang mit den Reifen als ersten Punkt. "Endlich mal wieder echte Rennreifen", freute sich Mark Webber nach seinem Wechsel zu Porsche. Andre Lotterer war nach seinem Einsatz 2014 mit Caterham in Spa-Francorchamps ebenfalls ganz offen. "Ich hatte es mir in manchen Belangen beeindruckender vorgestellt", so der dreimalige Le-Mans-Champion über die Formel 1.

LMP1-Autos: Eine Formel-1-Saison im Zeitraffer

Die Formel 1 fährt Sprintrennen über maximal zwei Stunden, in der WEC sind die LMP1-Autos sechs Stunden am Stück unterwegs, in Le Mans sogar 24 Stunden und bei den Ausdauertests vor dem Langstrecken-Klassiker müssen die Wagen 30 bis 36 Stunden durchhalten - ohne Unterbrechung. Das Kuriose: Die Piloten, die aus der Formel 1 kommen, sind überrascht, dass in der WEC mehr Vollgas gefahren wird als in der "Königsklasse", wo Pneus und Tankinhalt geschont werden müssen.

Earl Bamber, Nick Tandy

Nico Hülkenberg startet 2015 als aktueller Formel-1-Pilot mit Porsche in Le Mans Zoom

Im Grand-Prix-Sport hat jeder Einsatzfahrer sein eigenes Fahrzeug, in der LMP1 wird die Arbeit zumeist auf drei Piloten pro Auto verteilt. "Du musst immer Kompromisse machen, musst dir die Zeit im Auto teilen. Du kannst nicht jede Set-upentwicklung selbst durchziehen, sondern musst den anderen vertrauen", sagt Alex Wurz. "Du musst akzeptieren, dass dann nicht alles unbedingt genau zu deinem Fahrstil passt, aber unter dem Strich das Auto vom Start bis ins Ziel schneller macht."

"Leute mit Geheimniskrämerei und Misstrauen ecken da schneller mal an. Das ist schlecht für das Team. In der WEC ist es viel spannender, was psychologisch vor sich geht", erklärt der Österreicher. "Ich spreche aber auch hier von 'meinem Auto', meine damit aber nicht, dass ich es egozentrisch für mich beanspruche. Es ist halt einfacher, als zu sagen, es ist das Auto von Stephane, Mike und mir. Es ist ein Abkürzen. Intern sprechen wir immer über die Autonummer, also in unserem Fall die 2. Damit bezieht es sich auf alle."

Freundliches Miteinander: Weniger Egos in der WEC

Abseits der sportlichen Action auf den Strecken gibt es aus Sicht der Piloten weitere erhebliche Unterschiede. Diese betreffen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf der einen Seite, das Miteinander im Fahrerlager auf der anderen Seite. Lotterer war bei seiner kurzen Formel-1-Exkursion 2014 überwältigt vom gewaltigen öffentlichen Interesse an seiner Person. Drei Le-Mans-Siege und große Erfolge in Japan hatten nicht einmal ansatzweise etwas von dem ausgelöst, was ein Gaststart in der Formel 1 mit sich brachte.

Mark Webber, Fernando Alonso

Zeigt großes Interesse an der LMP1: Webber-Kumpel Fernando Alonso Zoom

Im Gegenzug war bei Nico Hülkenbergs erstem LMP1-Auftritt in Spa-Frabcorchamps zu spüren, wie die deutlich entspanntere Atmosphäre im WEC-Fahrerlager geradezu befreiend sein kann. Der "Hülk" scherzte viel mit Teamkollegen, saß oftmals lachend in der Porsche-Hospitality und nahm sich für Autogramme, Fanfotos und Gespräche mit Journalisten viel Zeit. Der Emmericher nahm die andere Stimmung im Paddock schnell wahr.

"Die Atmosphäre untereinander ist offener und freundlicher", fällt dem Porsche-Neuzugang bei seinem Spa-Auftritt auf. "In der Formel 1 kocht jeder sein eigenes Süppchen, jeder sucht seinen persönlichen Vorteil. Die WEC fühlt sich für mich eher an wie eine Mannschafts-Sportart - so stelle ich es mir im Fußball vor." Und in dieser weniger von Egos getriebenen Umgebung fühlt sich der Deutsche sichtbar wohl.

Formel-1-Fahrer in Le Mans: Trendsetter Nico Hülkenberg?

"Natürlich will man mit seinem Auto durchaus schneller sein als die anderen beiden baugleichen Fahrzeuge. Aber es werden Informationen offen ausgetauscht. Manchmal steigt jemand aus einem Auto und sagt allen: 'Passt auf, an dieser oder jeder Stelle ist eine Pfütze'. So etwas würde in der Formel 1 in dieser Form nie passieren", meint Hülkenberg.

