Stadtrennen in Chicago: Shane van Gisbergen düpiert die NASCAR-Stars

Supercars-Champion und NASCAR-Debütant Shane van Gisbergen gewinnt das erste Stadtrennen der NASCAR Cup Series nach packendem Verlauf in Downtown Chicago

(Motorsport-Total.com) - Das erste Stadtkurs-Rennen in der 75-jährigen Geschichte der NASCAR Cup Series war ein unterhaltsames, das in Downtown Chicago wetterbedingt auf Regenreifen gestartet wurde, auf Trockenreifen zu Ende ging und aufgrund einsetzender Dunkelheit 25 Runden früher als geplant zu Ende war.

Titel-Bild zur News: Shane van Gisbergen

NASCAR-Debütant Shane van Gisbergen gewann die Stadtkurs-Premiere in Chicago Zoom

Historischer erster Sieger eines Stadtrennens der NASCAR-Topliga ist Shane van Gisbergen. Für den dreimaligen und amtierenden Champion der Australischen Supercars-Serie war es im dritten Trackhouse-Chevrolet (Startnummer 91) das NASCAR-Debüt. Dieses schloss er auf Anhieb als Sieger ab. (Fotos: NASCAR auf dem Stadtkurs in Chicago)

"Damit hätte ich natürlich nicht gerechnet", so die erste Reaktion von Shane van Gisbergen im Ziel. "Das Racing war wirklich gut. Nicht einfach, aber mit viel Respekt. Das hat eine Menge Spaß gemacht. Ich kann es einfach nicht glauben. Für mich ist ein Traum wahr geworden." Nachsatz des 34-jährigen Neuseeländers: "Ich werde noch ein Jahr in Australien fahren. Dann würde ich gerne rüberkommen und hier fahren."

Einen Sieg direkt beim ersten Rennen in der NASCAR-Topliga: So etwas gab es zuletzt vor 60 Jahren. 1963 war es Johnny Rutherford, der auf dem Daytona-Oval bei seinem ersten Rennstart auf Anhieb siegte. Es handelte sich um eines der Qualifikationsrennen zum Daytona 500, die damals Meisterschaftsrennen waren.

Auf dem im Grant Park in Chicago angelegten Stadtkurs mit 3,5 Kilometern Länge waren am Sonntag ursprünglich 100 Runden angesetzt. Weil der Start aber deutlich später erfolgte als geplant und das Rennen so bis nach Sonnenuntergang gedauert hätte, wurde nach Ende von Stage 2 (Runde 45) entschieden, die Distanz auf 75 Runden zu verkürzen.

Für die NASCAR-Topliga war es am Sonntag in ihrer 75-jährigen Geschichte das erste Stadtrennen. Die zweite NASCAR-Liga hatte diese Premiere am Tag zuvor (Samstag) zumindest unter die Räder genommen, wenn auch nicht beendet.

Denn es war zwar das erste NASCAR-Rennwochenende auf einem Stadtkurs, aber alles andere als das erste, das vom Wetter beeinträchtigt war. Aufgrund eines Gewitters und den damit verbunden Pausen im Ablauf wurde das Rennen der Xfinity-Serie am Samstag kurz vor Halbzeit unterbrochen.

Am Sonntagvormittag hätte das Xfinity-Rennen fortgesetzt werden sollen. Aber dazu kam es aufgrund von stundenlangem Starkregen nicht. Der zum Zeitpunkt der Unterbrechung am Samstag in Führung gelegene Cole Custer wurde zum Sieger erklärt, obwohl die vorgeschriebene Mindestdistanz nicht erreicht wurde. Die alles andere als erste Aushebelung der eigenen Regeln begründet NASCAR mit "noch nie dagewesenen Bedingungen".

Das Cup-Rennen am Sonntagnachmittag hingegen wurde mit Verspätung doch noch gestartet. Verglichen mit dem ursprünglich angesetzten Startzeitpunkt ging es de facto 45 Minuten später los. Im Vergleich zur kurzfristig nach vorn verlegten Startzeit betrug die Verspätung eineinhalb Stunden. Der unterhaltsame Rennverlauf mit Debütsieger entschädigte dafür.


