Testanalyse Porsche: Die Rakete für eine Runde
Die Ergebnisse des WEC-Prologs unter der Lupe: Porsche überzeugt mit schnellen Rundenzeiten, hohem Topspeed und Zuverlässigkeit - Wie lange halten die Reifen?
(Motorsport-Total.com) - Bei oberflächlicher Betrachtung hat Porsche beim Prolog der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) in Le Castellet alles in Grund und Boden gefahren. Die Mannschaft aus Weissach schloss alle fünf Sessions der zweitägigen Probefahrten auf Platz eins der Zeitenlisten ab, man war mit 338,6 km/h auf der langen Mistral-Geraden am schnellsten und legte mit 4.135 Kilometern (insgesamt 714 Runden) die größte Distanz aller LMP1-Werksteams zurück.
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Der Porsche 919 schaffte die deutlich schnellste Rundenzeit in Le Castellet Zoom
"Auch wenn immer ein Porsche an der Spitze war, so sagt das noch gar nichts. Wir wissen nicht, ob die Konkurrenten einen Qualifyingrun probiert haben - wir haben es jedenfalls getan. Für die Rennen sagt es ohnehin erst einmal noch nichts", meint Timo Bernhard in seinem Rückblick auf die Testfahrten. Im Rahmen eines schnellen Versuchs auf frischen Reifen und mit recht wenig Benzin an Bord hatte Markenkollege Neej Jani in 1:37.220 Minuten die absolute Topzeit aufgestellt.
"Die haben teilweise Zeiten rausgehauen, die wir nicht erreichen konnten - ich betrachte mal nur eine einzelne Rundenzeit", sagt Joest-Audi-Einsatzleiter Ralf Jüttner. "Wenn die ihr Acht-Megajoule-System voll laden und dann rausbrettern, dann müssen wir uns gar nicht einbilden, dass wir diese Zeiten auch erreichen könnten. Das wird während der Saison auf einigen Strecken genauso sein, auf anderen aber wahrscheinlich nicht ganz so drastisch."
Vier Sekunden schneller als im Vorjahr: Porsche powert
Die Runde in 1:37.220 Minuten war noch längst nicht das Ende der Fahnenstange. In Kombination der besten Sektorenzeiten hätte sich am Freitag in Le Castellet sogar ein optimaler Umlauf in 1:36.892 Minuten realisieren lassen. "Die Konstanz von Porsche fand ich ebenso beeindruckend. Aber die waren immerhin zuvor eine Woche lang in Le Castellet. Das war deren Vorteil", so Jüttner. Allerdings ist man in Hause Porsche von der Performance auf die Distanz nicht so überzeugt.
Die Longruns der beiden 919 Hybrid waren längst nicht so beeindruckend wie das Tempo von Audi über einen langen Stint. Am Freitagnachmittag und -abend lief über die Distanz herzlich wenig, erst am Samstag wurde es etwas besser. Mark Webber konnte am Vormittag des zweiten Tages 25 Runden lang im Bereich von guten 1:41er-Runden fahren, am Nachmittag spulte sein Kollege Brendon Hartley in der Startnummer 18 ein ähnlich solides Tempo ab.
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Das eigentliche Porsche-Problem wurde am Schwesterfahrzeug sichtbar. Marc Lieb konnte am Samstagmorgen zunächst über rund 25 Runden ein starkes Tempo (1:41 Minuten tief) fahren, dann jedoch brach die Performance der Reifen ein. "Über eine einzelne Runde haben wir ein gutes Auto. Jetzt müssen wir weiter daran arbeiten, es auf den Longruns zu verbessern. Da gibt es Potenzial, denn unser Reifen-Drop ist noch zu hoch", meint Porsche-Entwicklungsvorstand Wolfgang Hatz im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'.
