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  • 17.12.2014 12:33

  • von Ben Anderson (Haymarket)

Räikkönen und sein annus horribilis

Ganz egal, wie man es auch dreht und wendet: Es ist sehr schwierig, aus Kimi Räikkönens erstem Jahr nach seiner Ferrari-Rückkehr positive Aspekte zu ziehen

(Motorsport-Total.com) - Unabhängig davon, welchen Maßstab man ansetzt, muss die Formel-1-Saison 2014 wohl als die schlimmste in der Karriere von Kimi Räikkönen bezeichnet werden. Statistisch gesehen ist das sogar unbestreitbar der Fall. Der Weltmeister von 2007 wurde regelmäßig von seinem Ferrari-Teamkollegen Fernando Alonso geschlagen. Der Spanier qualifizierte sich nicht nur oft vor Räikkönen, er schaffte das meistens sogar mit einem großen Vorsprung.

Titel-Bild zur News: Kimi Räikkönen

Kimi Räikkönen erlebte 2014 das wohl schwierigste Jahr seiner Karriere Zoom

Er sammelte 106 Punkte mehr als sein finnischer Teamkollege und beendete die Saison in der Weltmeisterschaft sechs Plätze vor Räikkönen - die größte Lücke zwischen zwei Teamkollegen im gesamten Fahrerfeld. Seit seiner Rookie-Saison in der Formel 1 im Jahr 2001 hatte Räikkönen nicht mehr so schlecht abgeschnitten. In diesem Jahr konnte er erstmals seit seiner ersten Saison keinen einzigen Podiumsplatz verbuchen.

Wenn man das aktuelle Punktesystem auf seine Ergebnisse der angesprochenen Saison bei Sauber anwenden würde, dann hätte er sogar elf Zähler mehr gesammelt als in diesem Jahr. Soweit es die nackten Zahlen betrifft, war 2014 ohne Frage Räikkönens persönliches annus horribilis als Formel-1-Pilot. Die Scuderia hatte sich viel mehr erwartet, als Räikkönen im vergangenen Herbst erneut verpflichtet wurde.

Fairerweise muss allerdings erwähnt werden, dass das Team wusste, was es bekommen würde. Schließlich hatte man ihn in seiner letzten Amtszeit dafür bezahlt, in den letzten beides Jahren seines Vertrages nicht mehr zu fahren - damit Alonso den Platz neben Felipe Massa einnehmen konnte. Doch selbst wenn Ferrari erwartet hatte, dass Alonso sich über die gesamte Saison gesehen durchsetzen würde: Man hatte ganz sicher vermutet, dass Räikkönen viel näher am Spanier dran sein würde.

"Wenn dir in einer Kurve ein bisschen fehlt, dann fehlt dir auf der folgenden Geraden eine ganze Menge Geschwindigkeit." Kimi Räikkönen

Neues Futter für die Kritiker

Vielleicht hatten Räikkönens starke Leistungen für Lotus nach seiner Rückkehr in den Sport im Jahr 2012 Ferraris Entscheidung begünstigt. Der Rallyeunfall von Robert Kubica, und das damit verbundene Ende seiner Formel-1-Karriere, hatte Räikkönen die Möglichkeit gegeben, seine eigene Karriere wiederaufzunehmen. Starke Resultate in Enstone sorgten dafür, dass Räikkönen seine Reputation als einer der effektivsten Piloten in diesem Sport zurückgewann.

Doch die Kritiker, die den Finnen 2009 abgeschrieben hatten, als er bis zu dessen Unfall in Ungarn klar im Schatten von Felipe Massa gestanden hatte, werden sich von den Ergebnissen dieser Saison bestätigt fühlen. Auf die Zuschauer auf der ganzen Welt wirkte Räikkönen wie eine schlechte Imitation des Fahrers, der 2007 die Weltmeisterschaft gewonnen hatte und ohne die Unzuverlässigkeit des McLaren-Mercedes, den er vor seiner ersten Zeit bei Ferrari fuhr, noch mehr Titel hätte holen können.

Fernando Alonso, Kimi Räikkönen

Fernando Alonso konnte Kimi Räikkönen regelmäßig hinter sich lassen Zoom

Doch warum ist der "Iceman" in der kompetitiven Hitze der diesjährigen Formel-1-Saison sprichwörtlich geschmolzen? Es bestehen keine Zweifel daran, dass der F14 T nicht zu den besten Formel-1-Autos gehört, die Ferrari je gebaut hat. Doch Alonso hat sich damit trotzdem zu Plätzen auf dem Podium gequält und schnupperte in Ungarn sogar am Sieg. Räikkönen kam diesen Platzierungen nicht einmal nahe.

Räikkönens Kampf mit dem Auto

Räikkönen gibt zu, dass er in der gesamten Saison Probleme damit hatte, das Auto seinen Ansprüchen anzupassen. Immer wieder beschwerte er sich vor allem über das Verhalten des Autos an der Front. Räikkönen reagiert sehr sensibel auf Untersteuern. Er hasst ein Auto, das sich nicht so lenken lässt, wie er das möchte. Er sagt, dass das schon immer so war, seit er mit dem Rennfahren begonnen hat.

