• 19.09.2023 11:44

  • von Roland Hildebrandt

Zeitreise im BMW 1500 von 1963: Die alte Neue Klasse

Die "Neue Klasse" war auf der IAA 2023 in aller Munde - Doch 60 Jahre zuvor gab es den Begriff schon einmal - Wir sind einen alten 1500 gefahren

(Motorsport-Total.com/Motor1) - Geschichte wiederholt sich. Oder doch nicht? Zumindest stapfen Autohersteller gerne ins Archiv und wühlen in der eigenen Mottenkiste herum. Mit Modellnamen von einst versucht man, die Kunden an das wärmende Kaminfeuer der Nostalgie zu locken. Oder man unterstreicht mit dem Rückgriff auf die eigene Historie die Bedeutung einer Neuentwicklung.

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BMW 1500 (1963) Zoom

So wie bei BMW. Dort glänzte auf der IAA Mobility 2023 die "Vision Neue Klasse" als seriennaher Ausblick auf das, was ab 2025 vornehmlich elektrisch auf unseren Straßen rollen soll. 60 Jahre zuvor gab es bereits eine "Neue Klasse". Mit jenen Mittelklassemodellen ging es für die Marke BMW wieder aufwärts, nachdem man 1959 dem Tod hauchdünn von der Klinge gesprungen war.

Moderner Wohlstands-Wagen

Neue Klasse. Das passte zum Zeitgeist anno 1961, wo der BMW 1500 erstmals auf der IAA in Frankfurt gezeigt wurde. Die "Neue Heimat" versprach modernes Wohnen, wenngleich vor ihren Hochhäusern eher seltener ein BMW parkte. Der 1500 und seine Weiterentwicklungen 1600/1800/2000 waren etwas für moderne Bungalows, am besten vom BMW-fahrenden Architekten selbst entworfen.

Das Wirtschaftswunder sorgte für zunehmenden Wohlstand, die Bundesbürger strebten nach mehr als VW Käfer und BMW 700. Die Mittelklasse zwischen Käfer und Mercedes-Modellen rückte immer mehr in den Blick, zumal auch Importmarken wie Fiat oder Peugeot an Bedeutung zunahmen. Opel war mit dem (Olympia) Rekord schon länger erfolgreich, während der Ford Taunus 17M "Badewanne" ab 1960 viele Aufsteiger begeisterte.

Gleichzeitig verdüsterte sich die Lage für Borgward, wo ein Nachfolger für die 1954 vorgestellte Isabella auf sich warten ließ und schließlich nach dem Zusammenbruch des Bremer Konzerns nicht mehr kam. Doch insbesondere ihre flotte TS-Version kreierte das Segment der Sportlimousine. Und genau hier sollte BMW mit der "Neuen Klasse" erfolgreich hineinstoßen.

Borgward macht weiter

Nämlich fast genau zu jenem Zeitpunkt, als Borgward verschwand. War es nur Zufall, dass der dort als Sanierer angetretene Johannes Semler auch im BMW-Aufsichtsrat saß? Der Volksmund übersetzte jedenfalls das Kürzel BMW alsbald mit "Borgward macht weiter". Gewiss war die Entwicklung des BMW 1500, der wie auch der VW 1500 auf der IAA 1961 debütierte, schon weit vorher begonnen worden. Aber man dürfte sich die Isabella genau angesehen haben, denn der BMW 1500 wirkte auf die Besucher wie deren Nachfolger im Geiste.

Aber der Reihe nach: Die Wartezeit lag bei etwa einer halben Stunde. So lange hieß es Schlange stehen, wenn man den Star der Internationalen Automobilausstellung 1961 in Frankfurt aus nächster Nähe sehen wollte. Oder gar in ihm sitzen, wenn es auch höchstens nur für eine bedrängte Minute war. Der 1500 kam genau zur richtigen Zeit.

Das Durchschnittseinkommen in Deutschland, zunächst der Hauptzielmarkt des BMW 1500, wuchs Anfang der 60er Jahre jährlich um rund zehn Prozent und lag 1961 bei 6.723 DM pro Jahr. Erstmals wurden in diesem Jahr über eine Million Personenwagen in Deutschland neu zugelassen.


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Da haben wir sechs Jahrzehnte später mehr Glück und dürfen mit einem BMW 1500 von 1963 einen ganzen Tag lang unterwegs sein. Denn es dauerte einige Zeit nach der 61er IAA, bis der neue Bayer in den Handel kam. Die Entwicklungsingenieure in München arbeiteten mit Hochdruck daran, den Zeitplan einzuhalten. Und der hieß: Markteinführung im Sommer 1962.

Geduld mit Grenzen

Immerhin hatten schon auf der IAA die ersten Kunden Lieferverträge mit dem Termin "Zweite Hälfte 1962" unterschrieben. Vertriebsvorstand Paul Hahnemann versprach kurz nach der IAA: "Wir rechnen fest damit, dass wir im Juni nächsten Jahres die Null-Serie bauen. Im Juli soll dann die Produktion beginnen." Die Wartezeit war garniert mit Gerüchten, schließlich war das zahlende Volk spitz wie Lumpi auf den neue BMW.

