• 25.10.2011 18:25

  • von Lennart Schmid

Kolumne: Dorna und FIM sind Antworten schuldig

Die schrecklichen Ereignisse beim Grand Prix von Malaysia zeigen: In der MotoGP herrscht in Sachen Sicherheit Diskussionsbedarf

Liebe Leser von 'Motorsport-Total.com',

Titel-Bild zur News: Marco Simoncelli

Marco Simoncelli kurz vor dem Start zum Grand Prix von Malaysia

der Motorradrennsport hat am vergangenen Sonntag in Marco Simoncelli einen großartigen Rennfahrer verloren. Aber nicht nur das: Der bei Fans und Journalisten wegen seiner positiven Ausstrahlung und spektakulären Fahrweise beliebte Lockenkopf wird auch wegen seines Charismas in der MotoGP vermisst werden.

Der tödliche Unfall von Marco Simoncelli lässt mich auch zwei Tage nach dem Grand Prix von Malaysia fassungslos zurück. Die Bilder von dem verhängnisvollen Zusammenstoß mit Colin Edwards und Valentino Rossi, bei dem Simoncelli der Helm vom Kopf gerissen wurde, werden mich so bald nicht loslassen. Am Dienstag kamen unglücklicherweise weitere schlimme Bilder hinzu.

Im Internet ist eine Amateuraufnahme aufgetaucht, die den Abtransport Simoncellis unmittelbar nach dem Unfall durch die malaysischen Streckenposten zeigt. Der knapp anderthalb Minuten lange Clip lässt den Betrachter erschaudern. Es ist kein Arzt zu sehen, der den offenbar bewusstlosen Simoncelli untersucht und gegebenenfalls medizinische Sofortmaßnahmen einleitet.

Stattdessen heben die Streckenposten den leblosen Körper auf eine Trage und bringen diesen in einen Krankenwagen, der hinter den Leitplanken parkt. Auf dem Weg dorthin straucheln sie, wodurch die Trage samt Simoncellis Körper zu Boden geht.

Warum wurde "Sic" so schnell abtransportiert?

Marco Simoncelli

Marco Simoncelli jagte in Sepang den drei Werks-Hondas hinterher Zoom

Dieses Verhalten wirft Fragen auf. Warum trugen die Streckenposten Simoncelli überhaupt von der Strecke? Das Teilnehmerfeld hatte die Unfallstelle schließlich schon passiert, das Rennen wurde sofort abgebrochen. Gefahr für die Helfer auf der Strecke bestand aus meiner Sicht nicht - im Gegensatz zum tödlichen Unfall von Shoya Tomizawa vor 14 Monaten, bei dem das Rennen nicht unterbrochen wurde.

In der Formel 1 gehört es in vergleichbaren Fällen seit Jahren zum üblichen Prozedere, dass das Ärzteteam samt Rettungswagen zum Unfallopfer kommt - und nicht umgekehrt. Den verunfallten Piloten wird zudem zunächst in eine möglichst stabile Position gebracht, bevor man ihn transportiert. Es besteht sonst die Gefahr durch Folgeverletzungen an Kopf, Nacken und Wirbelsäule.

Die Streckenbetreiber attestieren sich Professionalität

Marco Simoncelli

Alvaro Bautista (l.) konnte dem fatalen Unfall noch ausweichen Zoom

Dass der Rettungswagen, in den Simoncelli getragen wurde, zudem hinter den Leitplanken auf einer grünen Wiese parkte, verwundert mich stark. In Malaysia sind starke Regenfälle keine Seltenheit, schon gar nicht um diese Jahreszeit. Nicht auszudenken, wenn die Wiese von Regenwasser durchtränkt und somit vielleicht gar nicht befahrbar gewesen wäre.

Die Stellungnahme des Sepang International Circuit, mit dem sich die Streckenbetreiber am Dienstag an die Öffentlichkeit wandten, wirft weitere Fragen auf. Darin ist die Rede davon, dass "sich das Streckenpersonal schnell und professionell verhielt". Und weiter: "Der Sepang International Circuit wurde so gestaltet, dass er ein sicherer Kurs ist, und von einem aus erfahrenem Personal bestehenden Team gemanagt wird, auf und neben der Strecke, um Rennveranstaltungen professionell durchzuführen."

Streckenposten patzten schon am Freitag

Paolo Simoncelli

Paolo Simoncelli brachte am Dienstag den Leichnam seines Sohnes nach Italien Zoom

Angesichts der erwähnten Videoaufnahme, kann man allerdings auch zu einer anderen Beurteilung der Ereignisse kommen. Während dieses Video sicherlich nicht dazu geeignet ist, über die Vorgänge des Sonntags abschließend zu urteilen, bleiben die Zweifel an der Professionalität des "erfahrenen Personals" bestehen.

Am Freitag versäumten es die Streckenposten in Kurve zehn nämlich, zu Beginn des ersten Freien Trainings die Fahrer auf einen komplett nassen Streckenabschnitt per Flaggensignal hinzuweisen. Mehrere Fahrer stürzten schwer. Bradley Smith brach sich das Schlüsselbein, Marc Marquez trug so schwere Prellungen davon, dass er nicht am Rennen teilnehmen konnte und somit wohl seine WM-Chance eingebüßt hat. Der Rennveranstalter wurde daraufhin seitens der FIM zu einer Strafzahlung in Höhe von 15.000 Euro verdonnert.

Trotz dieses Vorfalls stellen sich die Betreiber des Kurses in Sepang ein gutes Zeugnis aus. "Alle Vorbereitungen und vorbereitenden Schritte wurden unternommen, um sicherzustellen, dass wir ein sicheres Rennen in Übereinstimmung mit den Sicherheitsanforderungen der FIM, AAM und Dorna abhalten", heißt es in der Pressemitteilung vom Dienstag. Inwieweit die Anforderungen des Weltverbands FIM und des MotoGP-Vermarkters Dorna tatsächlich erfüllt wurden, wird sich hoffentlich noch zeigen.

Warum löste sich Simoncellis Helm?

Lennart Schmid

'MST'-Redakteur Lennart Schmid fordert Antworten von Dorna und FIM Zoom

Und dann ist da noch die Frage, warum sich bei Simoncellis Unfall der Helm vom Kopf des Gresini-Piloten löste. Ralf Waldmann steht mit seiner Vermutung, wonach der Lockenkopf wegen seiner Frisur womöglich einen zu großen - und damit nicht fest sitzenden - Helm getragen haben könnte, im MotoGP-Fahrerlager nicht alleine.

Diese Annahme ist, darauf legt Waldmann großen Wert, natürlich nur eine Spekulation. Sollte an dieser Vermutung etwas dran sein, müssen sich die Verantwortlichen allerdings fragen lassen, wie man einen Piloten mit einem Helm starten lassen kann, der den eigenen, angeblich höchsten Sicherheitsansprüchen womöglich nicht gerecht wurde.

Zugegeben: Marco Simoncellis Unfall war so schwer, dass er ihn vermutlich auch dann nicht überlebt hätte, wenn sich sein Helm nicht vom Kopf gelöst und die Streckenposten anders verhalten hätten. Auf die Ergebnisse der "genauen Untersuchung der Umstände", die Renndirektor Paul Butler am Sonntag ankündigte, bin ich allerdings äußerst gespannt.

Herzlichst,
Ihr


Lennart Schmid