Vorschau: Indianapolis und die NASCAR
Was viele Jahre als undenkbar galt, hat sich seit 1994 zur klaren Nummer zwei hinter Daytona entwickelt - die NASCAR fährt in Indianapolis auf heiligem Boden
(Motorsport-Total.com) - Der Sprint-Cup gastiert am kommenden Wochenende auf hoch traditionellem Boden, denn Jeff Gordon, Dale Earnhardt Jr. und die restliche NASCAR-Meute unternehmen ihre alljährliche Stippvisite zum Indianapolis Motor Speedway, der eigentlichen Hochburg im US-amerikanischen Motorsport.

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Indianapolis - Vorhang auf zum zweitgrößten NASCAR-Event der Saison
Den "Brickyard" selbst gibt es bereits seit dem Jahr 1909, doch die NASCAR fährt in Indianapolis erst seit der Saison 1994 und es gibt nicht wenige Stimmen, die dem "Allstate 400 at the Brickyard" nach dem Daytona 500 mittlerweile die zweithöchste Bedeutung in der ganzen Saison beimessen.#w1#
Der ehemalige Crewchief von Dale Earnhardt Sr. und in den USA sehr populäre TV-Kommentator Larry McReynolds formulierte es folgendermaßen: "Natürlich will jeder das Daytona 500 gewinnen, aber Indianapolis liegt nicht weit zurück. Es gibt zwei Rennen pro Jahr an die sich die Menschen noch lange erinnern werden, wenn du sie gewonnen hast: Das Daytona 500 und das Brickyard 400."
Alles begann im Jahr 1992, als der damals erst kurze Zeit in Amt und Würden befindliche Indianapolis-Chef Tony George ganz neue Wege gehen wollte. Bis zu diesem Zeitpunkt lag das riesige Motorsport-Areal bis auf den Monat Mai - in dem das Indy 500 gefahren wird - brach, und George wollte das ganz große Business in den berühmtesten Nudeltopf der Welt locken.
300.000 Tickets in 24 Stunden

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Bis 1994 wurde in Indianapolis nur einmal pro Jahr gefahren Zoom
Die neun Piloten, die damals eingeladen wurden, den ersten NASCAR-Test in Indianapolis durchzuführen, waren die Creme-de-la-Creme der damaligen Zeit: Dale Earnhardt Sr., Rusty Wallace, Ricky Rudd, Mark Martin, Bill Elliott, Darrell Waltrip, Ernie Irvan, Davey Allison und Kyle Petty ließen sich die Gelegenheit nicht nehmen und drehten die ersten StockCar-Runden überhaupt auf dem 2,5 Meilenoval.
Natürlich rümpften damals viele US-Traditionalisten die Nase, doch George begann ernsthaft mit der Familie France, und kurz darauf auch mit Formel-1-Zampano Bernie Ecclestone zu flirten. Sowohl die NASCAR, als auch die Formel 1 legten Anfang der 1990er Jahre erstaunliche Wachstumsraten an den Tag und der smarte Geschäftsmann George war klug genug, sich über die warnenden Zeigefinger der Puristen hinweg zu setzen.
Im Gegensatz zur Formel 1 war die NASCAR in Indianapolis ein Bombenerfolg. Als 1993 der erste Verkaufstag der Eintrittskarten für das erste Brickyard 400 im Jahr 1994 begann, ging das Ticket-System überlastet in die Knie. Binnen 24 Stunden waren 300.000 (!) Eintrittskarten verkauft und es gibt einige Zeitzeugen die Stein und Bein schwören, dass damals weit über 400.000 Zuschauer die riesige Anlage bevölkerten.
NASCAR hat die einst übermächtigen IndyCars in den USA um viele Längen überholt. Wurden die Regionalpiloten aus dem Süden früher belächelt, so stellt sich das aktuelle Geschehen genau umgekehrt dar, und der Erfolg in Indianapolis ist in diesem Zusammenhang mehr als nur eine zufällige Begleiterscheinung. Es ist vielmehr der deutliche Ausdruck dessen, wie sehr und vor allem wie schnell sich die Szenerie im US-amerikanischen Motorsport in den letzten 20 Jahren veränderte.
Jeff Gordon viermal siegreich

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Immer ein Favorit: Jeff Gordon gewann bereits viermal in Indianapolis Zoom
Fragt man übrigens die Piloten selbst, so erfährt man neben dem Heidenrespekt vor der Tradition von Indianapolis auch noch eine andere Note, denn im Vergleich zum großen Daytona wird hier nicht mit Restrictor-Plates gefahren, sondern alle 820 Pferde dürfen losgaloppieren, wenn die Startflagge fällt. Auch wenn, und das sollte ebenfalls nicht unerwähnt bleiben, das Renngeschehen selbst auf dem flachen Viereck oft nicht annähernd so spektakulär ist, wie auf dem Superspeedway in Daytona.
Trotzdem läuft das Brickyard 400 seither unter dem Motto "Big Show, Big Money". Tony George verriet einmal, dass er während des Formelkrieges etwa 250 Millionen US-Dollar in seine IRL gesteckt hat. Ein Großteil dieser Gelder dürften aus den Einnahmen des jährlichen NASCAR-Rennens stammen.
Übrigens: Der erfolgreichste Pilot aller Zeiten ist Michael Schumacher, der in Indianapolis fünf Formel-1-Rennen gewann. Jeff Gordon gewann bisher vier NASCAR-Rennen, analog den IndyCar-Legenden A.J. Foyt, Rick Mears und Al Unser, die jeweils viermal das Indy 500 gewinnen konnten.
Gordon könnte mit einem Erfolg am Sonntag also mit Schumacher gleichziehen, aber dem Hendrick-Piloten sind solche Statistikspielereien egal: "Die wirklichen Legenden hier sind doch Leute wie Mears, Unser oder Foyt. Damit will ich nicht einmal ansatzweise vergleichen, was wir mit dem StockCar erreicht haben."
Zwei prominente Lokalmatadoren

