NASCAR 2016: Weniger Abtrieb sorgt für gemischte Gefühle

Vor der nahezu flächendeckenden Einführung des Low-Downforce-Package im Sprint-Cup äußern die NASCAR-Piloten Vorfreude, Hoffnungen und Bedenken

(Motorsport-Total.com) - Nach den beiden erfolgreichen Probeläufen in der Saison 2015 macht NASCAR für die Saison 2016 Nägel mit Köpfen. Die Rede ist vom Low-Downforce-Package, dem Aero-Paket mit weniger Abtrieb, das sowohl bei der Premiere im Juli 2015 auf dem Kentucky Speedway als auch zwei Monate später auf dem Darlington Raceway zu überzeugen wusste. Die Fahrer waren angesichts der schwerer zu beherrschenden Autos voll des Lobes. Die Fans zeigten sich angesichts des lebhafteren Racings begeistert.

Titel-Bild zur News: Dale Earnhardt Jun., Greg Biffle, Justin Allgaier

Auf dem Kentucky Speedway überzeugte das Aero-Paket mit weniger Abtrieb sofort Zoom

2016 kommt das Low-Downforce-Package, dessen Kernpunkte ein kleinerer Frontsplitter, eine kleinere Bodenplatte unterhalb des Kühlers und ein kleinerer Heckspoiler sind, bei 32 von 36 Sprint-Cup-Saisonrennen zum Einsatz. Ausnahme sind die vier Restrictor-Plate-Rennen im Kalender (je zwei in Daytona und Talladega).

"Das neue Regelpaket ist ein Schritt in die richtige Richtung", lobt Carl Edwards auf Nachfrage von 'Motorsport-Total.com' den von NASCAR eingeschlagenen Weg, fügt aber im selben Atemzug hinzu, dass ihm die Regeländerungen noch nicht weit genug gehen: "Diesen Weg müssen wir weiterverfolgen. Meiner Meinung nach sollten wir auf aerodynamische Hilfsmittel komplett verzichten, um so wenig wie möglich Downforce und Sideforce zu haben. Darum geht es doch schließlich beim Stockcar-Racing."

Knackpunkt 1,5-Meilen-Ovale

Charlotte Motor Speedway

1,5-Meilen-Ovale wie Charlotte richten knapp ein Drittel aller Saisonrennen aus Zoom

"Mit dem Low-Downforce-Package ist das Loch, das die Autos in die Luft schneiden, einfach kleiner", erklärt Edwards' Gibbs-Teamkollege Denny Hamlin, und weiter: "Je kleiner dieses Loch ist, desto einfacher ist es für den Hintermann, dranzubleiben. Wir Fahrer sind uns einig: Lasst uns das Heck der Autos so klein wie möglich gestalten, um dem Hintermann das Leben zu erleichtern."

Auf welchen Strecken wird der geringere Abtrieb am deutlichsten spürbar sein? "Am meisten freue ich mich auf die 1,5-Meilen-Ovale. Je länger wir auf diesen Strecken den Fuß vom Gas nehmen müssen, desto besser", sagt Hamlin und fügt hinzu: "Im Umkehrschluss wird es auf den Short-Tracks wie Martinsville oder Richmond nicht den ganz großen Effekt geben, denn je niedriger die Geschwindigkeiten auf einer Strecke sind, desto geringer wird auch der Unterschied zum bisherigen Racing ausfallen."

1,5-Meilen-Ovale gibt es im aktuellen Rennkalender der NASCAR-Topliga Sprint-Cup deren acht: Atlanta Motor Speedway, Charlotte Motor Speedway, Chicagoland Speedway, Homestead-Miami Speedway, Kansas Speedway, Kentucky Speedway, Las Vegas Motor Speedway und Texas Motor Speedway. Elf der 36 Saisonrennen werden auf diesen acht Strecken ausgetragen, darunter fünf der zehn Chase-Rennen.

In Atlanta alle Hände voll zu tun

Martin Truex Jun.

