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Rallycross-WM: Old-School-Motorsport, der Zukunft hat

Kolumne: Warum die Rallycross-WM (WRX) die Zukunft des Rallyesports ist und Vermarkter IMG nicht zu früh damit beginnen darf, die Kuh zu melken

Liebe Leser,

Titel-Bild zur News: WRX in Hockenheim

Die Rallycross-WM begeisterte im Rahmen der DTM in Hockenheim Zoom

die Rallye-WM (WRC) ist eigentlich eine der schönsten Formen des Motorsports. Wenn Sebastien Ogier & Co. kilometerlang virtuos durch Wälder donnern, ohne Furcht davor, einen Baum zu rammen, wenn sie auf schmalsten Schotterwegen gekonnt durch die Kurven driften oder im schwedischen Schnee die ärgsten Rutschpartien meistern, dabei aber nicht die nebenan stehenden Häuser rammen, ist das nicht nur Zeugnis unglaublich talentierter Fahrer, sondern am Ende stehen auch einmalige Bilder für Internet und TV.

Aber das reicht anno 2016 nicht mehr, um die Massen zu mobilisieren. Ogier und Volkswagen siegen die WM zu Tode (wofür ihnen rein sportlich gesehen allerhöchste Anerkennung gebührt), und wenn sich nicht gerade Herr Loeb aus einer Laune heraus dazu entscheidet, mal wieder die Monte zu fahren, dümpelt das breitere öffentliche Interesse an den Rallyes in einem Bereich, der diesem wunderbaren Sport eigentlich nicht gerecht wird.

Also bin ich nach Hockenheim gefahren, um mir die Rallycross-WM (WRX) einmal genauer anzuschauen, die seit 2014 von Vermarktungsgigant IMG promotet wird und offiziellen WM-Status der FIA genießt. Petter Solberg, der WRC-Champion von 2003, hat die Serie in den ersten beiden Jahren gewonnen - und inzwischen tummeln sich dort Stars wie der neunmalige WRC-Weltmeister Sebastien Loeb, DTM-Sympathikus Mattias Ekström oder Gymkhana-YouTube-Star Ken Block.

Kurzweiliges Format, perfekt für YouTube & Co.

Rallycross setzt genau da an, wo der konventionelle Rallyesport an seine Grenzen stößt: beim Format. Während in der WRC ein Fahrer nach dem anderen auf kilometerlange Etappen in "freier Wildbahn" geht (was immense TV-Produktionskosten verursacht), stellen sich in der WRX maximal sechs Fahrer pro Heat nebeneinander auf - und fahren auf einem meist nicht einmal einminütigen Parcours sechs Runden Rad an Rad gegeneinander.

Was dabei herauskommt, haben in Hockenheim 78.500 Zuschauer im Motodrom gesehen: kurzweilige Action, heiße Duelle ohne Berührungsängste, aber letztendlich trotzdem ein Event, bei dem die sportliche Leistung nicht von Show und künstlich generiertem Zufall überlagert wird. Das ist nämlich (hat mir Loeb in einer WRX/WRC-Diskussion unter vier Augen erzählt) einer der Kardinalfehler, den die WRC mit Spielereien wie der Startreihenfolge gerade begeht.

"Ein Event, bei dem die sportliche Leistung nicht von Show und künstlich generiertem Zufall überlagert wird."

Dass die WRX relativ leicht durchschaubar ist, wenn man einmal das Punktesystem und das Konzept der Joker-Lap verstanden hat, hilft. Und dass sich Sechs-Runden-Rennen auf einem kurzen Parcours ganz wunderbar für YouTube & Co. eignen (wesentlich besser als elend lange WRC-Etappen, auf denen nie zwei Autos gleichzeitig zu sehen sind), ist mit Sicherheit einer der Gründe dafür, weshalb sich IMG der Rechtevermarktung angenommen hat.

Highlight-Event in Schweden

Zugegeben: In Hockenheim war die WRX auch in den Augen der meisten Fans nur Rahmenprogramm der DTM - was im Übrigen dem einen oder anderen WRX-Team stinkt, weil es im Grunde nicht angehen kann, dass eine internationale FIA-Weltmeisterschaft den Aufputz für eine Tourenwagen-Serie macht, die per Namensdefinition rein deutsch ist. Aber wenn in Schweden zehntausende Fans leicht betrunken für Stimmung sorgen, steht die WRX begeistert und begeisternd für sich.

WRX ist mit Sicherheit die Zukunft des Rallyesports. Noch sprechen wir dabei von einer Nische. WRX hat das Potenzial, aus dieser Nische herauszuwachsen, aber dafür braucht es große Player, die zwei Dinge verstehen müssen. Erstens: Um Medieninteresse zu wecken, ist zumindest am Anfang Investment erforderlich. Denn nur über Investment der Medien wird der Sport zu den Fans transportiert, von denen der Erfolg letztendlich abhängig ist.


