• 01.03.2012 21:50

Barrichello: "Das ist der richtige Moment zum Wechseln"

Rubens Barrichello spricht im Interview über seine Beweggründe für den IndyCar-Wechsel - neues Auto, alle fangen bei Null an und auch die Ehefrau spielt mit...

(Motorsport-Total.com) - In den USA wird dieser Wechsel bereits mit der Saison 1993 verglichen, als Nigel Mansell zu den IndyCars ging. Nun ist Rubens Barrichello an der Reihe, der den IndyCars sicherlich eine vermehrte Aufmerksamkeit bescheren wird - nicht nur in Brasilien. In einem ausführlichen Interview äußerte sich der 39-Jährige zu den Hintergründen seines Wechsels, bei denen nicht nur Langzeitkumpel Tony Kanaan eine Rolle spielte.

Titel-Bild zur News: Rubens Barrichello

Rubens Barrichello gibt ab sofort bei den IndyCars Vollgas

Frage: "Rubens, zunächst einmal eine Gratulation für die heutige Bekanntgabe. Was hat dich dazu bewogen, bei den IndyCars und für KV Racing zu fahren?"
Rubens Barrichello: "Zunächst einmal möchte ich festhalten, wie sehr ich mich freue. Als ich vor etwa einem Monat nach Sebring zu einem Test eingeladen wurde, hatte ich keinerlei Erwartungen. Es war einfach nur ein Test. Mein Bruder Tony hat mich eingeladen und ich wurde wirklich fantastisch empfangen. Ich fühlte mich von Beginn an zuhause. Auch das Auto war angenehm, ich erzielte gute Zeiten und ab diesem Zeitpunkt habe ich von Jimmy und Kevin (Vasser und Kalkhoven; Anm. d. Red.) die Einladung bekommen, ein Teil des Teams zu werden."

"Ganz ehrlich wollte ich das von Anfang an machen. Ich liebe meinen Job, ich liebe den Rennsport und den Speed und hinter dem Lenkrad fühle ich mich zuhause. Plus natürlich die Vorstellung, zusammen mit meinem Bruder Tony, der das Team in der vergangenen Saison auf ein ganz neues Level gehoben hat, zu fahren und das Team noch einmal eine Stufe nach oben zu befördern. Ich liebe diese Herausforderung und ich hoffe, dass alles auch genau so passieren wird."

Frage: "Du kennst diese Autos nicht, wohl aber das Weiterentwickeln eines Autos. Was kannst du dem Team im Hinblick auf den neuen DW12 bringen?"
Barrichello: "Es ist sicher der richtige Moment, um in diese Serie einzusteigen. Sie haben ein neues Auto mit Karbonbremsen, die ich in den vergangenen 19 Jahren gut kennen gelernt habe. Jeder muss das neue Auto jetzt lernen, also ist das sicher gut für mich. Ich glaube auch nicht, dass ich aufgrund meiner Erfahrung von Null starten muss."

"Der erste Plan war es, in Sebring dem Team zu helfen. Nach 20 Runden habe ich gute Zeiten erzielt und von da an ging es weiter. Wir haben ein paar Dinge besprochen und das hat dem Team schon weitergeholfen. Ich glaube schon, dass ich eine Hilfe sein kann und das wäre ich auch sehr gerne. Wenn du deinen Job liebst und offen bist, dann wirst du auch immer nach neuen Dingen suchen. Ich freue mich also darauf, mit meinem neuen Team intensiv zusammen zu arbeiten und ich hoffe, dass meine Erfahrung dabei hilft, dieses neue Level zu erreichen."

Von Tony Kanaan abschauen...