Im April 1962 war unter der drängenden Überschrift "Wann kommt der BMW 1500?" zu lesen, dass die Serienfertigung im August 1962 nach den Betriebsferien anlaufen solle und Pessimisten bereits mit einem Preisanstieg auf 10.000 Mark rechneten. Tatsächlich wurde der Zeitplan fast genau eingehalten. Anfang Juni 1962 waren die festen Vorbestellungen bereits auf rund 25.000 angewachsen.

Den ursprünglichen Preis für den neuen 1500 hatte BMW zwar nicht halten können, doch ganz so üppig wie von Pessimisten befürchtet fiel der Aufschlag dann doch nicht aus. 9.485 DM schrieb das Unternehmen den Händlern vor, einschließlich "aller serienmäßigen Einbauten, ohne die das Auto nicht geliefert werden kann, wie Scheibenbremsen, Klimaanlage, Scheibenwaschanlageund so weiter," wie Hahnemann bei der Pressevorstellung betonte. "Klimaanlage" meinte damals übrigens schlicht Heizung und Lüftung.

Grüße aus Italien

Wilhelm Hofmeister, Chefstylist von BMW, hatte sich bei der Entwicklung des 1500-Designs von Giovanni Michelotti beraten lassen, der bereits beim 700 mitgearbeitet hatte. Dessen Entwurf arbeitete Hofmeisters Team fertig aus und so trug der Wagenkörper die modernen und schnörkellosen Linien von Michelotti, während die Kühlermaske aus der 507-Ära stammte.

Als Großaktionär Herbert Quandt den fertigen Entwurf gesehen hatte, so wird erzählt, wollte er unbedingt die klassische Doppelniere sehen. Die Designer bastelten in aller Schnelle eine passende Niere und platzierten sie in der Frontmitte. Niere und Horizontaleffekt der Kühlermaske kamen dadurch zusammen - ein neues BMW-Gesicht entstand.

Unter der Fronthaube arbeitete ein vollkommen neuer, unter der Regie des damaligen BMW-Motorenpapstes Alexander von Falkenhausen entwickelter Vierzylinder-Reihenmotor mit 1,5 Litern Hubraum. Jenes M10 genannte Aggregat sollte sich zur Legende entwickeln, noch im 3er (E30) kam der Vierzylinder zum Einsatz.

Sportlichkeit der 1960er

Statt wie ursprünglich angegeben 75 PS bei 5.500 U/min leistete das Triebwerk jetzt 80 PS bei 5.700 U/min, dank einer von 1:8,2 auf 1:8,8 erhöhten Verdichtung. Der Motor war ursprünglich auch für den Betrieb mit Normalbenzin vorgesehen gewesen, jetzt aber auf Superbenzin ausgelegt.

BMW 1500 (1963)

BMW 1500 (1963) Zoom

Das reichte für eine Spitzengeschwindigkeit von 150 km/h aus, ein hervorragender Wert im Vergleich zur Konkurrenz. Gleiches galt für die Beschleunigung: Den Sprint aus dem Stand auf Tempo 100 absolvierte der neue BMW in sportlichen 16,8 Sekunden.

Also "sportlich" nach damaligen Maßstäben. Aber auch heute lässt sich mit dem 1500 gut im Verkehr mitschwimmen. Hinzu kommt 14-Zoll-Bereifung statt der eigentlich geplanten 13-Zöller. Bei Baur in Stuttgart entstanden übrigens zwei BMW 1500 mit Kombiheck als eine Art frühe 3er Touring.

So fährt er sich

Während der Fahrt sind alle Sinne in Habichtstellung: Im Gegensatz zur späteren BMW-Maxime ist das Cockpit nicht fahrerorientiert. Zudem kaum beschriftet, der Schalter für die Scheibenwischer bleibt so verschollen.

Überraschend gut sind die exakt schaltbare Viergang-Box und die trotz viel Lenkspiel (keine Servolekung!) recht präzise Lenkung. Und natürlich die zeittypisch enorme Übersicht dank großer Fensterflächen. Auch an Platz mangelt es nicht, dem 1500-Fahrer steht kein ausgeprägter Radkasten im Weg.

Alles gibt sich solide verarbeitet, wenngleich nicht so extrem tresorhaft wie Mercedes-Modelle jener Zeit. Mit typischem Klang geht der M10-Motor nicht gerade dezent, aber elastisch seiner Arbeit nach. Jedoch nicht sehr sportlich im Sinne der "Freude am Fahren". Kein Wunder, dass BMW schon Ende 1964 den 1500 durch den 1600 ersetzte, der seinerseits nach zwei Jahren dem 1800 zum Opfer fiel. Zum König der Neuen Klasse avancierte der seltene, da teure 2000 tii mit Einspitzung und 130 PS.

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1972 beerbte der erste 5er (E12) die Neue Klasse, rund 350.000 Fahrzeuge waren bis dato vom Band gelaufen. Bei der neuen Neuen Klasse hofft man in der BMW-Chefetage sicherlich ab 2025 auf mehr. Man steht am Scheideweg, heute wie damals.