Kolumne: Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Bei Yamaha rauchen nach der Pleite in Österreich die Köpfe: Hat sich Valentino Rossi bereits aus dem Kampf um die Meisterschaft verabschiedet?

Titel-Bild zur News: Valentino Rossi

Valentino Rossi hatte keine passenden Antworten für das Scheitern in Österreich Zoom

Liebe Leser,

die MotoGP hört einfach nicht auf, Rennsport auf allerhöchstem Niveau abzuliefern. Beim diesjährigen Österreich-Grand-Prix begeisterte die Königsklasse des Motorradsports mit packenden Duellen und ungefilterten Emotionen. Während andere Rennserien ihre Schlagzeilen mit Themen wie Herstellerausstiegen, Diskussionen über Teamorder oder Entscheidungen am grünen Tisch machen, fasziniert die MotoGP mit echtem Sport. Ich rätsle beinahe nach jedem Rennen, was beim kommenden Grand Prix passieren muss, um diese Superlativ-Dauerschleife fortzuführen. Doch Vorhersehbarkeit ist nichts, was sich das MotoGP-Drehbuch nachsagen lassen muss.

Inmitten der malerischen Kulisse des Red-Bull-Rings in Spielberg demonstrierten die MotoGP-Protagonisten ein weiteres Mal ihre Klasse und bescherten den Fans auf den sehr gut gefüllten Tribünen Motorsport wie aus dem Bilderbuch. Wie im Märchen. Es steht außer Zweifel, dass sich die Königsklasse des Zweiradsports momentan in einer goldenen Ära befindet. Und das sollten wir uns stets vor Augen führen.

Es ist nicht allzu lange her, als die Macher große Probleme hatten, genug konkurrenzfähige Starter aufzutreiben. An der Spitze fuhren die Ausnahmekönner Jorge Lorenzo, Casey Stoner oder Dani Pedrosa einsame Rennen und machten die Podestplätze unter sich aus. Für sich betrachtet zeigten sie geniale Leistungen, doch die Show war am Boden.

Die MotoGP hat sich rehabilitiert. Marc Marquez brachte 2013 frischen Wind in die Serie und ist der krasse Gegenentwurf zu Vorgänger Casey Stoner. Fahrerisch sind beide von einem anderen Stern, doch die Art und Weise, wie Erfolge zustande kommen, könnte unterschiedlicher nicht sein. Und auch der Aufschwung von Ducati tut der MotoGP gut, die von 2011 bis 2015 von Honda und Yamaha dominiert wurde. Doch wo Sieger sind, da gibt es auch Verlierer. Und das bringt mich zum Thema dieser Kolumne.


MotoGP in Spielberg

Honda und Ducati jubeln, Yamaha rätselt

Im Yamaha-Lager dürften nach der Pleite in Österreich die Köpfe rauchen. Erneut verloren Maverick Vinales und Valentino Rossi wichtige Punkte auf Weltmeister Marc Marquez. Nach wenigen Runden mussten sich die beiden WM-Kandidaten darauf konzentrieren, Schadensbegrenzung zu betreiben. Doch es ist nicht der Punkteverlust, der die Yamaha-Verantwortlichen frustriert. Das Problem ist, dass Yamaha die Antworten für die wiederholt schwache Vorstellung fehlen. Die M1 wurde vor dem Saisonstart als Motorrad mit dem besten Paket eingestuft. Davon ist man momentan weit entfernt.

Maverick Vinales

Schadensbegrenzung: Maverick Vinales und Valentino Rossi fahren hinterher Zoom

Meiner Meinung nach verdeutlichte der Grand Prix in Spielberg wie kein zweites Rennen in der laufenden Saison, wie sich die Motorräder von 2016 zu 2017 verändert haben. Kurz zusammengefasst: Ducati büßte durch das Winglet-Verbot ein und kämpfte mit der Balance der Desmosedici, konnte sich dank der Aero-Verkleidung aber etwas zurückholen. Honda machte dank des Wechsels zum Big-Bang-Motor und der besser abgestimmten Elektronik enorme Fortschritte bei der Beschleunigung. Und Yamaha hat mit der 2017er-Maschine ein gewaltiges Problem: Das Motorrad frisst bei hohen Temperaturen die Hinterreifen.