Frage: "Als Nigel Mansell nach seinem Formel-1-Titel hierher kam, war er 40 Jahre alt. Er hatte keine Ahnung von den Ovalen, baute in Phoenix einen fürchterlichen Unfall, nur um in den folgenden zwei Jahren fünf Ovalrennen zu gewinnen. Kannst du ein für alle Mal aufklären, worum es bei den ganzen Geschichten um deine Ehefrau und die Ovale eigentlich ging? Was war passiert, was hast du erzählt und wie sehr musstest du jetzt in Bezug auf die Ovale lügen?"
Barrichello: "Ganz ehrlich: Eines Tages haben wir gemeinsam ein Ovalrennen angeschaut und da gab es einen Crash. Sie hat mich angesehen und mir gesagt, dass sie hofft, ich würde niemals in meinem Leben ein Ovalrennen fahren. Ich habe ihr gesagt, dass ich das nicht plane, weil ich darauf gehofft habe, mein ganzes Leben lang Formel 1 fahren zu können. Solange bis ich in Rente gehe. Aber immer, wenn die Rede auf Indy kam, dann hatte ich es schon im Hinterkopf, diese Herausforderung einmal kennen zu lernen. Also was einem Piloten bei solchen Speeds durch den Kopf geht. Trotz all meiner Erfahrung habe ich keine Ahnung, wie man ein Auto für die Ovale abstimmen muss. Aber ich habe ja Tony. Er hat mir schon immer erzählt, was und wie man es machen muss."

Rubens Barrichello

Tony Kanaan und Rubens Barrichello: Ein starkes KV-Gespann Zoom

"Beim Thema Ehefrau waren mir die Kinder (Eduardo und Fernando; Anm. d. Red.) eine große Hilfe. Sie wollten ihren Papa auf einem Oval fahren sehen. Wir haben herum gealbert und als es eines Tages soweit war, habe ich die beiden gebrieft. Ich habe Eduardo gesagt, dass er Mama fragen soll, ob es wirklich wahr ist, dass sie nicht will, wenn ich auf den Ovalen fahre. Dann hat sie nur gesagt, dass es ihr lieber wäre, wenn ich auf normalen Kursen fahren würde. Das war für uns drei die Freigabe, denn Mama hat uns die Sache nicht verboten. Es war lustig, aber sie weiß auch, wie glücklich ich bin. Sie kann es in meinen Augen sehen, also freut sie sich für mich."

Frage: "Du kennst jetzt ein wenig vom IndyCar-Racing. Sollten deiner Meinung nach mehr Formel-1-Piloten das US-Racing in Betracht ziehen, anstelle immer nur nach den Sportwagen oder der DTM Ausschau zu halten?"
Barrichello: "Die IndyCars sind eigentlich nichts, was ausschließlich nach einer Formel-1-Karriere kommen sollte. Es ist eine großartige Serie und jeder sollte das einmal ausprobieren. Ich hatte immer den Eindruck, dass die Autos Spaß machen und ich war neugierig. Viele Piloten kommen hierher, um Ovale zu fahren und die IndyCars kennen zu lernen. Es ist auch eine starke Serie, insofern wäre es falsch, wenn man sagt, dass man das nur nach der Formel 1 machen kann. Montoya hat es zum Beispiel umgekehrt gemacht."

Frage: "Du bist in deiner Karriere in vielen berühmten Rennen an berühmten Orten gefahren. Jetzt kommt das Indy 500, eines der größten Rennen der Welt. Was bedeutet das für dich?"
Barrichello: "Es ist spannend. Ich war 1993 zum ersten Mal dort, als ich gerade meine erste Formel-1-Saison fuhr. Später konnte ich in Indianapolis Formel-1-Rennen fahren, aber das war nicht einmal annähernd das, was beim Indy 500 los ist. In der Formel 1 kamen 60.000 Leute, beim Indy 500 sind es 600.000. Ich freue mich sehr auf diese Herausforderung und ich hoffe, dass ich mir viel von Tony abschauen kann. Für mich ist er der König der Ovale. Ich möchte alles von ihm lernen."

