• 24.05.2013 18:41

  • von Dieter Rencken

Claire Williams: Die Tochter des Generals

Eigentlich wollte Frank Williams seine Familie immer aus seinem Team raushalten, doch bei Tochter Claire hat das nicht funktioniert: Sie soll sein Erbe antreten

(Motorsport-Total.com) - Seit dieser Saison gibt es nicht nur Monisha Kaltenborn, die als Frau die Geschicke eines Teams leitet, auch bei Williams ist nun eine Frau an der Spitze - oder eben fast. Claire Williams, Tochter von Teamgründer und "Rollstuhlgeneral" Frank Williams, wurde zur stellvertretenden Teamchefin ernannt und geht ihrem Vater so gut es geht zur Hand. Welche Aufgaben sie dabei bekleidet, welche Opfer sie für ihr Leben in der Formel 1 bringen muss, und wie es mit dem Team weitergehen soll, erzählt die 36-Jährige im ausführlichen Interview mit 'Motorsport-Total.com'.

Titel-Bild zur News: Claire Williams

Nachdenklicher Blick: Claire Williams möchte das Team wieder an die Spitze führen Zoom

Frage: "Claire, du bist seit dieser Saison stellvertretende Teamchefin bei Williams. Bist du nur für bestimmte Bereiche zuständig, oder wie muss man sich die Aufgabenteilung zwischen dir und deinem Vater vorstellen?"
Claire Williams: "Wir arbeiten zusammen. Es kommt darauf an, was es ist. Es ist schwierig zu erklären, weil die Grenzen nicht so deutlich sind - sie sind verschwommen. Es ist nicht der Fall, wenn beispielsweise Franks Mutter stirbt, dass ich dann Vertreter oder Teamchef bin. Es gibt kein 'Du machst Expertenmeetings' oder 'Ich mache X, Y und Z'. Wann immer etwas auftritt, wird Frank mich darum bitten, dass ich tue, was ich tue. Ich schätze, vielleicht ist eine assistenzähnliche Rolle besser ausgedrückt."

Frage: "Aber mit einem vollen Portfolio. Also bist du, wenn er nicht bei einem Rennen ist, Vollzeit-Teamchefin?"
Williams: "Ja. Aber eigentlich würde ich das so nicht sagen. Frank ist immer unser Teamchef, egal ob er an der Rennstrecke ist oder nicht. Aber die Arbeitsweise des Teams ist eh nicht auf eine Person ausgelegt. Es ist wie bei Frank und Patrick (Head; Anm. d. Red.). Patrick war für die Technik zuständig, und Frank für das Kommerzielle. So ist es immer noch. Wenn Frank nicht bei einem Rennwochenende ist, bin ich die ranghöchste Person an der Strecke. Aber ich arbeite mit Mike Coughlan (Technikchef; Anm. d. Red.) bei technischen Dingen zusammen. Es ist eher eine gemeinschaftliche Sache als 'Ich bin der Boss'."

Frage: "Wenn Frank bei einem Event ist, würdest du immer noch bestimmte Dinge tun, wie zum Beispiel an einem FOTA-Meeting teilnehmen? Wirst du in Zukunft immer zu den FOTA-Meetings gehen?
Williams: "Ja."


Fotos: Williams, Großer Preis von Monaco, Donnerstag


Frage: "...und du würdest auch zu Technikmeetings gehen?"
Williams: "Ja, selbst wenn Frank da ist. Ich muss einen Überblick haben - nicht nur wenn Frank eines Tages nicht mehr bei uns ist, sondern auch wenn ein anderer vom Bus getroffen wird, muss ich die Probleme zu der Zeit kennen, denn ich weiß nie, wann ich gebeten werde einzuspringen. Ich muss in der Lage sein, nach vorne zu schauen. Die Formel 1 wartet nicht, bis ich aufgeholt habe."

Die Übernahme hat noch Zeit

Frage: "Gibt es einen Zeitrahmen, in dem du vollständig in die Rolle schlüpfst?"
Williams: "Nein, bisher nicht. Wenn Frank nicht mehr bei uns ist, werde ich aufsteigen. Frank tritt nicht in einem Jahr zurück. Wir wissen alle, dass er niemals willentlich von der Formel 1 zurücktreten würde. Er wird immer hier sein, er wird immer unser Teamchef sein, solange er noch Atem in seinem Körper hat."

Frage: "Begreifst du alle politischen Dinge?"
Williams: "Ja. Die Formel 1 ist sehr komplex, wie jeder weiß. Ich finde mich zurecht. Ich finde meinen Weg und lerne eine Menge. Es ist faszinierend. Ich liebe es. Ich habe Politik an der Universität gemacht, ich liebe solche Dinge. Ich muss über vieles nachdenken und es gibt viele sehr clevere Leute, die diesen Sport am Leben erhalten. Ich muss sicherstellen, dass ich da mithalte, und ich muss sicherstellen, dass ich Williams' Interessen verteidige."

