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  • 01.04.2015 12:41

  • von Roman Wittemeier

Tempozuwachs in der LMP1: Für Le Mans zu schnell?

Angesichts der riesigen Entwicklungsschritte in der LMP1-Klasse kommen beim Blick auf Le Mans einige Sorgen auf: Werden die Hybridautos zu schnell für die Sarthe?

(Motorsport-Total.com) - In der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) liefern sich Audi, Porsche und Toyota einen beherzten Kampf. Das Engagement der Werke ist von derart hoher Intensität, dass die Entwicklungsschritte an den Autos enorm geworden sind. Dies wurde zuletzt beim Prolog in Le Castellet deutlich, wo Neel Jani mit seinem Porsche am Freitagabend eine Rundenzeit von 1:37.220 Minuten auf die Bahn stanzte. Der Schweizer war somit vier Sekunden schneller als die Bestmarke der Testfahrten im Vorjahr.

Titel-Bild zur News: Lucas di Grassi, Loic Duval, Oliver Jarvis

Entwicklung: Die LMP1-Autos werden vor allem in Kurven immer schneller Zoom

Der enorme Sprung zur Saison 2015 macht vielen Fans, Fahrern und Verantwortlichen große Freude. Doch es gibt auch Beobachter, die das hohe Tempo der LMP1-Werksautos mit Sorge betrachten. Die Boliden könnten für die Strecke in Le Mans schlichtweg zu schnell sein, heißt es von diversen Stellen. Eigentlich wollte der ACO dafür sorgen, dass die schnellsten Autos an der Sarthe nicht deutlich unterhalb der 3:30er-Marke fahren, aber diesen Plan hat man nie wirklich in die Tat umgesetzt.

Im vergangenen Jahr lag die schnellste Porsche-Runde im Qualifying an der Sarthe bei 3:22.146 Minuten (gefahren von Romain Dumas). Im Lager der WEC fangen nun die Hochrechnungen an. Wenn der neue 919 in Le Castellet um satte vier Sekunden schneller fahren kann als im Vorjahr, wie schnell wird er dann in Le Mans fahren können? "Schnell, sehr schnell", sagt Porsche-LMP1-Leiter Fritz Enzinger im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'.

Wie schnell wird es in Le Mans werden? Unter 3:20 Minuten!

"Ich mag das gar nicht hochrechnen. Wenn man es auf die 13,6 Kilometer lange Strecke in Le Mans umlegt, dann kommt schon einiges heraus. Es gibt da quasi eine Umrechnungsformel, aber darüber mag ich lieber jetzt noch nicht reden", so der Österreicher. Die möglichen Rundenzeiten in Le Mans lassen sich abschätzen, wenn man sich die entsprechenden Vergleiche aus den Vorjahren heranzieht und Faktoren wir Zeit/Kilometer und Streckenlängen heranzieht.

Wenn man die Werte im Hinblick auf Le Mans mal überschlägt, dann ergeben sich erheblich schnellere Rundenzeiten. Bei normalen Bedingungen dürften die LMP1-Autos im Bereich von 3:18.5 Minuten fahren, wenn absolut optimale Verhältnisse herrschen und ähnliche Entwicklungsschritte zwischen Prolog und 24-Stunden-Rennen gelingen wie im Vorjahr, dann könnten die Zeiten bis in einen Bereich von 3:15 Minuten purzeln. Spätestens dann wird das irre Tempo sicherheitsrelevant, meinen einige Beobachter.

"Es kann ab einem gewissen Punkt natürlich sicherheitsrelevant werden. Wir sollten aber erst einmal abwarten, wie es in Silverstone im Vergleich zum Vorjahr ausschaut", beruhigt Enzinger die Gemüter etwas. "Dann relativiert es sich vielleicht in der Form, dass es in Le Mans 'nur' vier oder fünf Sekunden schneller wird." Joest-Audi-Einsatzleiter Ralf Jüttner ist der Überzeugung: "Der Schritt zu diesem Jahr ist groß, das ist keine Frage."

LMP1-Autos werden auch in den Kurven immer schneller

"Wo ist die Grenze? Ich weiß es nicht. Es ist schwierig", so Jüttner. Dass die LMP1-Hybridautos, die schon im vergangenen Jahr deutlich unterhalb der 3:30er-Marke gefahren sind, in diesem Jahr schneller sein würden, war auch dem ACO klar. Eingegriffen hat man dennoch nicht. "Es historisch belegt, dass man irgendwann immer in diesen Bereich hinein kommt. Ich sehe ihn aber derzeit noch nicht erreicht", schildert Audi-LMP-Leiter Chris Reinke.

