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  • 10.07.2014 14:23

  • von Marcus Simmons (Haymarket)

Hinter den Kulissen des Formel-E-Tests

Während die erste Saison der Formel E immer näher rückt, gibt Marcus Simmons seine Eindrücke vom Besuch der Formel-E-Tests letzte Woche wieder

(Motorsport-Total.com) - "Komm in die Garage, und ich zeige dir das Auto", lächelt der liebenswürdige Peter McCool, ehemaliger Chefdesigner des talentierten Kerns des Formel-1-Teams von Super Aguri, dessen Ideen einen großen Betrag zum Titelgewinn von Brawn 2009 lieferten. "Aber fass es nicht an...", warnt er nervös.

Titel-Bild zur News: Formel-E-Nase

In der Formel E gilt es, mit allerlei neuer Technik zurechtzukommen Zoom

McCool ist nun Technikchef von Aguri Suzukis neustem internationalen Rennprojekt: dem Amlin-Aguri-Team, einer von zehn Mannschaften, die beim zweitägigen Formel-E-Test in Donington im Einsatz sind. Das Auto, das nicht angefasst werden darf, wird aufgeladen. Dieser Prozess dauert rund 45 Minuten, und das Team will - verständlicherweise - keinen Journalisten auf dem Garagenboden, der durch einen Stromschlag getötet wurde.

Selbst bevor wir die Boxengasse erreicht haben, haben wir schon die besten Lade-Storys gehört. Indiens Rennheld Karun Chandhok wollte in der Mahindra-Box seinen Teekessel für den Ich-bin-gerade-an-der-Strecke-angekommen-Tee einstöpseln, als die Carlin-Jungs, die den Rennstall betreiben, sofort ihr Veto einlegten, weil dies den Ladevorgang ihres Autos stören würde. Karun ging von Garage zu Garage bevor er ein Team gefunden hatte, das in seiner Rennmaschine vollgeladene Batterien hatte.

Die Formel E steckt noch in ihren Kinderschuhen. Aufgrund der völlig neuen Technologie an den Spark-Renault-Rennern braucht es noch Zeit, bevor auch nur irgendeiner daran denkt, am Setup zu arbeiten. Zuverlässigkeit kommt zu diesem Zeitpunkt vor Konkurrenzfähigkeit. "Alle Autos sind eine großartige Herausforderung", erklärt McCool, der sich zu entspannen beginnt, als er merkt, dass wir mehr daran interessiert sind, Kugelschreiber und Notizzettel anzufassen als das Rennauto.

"Mit der ganzen Elektrik ist das alles sehr komplex, und es gibt viel zu tun, um sicherzustellen, dass wir es verstehen." Aber schon am zweiten Tag denkt er darüber nach, das Ding schneller zu machen. "Die Elektrik und das Setup bekommen die gleiche Aufmerksamkeit", verrät er. "Der Trick ist, wirklich gute Daten von hoher Qualität zu bekommen und sie zu verstehen." In anderen Worten: Es ist einfach wie jedes normale Rennauto...

Bruno Senna

In der Mahindra-Box darf man keine Teekessel anschließen... Zoom

Nichtsdestotrotz sprechen wir über sehr leise Rennwagen. Der erste Ausflug an die Strecke ist an den Zaun am Ausgang der Melbourne-Haarnadel. Weil die Autos auf profilierten Michelin-Reifen unterwegs sind und durch die Batterien im Heck ein enormes Gewicht mit sich herumtragen, sind schnelle Runden ziemlich spektakulär. Die Bremsen blockieren, das Heck bricht aus, und es gibt einen befriedigenden Ruck, wenn das Auto den Scheitelpunkt erreicht, bevor man auf das Gas tritt. Beim Beschleunigen klingen sie wie ein sehr schneller Milchwagen.

Gut zu fahren, schlecht zu hören

Der zweite Trip geht entlang der Craner-Kurven zur Old Hairpin, die bis zum zweiten Nachmittag durch eine sehr enge, dreifache Reifenwand-Schikane neutralisiert ist. Wir hören, dass dies den Effekt haben soll, damit man die Rundenzeiten nicht mit anderen Formelserien vergleichen kann. Hier sind sie weniger beeindruckend, auch wenn man fairerweise sagen muss, dass dies nicht das natürliche Habitat der Formel E ist. Die schnellen, flüssigen, langgezogenen Bergabkurven sind in keiner Weise repräsentativ gegenüber den engen, welligen Stadtkursen, auf denen sie fahren werden.

