Toyota: "Erwarten nicht, dass wir Le Mans gewinnen können"

Technikchef Pascal Vasselon glaubt an eine Siegchance für Toyota in Le Mans 2015, Alex Wurz und Sebastien Buemi nicht mehr: "Zweieinhalb Sekunden sind zu viel"

(Motorsport-Total.com) - 2014 noch auf Pole-Position, 2015 sechseinhalb bis sieben Sekunden Rückstand auf den Porsche #18: Für Toyota war das Qualifying zu den 83. 24 Stunden von Le Mans eine herbe Enttäuschung. "Wir sind nicht mehr die Schnellsten, sondern nur die Drittschnellster unter den vier Werksteams. Das ist nüchterne Tatsache", sagt etwa Alexander Wurz (#2 mit Mike Conway und Stephane Sarrazin).

Titel-Bild zur News: Mike Conway

Der Toyota #2 steht bei den 24 Stunden von Le Mans auf dem siebten Startplatz Zoom

Für Toyota wird Le Mans somit auch im vierten Anlauf seit dem Comeback nur sehr schwierig zu gewinnen sein. Obwohl der Qualifying-Rückstand nicht repräsentativ ist: "3:19 würden wir schaffen, wenn wir es auf das Qualifying angelegt hätten. Aber was nützt dir das, wenn du sowieso Siebter und Achter bist? Da haben wir uns lieber darauf konzentriert, die Reifen für jede Tages- und Nachtzeit zu optimieren." Schließlich ist die Startposition bei einem 24-Stunden-Rennen von weit geringerer Bedeutung als etwa in der Formel 1.

Also steht fest: "Wir müssen anders an das Rennen herangehen, weil die Ausgangslage ganz anders ist", erklärt Technikchef Pascal Vasselon gegenüber 'Motorsport-Total.com'. 2013 und 2014 waren die Japaner als Favorit nach Le Mans gekommen, mit dem wahrscheinlich schnellsten Auto im Feld. Doch ein Fünf-Euro-Defekt kostete 2014 den zum Greifen nah scheinenden Sieg. Diesmal liegt der Druck bei Audi und Porsche, wohingegen Toyota gar nicht erst versuchen wird, das Rennen über den Speed zu gewinnen.

Weg auf das Podium führt nur über die Zuverlässigkeit

Sondern an der Box: "Wir werden versuchen, so wenig Zeit wie möglich an der Box zu verbringen", sagt Vasselon. "Wir glauben, dass wir eine Chance haben, denn in Le Mans diktiert die Zuverlässigkeit die Performance. Wir sind noch im Fenster, in dem man eine Chance auf den Sieg hat. Aber wir haben keinen Spielraum für Fehler." Das sieht Wurz etwas pessimistischer: "Wenn es ein bis eineinhalb Sekunden sind, ja, dann kann man gewinnen. Aber wir sind zweieinhalb Sekunden weg."

Allerdings sagt der Österreicher auch: "Die Hoffnung stirbt zuletzt." Zum Beispiel könnte man sich an den Strohhalm klammern, dass sich Audi und Porsche in ein Temporennen hetzen - und dann am Ende Toyota der lachende Dritte ist. Aber: "Ein Auto von denen übernimmt immer, ob freiwillig oder nicht, die Aufgabe, nicht in Hektik zu verfallen", sieht Wurz auch das nicht als realistische Siegchance. Und er meint: "Für mich spricht alles für Audi als Favorit. Trotz der Qualifying-Zeiten von Porsche."


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"Wir erwarten nicht, dass wir gewinnen können, denn Audi und Porsche sind ein bisschen schneller", ergänzt Sebastien Buemi (#1). "Wir dürfen nicht zu viel Risiko nehmen, denn das wird nicht viel bringen. Selbst wenn wir eine halbe Sekunde schneller werden sollten, wird das nicht reichen, um Audi und Porsche zu attackieren. Wir werden unser Maximum geben, aber um Rennen zu gewinnen, ist vor allem wichtig, keine Probleme zu haben und möglichst nie an der Box zu stehen."

