• 15.08.2016 16:07

  • von Roman Wittemeier

Die Dauerbrenner in der WEC: Pedro Lamy

WEC-Pilot Pedro Lamy im großen 'Motorsport-Total.com' -Interview: Der schnelle Aufstieg, die Trauer um Senna und die besondere Lebensphilosophie eines Racers

(Motorsport-Total.com) - Nicht erst seit dem furiosen Durchbruch von Sebastian Vettel 2008 mit seinem ersten Grand-Prix-Sieg am Steuer eines Toro Rosso und den beeindruckenden Rennen von Red-Bull-Nachwuchsstar Max Verstappen herrscht in der Formel 1 der große Jugendwahn. Die Grand-Prix-Teams sind jederzeit auf der Suche nach dem neuen Megatalent im Motorsport. In der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) ist die Situation anders, der Faktor Erfahrung wird in der Serie ganz anders bewertet.

Titel-Bild zur News: Pedro Lamy

Gehört mit 44 Jahren zu den erfahrensten Piloten im Motorsport: Pedro Lamy Zoom

In der WEC fahren zahlreiche "echte Haudegen" des Motorsports, die bereits Rennsiege feiern durften, als Max Verstappen noch nicht einmal geboren war. Diese erfahrenen Racer stellt 'Motorsport-Total.com' in einer Interviewserie genauer vor. Heute: Pedro Lamy. Der 44-jährige Portugiese war in nahezu allen großen Rennserien aktiv, unter anderem auch in der Formel 1 und der DTM. Derzeit ist Lamy der Topfahrer im Aston Martin mit der Startnummer 98 in der GTE-Am-Kategorie.

Frage: "Pedro, was gefällt dir an deinem Beruf am besten?"
Pedro Lamy: "Ganz klare Sache: Gewinnen! Die Antwort ist für mich so dermaßen logisch. Ich bringe es mal klar auf den Punkt: Siege sind eigentlich sogar das einzige, was ich am Motorsport mag."

Frage: "Trotz Talent und starker Fahrten kannst du dennoch nicht immer gewinnen. Wie motivierst du dich, an den Rennwochenenden immer wieder einzusteigen, Niederlagen zu vergessen und stets den Sieg als Ziel zu haben?"
Lamy: "Das ist oft gar nicht so einfach. Es ist ein stetiger Kampf. Bei jeder Fahrt auf der Rennstrecke musst du immer wieder von Neuem beweisen, dass du die geforderte Leistung bringen kannst. Über allem steht die Sucht nach Siegen. Dieses Gefühl des Erfolges trägt einen nie lange. Es sind immer nur kurze Genussmomente. Aber das will man immer und immer wieder erleben."

Frage: "Woher kommt diese Besessenheit und dieser Antrieb? Liegt das in deiner Familie? Hast du das von deinen Eltern geerbt?"
Lamy: "Ja, wahrscheinlich. Mein Vater war auch ein Racer. Er ist damals Rallyes gefahren. Ich habe auf kleinen Motorrädern angefangen - schon im Alter von sechs Jahren. Ich bin ein paar Jahre Rennen auf den Bikes gefahren, dann kam der Wechsel zum Kartsport. Es ging durch alle möglichen Formelsport-Serien, dann in die Formel 1."

Durchbruch in der Deutschen Formel 3

"Ich konnte nach dem Ende meiner Formel-1-Karriere nicht einfach aufhören. Es musste weitergehen. Ich wechselte also in Richtung GT-Sport, habe dann kurz in der DTM mitgemischt, aber die Langstrecke als meine neue Liebe entdeckt. Vor allem die Rennen in den schnellen Le-Mans-Prototypen waren für mich ein unglaublicher Spaß."

Frage: "Deinen Durchbruch hast du zu einem Großteil in Deutschland erlebt. 1992 hast du dir mit elf Saisonsiegen den Titel in der Deutschen Formel 3 gesichert, dann ging es anschließend in die Formel 3000. Ein legendäres Jahr 1993 gab es dort..."
Lamy: "Oh, ja - und wie! Ich kam als Rookie in die Formel 3000 und konnte sofort vorne mitfahren. Im dritten Rennen habe ich meinen ersten Sieg gefeiert, beim schönen Rennen in den Straßen von Pau. Am Ende des Jahres fehlte mir im Duell gegen Olivier Panis nur ein einziger Punkt im Titelkampf. Diese Saison war wie ein Boost - es ging plötzlich richtig ab."


