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Porsche 911 GT3 R Hybrid: Wenn die Vorderachse zieht
Wie Porsche dem Schwungrad-KERS in der VLN Beine macht: Große Forschritte mit dem Hybridsystem - Viel Lob von Nico Hülkenberg
(Motorsport-Total.com) - Porsche kann sich den Einsatz des Hybrids auch in anderen Autos
Es ist ein sommerlicher Frühlingstag in der Eifel. Die Sonne strahlt vom Himmel, Formel-1-Pilot Nico Hülkenberg bringt mit einem breiten Grinsen eine weitere positive Note in einen spannenden Freitag. Der Williams-Formel-1-Pilot ist verschwitzt und glücklich. Nur wenige Augenblicke zuvor hat der 22-Jährige eine doppelte Premiere gefeiert: Die ersten Runden im Rennwagen auf der Nordschleife, erstmals in einem Porsche mit Hybridtechnik.

© Porsche
Porsche kann sich den Einsatz des Hybrids auch in anderen Autos vorstellen
"Es war eine Mega-Erfahrung mit diesem tollen Auto auf der gigantischen Strecke. Für mich war es etwas ganz Neues, mit einem Tourenwagen zu fahren. Es war einfach cool", jubelt der Emmericher nach drei Runden auf der Nordschleife. Warum ausgerechnet Hülkenberg als Testpilot? Die Antwort liegt nahe. Das Porsche-System im 911er Hybrid ist mit einem Schwungradspeicher von Williams Hybrid Power (WHP) im Beifahrerraum ausgestattet, die Zusammenarbeit zwischen Grove und Zuffenhausen funktioniert prächtig.#w1#
Seit Jahresbeginn setzt Porsche das Hybridsystem im neuen 911 GT3 R ein. Mit Erfolg: Gleich beim zweiten Auftritt im Rahmen der VLN konnten Jörg Bergmeister und Wolf Henzler den weiß-orangen Wagen auf das Podest fahren. "Ich hatte beim Fahren ein Grinsen im Gesicht und habe es genossen. Leider kenne ich die Strecke nicht gut genug, um sie wirklich am Limit zu fahren. Ich war nur wenige Male mit dem Privatauto auf der Nordschleife. Aber du brauchst das richtige Auto dafür. Mit einem Renault Twingo macht das nicht so viel Spaß", berichtet Hülkenberg weiter.
Schwungrad erreicht bis zu 40.000 Touren
Porsche setzt auf ein einzigartiges System. Bei Bremsvorgängen werden die zwei Elektromotoren an der Vorderachse als Generatoren zum Stromerzeugung genutzt. Die Energie wird im Williams-Schwungrad in kinetische Energie umgesetzt und gespeichert. Bis zu 40.000 Touren erreicht das Schwungrad. "Es ist zu Anfang erst ein bisschen komisch. Man hört andere Geräusche", berichtet Marc Lieb, der als Entwicklungsfahrer tiefste Einblicke in das Porsche-Projekt hat.

