• 16.07.2018 09:04

  • von Julia Spacek

Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Warum Redakteurin Julia Spacek meint, dass Pascal Wehrlein in der Zwickmühle steckt, weil er durch gute Resultate überzeugen will, aber dem Teamkollegen helfen muss

Liebe DTM-Freunde,

Titel-Bild zur News: Pascal Wehrlein, Gary Paffett, Paul di Resta

Pascal Wehrlein nach erstem Qualifying in Zandvoort: Wenn Blicke mehr sagen ... Zoom

haben Sie sich auch für Rene Rast und seine Audi-Truppe über den ersten Saisonsieg gefreut? Ich schon! Die Erleichterung war den Ingolstädtern förmlich ins Gesicht geschrieben und ein Teil der Anspannung ist am Sonntag von deren Schultern gefallen. Während die Audianer jubelten, war einem der Frust am gesamten Wochenende anzumerken. Wen ich meine? Pascal Wehrlein.

Gut, er war schon in meiner letzten Kolumne die Hauptperson. Doch nach dem Norisring-Wochenende war es noch von theoretischer Natur. Aber nun ist auch genau das eingetreten: Sein Meisterschaftszug ist abgefahren. Okay, es ist erst Halbzeit in der DTM und es werden noch viele Punkte vergeben.

In der Meisterschaft chancenlos

Aber wenn vier von fünf Teamkollegen in der Meisterschaft vor einem liegen, wird es schwierig werden. Zumal Mercedes schon die interne Rangfolge festgelegt hat und Wehrlein eher schlechte Karten hat, daran noch etwas zu ändern.

Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass er öffentlich seinen Frust über seine Situation äußerte. Nach dem ersten Qualifying beschwerte er sich, dass er auf seiner fliegenden Runde von Paffett aufgehalten wurde und nach dem verpatzten Boxenstopp am Samstag funkte er - für jedermann hörbar - "was für ein Witz" es ist, in der Box so viel Zeit und folglich Positionen zu verlieren. Der Ex-Sauber-Fahrer fiel von einem sichergeglaubten dritten Platz auf den undankbaren vierten zurück.


Fotos: Pascal Wehrlein, DTM in Zandvoort


Paffett führt die DTM-Fahrerwertung an und hat sich einen komfortablen Vorsprung verschafft, mit dem er sich in die Sommerpause verabschiedet. Wehrlein hat schon satte 83 Punkte Rückstand auf seinen Teamkollegen und belegt nur den achten Gesamtplatz. Klar, dass die Mercedes-Piloten für ihren (ich möchte mich mal aus dem Fenster lehnen und sagen: designierten) Champion Paffett fahren.

Nichtangriffspakt bei Mercedes

Oder warum hat Paul di Resta beim Restart am Sonntag den blauen Mercedes nicht angegriffen. Di Resta selbst verschafft Aufklärung. "Ich denke, wir alle kennen die Antwort darauf. Ein dritter Platz ist für mich ein starkes Ergebnis in den Punkten", umschreibt er die Tatsache, dass er Paffett nicht überholte, weil dieser in der Meisterschaft führt.

Bei Mercedes gibt es, wie wir seit Budapest wissen, die Vorgabe, wenn ein Fahrer von der Pole-Position startet und auch im Rennen vor seinen Kollegen liegt, dann darf er nicht attackiert werden und das bessere Ergebnis nach Hause fahren. Soweit so gut.

Pascal Wehrlein wird ganz und gar nicht schmecken, dass er vom DTM-Champion 2015 zum Wasserträger für Paffett degradiert wird. Immerhin war er es, der in seinem Meisterjahr von seinen Teamkollegen vorbei gewunken wurde, nachdem er zuvor forderte: "I need DRS! (Ich brauche DRS!)". Unvergessen bleiben seine Funksprüche, die er wohl sein Leben lang mit sich rumschleppen wird. 2018 muss er für den bestplatzierten Fahrer der Stuttgarter fahren und ihm den Vortritt lassen. Das ist nicht einfach für einen 23-jährigen Rennfahrer, der noch große Pläne hat.

"Wir haben bei uns die Regel, dass Gary eine freie Runde bekommen muss." Pascal Wehrlein

Nach zwei Jahren in der Formel 1, wo er hinterher gefahren ist, hatte er sich sein DTM-Comeback vermutlich anders vorgestellt. Der dritte Platz am Lausitzring und das erste Podium seit langem war ein kleiner Lichtblick und die Hoffnung wuchs, dass er regelmäßig um Podestplätze mitfahren kann.