Furniture-Row-Pilot Martin Truex Jr. kann seine Vorfreude auf Atlanta kaum zügeln Zoom

"Ich freue mich am meisten auf Atlanta", blickt Martin Truex Jr. auf Nachfrage von 'Motorsport-Total.com' auf den zweiten Saisonlauf am 28. Februar voraus. Dieses Rennen markiert das Saisondebüt für das Low-Downforce-Package, da der Saisonauftakt auf dem Daytona International Speedway bekanntlich mit Restrictor-Plates über die Bühne geht. Dank des Wechsels von Furniture Row Racing aus dem Chevrolet- ins Toyota-Lager hat Truex Jr. in dieser Saison jenes Material zur Verfügung, wie es die Meistermannschaft von Joe Gibbs Racing um Kyle Busch, Matt Kenseth, Edwards und Hamlin einsetzt. Doch teilt er auch die Meinungen von Edwards und Hamlin? Jein.

"Atlanta ist ohnehin schon eine der schnellsten und gleichzeitig schwierigsten Strecken im Kalender, weil das Gripniveau dort unglaublich niedrig ist", bemerkt Truex Jr. und präzisiert: "Selbst mit viel Abtrieb bauen die Reifen in Atlanta unglaublich schnell ab. Nach 30 oder 40 Runden rutschen die Autos nur noch herum, sind beinahe unfahrbar, als wäre die Strecke voller Öl. Das ist großartig. Mit weniger Abtrieb werden wir regelrecht schreien, denn nun werden wir erst recht alle Hände voll zu tun haben. Darauf freue ich mich. Das wird einfach großartig."

Während Truex Jr. seine Vorfreude auf Atlanta kaum zurückhalten kann, hat Matt Kenseth ein anderes 1,5-Meilen-Oval auf dem persönlichen Radar. "Diejenige Strecke, auf die ich mich am meisten freue, ist Charlotte, denn dort fiel das Überholen im vergangenen Jahr am schwersten", bemerkt der Gibbs-Pilot.

Große Hoffnungen bei der Roush-Truppe

Die größte Vorfreude auf den nahezu flächendeckenden Einsatz des Low-Downforce-Package herrscht allerdings nicht im Toyota-, sondern im Ford-Lager, konkret bei Roush/Fenway Racing. Die Truppe rund um Trevor Bayne, Greg Biffle und Ricky Stenhouse erlebte 2015 eine wahre Seuchensaison. Erstmals in der Geschichte des Teams schaffte keiner der Fahrer den Sprung in den Chase. Siege waren für die Roush-Truppe im vergangenen Jahr ebenso Fehlanzeige wie Pole-Positions.

Greg Biffle

Greg Biffle versucht zu erklären, warum Roush weniger Abtrieb entgegenkommt Zoom

Bei den beiden "Proberennen" mit dem Low-Downforce-Package aber stimmte für die Roush-Piloten das Fahrgefühl. "Aus welchem Grund auch immer kommt dieses Package unseren Autos entgegen. Warum das so ist, wissen wir selbst nicht", gesteht Greg Biffle gegenüber 'Motorsport-Total.com' und versucht sich in einer Erklärung: "Alles, was ich dazu sagen kann, ist, dass das Minus an Abtrieb unsere Autos weniger stark trifft als die anderen. Wir haben es vielleicht nicht geschafft, die letzten fünf Prozent Abtrieb zu finden. Wenn jetzt sagen wir mal 20 Prozent Abtrieb weggenommen werden, dann heißt das im Grunde, dass alle anderen 20 Prozent verlieren während wir nur 15 Prozent verlieren. Das ist aus meiner Sicht die einzige Erklärung."

"Doch wenn ich das sage, dann meine ich damit nur die Roush/Fenway-Autos, nicht die Autos von Ford im Allgemeinen", so Biffle weiter. Die Penske-Truppe klammert der Roush-Routinier in seinen Ausführungen bewusst aus: "Die Penske-Autos kommen zwar auch von Ford, aber das ist ein komplett anderes Team. Das ist beinahe so wie Childress und Hendrick. Ihre Autos und ihre Abtriebswerte sind komplett andere als die unseren. Das wiederum heißt: Wenn es eine Regeländerung gibt, dann sind unsere und ihre Autos nicht im gleichen Maße davon betroffen."