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Kommerzialisierung birgt auch große Gefahren

Zweitens: Das legitime Interesse, die WRX-Vermarktung zu monetisieren, darf nicht auf Kosten des sportlichen Werts gehen. IMG hat im gesamtmotorsportlichen Kontext gerade die einmalige Chance, frustrierte Formel-1-, DTM- und WRC-Fans abzugreifen und für die WRX zu begeistern. Dafür dürfen aber nicht die gleichen Fehler wie von anderen Promotern begangen werden. Sobald die WRX zu stark kommerzialisiert wird (und man ihr das auch ansieht), sind die Fans weg.

Denn kein anderer Motorsport-Zuschauer ist so freakig und Hardcore wie der Rallye-Zuschauer, und wenn der Wind davon bekommt, dass aus echten Racern in Wahrheit Geschäftsleute gemacht werden sollen, die die Einschaltquoten mehr interessieren als das letzte Rennergebnis, sucht er sich etwas Neues. Rene Münnich ist so ein echter Racer. Den Deutschen interessiert kommerzieller Erfolg nicht. Er will einfach nur Rallycross fahren und Spaß haben. Ohne Schnickschnack.

"Kein anderer Motorsport-Zuschauer ist so freakig und Hardcore wie der Rallye-Zuschauer."

Münnich ist ein gutes Beispiel für die Privatier-Underdogs, die für jede Form des Motorsports lebenswichtig sind. Das, was Minardi früher in der Formel 1 war. So konnten sich die großen Werke sicher sein, dass sie ihre Millionen nicht für den letzten Platz verpulvern, und die Hardcore-Fans, denen Corporate-Teams wie jenes von Toyota am Allerwertesten vorbeigingen, hatten eine sympathische Identifikationsmöglichkeit, anstatt sich entnervt eine neue Rennserie zu suchen.

Einstiegsbudgets ab zwei Millionen Euro

Eine WRX-Saison kostet für jemanden wie Münnich rund zwei Millionen Euro für zwei Autos. Geht man das Fahrerlager hoch, wird's etwas teurer: Eine Operation wie EKS-Audi, unterstützt durch die vier Ingolstädter Ringe, benötigt schon über fünf Millionen Euro. Das ist einerseits viel Geld, andererseits aber immer noch Peanuts im Vergleich zu den Budgets, die etwa in der WEC oder DTM verblasen werden. Viel PR mit wenig Geld: Die WRX könnte es möglich machen.

IMG aber beginnt möglicherweise damit, die Kuh zu früh zu melken. Dass die Teams eine Gebühr von 1.000 Pfund pro Event dafür zahlen müssen, um im Fahrerlager Facebook-Videos filmen zu dürfen, ist wohl irgendeinem "schlauen" Buchhaltungs-Fuzzi eingefallen, dem die nächste Bilanz näher ist als das langfristige Wohl des Sports. Denn sogar IMG selbst kann die Videos der Teams ja auf Facebook teilen, sodass sie bei der Promotion der WRX insgesamt mithelfen.

"IMG aber beginnt möglicherweise damit, die Kuh zu früh zu melken."

Oder: Die Fotos vom dramatischen Feuer von Timmy Hansen am Samstag lagen IMG zwar vor, wurden aber nicht auf die Medienseite hochgeladen, von der sich Journalisten gratis Fotos für ihre Berichterstattung ziehen können. Das entspricht klassischer Marketinglehre, ist aber in Wahrheit völliger Unsinn: Unsere Story über das Feuerdrama war nur deshalb so erfolgreich, weil auch Nicht-WRX-Fans die (im Nachhinein dann zugekauften) Fotos sehen wollten.

Medien müssen den Prozess anschieben

Der eine oder andere Journalist in Hockenheim hätte den Zwischenfall mit Sicherheit in seiner Zeitung oder auf seiner Plattform abgebildet, wenn er kostenlose Fotos bekommen hätte. Niemand hätte den Zwischenfall als negativ für die WRX gewertet. Sondern: Mit spektakulären Storys wie dieser werden Leser abgeholt, die noch nicht einmal wissen, dass es die WRX überhaupt gibt. Und wenn der eine oder andere davon beginnt, sich dafür zu begeistern: Mission accomplished.

Dass die TV-Live-Übertragung auf ProSieben FUN ein Nischendasein führt, weil ProSieben die Senderechte in einem größeren Paket erworben hat, in dem die WRX nur ein Anhängsel war, ist ein anderes Thema. Wenn die WRX in Deutschland langfristig erfolgreich sein will, braucht sie eine Heimat, in der sie geliebt wird. Das wäre zum Beispiel bei einem reichweitenstarken Motorsport-Fachportal der Fall. Da hätte ich schon die eine oder andere Idee...


Fotostrecke: Feuer-Drama bei WRX Hockenheim

Ihr

Christian Nimmervoll