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Elektronik (1), Motoren (2), Starkstromkabel (3), Schwungrad (4), Elektronik (5) Zoom
"Wenn der Speicher lädt, oder wenn er dreht, dann hört man das - zumindest wenn man an die Box kommt", so der Werksfahrer weiter. "Beim Fahren hörst du die Getriebe an der Vorderachse, beim Bremsen, oder wenn du die Energie abfeuerst. Es ist ein Pfeifen oder Kreischen. Es ist eben das Getriebe mit extrem hoher Drehzahl. Das sind einfach ganz andere Geräusche, wie in einem Science-Fiction-Film. Aber man gewöhnt sich daran. Es macht richtig Spaß."
Der Porsche-Hybrid ist keine Science Fiction, sondern zeitgemäße Realität. Das System wird seit Monaten unter der Leitung des erfahrenen Ingenieurs Owen Hayes, der früher für die Penske-Einsätze des Porsche RS Spyder in der ALMS verantwortlich war, konstant und akribisch weiterentwickelt. "Wir machen jedes Wochenende regelrechte Sprünge - teilweise größere, manchmal kleinere", berichtet Marc Lieb zufrieden. Vor allem Fahrbarkeit und Zuverlässigkeit stehen dabei im Vordergrund.
Science-Fiction-Geräusche im Auto
Über einen Kipphebel können die Piloten die zusätzliche Leistung von 120 Kilowatt abrufen. "Ich habe den bestimmt 20 bis 25 Mal pro Runde benutzt. Nach jeder Bremsung ist wieder zusätzliche Power da, entsprechend oft kann man es benutzen. So etwas muss man nutzen, sonst bleibt Zeit liegen", erklärt Hülkenberg nach seinen ersten Erfahrungen begeistert. Er habe sich schnell an die neue Technik gewöhnen können.
"Wenn du in der Kurve den Schalter betätigst, dann bekommst du viel Untersteuern und rutschst raus. Darum musst du möglichst warten, bis das Auto wieder gerade ist", sagt der Emmericher. Lächelnd fügt der Grenzgänger in Sachen Fahrphysik aber hinzu: "Andere Theorie: Wenn du dickes Übersteuern hast, dann zieht dich der Hybrid an der Vorderachse wieder gerade." Marc Lieb nickt zustimmend. Der kurzfristige Allradantrieb kann enorme Vorteile in Beschleunigungsphasen bringen.
¿pbvin|64|2680||0|1pb¿"Man muss es intelligent einsetzen. Wenn wir den Boost-Hebel ziehen, dann muss man sich das vorher genau überlegt haben", sagt der 29-jährige Werkspilot. "In einigen Kurven geht es nicht, weil es dort zu viel Untersteuern gibt. In einigen Ecken hilft es aber. Man kann sich schnell darauf einstellen. Man gewöhnt sich an viele Sachen: an Servolenkung oder ABS. Dann kann man sich auch an ein solches System gewöhnen."
In jenem Moment, wo der Pilot den Boost-Schalter betätigt, wird die Schwungradenergie wieder in elektrische Energie gewandelt. Über eine spezielle Steuerungselektronik werden die zwei Elektromotoren an der Vorderachse aufgeschaltet. "Die Kraft geht nicht mit voller Wucht drauf, sondern es steigert sich. Das kommt zum Beispiel auf die Gaspedalstellung an", erklärt Lieb die sanfte Kraftentfaltung, an deren Details man nach wie vor intensiv arbeitet.
Fahrbarkeit steht im Vordergrund der Entwicklung
"Wenn die 120 Kilowatt schlagartig einsetzen würden, wäre das nicht gut. Diese Dinge machen wir gerade, wir verbessern sie Schritt für Schritt. Die Ingenieure arbeiten wirklich hart und unsere Wünsche als Fahrer werden erhört", erklärt der Ludwigsburger. Für Lieb hat der Hybrid eine ganz neue Herausforderung gebracht: "Es ist toll, wenn man von Anfang an bei einem solchen Projekt dabei ist. Das macht richtig viel Laune. Ich war eine dermaßen enge Zusammenarbeit mit den Ingenieuren auch noch nicht gewohnt."

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Das Schwungrad aus dem Hause Williams Hybrid Power speichert Energie Zoom
Den nächsten Härtetest wird der Porsche 911 GT3 R Hybrid beim 24-Stunden-Rennen am Nürburgring erfahren. Durchkommen lautet das große Ziel. "Es ist toll, dass ein Formel-1-Fahrer es ausprobiert und wir eine weitere Meinung bekommen", so der Porsche-Werksfahrer in Richtung Hülkenberg. "Er hat mir Tipps gegeben", gibt der Formel-1-Star offen zu. "Man kann anhand einer Karte viel erklären, aber wenn man dann draußen ist, dann erinnert man sich nicht mehr an Flugplatz oder Schwedenkreuz. Es sind einfach so viele Eindrücke. Solch eine Strecke kannst du nicht auf dem Papier lernen."
Die Versuchsfahrten mit dem neuen Hybridsystem sollen mit dem Langstreckenklassiker in der Eifel längst nicht abgeschlossen sein. Porsche will sein eigenes KERS weiter voranbringen. Mögliche zukünftige Einsätze beispielsweise in Le Mans sind nicht ausgeschlossen. Auch für Williams könnte der KERS-Einsatz ab 2011 in der Formel 1 wieder akut werden. Zwar ist das Porsche-System mit rund 150 Kilogramm deutlich zu schwer für die Königsklasse, aber von den Erfahrungen aus Zuffenhausen dürfte man einiges mitnehmen können.