Beim Bremsen klingen sie wie eine Mischung aus einem Scalextric-Set und einem Flugzeug, das in den Flughafen rollt. Wir werden nicht sagen, ob das gut oder schlecht ist. Es ist einfach anders. Für diese Augen und Ohren ist eines der beeindruckendsten Dinge ein fast lautloser Audi LMP1 gewesen, der durch Maggotts und Becketts in Silverstone geschwebt ist. Das Formel-E-Auto wird diese Eindrücke so schnell nicht liefern können. Im Grunde entsprechen seine 200 Kilowatt Maximalleistung nur 270 PS, aber Sound ist nicht alles.

So ein Mantra trifft auch auf den Testtag-Kommentator zu: Langstrecken-Trucker und Teilzeit Spiderman-Imitator Richard Asher klingt wie ein Late-Night-Radio-DJ aus Südafrika, aber da die Autos so leise sind, benötigt es keine schrillen Töne, die wir von Streckensprechern gewohnt sind.


An Bord bei Virgin Racing

Aber wie lassen sich die Autos fahren? "Sie sind gut", sagt Ex-Grand-Prix-Star Jarno Trulli, der vom Ruhestand in die Formel E gewechselt ist und dort sein eigenes Team, TrulliGP, aufgebaut hat, das vom AutoGP-Spitzenteam Super Nova geführt wird. "Die Power ist ziemlich gut, und wenn man fährt, ist es einfach wie ein normales Formelauto - und das ist für einen Rennfahrer ein schönes Gefühl. Donington ist ein bisschen zu schnell für dieses Auto, da wir keinen hohen Topspeed brauchen, trotzdem ist es zum Testen gut."

"Die einzige große Einschränkung wird durch die Batterie und den Elektromotor vorgegeben. Das Auto kann ein paar Runden lang sehr gut performen, bevor die Batterie anfängt sich aufzuheizen. Daher ist die größte Herausforderung, die Technologie zu entwickeln, um ein ausreichend ausdauerndes Rennauto zu haben."

Angst vor langsamer Prozession

"Wir sind noch in den ersten Tagen der Lernphase", sagt Mahindras Bruno Senna. "Wir haben noch keine Setup-Arbeit gemacht, aber so weit so gut. Wenn man im Qualifying-Modus fährt, macht es viel Spaß, aber im Rennmodus will man unbedingt mehr Speed in die Kurven nehmen." Da zielt die Formel E derzeit auf Verbesserungen ab - zumindest was das sportliche Reglement anbelangt. Die Rennpower ist derzeit bei 133 Kilowatt (180 PS) angesetzt, und nur die Gewinner des FanBoost-Votings dürfen 2,5 Sekunden lang auf 200 Kilowatt hochgehen. Vergesst den Sound - das FanBoost-Konzept ist vermutlich der Punkt, der die meisten Puristen abschreckt.

Die Fahrer sind besorgt, dass die Autos in einer Prozession bei reduzierter Power herumzuckeln werden. Sie rechnen mit einem Verlust von sieben Sekunden pro Runde in Donington, und die einzigen Überholmanöver werden die sein, die von einer peinlichen Twitter-Aktion entschieden wurden. Dragons Mike Conway, ein Mann, der als IndyCar-Star Straßenkurse, auf denen man schwer überholen kann, zum Frühstück isst, spottet: "Das erinnert mich an eine Indoor-Karthalle, wo jeder die Leistung abgedreht bekommt (wenn es einen Unfall gibt; Anm. d. Red.)."

"Das erinnert mich an eine Indoor-Karthalle, wo jeder die Leistung abgedreht bekommt." Mike Conway

"Aber das wird Spaß machen, auch wenn es anders ist. Das Auto rutscht viel herum, und auch wenn die Reifen wie Straßenreifen aussehen, sind sie viel weiter entwickelt. Wir müssen uns noch um viele Dinge kümmern. Wir sind kaum zu den Einstellungen am Lenkrad vorgedrungen, aber wir haben ein paar wirklich gute Fahrer auf dem Grid."

Er hat Recht, und die Qualität weitet sich von den Fahrern auf die Ingenieure, Mechaniker und operativen Leute aus. Die Boxengasse in der Formel E ist ein Schmelztiegel aus ehemaligen, aktuellen und nebenher beschäftigten Hirnen aus der Formel 1, GP2, GP3, Formel 3, World Series by Renault, IndyCar sowie den Top Sport- und Tourenwagen-Klassen.