Ein paar Siege sollten es schon sein

Frage: "Wie schätzt du deine Ziele für die Saison ein? Besonders viel Vorsprung mit dem neuen Auto hat niemand..."
Barrichello: "Ich möchte schon realistisch bleiben. Wie gesagt: Aufgrund meiner Erfahrung starte ich nicht bei Null. Aber zum Beispiel in Sonoma habe ich nach der Ausfahrt aus der Box meinen Motor gleich in den Limiter gejagt, denn im Kopf saß ich immer noch in einem Formel-1-Cockpit. Nach diesen paar Tests in Tonys Auto ist das Ganze für mich noch nicht natürlich. Ich werde noch zwei Testtage in Sebring und einen in Barber bekommen. Ich weiß nicht, ob ich dann sehr gut vorbereitet in mein erstes Rennen gehen werde. Aber ich verspreche, dass ich bis zum Limit pushen werde. Ich werde Tony und Ernesto helfen und alles geben. Ob das dann zum Sieg reichen wird, müssen wir abwarten. Aber das wäre zumindest unser Wunsch."

Rubens Barrichello

Rubens Barrichello und ein erstes Bild seines neuen IndyCars Zoom

Frage: "Wie ist dein erster Eindruck vom Auto? Was hat dich überrascht?"
Barrichello: "Zuerst hat es mich überrascht, dass es keine Reifenwärmer gibt. Beim Fahren musst du deine Technik daran anpassen, Tony kann das sehr gut. Bei ihm sieht es so aus, als hätte er immer neue Reifen drauf. Ich dagegen habe mich beinahe gedreht. Das war schon neu."

"Das Getriebe ist gut, der Motor angenehm und fahrbar. Die Bremsen sind okay, weil ich mein ganzes Leben lang mit Karbonbremsen gefahren bin. Mehr ist es eigentlich gar nicht. Vielleicht ist die Lenkung ein wenig schwergängiger, aber daran kann man sich gewöhnen. Ansonsten gibt dir das Auto ein gutes Feedback in schnellen Kurven und auch eine Stabilität beim Anbremsen. Es ist einfach ein neues Auto und ich brauche schon noch etwas Zeit darin. Aber es macht Spaß."

Frage: "Was hast du persönlich für ein Gefühl?"
Barrichello: "Ich freue mich unglaublich. Ich bin von allen Seiten sehr nett empfangen worden. In Sonoma waren 1.500 Menschen bei den Tests und alle waren gut drauf. Am 23. Mai, also kurz vor dem Indy 500, werde ich 40 Jahre alt und ich könnte mich nicht glücklicher fühlen. Nach so vielen Jahren im Rennsport habe ich nun eine neue Chance bekommen und ich fühle noch eine Menge Speed in mir. Ich bin im tiefsten Inneren meines Herzens richtig glücklich."

Frage: "Mario Andretti hat ein IndyCar-Rennen gewonnen, als er schon über 50 Jahre alt war. Bobby Unser war knapp 50, Dario Franchitti ist fast 40 Jahre alt und hat drei Titel in Serie geholt. Warum hast du trotz all deiner Erfolge immer noch diesen Drive, diesen Willen?"
Barrichello: "Als ich in meinem dritten oder vierten Formel-1-Jahr war, hätte ich mir nie vorstellen können, so lange zu fahren. Ich habe gesehen, wie Nigel Mansell F1 gefahren ist, zu den IndyCars wechselte und wieder zurückkam. Es sind einfach Leute, die das lieben, was sie tun und ich bin einer davon. Dafür danke ich dem lieben Gott jeden Tag."

"Natürlich könnte ich verschiedene Dinge machen, aber ich weiß, dass ich immer noch gut fahren kann. Nun werde ich mit fast 40 Jahren ein IndyCar-Pilot und es geht mir körperlich immer noch sehr gut. Ich glaube nicht, dass ich die Spitze meiner Leistungen schon erreicht habe. Das hier ist eine tolle Chance für mich und ich freue mich ungemein."

