• 12.07.2013 21:24

  • von Stefanie Szlapka

Aufrecht: "Fahrer wie Merhi braucht der Sport"

Im Interview mit 'Motorsport-Total.com' blickt ITR-Boss Hans-Werner Aufrecht auf den DTM-Saisonstart zurück und auf die Expansion der Serie voraus

(Motorsport-Total.com) - Die DTM hat mit Beginn der Saison 2013 zahlreiche Innovationen gewagt - und ist nicht enttäuscht worden. Das zumindest findet Hans-Werner Aufrecht, Chef des Serien-Dachverbandes ITR. Der 74-Jährige wünscht sich dennoch ein engeres Boxenstoppfenster und will gegen einen kleinen Rückgang bei den Zuschauerzahlen ankämpfen. Im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com' bricht er außerdem eine Lanze für den gescholtenen Mercedes-Youngster Roberto Merhi und spricht über Perspektiven in Übersee.

Titel-Bild zur News: Hans-Werner Aufrecht

Hans-Werner Aufrecht hat große Pläne mit der DTM und ihrem Reglement Zoom

Frage: "Herr Aufrecht, wie sieht ihre Bilanz der ersten Rennen aus?"
Hans-Werner Aufrecht: "Wir haben dieses Jahr einige Reglementänderungen vorgenommen und ich muss sagen: Bisher hat es funktioniert. Selbst in Brands Hatch, wo man eigentlich nicht überholen kann, kann plötzlich überholt werden. Deswegen bin ich sehr zufrieden mit der bisherigen Bilanz."

"Trotzdem müssen wir einen kleinen Wermutstropfen hinnehmen, da wir einen kleinen Zuschauerrückgang zu verzeichnen haben. Der bewegt sich im Moment zwischen zwei und fünf Prozent. Ich gehe momentan davon aus, dass dieser Rückgang dem Wetter zuzuschreiben ist. Wenn ich zum Beispiel an Spielberg denke - da wollte keiner aus dem Haus."

Weniger Laptop, mehr Straße

Frage: "Dafür waren noch erstaunlich viele Leute in Österreich an der Strecke."
Aufrecht: "Das stimmt. In Spielberg kommen allerdings zwei Faktoren zusammen. Dort auf der nicht überdachten Naturtribüne zu stehen, ist das eine. Das andere ist, wenn ich dort mein Auto parken muss. Da muss sich auch Spielberg bewegen, damit es einen besseren Service für die Zuschauer gibt. Da ist der Fan einfach etwas anderes gewöhnt. Wenn Sie sich zum Beispiel das Fußballstadion in Klagenfurt anschauen: das ist komplett neu und überdacht. Da muss man sagen, dass es der Fußballfan angenehmer hat."

Frage: "Die DTM hat aber schon etwas getan, um die Rennen unterhaltsamer zu machen. Allerdings gibt es noch Probleme bei der Übersichtlichkeit."
Aufrecht: "Es ist sicherlich richtig, dass die Durchschaubarkeit der Rennen im Moment schwierig ist. Ich habe den Spruch geprägt: 'Derzeit fahren wir Rennen am Laptop und nicht auf der Straße.' Davon müssen wir wegkommen. Die Ingenieure tun natürlich alles, um ihren Fahrer in die Position zu bringen, dass er jedem Wettkampf aus dem Weg geht."

Option-Reifen von Hanook

Die Erkennbarkeit des Option-Reifen wurde schon beträchtlich verbessert Zoom

"Das kann nicht mein Interesse sein und das kann auch nicht das Interesse der Zuschauer sein. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir steuern können, dass dies nicht passiert, sondern, dass wir wirklich wieder Rennen gegeneinander fahren. Das will der Zuschauer sehen! Sicher haben wir derzeit viele Überholvorgänge, aber da fehlt mir noch die Überschaubarkeit, und das müssen wir schnellstmöglich ändern."

Boxenstoppfenster künftig wieder enger?

Frage: "Gibt es in der Richtung schon Ideen?"
Aufrecht "Die gibt es schon, aber die müssen jetzt erst mal durch- und umgesetzt werden."

Frage: "Sprechen wir hier um technische oder reglementbedingte Änderungen?"
Aufrecht: "Ganz einfach: Wir müssen die Boxenstoppfenster wieder definieren. Das derzeitige Boxenstoppfenster ist viel zu groß. Ich stelle mir vor, dass wir das Rennen dritteln. Ein Drittel Rennen gegeneinander, ein Drittel Strategie und ein Drittel wieder Rennen fahren. Aber schauen wir mal, ab wann wir es durchsetzen."