"Wir wissen alle, dass er niemals willentlich von der Formel 1 zurücktreten würde." Claire Williams über Vater Frank

Frage: "War es immer die Intention, dich in diese Rolle zu bringen, oder war es unumgänglich, als Toto Wolff zu Mercedes gegangen ist?"
Williams: "Adam Parr hat später ein Interview gegeben und gesagt, dass es immer seine Absicht war, dass ich eines Tages Teamchefin von Williams werde. Ich denke, wir hatten vor drei Jahren Gespräche darüber, aber das war noch eine Weile weg, es war Zukunftsdenken. Es ging nicht um damals. Adam ist gegangen und Toto ist in die Bresche gesprungen, dann ist Toto gegangen und ich bin eingesprungen. Aber sie hätten mich nicht in diese Position gesetzt, wenn sie nicht gedacht hätten, dass ich bereit dafür bin."

Frage: "Du warst zwei Jahre Bereichsleiter, oder?"
Williams: "Nein, ich wurde im vergangenen März zum Chef."

Frage: "Hast du mal wieder von Adam Parr gehört?"
Williams: "Wir reden häufig. Wir stehen nicht in regelmäßigem Kontakt. Er ist immer noch ein Freund vom Team, er hat einen sehr guten Job gemacht und er ist ein sehr cleverer Mann. Also rufe ich ihn manchmal an, oder er ruft mich an."

Frage: "Ihr seid ein öffentliches Unternehmen. Wem musst du dich verantworten?"
Williams: "Dem Gremium und letztendlich den Aktieninhabern."

Frage: "Nimmst du an Hauptversammlungen teil?"
Williams: "Wir haben unsere Jahreshauptversammlung am 4. Juni. Ja, ich werde da sein. Manchmal treffe ich mich mit unseren Investoren, treffe unsere Aktieninhaber bei Events, wenn wir Roadshows machen."

Frage: "Bleibt Toto Wolff weiterhin Aktionär?"
Williams: "Er sagte doch, er wollte seine Anteile verkaufen. Wir müssen abwarten, was in Zukunft passiert. Er hält derzeit immer noch 16 Prozent."

Weitere Zusammenarbeit mit Renault?

Frage: "Gibt es Gespräche über einen Renault Clio als Williams-Edition?"
Williams: "Ein Williams-Clio wäre sehr schön, oder nicht? Das wäre traumhaft! Denn der vor ein paar Jahren war ja ziemlich erfolgreich. Es wird noch immer darüber geredet, oder? Im Marketing liebt man es, über so etwas zu sprechen. Wir müssen abwarten und schauen, ob das passiert."

Frage: "Das wäre eine logische Ergänzung zum Motorenliefervertrag mit Renault."
Williams: "Exakt, und es ergibt Sinn, weil wir eine Technikabteilung haben, bei der wir mit Kundenbetrieben zusammenarbeiten, um einige großartige Innovationen wie diese zu entwickeln und an ein paar wirklich schönen Projekten zu arbeiten. Es gibt keinen Grund, warum das nicht passieren sollte - oder könnte."

"Renault ist nicht der einzige Motorenhersteller in der Formel 1." Claire Williams

Frage: "Renault-Sport-Präsident Jean-Michel Jalinier hat gesagt, fünf Teams seien das Maximum - andere sagen drei. Renault trifft die Entscheidung, es könnte also passieren, dass jemand verdrängt wird. Habt ihr mit Mercedes oder Ferrari gesprochen?
Williams: "Natürlich. Renault ist nicht der einzige Motorenhersteller in der Formel 1, und um konkurrenzfähig zu sein, muss man mit jedem reden und ein Verständnis für ihr Produkt entwickeln. Das macht Sinn in diesem Geschäft, darum haben wir natürlich auch mit anderen Herstellern gesprochen."

Frage: "Williams-Ferrari klingt nicht so schön wie Williams-Renault."
Williams: "Wir haben eine historische Partnerschaft mit Renault und kommen mit ihnen gut aus. Es sind großartige Leute dort und sie machen einen wirklich guten Job. Die ganze Geschichte um unser Erbe und den Erfolg unserer Partnerschaft in den 90ern ist wirklich wichtig, und darum kommt es auch bei den Leuten so gut an."

Frage: "Eure Saison verlief bisher nicht so gut. Plan A scheint nicht wirklich zu funktionieren..."
Williams: "Jeder nennt es Plan A und Plan B. Ich weiß nicht, wo das herkommt."