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Zum ersten Polesetter der NASCAR Cup Series auf einem Stadtkurs machte sich im Qualifying (Samstag) Denny Hamlin. Mit seinem Gibbs-Toyota führte der Routinier das 37-köpfige Feld am Sonntag um 17:40 Uhr Ortszeit (00:40 Uhr MESZ in der Nacht auf Montag) ins historische erste Stadtrennen der höchsten NASCAR-Liga.

Während Tyler Reddick (23XI-Toyota) auf P2 im Qualifying nicht die ganz große Überraschung war, sorgte Shane van Gisbergen direkt für Aufsehen: Der dreimalige und aktuelle Supercars-Champion fuhr in seinem ersten NASCAR-Qualifying als Drittschnellster in die zweite Startreihe. Ein starkes Qualifying zeigte auch Jenson Button (Ware-Ford). Der Formel-1-Weltmeister von 2009 begann sein zweites NASCAR-Rennen vom achten Startplatz und somit aus der vierten Reihe.

Beim Start am Sonntag war Single-File-Formation angesagt, weil nach den stundenlangen Regenfällen an einigen Stellen des Stadtkurses noch Wasser stand. Immerhin stand das Regenwasser nicht mehr zentimeterhoch wie es noch wenige Stunden vor dem verzögerten Start der Fall gewesen war. Mit Polesetter Denny Hamlin an der Spitze ging es hintereinander anstatt in Zweierreihen ins Rennen. An der Single-File-Formation wurde dann auch für jeden Restart festgehalten.

Mehrere Ausrutscher in den ersten Rennrunden

Schon in der zweiten Kurve ging Tyler Reddick längsseits mit Spitzenreiter Denny Hamlin. In Kurve 4 kam er vorbei und riss damit direkt die Führung an sich. Was folgte, waren turbulente erste Minuten. Nicht nur im Mittelfeld gab es im Verlauf der ersten drei Rennrunden gleich mehrere Ausrutscher.

So drehte sich Aric Almirola (Stewart/Haas-Ford) direkt in der ersten Runde ausgangs Kurve 5. Am Ende der anschließenden langen Gerade rutschten beide Legacy-Chevrolet - Erik Jones und Noah Gragson - sowie Brad Keselowski (RFK-Ford) in den Notausgang von Kurve 6. Gragson rutschte später an derselben Stelle noch drei weitere Male aus, krachte dabei jeweils in die Reifenstapel, fuhr aber jedes Mal weiter.

Indes rutschte in Kurve 2 der zweiten Runde der an zweiter Stelle fahrende Denny Hamlin in die Reifenstapel, bevor er mit Verlust von zehn Positionen weiterfuhr. Erst als in der dritten Runde auch Kyle Busch (Childress-Chevrolet) in die Reifenstapel von Kurve 6 rauschte, gab es Gelb. Es war die erste von letztlich neun Gelbphasen.

Nach acht Runden verlor Tyler Reddick die Führung, als er in Kurve 6 einen Tick zu spät bremste und auf eine Pfütze geriet. Einen Ausrutscher konnte der 23XI-Pilot zwar vermeiden, aber Christopher Bell (Gibbs-Toyota) war sofort zur Stelle und übernahm die Spitzenposition.

Als nach 20 Runden das erste Rennsegment (Stage 1) unter Renntempo zu Ende ging, führte Christopher Bell vor Tyler Reddick, dem erstaunlichen NASCAR-Debütanten Shane van Gisbergen, sowie Martin Truex Jr. (Gibbs-Toyota) und Michael McDowell (Front-Row-Ford).

Der Himmel über dem Grant Park klarte in dieser Phase des Rennens deutlich auf und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die ersten NASCAR-Piloten an der Box auf Trockenreifen umrüsten lassen würden.

Wechsel auf Slicks ab der 20. Runde

Noch am Ende der 20. Runde war es soweit. Alex Bowman (Hendrick-Chevrolet) war der erste. Wenngleich der 3,5 Kilometer lange Stadtkurs noch lange nicht ringsum trocken war, fand Bowman sofort zahlreiche Nachahmer. Die Spitzengruppe geduldete sich noch fünf, sechs Runden länger bis ebenfalls Slicks angesagt waren.

