Kolumne: Auf in den Endspurt!
Redakteur Stefan Ziegler schreibt über den Auftakt zum Saison-Showdown der WTCC und weshalb Chevrolet 2011 zugleich Gewinner und Verlierer ist
(Motorsport-Total.com) - Nach fünf langen Wochen kehrt die WTCC am Wochenende aus ihrer Sommerpause zurück, um im spanischen Valencia die Endphase der aktuellen Rennsaison einzuläuten. Beim Europaabschied der Tourenwagen-WM könnte jedoch schon die erste Entscheidung fallen, denn Chevrolet ist den Rivalen sehr weit voraus und steht kurz davor, die Titelverteidigung in der Markenwertung perfekt zu machen.

© WTCC
Auf geht's: Im spanischen Valencia beginnt die Schlussphase der Saison 2011
Kein Wunder: Nach zwei Dritteln der Saison könnte die Bilanz der amtierenden Weltmeister kaum besser ausfallen. Chevrolet siegte in 14 von bisher 16 Rennen, holte elf Doppelsiege und sage und schreibe 648 von 688 möglichen WM-Punkten. Nur zweimal gingen die Laufsiege 2011 an andere Marken: Gabriele Tarquini gewann für SEAT in Belgien, Franz Engstler für BMW in Deutschland.
Und so steht Chevrolet in Spanien vor der in der WTCC einmaligen Chance, den WM-Titel noch vor der Übersee-Tournee der Meisterschaft unter Dach und Fach zu bringen. Bei einem Vorsprung von aktuell 267 Zählern auf BMW reicht den haushohen Favoriten in Valencia ein "durchschnittliches" Wochenende, um am Ende die Korken knallen zu lassen - Chevrolet braucht ein 258-Punkte-Polster.
Und genau darin liegt für viele Beobachter das Problem: Die WM wird 2011 aller Wahrscheinlichkeit nach früher denn je entschieden und auch in der Fahrerwertung ist gewissermaßen schon klar, dass entweder Rob Huff oder Yvan Muller das Rennen machen wird. Die beiden Chevrolet-Piloten führen die Tabelle mit 289 beziehungsweise 283 Punkten souverän an. Alain Menu ist quasi schon raus.
Warum Chevrolet gewinnt und zugleich verliert
Der Dritte im Chevrolet-Bunde weist vor der letzten Saisonphase 220 Zähler und damit einen großen Rückstand auf seine Teamkollegen auf. Unter normalen Umständen und bei der herausragenden Konstanz von Huff und Muller darf sich Menu in Valencia, Suzuka, Guangdong und Macao daher nur noch Außenseiter-Chancen auf den Titel ausrechnen. Alle weiteren Fahrer spielen eh keine Rolle.

© xpb.cc
Alles im Griff: Das Chevrolet-Trio ist 2011 klar die dominante Kraft im Starterfeld Zoom
Und warum genau ist das vielen Zuschauern ein Dorn im Auge? Weil Chevrolet in diesem Jahr auf der Rennstrecke kaum Gegner hatte, die auf Augenhöhe operieren konnten und die spannende Frage in den einzelnen Läufen jeweils lautete, welches blaue Fahrzeug denn zum Schluss ganz vorne sein würde. So viel Chevrolet in diesem Jahr auf der Strecke gewinnt, sie sind irgendwie auch Verlierer.
Weshalb? Weil mit der Dominanz automatisch einhergeht, dass sich die Fans speziell über die Erfolge der anderen Rennställe freuen, was eine unlängst von 'Motorsport-Total.com' durchgeführte Umfrage bestätigt. Engstler, Polestar und Wiechers wissen in diesem Jahr demnach deutlich mehr Fans hinter sich als Klassenprimus Chevrolet, 2011 zudem das einzige Werksteam in der Tourenwagen-WM.¿pbvin|0|4020||0|1pb¿
Der Fluch, das einzige Werksteam zu sein...
Gerade deswegen scheuen sich viele Zuschauer davor, Chevrolet die Daumen zu drücken, weil sie vermeintlich ohnehin konkurrenzlos agieren. An dieser Stelle muss ich aber widersprechen. Ja, die Übermacht von Chevrolet ist groß und es gibt kein Team, das den (wahrscheinlich bald erfolgreichen) Titelverteidigern regelmäßig Paroli bieten könnte. Dies liegt aber hauptsächlich an den Umständen.