"Seit den Go-Karts hat es mir nie gefallen, wenn die Front nicht scharf lenkt. Mein Fahrstil ist es, den Speed mit in die Kurven zu nehmen und ihn bis in die Kurvenmitte zu halten", erklärt Räikkönen und ergänzt: "Ich bin einfach daran gewöhnt, die Dinge so zu erledigen. Natürlich ändert sich das jedes Jahr mit jedem Auto ein bisschen, aber ich denke, dass es noch immer der schnellste Weg ist - falls das Auto so funktioniert, wie du das möchtest."

"Es ist etwas, das dem Auto momentan einfach fehlt. Und wenn du das Auto nicht dahin bringen kannst, wo du es haben möchtest, und wenn du nicht dort bremsen kannst, wo du möchtest, weil es blockiert oder rutscht, dann wird die Front zu einem Ratespiel. Wenn dir in einer Kurve ein bisschen fehlt, dann fehlt dir auf der folgenden Geraden eine ganze Menge Geschwindigkeit."


Ferrari-Weihnachtsfeier

"Es klingt nach einem kleinen Detail, aber wenn du auf einer Runde in jeder Kurve raten musst, dann ist das ein großes Defizit. Für einen Großteil (dieser Saison; Anm. d. Red.) war das der Fall und es war ziemlich schwierig. Der Zeitunterschied ist dann ziemlich groß", sagt Räikkönen und ergänzt: "Das Heck hat sich verbessert. Die Front ist mein Problem und ich denke, das limitiert mich. Schnelle Kurven, langsame Kurven - es ist überall die gleiche Geschichte, also schränkt mich das während der gesamten Runde ein."

Alonso hatte es leichter

Gelegentlich, so zum Beispiel in Spanien, Singapur und Brasilien, konnte Räikkönen im Qualifying augenscheinlich mit Alonso mithalten. Doch viel öfter war der Unterschied zwischen den beiden massiv. Über alle 19 Grands Prix gesehen war die Lücke zwischen den beiden an einem Samstag durchschnittlich größer als zwischen allen anderen Teamkollegen in der Startaufstellung.

Die Formel-1-Autos haben sich in diesem Jahr enorm verändert: Verglichen mit denen, die Räikkönen nach seinem Formel-1-Comeback bei Lotus gefahren war, haben sie weniger Abtrieb, härtere Reifen, ein neues Bremssystem und komplett andere Motoren. Ferraris Technischer Direktor James Allison, der mit Räikkönen auch schon in Enstone gearbeitet hatte, erklärt, dass die Eigenheiten des Fahrstils des Finnen nicht gut zu der jüngsten Generation der Formel-1-Autos passen.

"Kimis Stil ist ziemlich hart zu den Vorderreifen und eher sanft zu den Hinterreifen", erklärt Allison: "Wenn man bedenkt, dass das Limit der Formel-1-Autos generell eher hinten liegt, dann war das in der Vergangenheit Kimis Trumpfkarte. Damit Kimi diesen Vorteil nutzen kann, braucht er allerdings eine Kombination aus Auto und Reifen, die es im erlaubt, die Front-Achse sehr hart zu bewegen."


Fotostrecke: Fotostrecke: Alle Ferrari-Rennleiter in der Formel 1 seit 1950

"Fernando und Kimi sind beide Weltmeister und extrem schnelle Fahrer. Wenn man Kimi ein Auto gibt, mit dem er arbeiten kann, dann ist es schwierig, auch nur ein Zigarettenpapier zwischen sie zu schieben", vermutet Allison: "Am Anfang fühlte sich Fernando vom Auto hauptsächlich hinten limitiert und Kimi vorne. Das liegt daran, dass Fernando am Kurveneingang vergleichsweise weniger arbeitet, dafür aber mehr am Ausgang, um seine Pace zu erreichen."

F14 T nicht konkurrenzfähig

Allison gesteht, dass Räikkönens Probleme dadurch verschärft wurden, dass Ferrari in der ersten Saison der neuen V6-Hybrid-Turbo-Ära kein konkurrenzfähiges Auto produzieren konnte: "Die 2014er Autos sind grundsätzlich knifflig. Darüber hinaus war der F14 T kein einfacher Wagen. Wir haben uns während der Saison beachtlich gesteigert, aber uns fehlt noch immer Abtrieb und Leistung. Außerdem hat das Auto gewisse Charakteristiken, die etwas unberechenbar sind."

"Kimi hat sein ganzes Leben damit verbracht, Rennautos zu fahren, mit denen er seine Fähigkeiten am Kurveneingang ausspielen kann. Dadurch konnte er am Ausgang sanft zu den Hinterreifen sein. Das kann während einer Saison ein echter Vorteil sein. Unsere Herausforderung besteht darin, ein Auto zu bauen, das es Kimi erlaubt, sein Talent auch auszuspielen."