Aber was ist die größte Sorge? Andrettis-Teammanager Rob Arnott sagt: "Der Eintages-Test zuvor war exzellent. Wir konnten ohne Probleme fahren und waren mit Franck (Montagny; Anm. d. Red.) die Schnellsten. Es waren horrende, nasse Bedingungen und wir hatten keine elektrischen Probleme. Aber gestern erlebten wir einen Albtraum, der von allen zehn Teams geteilt wurde, mit der Batterie-Konditionierungseinheit BCU."

"Aus irgendeinem Grund hat die BCU die angesaugte Luft in das Kühlsystem der Batterie geleitet, daher hatten wir Probleme, die Batterie zu kühlen - und man muss sie kühlen, bevor man sie laden kann. Wir haben das Kühlsystem stillgelegt und sind zurück zu Trockeneis und Ventilatoren gegangen - aber das ist nicht die endgültige Lösung. Wir müssen die BCU zum Laufen bekommen."


Formel-E-Test in Donington, Woche 2

Schwierigkeitsgrad: Formel 1

Arnott rechnet damit, dass die Kommunikation zwischen Fahrer und Team, während das Auto auf der Strecke ist, "ziemlich ähnlich sein wird, wie es in der Formel 1 derzeit passiert. Es geht viel vor sich - viele verschiedene Power-Mappings und Torque-Mappings. Die Funktionalität ist ähnlich der eines aktuellen Formel-1-Autos."

Eines der derzeit größten Lehrfächer für die Fahrer ist laut Arnott die Regenerations-Wippe am Lenkrad für die hinteren Bremsen und wie man sie in Verbindung mit der mechanischen Justierung der Bremsbalance nutzt. Es ist kein Wunder, dass wir einige Fahrer sehen, die in der Melbourne-Haarnadel über das Ziel hinausschießen.

Ex-Toro-Rosso-Formel-1-Pilot Jaime Alguersuari stimmt zu: "Man hat viele Dinge am Lenkrad zu tun - Brems-Rückgewinnung, Batterie-Rückgewinnung. Man kann wirklich Probleme mit der Balance bekommen, wenn man die Wippe aktiviert." Und wie ist es, in Stille zu fahren? "Es ist anders", merkt Alguersuari an. "Man spürt den Wind deutlich - es ist fast, als ob man ein wenig fliegen würde."

"Es fühlt sich irgendwie wie ein großes Abenteuer an." Alejandro Agag

Die Formel E ist eine ganze Welt voller neuer Erfahrungen. Wir haben über ihren In-Arbeit-Status und die Sorgen über die fehlende Leistung im Rennmodus gesprochen, aber es soll Diskussionen über eine Anhebung auf 170 Kilowatt geben, auch über die Optimierung konfuser Regeln über eine maximale Batterienutzung im Rennen wird gesprochen.

Das ist unbekanntes Gebiet, aber Serienchef Alejandro Agag ist zufrieden mit dem frühen Fortschritt: "Es fühlt sich irgendwie wie ein großes Abenteuer an. Gestern hatten wir Probleme mit den Batterien, aber man kann sehen, wie sie das in den Griff bekommen haben. Wir sind am Anfang einer neuen Renntechnologie. Wir haben die Probleme gelöst, und die Testfahrten spielen die Rolle, die sie spielen sollten."

Er freut sich auch ziemlich darüber, dass es Fahrer übertreiben und sich drehen, weil das zeigt, dass sich die Konkurrenzfähigkeit langsam aufbaut. "Vorher haben sie sich eingefahren, jetzt haben sie Spaß", lacht Agag. "Die Jungs schauen auf die Zeitentabelle, und wenn sie von der Strecke abkommen, dann ist das Teil der Show."

Fabio Leimer

Den Chef freut's: Abflüge wie hier von Fabio Leimer sorgen für Action Zoom

"Es ist ein neues Konzept im Motorsport", sagt Virgins Alguersuari. "Es ist wirklich unfair, es mit irgendeiner anderen Rennserie zu vergleichen - es ist ein Baby, das gerade erst geboren wurde." Und was ist für Agag, dem stolzen neuen Elternteil, das bisherige Highlight gewesen? "Als ich nach dem ersten Testtag die erste Zeitentabelle auf der Autosport-Website gesehen habe, da war ich sehr glücklich!"