Indy nicht mit der Formel 1 vergleichen

Frage: "Kannst du nach dieser kurzen Zeit dein neues Team zum Beispiel mit Ferrari vergleichen? Und weißt du, dass vor einem Jahr beinahe ein Rookie das Indy 500 gewonnen hat? Denkst du darüber nach, dieses Rennen sofort gewinnen zu können?"
Barrichello: "Danke für diese Frage. Ich habe keinerlei Absichten, Teams zu vergleichen oder die Formel 1 mit Indy zu vergleichen. Das wäre unfair. Alles hat seine positiven Seiten. Was ich sagen kann: Ich habe mich von der ersten Minute an zuhause gefühlt. Es ist wie eine riesige Familie, die alle intensiv zusammen arbeiten. Ein guter Haufen von Ingenieuren und Technikern, die dir alle helfen wollen. Ich hatte ich all den Tagen kein einziges Problem. Nicht einmal mit der Frage, wie ich an welchen Ort kommen, weil Tony mir dabei geholfen hat."

Rubens Barrichello

Rubens Barrichello und sein letztes Siegerjahr 2009 im Brawn GP Zoom

"Ob ich auf Anhieb in Indy gewinnen kann? Das weiß niemand. Klar war es ein Rookie (J.R. Hildebrand; Anm. d. Red.), aber er war zuvor schon auf ein paar Ovalen. Er war also ein wenig besser vorbereitet als ich. Mir wurde gerade erzählt, dass meine erste Ovalerfahrung in Texas stattfinden wird. Also noch vor Indy, denn ich werde in Texas meinen Rookietest absolvieren. Mit gefällt die Idee, wieder ein Rookie zu sein. Das macht mich jung und ich genieße das."

Frage: "Wie wirst du mit den Fans umgehen, die im Vergleich zur Formel 1 bei den IndyCars viel dichter am Geschehen dran sein können? Als Formel-1-Pilot bist du ja an eine gewisse Isolation gewöhnt..."
Barrichello: "So etwas gefällt mir gut. Ich habe die Nähe gerne. Ich habe mich immer bemüht, meinen Fans auf der ganzen Welt so nahe wie möglich zu sein. Zum Beispiel habe ich auf 'Twitter' 1,5 Millionen Follower. Natürlich kommen die meisten aus Brasilien, aber ich hoffe auch darauf, dass es immer mehr Amerikaner werden. Was natürlich auch für Tony, KV oder Jimmy Vasser gilt. Ich hoffe, dass wir alle sehr viele neue Follower bekommen. Ich habe zu meinen Fans eine tolle Beziehung."

"In Sonoma waren es 1.500 Menschen und alles war prima organisiert. Alle blieben dort, wo sie sein durften und nach dem Test hat man mich auf ein Podium gebracht, wo ich Fragen beantwortet habe. Das war fantastisch, denn so etwas zeichnet eine gute Serie aus. Jeder kann dahin gehen, seinen Fahrer sehen, seine Kappe tragen und ihm zuhören. So sollte es immer sein."

Frage: "In den vergangenen Jahren warst du immer in einer Position, wo du wusstest, dass du aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gewinnen werden kannst. Wie wichtig ist es für dich, dass es ab sofort etwas ausgeglichener und chancengleicher zugehen wird?"
Barrichello: "Jeder weiß, dass ich um einen Platz bei Williams gekämpft habe. Keiner weiß, ob das Auto gut oder nicht gut wird, aber ich wollte unbedingt weiter Rennen fahren. Als ich davon hörte, dass ich draußen bin, war ich natürlich enttäuscht. Aber das hat nur zwei Stunden gedauert und dann hat mich Tony zu dem Test eingeladen. Da dämmerte es mir, dass ich das, was ich am Liebsten mache, vielleicht auch in Zukunft machen kann: Rennen fahren."

"Bei den IndyCars geben dir die Regeln eine Chance, die Autos sind sehr ähnlich und der Fahrer kann den Unterschied machen. Das ist für mich schon eine Chance. Die letzte Saison, in der ich ein richtig starkes Auto hatte, war 2009 im Brawn. Da habe ich Rennen gewonnen und ich bin sehr froh, dass ich nun wieder in einem starken Auto sitze. Zumindest haben Jimmy und Kevin mir das versprochen. Also werde ich Gas geben."