Der neue Porsche-Star genießt seine Einsätze im LMP1-Auto und das Umfeld so sehr, dass er eine Zukunft in der WEC derzeit nicht ausschließt. Langfristig sei die Szene ohnehin eine Alternative, sagt er. Hülkenberg ist seit vielen Jahren der erste aktive Formel-1-Pilot, der sich der Herausforderung Le Mans quasi in einem "Nebenjob" stellt. Früher gehörte die Teilnahme von Grand-Prix-Fahrern am Klassiker an der Sarthe zum guten Ton, nun könnte sich ein solcher Trend wieder entwickeln.

"Es kann sich sehr wohl daraus ein Trend entwickeln", meint auch Alex Wurz. "Allerdings bräuchten wir dafür mehr Hersteller. Im Moment ist es bei den engagierten Werken so, dass man nicht nur darauf aus ist, bekannte Namen aus der Formel 1 zu holen, sondern top Langstreckenfahrer unter Vertrag zu nehmen." Klartext: Ein Benoit Treluyer (Audi) oder Neel Jani (Porsche) gehören auch ohne Formel-1-Rennerfahrung zur Garde der besten LMP1-Fahrer.

Die Formel 1 versteht die LMP1-Szene so langsam

"Wir sprechen in der Formel 1 - zumindest ganz vorne an der Spitze - von den besten Rennfahrern der Welt. Wobei ich denke, dass die besten WEC-Fahrer denen in nichts nachstehen", meint Wurz, der beide Szenen intensiv kennengelernt hat. "Richtig aussagen kann man das nie. Dafür müssten wir zur gleichen Zeit, unter gleichen Bedingungen im gleichen Auto sitzen - und das passiert eben nie. Im Schnitt dürfte die Leistungsdichte bei den Fahrern in Formel 1 und WEC gleich sein."

Alexander Wurz

Vollgas über sechs oder sogar 24 Stunden: Die WEC-Piloten können Spaß haben Zoom

"Das coolste ist, dass es in der LMP1-Klasse der WEC keine Bezahlfahrer gibt, sondern hier sind nur angestellte Profis. Das zeichnet den Sport als extrem cool aus", nennt Wurz einen weiteren Pluspunkt. "Wenn mehr Formel-1-Fahrer kommen und sich dafür interessieren, dann ist das nur gut. Es bringt eine höhere Werbewirkung. Ich glaube aber nicht, dass es unbedingt notwendig ist, um die WEC mehr zu boosten. So etwas käme nur als zusätzlicher Benefit oben drauf."

"Ich fühle mich im Formel-1-Paddock auch ein wenig als Botschafter der WEC, weil ich in den Jahren dabei war, wo die Langstreckenszene populär wurde", sagt Wurz, der als Co-Kommentator des 'ORF' oft im Grand-Prix-Fahrerlager ist. "Zuerst gab es den super Zweikampf zwischen Peugeot und Audi, jetzt sind wir in der absoluten Hightech-Etage angekommen. Es gibt mittlerweile irrwitzig schnelle Autos in der LMP1. Entsprechend liebt und lebt man dieses Produkt, das man quasi mit entwickelt hat."

LMP1 wird schneller: Wann legen die Formel-1-Autos zu?

"Das ist nicht gegen die Formel 1 gemeint, sondern es ist für die WEC. Die Popularität der Szene steigt", hält der Österreicher fest. "Man braucht die WEC mit ihrem Reglement und der Art der Rennen nicht mehr erklären. Es wird in der Formel 1 besser verstanden. Dass die Autos schnell sind und viel Downforce haben, war immer bekannt. 2009 und 2010 sind wir in Le Mans unter 3:20 Minuten gefahren, aber mehr auf die Oldschool-Art - mit mehr Motorenpower und weniger Aero. Jetzt erreichen wir das gleiche mit deutlich weniger Leistung und mit 30 bis 35 Prozent weniger Sprit. Das ist cool."


Fotostrecke: Le Mans 2015: Die Prototypen

Die LMP1-Autos machen derzeit von Jahr zu Jahr große Sprünge. In diesem Jahr werden in Le Mans Rundenzeiten unterhalb der Marke von 3:15 Minuten erwartet - so schnell war man auf der modernen Streckenvariante bei Weitem noch nie. "Wenn die LMP1-Autos wirklich genauso schnell werden wie die Formel 1, dann wird in der Formel 1 wieder aufgedreht. Dann wird es mehr Aerodynamik und mehr Power geben", sagt Hülkenberg.

"Tatsache ist aber: Die LMP1-Autos haben ein mega Potenzial - vom Antrieb her sowieso. Die Autos sind halt im Vergleich zur Formel 1 ziemlich schwer. Das macht den Unterschied in der Performance aus", fasst der Emmericher zusammen. Er meint: "Beide Serien sind auf ihre jeweils eigene Art die Königsklasse." Alex Wurz fügt grinsend hinzu: "Ich hätte gern das Gewicht der Formel-1-Autos. Aus der LMP1 in die Formel 1 würde ich den Niederquerschnitts-Reifen transferieren, weil es einfach cooler ausschaut."