WEC Nürburgring 2016: Die Highlights

Zusammenfassung des 6-Stunden-Rennens der WEC am Nürburgring: Kampf Porsche vs. Audi vor 58.000 Fans

"Ich kam mir vor wie in einer Rakete, die in den Himmel startet. Im Alter von 21 Jahren ging die Tür zur Formel 1 auf. Da habe ich natürlich nicht nein gesagt, auch wenn das alles vielleicht etwas zu schnell ging. Aber im Motorsport muss man alle sich bietenden Chancen nutzen. Heutzutage fahren viele jüngere Piloten in der Formel 1, aber ich war damals zusammen mit Rubens (Barrichello; Anm. d. Red.) einer der echten Grünschnäbel in der Szene. Es war eine tolle Zeit im Formelsport - mit vielen Erfolgen."

Frage: "1995 war ich beim Formel-1-Rennen in Estoril. In einem Shoppingcenter im benachbarten Cascais war dein Minardi ausgestellt, es war ein unfassbarer Andrang. Ich hatte das Gefühl, dass du dort als Superstar gefeiert wurdest. War der Eindruck richtig?"
Lamy: "Superstar ist mir zu hoch gegriffen, so schlimm war es nicht (lacht). Das Interesse an der Formel 1 in Portugal war damals sehr hoch. Als einer der ganz wenigen Portugiesen hatte ich es also bis in die Königsklasse geschafft. Weil ich im Formelsport erfolgreich gewesen war und die Medien darüber berichtet hatten, war das Thema gesetzt."

"Die Erwartungen waren hoch, die Unterstützung der Fans riesig. Man kannte damals den Namen Pedro Lamy - vielleicht kennen ihn jetzt auch noch ein paar meiner Landsleute. Damals war es jedenfalls eine Art nationales Ereignis, dass ein Portugiese in der Formel 1 fuhr. Und gerade beim Heimspiel war die Begeisterung natürlich besonders groß."

Ayrton Senna als Förderer im Hintergrund

Frage: "Als erster Portugiese konntest du einen WM-Punkt in der Formel 1 gewinnen. Was bedeutet dir das?"
Lamy: "Als ich 1995 im Minardi in Australien den sechsten Platz holte, war das für mich fast ein gefühlter Sieg. Das hatte für mich und für das Team schon einen hohen Wert. Dennoch: Rennsiege geben mir das beste Gefühl - und es war eben keiner. Natürlich sind Siege in den ganz hohen Kategorien schwieriger zu erreichen. Sie mögen auf dem Papier auch mehr Wert haben. Aber das einzigartige Gefühl des Gewinnens war für mich unabhängig davon immer gleich - egal, ob in Formel Ford, Formel 3 oder sonstwo."

"Diesen einen WM-Punkt damals zu erreichen, war für Minardi in einer schwierigen Situation sehr wichtig. Ich muss für mich ganz persönlich aber festhalten: Es war kein Sieg. Für Statistiker mag das alles interessant sein, aber ich selbst zähle den einzelnen Punktgewinn in der Formel 1 nicht gerade zu meinen größten Errungenschaften."

Pedro Lamy 1995 Adelaide

Punktgewinn im unterlegenen Minardi: Pedro Lamy 1995 in Adelaide Zoom

Frage: "Ich habe kürzlich das Buch von Sid Watkins zum wiederholten Male gelesen. Darin erzählt der ehemalige Formel-1-Rennarzt, dass am 1. Mai 1994 nach dem fatalen Unfall von Ayrton Senna zwei Fahrerkollegen sofort in die Klinik nach Bologna geeilt sind: Gerhard Berger und du. Wie war dein Verhältnis zu Senna?"
Lamy: "Ein sehr enges. Das weiß aber kaum jemand, denke ich. Ayrton hat damals die meiste Zeit in Portugal gelebt. Ich wurde von Domingos Piedade gefördert, der ein enger Freund von ihm war. Ayrton hat mir im Hintergrund sehr viel geholfen, zum Beispiel bei meinen Verträgen. Wir standen uns ziemlich nahe. Es war nicht so, dass ich als junger Nachwuchsmann wie eine Klette an ihm hing. Ich wollte ihn nicht nerven. Er hat aber von sich aus sehr, sehr viel für mich getan."