Vinales kapituliert, Rossi bemüht sich um Souveränität

Vinales gestand in Österreich, dass er bei der Entwicklung bereits den Faden verloren hat. Zu viele Chassis-Varianten, zu viele unterschiedliche Komponenten, zu viel Verwirrung. Auf Detailverbesserungen, wie die neue Carbon-Gabel von Öhlins, verzichtete der junge Spanier in Österreich freiwillig, um sich nicht auf noch mehr Variablen einzulassen.

Valentino Rossi

Hat Yamaha bei der Entwicklung der M1 entscheidende Fehler gemacht? Zoom

Routinier Rossi möchte nach außen souverän wirken, doch dass mit der 2017er-Yamaha etwas Grundlegendes nicht stimmt, kann der Italiener nicht verbergen. Die M1 hat weder den mechanischen Grip der Konkurrenz, noch kann Yamaha die Elektronik so feinfühlig abstimmen, wie es die Ingenieure von Ducati und Honda momentan können.

Der Rossi-Faktor in Gefahr?

Ich würde soweit gehen und behaupten, dass Rossi die WM bereits verloren hat. Klar, die Startnummer 46 hat schon größere Rückstände aufgeholt, aber momentan fehlen die Anzeichen für bevorstehende Erfolge. Die Kombination aus der Honda RC213V und Weltmeister Marquez ist langfristig schwer zu schlagen. Der Titelverteidiger ist bei den unterschiedlichen Bedingungen konstanter als Rossi, der momentan mit stumpfen Waffen kämpft.

Valentino Rossi

Ungebremster Fankult: Gelb dominiert seit vielen Jahren die MotoGP-Tribünen Zoom

Der gestrige Grand Prix hielt für mich eine weitere Erkenntnis bereit. Es wird ja allgemein behauptet, die MotoGP wäre nur so erfolgreich, weil Rossi die Massen begeistert. Dem stimme ich teilweise zu. Schaut man auf die Tribünen und die Schlangen vor den Merchandise-Ständen, dann bestehen keine Zweifel an dieser Theorie. Doch beim elften Grand Prix der MotoGP-Saison 2017 kam die MotoGP ganz gut ohne den Liebling der Fans aus, finde ich.

Wer hat sich während der letzten Runde Gedanken gemacht, wo Rossi fährt? Der siebte Platz war nach dem heißen Duell zwischen Andrea Dovizioso und Marc Marquez bestenfalls eine Randnotiz. Wenn die MotoGP so weiter macht, dann wird der zukünftige Erfolg der Serie nicht von den Zukunftsplänen eines Fahrers abhängen, der seine Karriere eines Tages mit neun gewonnenen WM-Titeln beenden wird. Vielleicht liege ich auch völlig falsch, denn Vorhersehbarkeit war ja nicht die Stärke der MotoGP.


Fotos: Der "Diablo"-Helm von Jorge Lorenzo


Wer sonst noch schlecht geschlafen hat

Bradley Smith: Ja, der Brite war seit seinem MotoGP-Debüt in der Saison 2013 umstritten. Aber dank der soliden Leistungen in seinem dritten Jahr rechtfertigte er seinen Platz in der Serie und bekam bei KTM eine vielversprechende Chance. Doch bisher enttäuschte Smith und stand regelmäßig im Schatten von Teamkollege Pol Espargaro. Beim KTM-Heimspiel wurde er von Testpilot Mika Kallio gnadenlos blamiert. Ich kann mir vorstellen, dass KTM bereits für 2018 nach Alternativen sucht, obwohl es einen bestehenden Vertrag gibt. Wie aussagekräftig Verträge sind, kann sich Smith vor dem Heimrennen in Silverstone von Landsmann Sam Lowes erklären lassen.

Ihr,

Sebastian Fränzschky