Fotos: NASCAR: Media-Tour 2016


Biffles Roush-Teamkollege Trevor Bayne ergänzt: "Unser Optimismus lässt sich mit den Ergebnissen begründen, die wir im vergangenen Jahr mit dem Low-Downforce-Package eingefahren haben. In Kentucky und Darlington sind alle anderen so stark herumgerutscht wie wir bei allen anderen Rennen. Für uns hingegen zählten diese beiden Rennen zu den stärksten der gesamten Saison."

Zurückhaltung im Ganassi-Team

Jamie McMurray

Jamie McMurray glaubt nicht, dass der Unterschied zu 2015 allzu groß sein wird Zoom

So groß der Optimismus im Lager von Roush/Fenway Racing, so zurückhaltend fallen die Vorhersagen bei Chip Ganassi Racing aus. "Ich glaube nicht, dass der Unterschied so groß sein wird wie viele erwarten", gibt Jamie McMurray zu bedenken. "Nehmen wir mal an, wir würden das Rennwochenende in Atlanta mit deutlich mehr Abtrieb beginnen und dann 1.000 Pfund Abtrieb wegnehmen, dann wäre der Unterschied natürlich sofort spürbar, weil es deutlich weniger Grip gibt. Tatsächlich aber waren wir seit einem Jahr nicht mehr in Atlanta. Daher wird es sich normal anfühlen", sagt der Ganassi-Pilot.

Jimmie Johnson, Matt Kenseth, Brad Keselowski und Kurt Busch absolvierten vor einer Woche auf dem Las Vegas Motor Speedway den ersten Reifentest des Jahres 2016 - selbstredend mit dem Low-Downforce-Package. Dank einer weicheren Reifenmischung von Goodyear wurden bei diesem Test inoffiziell sogar bessere Rundenzeiten notiert als es vor zwölf Monaten mit mehr Abtrieb der Fall war.

"Ähnlich wird es auch in Atlanta sein", blickt McMurray auf das 2016er-Renndebüt des Low-Downforce-Package voraus und führt an: "Das Ziel ist es natürlich, das Minus an Abtrieb durch ein Plus an Grip über die Reifen auszugleichen. Was die Autos dann im Endeffekt langsamer macht, ist der Verschleiß der Reifen. Doch wie gesagt: Ich glaube nicht, dass der Unterschied allzu dramatisch sein wird."

Kyle Larson

Kyle Larson gehen die Änderungen an der Aerodynamik nicht weit genug Zoom

McMurrays Ganassi-Teamkollege Kyle Larson hofft in erster Linie, dass ihm die technischen Regeländerungen für 2016 eher in die Karten spielen als jene für 2015. "Die Regeländerungen im vergangenen Jahr kamen unserem Team überhaupt nicht entgegen, denn weniger PS passen so gar nicht zu meinem Fahrstil", gesteht der auf Dirt-Tracks aufgewachsene Kalifornier.

Ähnlich wie Carl Edwards sieht Larson das 2016er-Regelpaket als einen Schritt in die richtige Richtung, wünscht sich jedoch genau wie der Gibbs-Pilot noch mehr davon. "In diesem Jahr sollte es für uns dank des Low-Downforce-Package etwas besser laufen als 2015, aber um ehrlich zu sein geht mir der Schritt nicht weit genug", sagt Larson und schiebt hinterher: "Hoffentlich dauert es nicht zu lange, bis wir dort sind, wo wir sein wollen. Die Art und Weise, wie NASCAR die Regeln gestaltet, macht es aber nicht einfach, sich einen Vorteil zu erarbeiten. Das ist das Frustrierende an der ganzen Sache."

Gibbs-Pilot Denny Hamlin merkt abschließend an: "Im Grunde kehren wir mit dem Low-Downforce-Package zu den Abtriebswerten aus der Saison 2011 zurück. Das ist noch nicht allzu lange her. Die Herausforderung wird jetzt darin bestehen, das richtige Maß zu finden. Gelingt uns das nicht, dann werden wir schon bald wieder bei den Abtriebswerten angelangt sein, die wir in der Saison 2015 vorliegen hatten. Es ist also ein bewegliches Ziel, auf das wir schießen."