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Lokalmatador Tony Stewart gewann in Indianapolis die Ausgabe 2007 Zoom
Mit Tony Stewart und Ryan Newman befinden sich auch zwei Lokalmatadoren aus Indiana im Startfeld der Cup-Piloten und es gibt nicht wenige Szenebeobachter, die hartnäckig vermuten, dass am Indianapolis-Wochenende bekannt gegeben werden könnte, dass Newman als zweiter Pilot für das neue Stewart-Haas-Team verpflichtet wurde. Sollte an diesen Gerüchten etwas dran sein, dann gäbe es zumindest keinen passenderen Ort für ein solches Announcement.
Stewart ist der klare Fan-Favorit der Indiana-Massen und dementsprechend wurde im Vorjahr sein zweiter Indy-Sieg gefeiert. Was Stewart - genau wie Jeff Gordon - dabei sehr entgegen kommt, ist seine langjährige Monoposto-Vergangenheit, den das 2,5 Meilenoval ist alles andere als eine typische NASCAR-Strecke.
Überholen ist mit dem Car of Tomorrow in Indy nur dann möglich, wenn man sich wie auf den Rundkursen im Windschatten ansaugt und dann auf der Innenbahn in die vier Linkskurven hinein sticht. Also Vorteil Montoya und Co., denn die ehemaligen Formelpiloten kennen diese Taktiken natürlich aus dem Eff-Eff. Der Kolumbianer wurde 2007 hinter Stewart Zweiter.
Ein entscheidendes Kriterium auf dem flachen Viereck - die NASCAR-Piloten weigern sich insgeheim anzuerkennen, dass es sich hier um ein Oval handelt - mit seinen vier 90 Gradkurven ist natürlich auch die PS-Zahl, was 2008 der bärenstark aufgestellten Toyota-Flotte in die Hände spielen würde. Es ist auch der erste Auftritt des CoT und daher dürfte sich - wie immer - das Handling als kritisch erweisen.
Doch da gibt es noch eine Besonderheit, denn auch das Wetter spielt auf dem riesigen Oval eine ganz besondere Rolle. Indianapolis gilt als die Strecke, die als extrem temperaturempfindlich angesehen wird. Zu oft gab es in der Vergangenheit bereits die Situation, dass in Turn 1 und 2 die Sonne schien, während es in Turn 3 und 4 wolkig war. Für das Handling eines StockCars ein himmelweiter Unterschied.
Allrounder Montoya

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Juan Pablo Montoya kennt Indianapolis aus drei verschiedenen Serien Zoom
Einer der das ganz genau weiß, ist DEI-Pilot Mark Martin, der sich vor Indianapolis ungewöhnlich weit aus dem Fenster lehnte: "Ich plane mit meinem Auto auf dem Brickyard zu gewinnen", erklärte der NASCAR-Routinier vor einige Wochen in Pocono, als er in der Qualifikation auf Platz drei fuhr. "Wir haben das Zeug dazu". In seinen bisherigen 14 Indy-Auftritten fuhr Martin neunmal in die Top 10, 1998 wurde er hinter Jeff Gordon Zweiter.
Dale Earnhardt Jr. gewann bisher auch noch nie in Indianapolis. "Das ist ein ganz spezielles Rennen, denn hier haben richtig berühmte Leute gewonnen", erklärte der NASCAR-Superstar in Diensten von Rick Hendrick. "Diese Strecke war eine der ersten, die internationale Anerkennung erhielt. Ein Sieg wäre cool, denn damit ist jede Menge Prestige verbunden. Es befindet sich unter den fünf Orten, an denen ich in meiner Karriere noch gewinnen will."
Noch ein statistisches Detail gefällig? Juan Pablo Montoya ist der erste Pilot überhaupt, der auf allen drei großen Motorsportevents in Indianapolis teilgenommen hat, denn der Kolumbianer gewann im Jahr 2000 bereits das Indy 500, und startete zwischen 2001 und 2006 jeweils beim United-States-Grand-Prix der Formel 1.
Tabellenführer Kyle Busch (Gibbs-Toyota) wird am Wochenende wieder schwer beschäftigt sein. Er hat für alle drei NASCAR-Rennen von Indianapolis gemeldet. Neben dem Brickyard 400 fahren auch noch die Trucks und die Nationwide-Serie auf dem nur wenige Kilometer westlich gelegenen O'Reilly Raceway Park. Die Startflagge zum Brickyard 400, dem zweitgrößten NASCAR-Spektakel der Saison, fällt am Sonntagabend kurz nach 20:00 Uhr MESZ.