Frage: "Bisher kann das DRS in den letzten drei Runden nicht genutzt werden. Das soll sich nun ändern. Zu welchem Rennen wird es das DRS bis zum Schluss freigegeben?"
Aufrecht: "Da sind sich alle Hersteller und auch der Vorstand einig, dass das so schnell wie möglich kommen muss. Wir arbeiten jetzt an den Umsetzungsformalitäten mit dem DMSB, und ich gehe davon aus, dass es schnell kommen wird."

Robert Wickens

Bald soll es wieder engere Grenzen für die Pflichtboxenstopps geben Zoom

Frage: "Bei den Reifen wird die Übersichtlichkeit immer besser, aber es gibt auch noch Defizite. Sollen in diesem Fall zuverlässigere Hilfsmittel eingesetzt werden?"
Aufrecht: "Ich sehe es ganz anders. Die Ingenieure legen größten Wert darauf, dass keiner erfährt, welcher Reifen gerade auf dem Auto ist. Damit haben wir nicht gerechnet. Jeder sollte in der Lage sein, einen Knopf zu drücken, um zu zeigen, welchen Reifen er drauf hat. Aber wir müssen feststellen, dass daraus ein Geheimnis gemacht wird. Deshalb werden wir ab dem Norisring eine ganz einfache Lösung anbieten: Es wird einen Barcode an der Felge geben, und wenn das Fahrzeug die Boxengasse verlässt, weiß jeder, welcher Reifen gefahren wird."

Junge Fahrer machen Fehler

Frage: "Wird unterschätzt, dass alle Beteiligten versuchen, das Reglement zu ihrem Vorteil auszunutzen? Sind es die Reifen oder die Strafen?"
Aufrecht: "Es ist auch legitim, dass jeder für sich seinen Vorteil sucht. Die Serienbetreiber und die Ingenieure sind da immer im Fight. Aber wir versuchen, die Lücke im Sinne unserer Zuschauer zu schließen."

Roberto Merhi

So viel Platz war zwischen Merhi und seinen Konkurrenten nicht immer Zoom

Frage: "Wie bewerten Sie Roberto Merhi, der jetzt immer wieder im Mittelpunkt der Diskussionen stand?"
Aufrecht: "Da sprechen Sie ein ganz gutes Thema an. Es gab bisher zwei Fälle: einen in Brands Hatch, wo er Martin Tomczyk in der Kurve reinfährt. Da muss ich ganz klar sagen, dass dies ein schlechter Zug war. Da muss sich Merhi entschuldigen. Man fährt in einer Kurve einfach nicht gegen einen Wettbewerber. Den anderen Fall in Spielberg sehe ich anders als die Sportkommissare. Merhi versucht noch zu bremsen und den Unfall zu verhindern."

"Ich gehe davon aus, dass Tomczyk dachte, er sei vor Merhi, und deswegen rüber fuhr. Für mich sind solche Fahrer wie Merhi wichtig für unseren Sport. Wir brauchen diese jungen Rennfahrer, auch wenn sie manchmal über das Ziel hinausschießen. Das geht jedem jungen Fahrer so, das müssen wir in einem gewissen Rahmen akzeptieren. Ich glaube, wir tun gut daran, gerade solche Talente wie Merhi, der überlegen Formel-3-Meister geworden ist, zu fördern."

Frage: "Sind Sie mit dem derzeitigen Strafenkatalog zufrieden? In den ersten Rennen sind einige Diskussionen vor allem über die Umsetzung entbrannt."
Aufrecht: "Wie sah die Situation lange aus? Der Rennleiter stand vor der Entscheidung, eine Durchfahrtsstrafe zu verhängen oder nichts zu machen. Jedem ist klar, dass in diesem Feld eine Durchfahrtsstrafe quasi das Ende des Rennens bedeutet. Für uns war diese Art der Bestrafung zu hart. Mit den Zeitstrafen haben wir einen anderen Weg gefunden."


Fotos: DTM auf dem Norisring, Pre-Events


China-Rückkehr 2014 ist fix

"Gelb ist Gelb, und wer keine Rücksicht nimmt, bekommt eine Ohrfeige. Aber nun ist das Strafmaß so bemessen, dass das Rennen für den Fahrer nicht kaputt ist. Vielleicht tut sich die Rennleitung noch etwas schwer, das richtig zu definieren. Aber ich denke, vom Ansatz her ist das der richtige Weg."