In Zandvoort hatte es bis zum verpatzten Boxenstopp so ausgesehen, als ob er wieder auf dem Stockerl landen wird. Doch das klemmende Rad beim Reifenwechsel machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Oder war es Mercedes? Ich möchte niemanden beschuldigen, aber es hat schon etwas merkwürdig ausgesehen, dass ausgerechnet bei Wehrlein der Boxenstopp schiefgeht.

Vom Champion zum Wasserträger

Keine zwei Stunden zuvor hatte er sich vor laufenden Kameras über Paffetts Verhalten beschwert: "Klar, wir haben bei uns die Regel, dass Gary eine freie Runde bekommen muss. Aber wenn ich schneller von hinten komme und er auf der Inlap ist, dann kann er zur Seite fahren. Das hat er nicht gemacht."

Als der DTM-Champion von 2005 darauf angesprochen wurde, konterte er mit britischem Humor: "Vielleicht ist er einfach nur sauer, weil ich schneller war als er." Das hat gesessen! Und entspricht vermutlich auch dem wahren Grund für Wehrleins Frust.

War das klemmende Rad die Retourkutsche für sein öffentliches Meckern? Nichts ist unmöglich! Im Motorsport werden aufmüpfige Piloten schon Mal auf derartige Art und Weise zurechtgewiesen und auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.

Pascal Wehrlein

Am Lausitzring stand Pascal Wehrlein nach langer Zeit wieder auf dem Podium Zoom

Wehrlein muss sich wohl erst daran gewöhnen, dass er im Mercedes-Lager nicht mehr die erste Geige spielt. Und wenn er in diesem Jahr noch gewinnen oder auf dem Podium stehen will, sollte er sich vorher genau überlegen, was er sagen will. Manchmal ist es besser, erst zu denken und dann zu reden.

"Du musst ein bisschen aufpassen, lieber Pascal"

Genau davor warnt auch der ehemalige DTM-Fahrer Timo Scheider, der als Experte für Sat.1 die Rennen kommentiert, als er Wehrleins Funkspruch hörte. "Du musst ein bisschen aufpassen, lieber Pascal. Es ist immer noch dein Arbeitgeber. Du hast heute Morgen schon ziemlich harte Worte gefunden gegen den Teamkollegen und jetzt das Team noch einmal so zu kritisieren ... Du brauchst auch morgen noch einen guten Service", spielt Scheider darauf an, dass der Mercedes-Pilot von seiner Crew abhängig ist und es vorkommen kann, dass der eine oder andere Boxenstopp eines Fahrers mit Absicht länger dauern kann. Als erzieherische Maßnahme sozusagen.

Natürlich wollen wir alle gerne hören, wenn die Fahrer nicht eins zu eins das sagen, was ihre Arbeitgeber ihnen in den Mund legen, sondern sie auch mal anecken und ihre Emotionen zeigen. Das macht sie zu echten Typen. Ab und zu kann der Schuss aber auch nach hinten los gehen und man sich damit nur Ärger einhandeln.

Man darf aber auch nicht vergessen, dass alle Sternfahrer vor einer ungewissen Zukunft stehen und die kleinste Kleinigkeit sie zum Brodeln bringen kann. Denn mit dem Mercedes-Ausstieg am Ende der Saison stehen sie erst einmal mit leeren Händen da. Alle sechs wollen deshalb verständlicherweise die verbleibende Zeit in der DTM nutzen, um sich durch gute Ergebnisse für andere Jobs zu empfehlen.

Für Wehrlein ist es doppelt schwer: Nach einer zweijährigen DTM-Abstinenz musste er sich zunächst an die für ihn neuen Autos und neuen Regeln in der DTM gewöhnen und gleichzeitig erfolgreich sein und gewinnen. So wollte er den Weg zurück in die Formel 1 finden und sich für ein Cockpit empfehlen. Ein großer Druck, der auf ihm lastet - auch wenn er es nicht zugibt.

Ich wünsche Pascal Wehrlein, dass er mit der Situation irgendwie zurechtkommt und trotzdem seinen Kampfgeist nicht verliert.

Ihre
Julia Spacek