"An die Situation in der Klinik in Bologna erinnere ich mich noch genau. Es gab so viele Fragen und so viel Bangen. Niemand konnte glauben, dass Ayrton sterben würde. Es waren extrem schwierige Stunden. Ich denke noch heute sehr oft an ihn. Ayrton war einzigartig. Ich denke aber auch oft an Michael (Schumacher; Anm. d. Red.), der in einer sehr schwierigen Lage steckt. Ayrton ist nicht mehr unter uns. Ayrton war ganz besonders, Michael ist es immer noch."

"Das Schicksal dieser beiden macht mich unendlich traurig. Wenn man Motorsport betreibt, dann hat man die Besten zu seinen Helden erkoren. So ist es bei mir auch. Und wenn man diese Helden dann auch noch persönlich kennt, deren schlimmes Schicksal aus gewisser Nähe sieht, dann tut das nur weh. Ich denke sehr oft an die beiden."

Unbekannte Nordschleife: Lamy breißt mit Viper zu

Frage: "Zurück zu deiner motorsportlichen Karriere: Titelgewinn in der Deutschen Formel 3, später Rekordsieger bei den 24 Stunden auf dem Nürburgring. Du scheinst dich in Deutschland pudelwohl zu fühlen..."
Lamy: "Ja, das stimmt. Ich habe im Verlauf meiner Karriere recht viele Rennen in Deutschland bestritten. Vor allem auf der Nordschleife kenne ich mich ganz gut aus. Dabei hat das alles mit einer wilden Geschichte begonnen, die zu meinem Abschied 2001 aus der DTM geschrieben wurde."

"Ich saß damals quasi auf der Straße, hatte keinen Drive. Aus dem Nichts heraus bekam ich eine Einladung von Peter Zakowski, für ihn das 24-Stunden-Rennen auf der Nordschleife zu fahren. Dabei kannte ich die Strecke eigentlich gar nicht, war noch nie mit einem Rennauto darauf gefahren. Meine einzige Erfahrung war jene, die ich mit Mietautos bei den Touristenfahrten gemacht hatte, wenn ich mir aus Spaß mal ein Ticket für eine Runde gegönnt hatte."


Fotostrecke: Helden in der Sebring Hall of Fame

"Ganz ehrlich: Als ich den Anruf bekam, kannte ich nicht einmal die Namen der berühmtesten Kurven. Ich nahm die Einladung zur Rennteilnahme in der Viper dennoch an. Eine Woche vor dem Rennen kam ich in der Eifel an und bekam ein paar Lektionen, um mir die Strecke zumindest halbwegs merken zu können. Dann folgte das Rennen: Sieg und schnellste Rennrunde für mich. Da war ich echt stolz. Diesem Sieg folgten einige weitere Erfolge. Die Strecke liebe ich einfach nur."

Frage: "Du warst fester Bestandteil des LMP1-Werksteams von Peugeot und hast gemeinsam mit Stephane Sarrazin die LMS gewonnen. War der damalige 908 das beste Rennauto, das du jemals gefahren bist?"
Lamy: "Ja, ohne jede Frage! Es war das beste Auto, das beste Team. Für eine Mannschaft mit solch professionellen Strukturen und einem solch hohen Budget war ich zuvor noch nie gefahren. Die Möglichkeiten waren damals sehr groß. Es waren unglaubliche Zeiten mit Peugeot auf der Langstrecke."

Mister Zuverlässig: Ein Mann, ein Wort

Frage: "Mit welchem Rennen hast du noch eine Rechnung offen?"
Lamy: "Weiß ich gar nicht so genau. Ich liebe einfach das, was ich tue. Ich möchte weiter Spaß haben und erfolgreich sein. Ich habe mir vorgenommen, als glücklicher Mensch vom Motorsport zurückzutreten. Aber wann ist dafür der beste Zeitpunkt? Das ist sehr schwierig. Ich achte sehr genau darauf, ob ich meine Leistung noch bringen kann. Im Moment sieht das noch ganz gut aus. Also warum aufhören? Wenn man Racing liebt, dann kann man doch nicht einfach so aufhören. Das stelle ich mir furchtbar vor."

Pedro Lamy

Das süße Leben als Werksfahrer: Pedro Lamy in Diensten von Peugeot Zoom

Frage: "Deine Leistungen sind nach wie vor beeindruckend. So sehr, dass du vor Jahresfrist als einer der heißesten Kandidaten für einen Platz im Ford-Werksteam gehandelt wurdest. Wie waren deine Aussichten auf den Drive bei den Amerikanern?"
Lamy: "Gut. Ich war in Kontakt, es gab Gespräche. Zu jenem Zeitpunkt hatte ich Paul Dalla Lana aber für eine weitere Saison WEC zugesagt - und meine Zusagen halte ich. Klar, der Name Ford klingt toll, das Projekt ist großartig. Wie schnell das Auto ist, haben wir spätestens dieses Jahr in Le Mans gesehen. Aber mein Wort zählt. Da bin ich etwas altmodisch, aber sehr zuverlässig."