Christopher Bell

Christopher Bell gewann Stage 1 und Stage 2, drehte sich aber in Stage 3 Zoom

Nach dem ersten Boxenstopp-Durchgang hielt Christopher Bell die Führung. Erster Verfolger des Gibbs-Piloten war einige Runden lang Shane van Gisbergen. Beim nächsten Restart aber holte sich Tyler Reddick die zweite Position vom Neuseeländer zurück.

Dahinter machte Kyle Larson (Hendrick-Chevrolet) mit Riesenschritten Positionen gut. In der 35. Runde ging Larson an van Gisbergen vorbei und war Dritter. Daniel Suarez (Trackhouse-Chevrolet) nutzte die Gelegenheit und überholte seinen prominenten Teamkollegen ebenfalls. Beim nächsten Restart erwischte Suarez ausgangs Kurve 1 die Mauer und van Gisbergen kam dadurch wieder in die Top 4 nach vorn.

Ganz vorne jagte Kyle Larson mittlerweile den Spitzenreiter. Christopher Bell aber hielt sich noch lang genug vorn, um nach 45 Runden auch den Stage-2-Sieg einzufahren. Dieser zweite Stage-Sieg des Tages wurde unter Gelb erzielt, weil der #48 Hendrick-Chevrolet von Alex Bowman am Streckenrand qualmte.

Verkürzung der Renndistanz - Stau nach Restart

Noch bevor die Teams am Ende von Stage 2 informiert wurden, dass die Renndistanz von 100 auf 75 Runden verkürzt wird, kam einige Piloten unter Gelb zum letzten Boxenstopp. Der wurde noch vor Ende der Gelbphase von fast allen anderen nachgeholt, weil mit Info der Verkürzung klar war, dass der Sprit bis ins Ziel reichen würde.

Beim Restart lagen nun diejenigen vorne, die ein vorzeitiges Rennende antizipiert hatten. Drei davon - Justin Haley (Kaulig-Chevrolet), Austin Dillon (Childress-Chevrolet) und Chase Elliott (Hendrick-Chevrolet) - waren allerdings noch gar nicht zum zweiten Boxenstopp drin gewesen. Dahinter lagen die Fahrer, die den zweiten Stopp vorgezogen hatten. Und hinter ihnen reihten sich der zweimalige Stage-Sieger Christopher Bell und seine Verfolger auf.

Beim Restart, der das letzte Rennsegment einläutete, führte der vom letzten Startplatz ins Rennen gegangene Justin Haley vor Austin Dillon, Chase Elliott, William Byron (Hendrick-Chevrolet), Joey Logano (Penske-Ford), Kevin Harvick (Stewart/Haas-Ford), Corey LaJoie (Spire-Chevrolet) und Co. Die eigentliche Spitzengruppe fuhr knapp außerhalb der Top 10. Doch die Runde wurde nicht beendet ohne den größten Verkehrsstau des Tages.

In Kurve 11 rutschte William Byron in die Reifenstapel. Kevin Harvick und Corey LaJoie drehten sich daraufhin und blockierten die Strecke für unter anderem Langzeitspitzenreiter Christopher Bell sowie Kyle Larson und jede Menge Nachfolgende.

Es dauerte kurz, bis NASCAR den Stau aussortiert und die Reihenfolge für den folgenden Restart festgelegt hatte. Justin Haley führte abermals vor Austin Dillon und Chase Elliott. Es folgten Joey Logano und Kyle Busch, der nach seinem Ausrutscher aus der dritten Runde nun in den Top 5 aufgeigte. Kurz darauf legte Christopher Bell in Kurve 1 einen Dreher hin und verlor damit jede Menge Positionen.

Ganz vorne mussten Haley, Dillon, Elliott auf ihre Spritvorräte achten und hatten zudem die ältesten Reifen drauf. Der erste derjenigen, die ausreichend Sprit im Tank hatten, war Joey Logano. Der Penske-Pilot wurde zwar bald von Tyler Reddick in dieser Position abgelöst. Aber kurz darauf stopfte - wie so viele zuvor - auch Reddick sein Auto in die Reifenstapel von Kurve 6.

