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Sieger der Herzen: Nissan-DeltaWing begeistert die Fans
Die Mannschaft um den spektakulären DeltaWing sammelte in Le Mans viele Sympathiepunkte: Krumm erklärt, was schief lief - Technikschulung für Piloten
(Motorsport-Total.com) - In Le Mans hat 2012 das Raketenzeitalter im Motorsport begonnen. Der Nissan-DeltaWing durfte als Experimentalfahrzeug außer Konkurrenz mitfahren. Das spektakuläre Auto, das im Vergleich zu den übrigen Prototypen auf eine Halbierung von Gewicht, Reifenverschleiß und Treibstoffverbrauch zählte, schlug sich sportlich achtbar. Mit vom ACO "angezogener Handbremse" drehte der DeltaWing gute Runden. In die Herzen der Fans katapultierte sich die Rakete aber durch das filmreife Ende des Einsatzes.
© xpbimages.com
Tollkühne Männer: Michael Krumm, Marino Franchitti und Satoshi Motoyama Zoom
Nachdem sich Startfahrer Michael Krumm zu Beginn des Rennens mit erheblichen Getriebeproblemen herumschlagen musste, konnte Satoshi Motoyama das Auto nach rund dreieinhalb Stunden in voll funktionstüchtigem Zustand übernehmen. Der Japaner markierte solide Rundenzeiten mit einem Fahrzeug, das längst noch nicht ausgereift war. Es waren weitere technische Schwierigkeiten zu erwarten, aber es kam ganz anders.
Beim Restart nach einer langen Safety-Car-Phase rammte Kazuki Nakajima den DeltaWing brutal von der Piste: Japaner gegen Japaner, Toyota-Schützling gegen Nissan-DeltaWing-Pilot - das Ende des Le-Mans-Traumes von Entwickler Ben Bowlby, den Fahrern Motoyama, Krumm und Franchitti sowie des Einsatzteams Highcroft aus den USA. Der Wagen war kaputt, aber längst noch nicht aufgegeben. Es folgte das 90-minütige "Motoyama-Drama".
Kein Witz: Die Fahrer kannten Notfallplan
"Ich bin in solchen Fällen der einzige, der das Auto anrühren darf. Die Crew hat mir immer Anweisungen gegeben", schildert der Japaner, der sich unter Anleitung von zwei Technikern und eines Dolmetschers, die sich hinter dem Sicherheitszaun postiert hatten, an die Reparatur des DeltaWings machte. Die Mannschaft zog alle denkbaren Register. "Wir haben einen Fotografen auf die gegenüberliegende Seite geschickt. Der lud seine Fotos dann direkt auf Facebook, sodass wir sie vergrößern und analysieren konnten", schildert Bowlby.
© Highcroft
Techniker und Dolmetscher waren hinter dem Sicherheitszaun postiert Zoom
Das Team machte sofort das Differenzial als Schwachstelle aus. Der Auftrag für Motoyama: Motorhaube ab, ein Platte präzise ans Differenzialgehäuse setzen und den Antrieb auf der einen Seite somit blockieren. Es mutet an wie ein Scherz, aber es ist Tatsache: Eine solche Reparatur hatten die Fahrer in der Technikbesprechung am Donnerstag vor dem Rennen genau durchgesprochen. Zwei entsprechende Platten zum Blockieren waren in weiser Voraussicht im Cockpit verstaut.
"Eine ganz komplizierte Geschichte", lächelt Michael Krumm im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'. "Mit dem Werkzeugkasten haben wir natürlich nicht in diesem Ausmaß geübt. Außerdem war alles kaputt und zerschlagen, und die Motorhaube nicht wegzubekommen. Ein Albtraum. Er ist teilweise verzweifelt und wütend geworden - menschlich eine ganz schwierige Situation für ihn. Die Sprachbarriere gab's ja auch noch."
"Ich bin froh, dass ich es nicht war, denn ich glaube, ich hätte die Platte nicht draufbekommen nach so einem Unfall", meint der Deutsche und zollt seinem Kollegen ebenso viel Anerkennung wie Marino Franchitti ("Die britischen Pannendienste rufen ab sofort immer Satoshi an!"). Motoyama gab nicht auf, schob alle Hindernisse beiseite. Ein Beispiel: Die Motorabdeckung ließ sich nach dem Crash nicht mehr abnehmen. Also schob sich der Japaner konsequent mit dem Kopf zuerst unter die Haube. Phasenweise schauten nur noch die Beine heraus.
Hinten geschraubt, vorne Defekt übersehen
"Wenn man in die Wand fliegt und die Enttäuschung verarbeiten muss, muss man das erst einmal mental wegstecken, auch wenn es überhaupt nicht sein Fehler war. Egal, wer im Auto sitzt, man fühlt sich einfach schlecht, denn man ist selbst gefahren und man wurde in die Wand gedrückt. Das ist der Albtraum eines jeden Rennfahrers", meint Krumm. Staunend fügt er an: "Im nächsten Moment dachte er gleich, er muss das Auto zurückbringen."
© Highcroft
Leider vergebens: Die Ingenieure funkten ihre Anleitungen an die Unfallstelle Zoom
Unter Mithilfe der Techniker, des Fotografen und des Übersetzers schaffte Motoyama schließlich den großen Coup. Er platzierte die Platte passend am Differenzial. Somit hätte der DeltaWing zurück zur Box humpeln können. Allerdings drehte sich die Rakete nach dem Neustart nur im Kreis. All der Aufwand war vergebens gewesen. Kopfschüttelnd, traurig und restlos erschöpft musste Motoyama aufgeben. 90 Minuten Anstrengungen vor faszinierten Zuschauern blieben ohne Lohn.
"Wir hatten uns nur auf hinten konzentriert, und das hatte er nach eineinhalb Stunden wirklich repariert. Das Auto wollte auch fahren. Aber was wir zu dem Zeitpunkt noch nicht wussten, war, dass wir vorne an der Lenkung ein Problem hatten", sagt Krumm. "Er musste dann die Haube vorne wegmachen. Dann hat der Teammanager gesagt: 'Lenk jetzt bitte mal komplett von rechts nach links, mit offener Haube, damit wir sehen können, was mit den Vorderreifen passiert!' Da hat man gesehen, dass sich die Räder überhaupt nicht bewegt haben."
Motoyama schraubt am DeltaWing
"Es war natürlich kein Werkzeug da, um die ganze Aufhängung zu reparieren. Dann mussten wir leider die Entscheidung treffen, dass es vorbei ist, dass es nicht mehr geht. Unmöglich mit einem Auto, das du nicht lenken kannst", erklärt der Deutsche das filmreife Auftreten ohne Happy-End. Motoyama erhielt einige Stunden später tosenden Applaus bei seinem Auftritt im Fahrerlager. "Ich wollte mit allen Mitteln zurück zur Box. Leider hat es nicht geklappt", so der Japaner, der sich zuvor zur Erholung zurückgezogen hatte.
Über den DeltaWing wurde nach diesem denkwürdigen Auftritt intensiv diskutiert. Die Macher des Projektes hatten das Potenzial der Rakete deutlich dargestellt. Allerdings bauten sich große Hindernisse auf. Der im Dezember als "Innovation des Jahres" ausgezeichnete DeltaWing passt kaum in den Rahmen der Serien-Regelwerke. Einzig die American-Le-Mans-Series (ALMS) erteilte eine Ausnahmegenehmigung. Beim Petit Le Mans schlug sich der Wagen achtbar, 2013 soll er die komplette Saison in den USA absolvieren.