"Wenn wir in diesen Bereich kommen, dann haben wir in der Vergangenheit immer gesehen, dass entsprechende Maßnahmen ergriffen wurden. Hätte man dort nie Einschränkungen gemacht, dann würden heutzutage ganz andere Rundenzeiten in Le Mans gefahren", sagt Reinke. "Unser Ziel muss es sein, so schnell wie möglich zu fahren. Dann gibt es den ACO, der dafür sorgen muss, dass es für alle sicher ist."

Romain Dumas, Neel Jani, Marc Lieb

Vier Sekunden schneller als 2014: Auf der Geraden trotz Rückenwind langsamer Zoom

"Die Topspeeds werden kaum steigen, aber die Rundenzeiten werden besser", erklärt Porsche-Entwicklungsvorstand Wolfgang Hatz. Klartext: Die LMP1-Fahrzeuge werden in den Kurven noch schneller sein als im Vorjahr. "Wir haben im vergangenen Jahr beim Unfall von Loic gesehen, dass es in den Porsche-Kurven eine heikle Geschichte ist. Dort ist nicht viel Platz für Fehler. Der ACO hat dort aber einige Umbauten gemacht, um mehr Auslauf zu schaffen", meint Jüttner.

Mit 265 km/h in die ersten Porsche-Kurven

"Wir müssen uns anschauen, wie die Geschwindigkeiten in diesem Jahr in Le Mans sein werden. Wir haben aufgrund des Unfalls im Vorjahr mal genau geschaut, wie sich die Geschwindigkeit an genau der Stelle über die Jahre entwickelt hat. Das ist schon brutal", sagt der Joest-Rennleiter. "Im Jahr 2000 sind wir mit dem damaligen R8 dort 220 km/h gefahren, im vergangenen Jahr waren es über 265 km/h. Ich gehe nicht davon aus, dass es in diesem Jahr viel langsamer dort sein wird."

"Wir sind Rennfahrer. Wir mögen es, wenn es schnell wird", erklärt Andre Lotterer seine Sicht als Fahrer. "FIA und ACO sehen das vielleicht irgendwann nicht mehr so gern, wenn es immer schneller wird. So ist es halt mit der Technik. Wir entwickeln neue Dinge, es geht vorwärts in allen Bereichen. Ob man mit der Geschwindigkeit der vergangenen Jahre oder der aktuellen Geschwindigkeit abfliegt: es tut gleich stark weh. Man muss da nicht sagen, dass es zu gefährlich wird. Gefährlich ist es sowieso."

"Man muss halt auf der Strecke bleiben", zuckt der dreimalige Le-Mans-Champion mit den Schultern. "Die 1:37er-Runde war ganz gezielt einmal platziert, man war nicht konstant in solchem Bereich unterwegs. Mit acht Megajoule geht so etwas", relativiert Teamkollege Marcel Fässler den Geschwindigkeitszuwachs. Auch Porsche-Pilot Timo Bernhard macht sich keine allzu großen Sorgen: "Ob es wirklich sicherheitsrelevant ist, weiß ich nicht."


Fotostrecke: 24 Stunden von Le Mans: Die großen Helden

Welche Möglichkeiten haben ACO und FIA überhaupt?

Die Frage ist, wie ACO und FIA überhaupt eingreifen könnten, wenn die Autos zu schnell werden. In die Leistung der Antriebe einzugreifen, kann keine Lösung sein, weil jedwede Maßnahme die Teams unterschiedlich stark treffen würde. Wird die Motorleistung über beispielsweise geringe Durchflussmenge von Treibstoff eingeschränkt, dann würde Audi stärker leiden, weil deren Verbrenner-Power im Vergleich zur Konkurrenz anteilig mehr ausmacht als die Hybridpower.

"Klar können ACO und FIA als Maßnahme die Motorleistung reduzieren, aber dann müssten sie auch mit der Hybridleistung nachziehen", sagt Ralf Jüttner. "So etwas müsste man dann aber durch sämtliche Klassen machen." Der Joest-Rennleiter sieht auf diesem Weg jedoch eher neue Gefahren. "Wir hatten schon Jahre, wo wir auf den Geraden kaum an den GT1-Autos vorbeikommen konnten. Da hat sich das Überholen auf die Kurven konzentriert."

Loic Duval

Loic Duval hatte im vergangenen Jahr einen schweren Unfall im Le-Mans-Training Zoom

"Wir mussten damals GT-Autos regelrecht ausbremsen. Bei so etwas rückt das Feld in den Kurven zusammen. Und genau dann kommt es zu diesen Kollisionen zwischen GTs und Prototypen", erklärt Jüttner. "Eigentlich müsste man die Aero beschneiden. Aber auch dabei muss man vorsichtig sein. Es sind immerhin Prototypen, die genau dort ihre Stärken haben." Die einzig praktikable Maßnahme, die ACO/FIA umsetzen könnten, wäre eine Erhöhung des Minimalgewichts.