Frage: "2018 wird offenbar BMW mit einem GTE-Auto in die Szene einsteigen. Du hast einen engen Draht zu den Münchenern, hast dreimal mit BMW auf der Nordschleife gewonnen. Könnte das eine Chance für dich sein, noch einmal in ein großes Werksprogramm zu rutschen?"
Lamy: "Ich weiß es nicht genau. Ich hätte bestimmt nichts dagegen, wenn ich meine Erfahrungen aus gewissen Bereichen dort einbringen dürfte. Ob es eine realistische Chance darauf gibt, kann ich aber nicht beurteilen. Wir werden sehen, auf welche Art Fahrer sie setzen werden. Vielleicht passe ich dort dann ja rein - das wäre nett!"

Frage: "Du hast als Rennfahrer das große Glück, dass du deine Leidenschaft zum Beruf machen konntest. Macht dich dies zu einem glücklichen Menschen?"
Lamy: "Ja, ich bin glücklich. Etwas anderes zu behaupten wäre definitiv falsch. Damit ich aber ein rundherum glücklicher Mensch sein kann, müsste ich dieses Glück immer verspüren und wahrnehmen - jede Sekunde, jede Minute, jede einzelne Stunde. So etwas gibt es im Leben aber gar nicht. Das ist vollkommen unmöglich. Ich versuche, mein Glück zu sehen und zu erfassen. Um das Glück wahrzunehmen, braucht es aber auch mal schlechte Phasen..."

Wer Glück fühlen will, muss auch mal leiden

Frage: "Jetzt wirst du philosophisch..."
Lamy: "Ja, ist doch so. Das Leben läuft genau so. Das kennt doch jeder. Man muss mal Regenwetter durchgemacht haben, um die Sonne wirklich zu schätzen zu wissen. Und jetzt brechen wir das mal auf meine Motorsportkarriere herunter. Ich hatte das Glück, tolle Siege feiern zu dürfen. Ich kann mich wirklich nicht beschweren. Bei mir es ist eigentlich egal, ob ich ein kleines Rennen oder einen riesigen Event gewinne. Das Gefühl ist immer gut. Und besser als gut gibt es für mich nicht."

"Oft sagt man, dass Erfolge bei einem 24-Stunden-Rennen etwas ganz Besonderes seien. Mag stimmen, aber in meiner Wahrnehmung ist das anders. Stehe ich am Ende als Sieger ganz oben auf dem Treppchen, dann empfinde ich Glück. Und das ist komplett unabhängig von der vermeintlichen Wertigkeit des Rennens. Mein Ziel ist es einfach nur, dieses Glücksgefühl möglichst oft zu erleben. Das war mir bisher vergönnt, und das wird mich hoffentlich auch weiterhin begleiten."


Fotostrecke: 2007-2011: Peugeot in Le Mans

Frage: "Bei den 24 Stunden von Le Mans ist dir der Gesamtsieg nie gelungen. Das schmerzt dich gar nicht?"
Lamy: "Doch etwas, das muss ich zugeben. Zumal wir zweimal so nahe dran waren. Einmal hatte ich gemeinsam mit Alex Wurz und Stephane Sarrazin eine halbe Runde Vorsprung auf alle Konkurrenten, dann brach das Getriebe. Beim anderen Mal hatte ich gemeinsam mit Simon Pagenaud und Sebastien Bourdais viel Pech, als unser Chassis kaputtging. Das schmerzt etwas, aber das Leben geht weiter. Ich habe andere Rennen gewinnen können, war in Le Mans zweimal Zweiter - das ist doch auch nicht so schlecht, oder?"

"Ich blicke nicht gern zurück, sondern suche mir in der vor mir liegenden Zukunft meine Chancen. Wer weiß, was sich in Zukunft noch für Möglichkeiten ergeben? Ich bin schon lange dabei, gehöre schon zu den ganz alten Hasen. Das Leben rast im Motorsport im wahrsten Sinne an einem vorbei - es geht alles so schnell. Ich möchte sehr gern noch weitere Jahre in diesem Umfeld genießen. Ein paar mehr Siege würden mir das Leben auf diesem Weg noch weiter versüßen!"

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