Hoffen auf technische Probleme bei der Konkurrenz

Das möchte man Audi und Porsche überlassen: "Es ist nicht so, dass alle Hersteller bei den bisherigen Rennen und Tests extrem standfest waren. Ich weiß nicht, ob die Energiesysteme der Konkurrenz 24 Stunden am Stück durchhalten", hofft Wurz. "Ein Beispiel: Angenommen, bei Porsche ermüdet die Batterie, werden dann die Bremsen heiß, müssen sie die alle fünf Stunden wechseln?" Denn wenn beim Bremsen keine Energie für den Antrieb abgezapft wird, müssen die Bremsen mehr Energie aufnehmen.

Dass ein Sieg aus eigener Kraft nicht möglich scheint, könnte auch entspannend wirken. "Nach wie vor will ich dieses Rennen unbedingt gewinnen", sagt Anthony Davidson (#1). "Der Sieg in Le Mans war schon immer mein großes Ziel, mehr noch als der Gewinn des WM-Titels. Daran hat sich nichts geändert. In diesem Jahr haben wir im Vergleich zu unseren Wettbewerbern ein langsameres Auto. Das nimmt viel vom Druck weg. Ich fühle mich daher entspannter. Es kann so gesehen also sogar ein Vorteil sein."

Pascal Vasselon

Pascal Vasselon ist optimistischer als seine beiden Fahrer Wurz und Buemi Zoom

"Wir müssen diese Situation zu unserem Vorteil nutzen. Ich hätte zum Beispiel nichts gegen Regen im Rennen, denn dann fällt unser Geschwindigkeitsnachteil am Ende der Geraden und beim Beschleunigen nicht so stark ins Gewicht", so der Brite. Wurz nickt zustimmend: "Regen reduziert die Abhängigkeit von der Motorleistung. Da minimiert sich unser Defizit, obwohl auch im Regen 60 Prozent Vollgas gefahren wird. Und wir sind auch besser darin, unsere Reifen ins Arbeitsfenster zu bekommen."

14 Runden pro Stint, fünf Stints pro Reifensatz nicht möglich

In der Rennstrategie sind die Eckdaten für Toyota relativ klar: 14 Runden sind nicht möglich, denn "in unserem Fall würden wir mehr Zeit auf der Strecke verlieren als an der Box gewinnen", rechnet Vasselon vor. Um von der derzeitigen Reichweite (13,8) auf 14 Runden zu kommen, müsste man zu viel Speed rausnehmen. Diese Rechnung geht unterm Strich nicht auf. Und bei den Reifen sind vier Stints mit einem Satz das Maximum: "Fünf kann ich mir nur unter außergewöhnlichen Umständen vorstellen."

Dass Toyota, in den vergangenen beiden Jahren das Maß aller Dinge, was den Speed angeht, plötzlich so deutlich hinterherfährt, ist laut Wurz eine Ressourcenfrage. Man habe zwar die Entwicklungsziele über den Winter erreicht und drei Sekunden gefunden, doch Audi und Porsche mit ihren weit größeren Ressourcen hätten eben "einen Quantensprung" gemacht. "Pi mal Daumen sind wir beim Chassis, in den schnellen Kurven, besser als Porsche. Aber wir verlieren dramatisch beim Beschleunigen", weiß er.


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"Die Zeiten, die die anderen beim Test in Aragon gefahren sind, haben uns nicht vom Hocker gehauen. Ich war dort in der ersten Runde mit dem neuen Auto schneller als die schnellste Runde im letzten Jahr. Zum Schluss waren wir drei Sekunden schneller - auf einer vier Kilometer langen Strecke. Dann hoffst du, dass das nicht so schlecht ausschaut. Die anderen waren nicht schneller als wir. Dementsprechend war ich sehr überrascht über die Performance von Audi und Porsche", gibt Wurz zu.