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  • 11.05.2023 10:51

  • von Roland Hildebrandt

Zeitreise: Unterwegs im VW Käfer von 1958

Er ist eine Legende und der beliebteste Oldtimer in Deutschland - Doch wie empfindet man als "Generation Golf" eine Fahrt in einem über 60 Jahre alten Käfer?

(Motorsport-Total.com/Motor1) - Über 21 Millionen gebaute Exemplare. 65 Jahre optisch kaum verändert in Produktion. Noch immer beliebtester Oldtimer in Deutschland. Gegenstand hunderter, vielleicht gar tausender Bücher. Keine Frage, der VW Käfer ist das womöglich bekannteste Automobil der Welt.

Titel-Bild zur News:

VW 1200 Export Käfer (1958) Zoom

Trotzdem habe ich als Vertreter der "Generation Golf" immer ein wenig mit dem Käfer gefremdelt: 1978 geboren, erlebte ich nur noch die Abschiedstournee der VW-Legende. Auch mein Vater, als Jahrgang 1939 fraglos einer von Millionen, die als erstes Auto einen Käfer hatten, war längst zum Passat gewechselt. Gewiss, später bin ich beruflich durchaus auch gelegentlich Käfer gefahren, etwa einen wilden 135-PS-1302 mit Tuning von Theo Decker (TDE).

Aber stets dachte ich mir: Ist dieses Ding nicht überschätzt? Ein konstruktives Relikt aus den 1930ern, welches optisch wie technisch spätestens 1962 mit dem Erscheinen des Opel Kadett A völlig veraltet war. Mit genügend Nachteilen, die seine Besitzer früher bestimmt verflucht haben, heute aber im Rückblick auf die gute alte Wirtschaftswunder-Bundesrepublik verklärt werden.

Innenraum ist geräumiger als erwartet

Lange Rede, kurzer Sinn: Der Käfer ist nicht meins. Aber die Herbie-Filme mochte ich trotzdem sehr. Und so guckte mich kürzlich im Rahmen des "Car Design Event" des "German Car of Year" ein 1958er-Modell mit seinen großen Scheinwerfern an. "Hildebrandt, Du Frischling! Können diese Augen lügen? Mein lieber Freund, ich war "German Car of the Year", als noch kaum einer Englisch konnte! Steig ein!

Da hat er allerdings recht. Und da sich die juvenilen Influencer (in der Sprache von 1958: Selbstdarsteller mit Bauchladen und Kamera) lieber auf so etwas wie den VW Golf R32 stürzen, verlange ich den Käfer-Schlüssel. Aber was heißt hier DER Käfer-Schlüssel? Zwei sind es, beide im Format Briefkasten. Ich ziehe am Türgriff Marke Bosch-Kühlschrank und merke: Das Auto scheint wirklich Baujahr 58 zu sein, denn kurz darauf kamen große Türgriffe mit Druckknopf.

Die aus dem vollen gefräste Tür muss ich mit Nachdruck hinter mir zuschlagen, nachdem ich in den weichen, aber großen Fahrersitz gefallen bin. Mein Blick schweift durch den Innenraum. Ah, hinter der Rückbank die berüchtigte Kinderablage. Aber so klein, wie manche behaupten, ist der Käfer nicht. Vorne kann ich meine Beine prima ausstrecken, da die eigentlich altmodischen Kotflügel die Räder außerhalb der Karosserie aufnehmen.


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Exzellente Verarbeitung und soliden Materialien

Über dem Kopf passt noch locker ein Hut. Und vor der Nase wäre der Begriff "Armaturenbrett" fast schon schamlos übertrieben. Ein Blech, ein Rundinstrument, fertig. Wobei sich der Erstbesitzer nicht hat lumpen lassen, wie das edle Becker-Radio zeigt. Oder wie es mein Onkel (88) sagt, als er die Bilder sieht: "Junge, das war damals schon Luxus!"

Was am meisten auffällt, ist die exzellente Verarbeitung und die soliden Materialien. Das war Premium, als es den Begriff noch gar nicht gab. Der Käfer-Kunde wusste, er bekommt deutsche Wertarbeit. Allerdings bestellte er offiziell keinen "Käfer", denn diesen volkstümlichen Namen verwendete VW erst um 1970 herum. Man fuhr stattdessen einen "Volkswagen". Punkt. Und der Handwerker orderte einen "Volkswagen Transporter".

Cockpit des VW Käfer von 1958

Cockpit des VW Käfer von 1958 Zoom

Aber vom T1 zurück zum Auto. 1958 war die Auswahl übersichtlich: 1200er-Maschine mit 30 PS, Ausstattung entweder karger "Standard" oder noblerer "Export". Dazu bei Bedarf eine Handvoll Extras, fertig. In meinem Fall die auffälligen US-Stoßstangen und eine riesige Antenne für das Radio.

Der Boxer-Sound fasziniert noch heute

UKW und Co. könnte man sich allerdings sparen, denn die Musik kommt aus dem Heck. Deutlich vernehmbar setzt sich der Vierzylinder-Boxer in Gang. Ich trete kurz im Stand aufs Gas: Ja, so bruddelnd klingt nur ein Käfer. Sonor-prasselig, sie wissen schon. Und los gehts! Eine Rakete ist der 1200 in keinster Weise, 38 Sekunden sind offiziell auf 100 km/h angegeben. Doch das probiere ich gar nicht erst aus.

Warum auch? Viel faszinierender ist, wie der Motor schon aus niedrigen Drehzahlen sauber vorangeht. Ich kann früh schalten, netterweise bekam das Export-Modell schon 1952 ein synchronisiertes Getriebe. Nur der erste Gang sollte besser im Stand eingelegt werden. Der Blick in die technischen Daten zeigt: 75 Newtonmeter bei 2.000 U/min sind für 30 PS sehr ordentlich. Wäre da nicht die Lautstärke, würde ich eine längere Käfer-Tour locker in Angriff nehmen.

Motor des VW Käfer von 1958

Motor des VW Käfer von 1958 Zoom

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Dennoch vermitteln die bullige Motorauslegung und der aus dem vollen gefräste Innenraum jenes Gefühl, das später der legendäre Slogan "Er läuft und läuft und läuft" auf den Punkt brachte. Allzu viele Passanten schauen dem Käfer aber nicht hinterher. Vermutlich war er einst zu präsent. Das hat sich mittlerweile geändert, gute Modelle vor 1970 notieren locker bei 15.000 Euro, vom Cabriolet ganz zu schweigen.

Fest steht: Der Käfer hat mich überzeugt, auch wenn er auf meiner Wunschliste noch immer nicht ganz oben rangiert. Aber ich möchte der Generation Golf (oder gar der Generation ID.) zurufen: Habt keine Angst vor dem Käfer eurer Väter oder Großväter!

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