Frage: "Im August steht das Rennen in Moskau an. Wie weit ist man mit den Vorbereitungen?"
Aufrecht: "Wir sind auf einem guten Weg. Wir haben eine hervorragende Zusammenarbeit. Im Vorfeld wurden immer wieder Gerüchte von Schwierigkeiten in die Welt gesetzt. Das löst sich alles in Luft auf. Ich hoffe, dass wir viele Zuschauer in Moskau haben. Ich bin mir sicher, dass wir mit den Verkehrsproblemen der Stadt Moskau fertig werden. So ist das nun mal in der Großstadt."

DTM in China

Chinas Damenwelt trägt demnächst wieder Schwarz-Rot-Gold Zoom

Frage: "Russland ist ja nur ein Zwischenschritt. Sind wir übernächstes Jahr in Asien unterwegs oder kommen diese Gedankenspiele zu früh?"
Aufrecht: "Nein, das sind keine Gedankenspiele. Unsere Hersteller und Sponsoren wollen dort fahren, wo ihre Märkte sind. Und jeder, der Zeitung liest, weiß, dass Asien derzeit ein großer Markt für die Premiumhersteller ist. Deswegen ist es zwingend notwendig, dass wir auch nach China gehen, um diesem Auftrag gerecht zu werden. Ich gehe davon aus, dass wir 2014 im September oder Oktober in China fahren."

Frage: "Findet das Rennen auf einer permanenten Strecke statt oder geht man wieder auf einen Stadtkurs?"
Aufrecht: "Ein Stadtrennen. Wir gehen das Risiko nochmal ein, und ich hoffe, dass wir aus dem vergangenen Stadtrennen viel gelernt haben. Wir werden sehen, ob wir das so hinbekommen, wie wir es wollen."

Alles läuft nach Plan in Japan

Frage: "Ist es schwierig in einem Land anzutreten, in dem Motorsport keine solche Tradition wie in Europa hat?"
Aufrecht: "Es gibt keine Motorsportkultur in China. Das sind jetzt erste Schritte und deshalb tut man sich vielleicht ein bisschen schwer. Dort muss man alle - angefangen beim Streckenposten bis zum Rennleiter - schulen und ausbilden. Auch die Rennstrecke selbst, die man dort bauen muss, ist Neuland für die Chinesen."

Frage: "Wie weit ist die Zusammenarbeit mit Japan? Werden wir in diesem Jahr dort noch DTM-Fahrzeuge sehen?"
Aufrecht: "Japan läuft programmgemäß. Die Autos werden im Moment entwickelt. Ich gehe davon aus, dass in den nächsten vier bis sechs Wochen die ersten Prototypen dort laufen. Die Zeitpläne der Entwicklungsprogramme laufen. Einem Start in die Saison 2014 steht nichts im Wege."

Frage: "Wird es in Japan bei den Fahrerwechseln bleiben?"
Aufrecht: "Unser Ziel war es, dass das technische Reglement in Japan und Amerika gilt. Das führt dazu, dass wir nicht mehrfach Autos entwickeln müssen. Das ist der Grundgedanke. Das sportliche Reglement ist der Föderation überlassen. Wir sind der Auffassung: Tourenwagensport ist Sprintsport, kein Langstreckensport. Nur so können wir das im Fernsehen verkaufen. In Japan will man noch Langstreckenrennen. Das Reglement kann das. Wir fahren zum Beispiel das ganze Jahr über ohne Motorwechsel."

Frage: "Aber Fahrerwechseltauglich sind die DTM-Boliden doch eher nicht!?"
Aufrecht: "Laut der Föderation muss der Fahrer innerhalb von acht Sekunde aus dem Auto raus sein. Solange man noch tanken muss, ist das kein Problem."

Joao Paulo de Oliveira

In der japanischen Super-GT-Serie gibt es derzeit Fahrerwechsel Zoom

Frage: "Was sagen Sie denn zu den Äußerungen von Nissan?"
Aufrecht: "Es gibt einen Engländer, der sich dazu geäußert hat. Schauen wir mal, was die Herren am Norisring sagen. Wir werden dort unsere erste gemeinsame Sitzung haben. Dort wird das Steering Committee inthronisiert, das dafür verantwortlich ist, dass sich das Reglement auch in Zukunft gleich entwickelt. Da sind nicht nur die deutschen Hersteller dabei, sondern auch japanische und amerikanische Hersteller, die Föderationen und die Serienbetreiber."