© Ziegler/MST
Mit dem 1,6-Liter-Turbomotor war Chevrolet schon vor einem Jahr testen... Zoom
Kann man Chevrolet etwa vorwerfen, dass sie ihr Engagement in der WTCC fortsetzten und schon im Sommer 2010 erstmals mit dem neuen 1,6-Liter-Turbomotor auf die Teststrecke gingen? Nein, auf keinen Fall, schließlich ist jeder seines eigenen Glückes Schmied. Auch BMW, SEAT oder Volvo hätten schon früh im vergangenen Jahr in die Entwicklung einsteigen können, taten es aber nicht.
Insofern liegt es auf der Hand, dass Chevrolet 2011 vom Testvorsprung profitiert und dadurch auf der Strecke die Erfolge einfährt. Dass erst SEAT und später auch BMW die Werkseinsätze in der WM einstellten und somit nur noch durch private Rennställe im Feld vertreten sind, kann man Chevrolet nun wirklich nicht ankreiden. Trotzdem kommen die Blauen letztlich vergleichsweise schlecht weg.
Keine Teamorder: Chevrolet macht es spannend!
Das ist gewissermaßen die Schattenseite des Erfolgs, den die Mannschaft um Chevrolet Europa Motorsport-Manager Eric Neve genießt. Bei aller Kritik, berechtigt oder nicht, muss man dem Team aber zweifelsfrei zugute halten, dass die Fahrer auf der Strecke vollkommen freie Hand haben. Es gibt keine Stallregie und es darf auch teamintern gekämpft werden. Das ist keine Selbstverständlichkeit.

© xpb.cc
Muller, Menu oder Huff? Wer macht 2011 das Rennen im WTCC-Titelkampf? Zoom
Die Situation war in der Vergangenheit zwar eine etwas andere, aber sowohl BMW als auch SEAT bedienten sich der Teamorder, um die Chancen der Marke zu maximieren. Chevrolet fährt einen anderen Kurs - und damit recht gut, auch wenn es immer wieder zu kleineren Kollisionen zwischen den Fahrern des Teams kam. Eine davon kostete Menu möglicherweise seine Titelchancen.
Der Schweizer schied in Monza nach einer Berührung mit Muller vorzeitig aus und punktete nicht, während seine Chevrolet-Stallgefährten ganz vorne ankamen. Huff und Muller waren sich aber auch nicht immer ganz grün: Es schepperte in Brünn, Porto und Donington Park, als sich die beiden WM-Spitzenreiter um die Führung stritten. Keine Frage: Der Titel-Showdown wird noch sehr interessant!
Die ganz große Überraschung kommt noch...
Ich bin nämlich fest davon überzeugt, dass sich Huff und Muller bis zum Finale in Macao einen sehr engen und spannenden Zweikampf liefern werden, der sich erst in der schillernden Spielerstadt bei Hongkong entscheiden wird. Und wenn wir ganz ehrlich sind: Das ist doch genau, was wir auch sehen wollen. Chevrolet-Dominanz hin oder her, am Ende soll das WM-Duell spannend sein und das ist es.

© MST / C. Aster
Ich rechne fest mit einem spannenden Finale und noch mit einer Überraschung! Zoom
Dahinter ist ebenfalls noch Musik drin, denn eine ganze Reihe an Fahrern wird in den restlichen Rennen einiges daran setzen, zumindest einen Saisonsieg einzufahren. Ich denke dabei in erster Linie an Herren wie Tom Coronel, Tiago Monteiro oder Norbert Michelisz. Und wer weiß? Vielleicht gelingt Volvo-Pilot Robert Dahlgren im letzten Drittel des Rennjahres ja noch die große Sensation!
Für mich sind das genug Gründe, um den vier noch ausstehenden Saisonevents gespannt und positiv gestimmt entgegen zu blicken. Ich rechne fest mit einem aufregenden Showdown und noch mit der einen oder anderen Überraschung. Eines dürfte ohnehin klar sein: "Real Cars, Real Racing" gibt's jedes Mal aufs Neue - Chevrolet-Dominanz hin oder vorzeitiger Titelgewinn her. Und das ist gut so!
Beste Grüße & viel Spaß beim Endspurt!