Frage: "Die Leute nennen es eben so, was ist also Plan B?"
Williams: "Mir wurde nicht gesagt, was Plan B ist. Es gibt keinen Plan B. Man sollte nicht so sprechen, weil es mit vielen Assoziationen herumkommt. Ich denke, es ist einfacher zu sagen, dass wir einen Start in die Saison hatten, den niemand so erhofft hatte. Es lief nicht so, wie wir es wollten, und wir müssen hart arbeiten, um uns zu verbessern. Niemand möchte eine Wiederholung von 2011, und wir müssen und die Finger wund arbeiten, um sicherzustellen, dass das nicht passiert. Plan B ist wie Plan A war: weiter Gas geben und weiter kämpfen."

Frank Williams

Frank Williams möchte sich nicht von der Königsklasse lösen Zoom

Frage: "Personell gab es bei euch enorme Veränderungen."
Williams: "Sind es 'enorme' Veränderungen?"

Frage: "Williams-Mitarbeiter gehen auf andere Teams zu und bewerben sich."
Williams: "Das würde mich nicht überraschen. Das ist die Formel 1, Leute möchten gewinnen. Jeder in dem Sport möchte gewinnen. Wenn man für ein Team arbeitet, das nicht gewinnt, schaut man sich vielleicht seine Möglichkeiten an - das ist verständlich. Ich habe keine Probleme damit. Als Ausgleich haben wir Leute von anderen Teams, die zu uns kommen und mit uns reden. Das ist die Natur des Gewerbes, in dem wir arbeiten. Leute kommen und gehen."

"Wenn du mich fragen würdest, ob die Leute bei Williams unglücklich und frustriert sind und sie alle das Schiff wechseln, weil wir nicht gut sind, dann würde ich nicht zustimmen. Es gibt im Moment eine starke Form von Kameradschaft bei Williams - und eine neuerliche Erfahrung, die Probleme lösen zu wollen. Wenn wir sie lösen wollen, müssen alle an einem Strang ziehen, ihren Teil beitragen und die Anstrengungen kennen und verstehen. Entweder zieht man mit - oder eben nicht."

Aufopferung für die Formel 1

Frage: "Ziehst du mit?"
Williams: "Absolut. Ich liebe Formel 1 und ich liebe es, dort zu sein. Es ist ein echtes Privileg, in der Formel 1 zu arbeiten. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich Williams liebe, und dass es das ist, wo mein Herz liegt - und ich es niemals aufgeben würde. Und ich würde jedem sagen, der nicht so fühlt: 'Fein, verlasse das Schiff doch, wenn du willst, aber ich werde da nicht mitgehen.'"

Frage: "Liebst du die Formel 1 und Williams mehr als alles andere in deinem Leben? Würdest du jede Faser deines Körpers für alle Zeit zur Verfügung stellen?"
Williams: "Ja, das tue ich."

Frank Williams, Claire Williams

Familienausflug: Claire und Frank opfern sich für die Formel 1 auf Zoom

Frage: "Bist du darauf vorbereitet, dies auch zu Lasten einer möglichen Familie zu tun?"
Williams: "Das ist im Moment die Entscheidung, die ich getroffen habe. Vorerst. Es ist eine ziemlich private Frage, eine Frau zu fragen, ob sie bereit ist, niemals Kinder zu haben."

Frage: "Nein, könntest du, wie Monisha Kaltenborn. Aber für sie war es auch keine einfache Entscheidung."
Williams: "Nein, und das war es bei mir auch nicht - aber aus anderen Gründen. Ich habe die Opfer gesehen, die mein Vater über die Jahre erbracht hat. Aber man kann nicht alles haben. Er wollte Erfolg. Jeder muss auf etwas verzichten. Auch ein Olympiateilnehmer muss vieles aufgeben. Als ich gefragt wurde, wusste ich, dass ich Dinge aufgeben muss, wenn ich es richtig machen will. Das war eine wirkliche Erwägung für mich. Ich habe kein Leben, mein Leben ist Williams."

"Ich sehe keine Freunde, ich gehe Freitagabend nicht Party machen, ich habe keine Kinder - und ich plane nicht, das zu ändern, denn meine Verpflichtung liegt bei Williams - dem Team, und wieder an die Spitze zu kommen. Und ich werde heftig darum kämpfen. Ich kann es mir nicht erlauben, im Moment andere Ablenkungen zu haben. Man muss solche Entscheidungen treffen, und ich bin wirklich glücklich über diese Entscheidungen. Ich sehe es nicht als Opfer. Ich liebe das Team. Ich wiederhole das immer wieder, ich sage es immer wieder. Es ist so schmerzhaft zu sehen, wo das Team gerade ist. Aber ich würde alles aufgeben, um Williams wieder gewinnen zu sehen."

Frage: "Es ist also kein goldener Käfig?"
Williams: "Nein. Allein die Tatsache, dass wir nach 35 Jahren noch in der Formel 1 sind, ist beeindruckend. Ich sehe es als weißes Blatt Papier, und mir wird die Möglichkeit gegeben, einen Unterschied und einen Wandel zu gestalten. Ich denke, ich kann das schaffen. Aber ich habe 550 Leute und muss es mit ihnen zusammen schaffen."