Ferraris Chefingenieur Pat Fry, der Räikkönen sehr gut aus der gemeinsamen McLaren-Zeit kennt, unterstützt Allisons Ansicht. Fry glaubt, dass die härteren Pirelli-Reifen, die in diesem Jahr verwendet wurden, die Probleme des Finnen verstärkt haben: "Kimi hat vorne viel mehr Schwierigkeiten als Fernando. Zu dem Zeitpunkt, wenn die Front dann passt, wird das Heck zu einem Problem."

"Auf der weicheren Mischung sieht es zu einem gewissen Grad gar nicht schlecht aus. Schaut euch Singapur an: Als er auf den superweichen Reifen unterwegs war, hat er eine Menge Zeit gefunden", sagt Fry und ergänzt: "Für ihn ist es eine Herausforderung, die Reifen zum Funktionieren zu bringen. Es ist immer wieder ein Kampf, sie zu verstehen."

"Unsere Herausforderung besteht darin, ein Auto zu bauen, das es Kimi erlaubt, sein Talent auszuspielen." James Allison

Räikkönen zu sensibel?

"Eine Menge Fahrer sprechen von der Herausforderung dieser Reifen. Du sparst Sprit und verlierst Temperatur und kannst keine Balance finden. Dann pushst du und sie ist wieder da. Je härter du vorne bist, desto besser bist du", erklärt Fry und ergänzt: "Fernandos Fahrstil passt zu diesen Reifen. Außerdem kann er Probleme umfahren und sich anpassen. Kimi ist sensibler was die Front angeht."

"Das war bei McLaren genauso. Ich erinnere mich an eine Saison, in der wir am Ende sieben unterschiedliche Einstellungen für die Vorderradaufhängung des Autos hatten", so Fry. In diesem Jahr probierte Ferrari verschiedene Set-ups an Räikkönens Wagen aus, jedoch ohne großen Erfolg. Allerdings gab es beim vorletzten Rennen in Brasilien Anzeichen für einen Fortschritt. Dort war er auf den weichen und Meidum-Reifen konkurrenzfähig und der einzige Pilot, der es mit nur zwei Boxenstopps ins Ziel schaffte.

Die Kritiker werden argumentieren, dass die besten Piloten sich an die gegebenen Bedingungen anpassen können sollten. Wenn Räikkönen zu dieser Gruppe gehört, dann sollte er seine Technik anpassen können, um mehr aus dem Auto herauszuholen. Der Finne stimmt jedoch nicht zu und erklärt, dass er viel effektiver wäre, wenn das Auto so gestaltet werden könnte, dass es zu ihm passt.


Fotostrecke: Alle Formel-1-Weltmeister von Ferrari

"Ich bin schon einige Jahre in der Formel 1 und habe ihn (den Fahrstil) nie verändert und werde ihn nie verändern. Das wäre nicht der richtige Weg, die Probleme anzugehen", sagt der Finne und ergänzt: "Es ist eine Kombination aus mehreren Sachen. Im vergangenen Jahr hatten wir zu Beginn Bremsprobleme und Schwierigkeiten mit den Vorderreifen. Dann haben sie die Reifen geändert und darüber war ich nicht so glücklich, denn ich bevorzugte die Reifen, die wir zu Beginn des Jahres hatten."

"Eine Kombination von mehreren Dingen"

"Es war eine Kombination aus mehreren Dingen und manchmal gibt es einfach Limitierungen. Wir hatten (in diesem Jahr) Probleme in einem Bereich, in dem es schwierig ist", erklärt der Finne. Durch Alonsos Wechsel zu McLaren in der kommenden Saison konnte sich für Räikkönen die Chance ergeben, in Maranello eine höhere Priorität zu genießen.

Auch die Tatsache, dass der viermalige Weltmeister Sebastian Vettel sein neuer Teamkollege werden wird, könnte sich als gute Nachricht herausstellen, da die beiden abseits der Strecke gut miteinander auskommen und ähnliche Fahrstile zu haben scheinen. Ferrari für seinen Teil wird Räikkönen nicht darum bitten, seinen Stil zu ändern. Sie glauben noch immer, dass er zu solchen Leistungen in der Lage ist, wie er sie in seinen frühen Jahren bei McLaren gezeigt hat.

Fry erklärt, dass es nun an den Ingenieuren liegt, das Auto so zum Funktionieren zu bringen, dass es Räikkönen gefällt: "Wir müssen noch immer einen besseren Weg finden, einen besseren Kompromiss für ihn einzugehen. Ich denke, dass er noch immer so wie früher fahren kann. Damit er uns das Beste gibt, müssen wir ihm das Auto dazu geben." Viele werden es trotzdem schwierig finden, Räikkönen nach so einer harten Saison noch einmal eine Chance zu geben.


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Im nächsten Jahr wird es ganz sicher nicht mehr viel Raum für Fehler geben. Räikkönens Vertrag mit der Scuderia läuft noch ein Jahr. Wenn er auch über 2015 hinaus in der Formel 1 bleiben möchte, dann wird er sich sehr viel besser schlagen müssen, als er es in diesem Jahr getan hat. Es ist an der Zeit, dass er so antwortet wie der Champion, der er ist.

"Ich werde meinen Fahrstil nie verändern." Kimi Räikkönen