Damit war plötzlich Kyle Busch derjenige, der als Vierter im Rennen die besten Aussichten hatte, mit genügend Sprit im Tank am weitesten vorne ins Ziel zu kommen. 15 Runden waren noch zu fahren. Austin Dillon rutschte in Kurve 12 an zweiter Stelle liegend in die Mauer, womit Kyle Busch die Top 3 enterte. Er fuhr nun direkt hinter Justin Haley und Chase Elliott, hatte aber Shane van Gisbergen im Nacken.

Shane van Gisbergen ringt Justin Haley nieder

Dank frischerer Reifen kam van Gisbergen an Kyle Busch vorbei und machte sich in den letzten zehn Runden seinerseits auf die Verfolgung von Justin Haley und Chase Elliott. Acht Runden vor Schluss zog der NASCAR-Debütant an Elliott vorbei und war damit wieder Zweiter, wo er bereits in der ersten Rennhälfte gelegen hatte

In dem Moment, als van Gisbergen auch noch Justin Haley packen und damit die Führung übernehmen wollte, rutschte Martin Truex Jr. mit Bremsproblemen in die Reifenstapel von Kurve 1 und brachte die achte Gelbphase heraus. So gab es mit noch fünf zu fahrenden Runden nochmals einen Restart. Haley führte, aber ihm waren die Hände gebunden.

In Kurve 1 nach dem Restart lag Haley noch vorn. In Kurve 2 ging van Gisbergen innen daneben und vorbei. Haley konterte im schnellen Rechtsknick (Kurve 3), bevor sich van Gisbergen vor Kurve 4 doch durchsetzte und damit endgültig die Führung übernahm.

Ein Crash zwischen Bubba Wallace (23XI-Toyota) und Ricky Stenhouse (JTG-Chevrolet) in der vorletzten Runde sorgte für die neunte Gelbphase und damit die Verlängerung des verkürzten Rennens. Beim Overtime-Restart ließ Shane van Gisbergen als Spitzenreiter aber nichts mehr anbrennen und setzte sich sofort ab. Dabei blieb es.

Van Gisbergen brachte seinen sensationellen Debütsieg ins Ziel. Für Haley und Elliott, die Zweiter und Dritter wurden, hatte sich das Problem mit den Spritvorräten erledigt, weil es im letzten Rennsegment so viele und vor allem so lange Gelbphasen gab. Kyle Larson und Kyle Busch machten die Top 5 komplett.

Während Supercars-Champion Shane van Gisbergen bei seinem NASCAR-Debüt auf Anhieb zum Sieg fuhr, wurde Ex-Formel-1-Champion Jenson Button bei der Anfahrt zum ersten Boxenstopp unglücklich von Chris Buescher (RFK-Ford) umgedreht. Viel Zeit ging für Button bei dem Dreher nicht verloren. Am Ende wurde es für ihn in seinem zweiten von drei geplanten NASCAR-Rennen in diesem Jahr der 21. Platz.

Zwei Randnotizen gab es am ersten Stadtkurs-Wochenende der NASCAR auch noch - eine davon tragisch, die andere kurios. Als am Freitag die Errichtung des Stadtkurses abgeschlossen wurde, kam ein 53-jähriger Arbeiter ums Leben. Ersten Erkenntnissen zufolge war ein elektrischer Schlag der Grund für den Todesfall.

Schlagzeilen anderer Art gab es aufgrund eines am Samstagabend passierten Zwischenfalls. Ein 46-jähriger Mann wurde in Gewahrsam genommen. Grund: Einige Stunden nach den wenigen gefahrenen Runden im Xfinity-Rennen war der Mann mit seiner privaten Corvette auf die eigentlich abgesperrte Rennstrecke gelangt und dort unterwegs gewesen.

Das nächste Rennen im NASCAR Cup-Kalender 2023 ist dann wieder eines der traditionellen Ovalrennen, aber auf einem der neuesten Layouts. Am kommenden Sonntag (9. Juli) wird auf dem Atlanta Motor Speedway gefahren, der im Herbst 2021 zum Superspeedway umkonfiguriert wurde.