Reifen müssen haltbarer gemacht werden
"Der Longrun mit dem 17er-Auto war besser als der des 18er. Mark Webber hat am Freitagabend einen starken Stint gefahren. Da waren auch 1:39er-Zeiten dabei", sagt Hatz. Der genannte Versuch des australischen Ex-Formel-1-Piloten war schnell, aber auch nur über 15 Runden - also einen halben Rennstint. "Wir haben da immer noch einen Knick drin. Wir müssen über das Setup noch Möglichkeiten finden, um den Reifen noch haltbarer zu bekommen", erklärt Porsche-LMP1-Leiter Fritz Enzinger,
"Der Drop kommt später als im Vorjahr, aber es gibt hinten raus immer noch den Performanceverlust des Reifens. Auf Longruns ist die Konkurrenz schneller", gibt der Österreicher zu und meint damit vor allm Audi, die ein kostant hohes Tempo fahren konnten. "Diese Longruns machen mir nicht so richtig schlaflose Nächte, aber es ist klar, dass wir noch etwas zu tun haben. Es ist nicht so leicht zu finden, dieses letzte Stückchen. Es läuft einem auch etwas die Zeit davon", sagt Enzinger.
"Die Reifen an der Vorderachse lassen irgendwann nach. Da müssen wir weiter an der Konstanz arbeiten. Da sind definitiv wir mehr gefordert als unser Partner Michelin. Das ist eher unser Thema", schildert Enzinger. Man werde nun kurze Versuche im Windkanal unternehmen, um die "vorhandenen Potenziale zu heben", wie Porsche-Chefentwickler Hatz es formuliert. Immerhin: Die Reifenhaltbarkeit scheint die einzige Baustelle zu sein - alle anderen Parameter sehen gut aus.
Dass Porsche über eine schnelle Runde kaum zu packen sein wird, war vor dem Prolog bereits klar. Die Hybridsysteme am 919 erlauben es, schon eine gewisse Energie für den Anschub in eine fliegende Runde zu nutzen. Außerdem setzt man als einziges Team auf satte acht Megajoule Hybridleistung. Diese Power lässt sich vor allem auf Strecken mit recht langen Geraden bestens in Rundenzeit umsetzen. Wie viel Potenzial steckt noch drin? Die Konkurrenz ist sicher, dass Porsche noch schneller hätte fahren können.
Hohes Tempo kommt mit Leichtigkeit aus dem 919
"Wir fahren nicht bewusst langsam. Da sehe ich keinen Sinn darin. Wir sind kein extremes Qualifyingsetup gefahren, haben aber mal probiert, was so geht", sagt Hatz. "Bei unserem privaten Test eine Woche zuvor waren wir am Samstagmorgen eine Zeit von 1:38.6 Minuten gefahren - ohne besonderen Trimm, einfach aus dem Programm heraus. Da wurde uns schon klar, dass es viel Potenzial gibt", gibt sich Enzinger angesichts des schieren Porsche-Speeds zuversichtlich.
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Porsche schaffte bei den Probefahrten in Frankreich die meisten Runden der LMP1 Zoom
"Ich denke es wird eng werden. Jedes Fahrzeug hat seine eigenen Charakteristiken, weil die Konzepte so unterschiedlich sind. Dann kann auch das Leistungsgefüge von Strecke zu Strecke variieren", schätzt Timo Bernhard den Wettbewerb vor dem ersten Rennen der Saison ein. Der Saarländer ist rundherum begeistert vom neuen Auto. "Die Bedienung des Autos ist für uns einfacher geworden, unter anderem haben wir Pedalerie und Schalter angenehmer platziert. Das Potenzial ist viel größer und Setupänderungen sind deutlicher spürbar."
Bis zum Prolog in Le Castellet hatte Porsche bei vier privaten Tests rund 26.000 Kilometer abgespult. Vor dem großen Highlight stehen weitere 30-Stunden-Tests auf dem Programm. Jeweils nach den Rennen in Silverstone und Spa-Francorchamps wird man Dauerläufe erproben. "Wir fühlen uns zuversichtlich für 6-Stunden-Rennen, haben aber bei höheren Kilometerzahlen noch Probleme gehabt. Aber es ist nichts, was uns Kopfzerbrechen bereitet", sagt Porsche-Teamchef Andreas Seidl.