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  • 20.10.2011 19:02

  • von Pete Fink

Wheldon-Unfall: Die Aufarbeitung beginnt

IndyCar-Chef Randy Bernard muss in den kommenden Wochen viele Fragen beantworten: Welche Lehren ziehen die IndyCars aus dem Tod von Dan Wheldon?

(Motorsport-Total.com) - Vier Tage nach dem schrecklichen Unfalltod von Dan Wheldon in Las Vegas beginnt in den USA nun die Phase der Aufarbeitung. IndyCar-Chef Randy Bernard erfährt dabei die Unterstützung von allen Seiten der Motorsportwelt, unter anderem auch der FIA. Auf erste Ergebnisse hofft Bernard bereits in den kommenden Wochen. Vor diesem Zeitpunkt will sich die Serie nicht an den - verständlicherweise intensiv geführten - Diskussionen beteiligen.

Titel-Bild zur News: Dan Wheldon

Wie wird es bei den IndyCars nach dem Tod von Dan Wheldon weitergehen?

Die Liste der Fragen, und damit die Liste der zu bearbeitenden Einzelthemen, ist ellenlang. In Raum steht etwa die grundsätzliche Überlegung, ob es sinnvoll ist, die IndyCars in Zukunft auf den schnellen Ovalen fahren zu lassen. Und wenn ja, unter welchen verbesserten Sicherheitsaspekten? Dabei wiederum drehen sich die beiden Kernfragen um die zu erreichenden Geschwindigkeiten und die Tatsache, dass speziell auf den Intermediate-Ovalen mit erheblicher Kurvenüberhöhung unter den aktuellen Rahmenbedingungen fast zwingend ein dichter Pulk von Fahrzeugen entsteht.

Genau diese Rad-an-Rad-Duelle bei Tempi jenseits der 360 Stundenkilometer führten in Las Vegas zu der verhängnisvollen Kettenreaktion, die wesentlich weiter hinten im Feld den völlig unbeteiligten Dan Wheldon das Leben kosteten. Wheldons Sam-Schmidt-Dallara stieg über die Hinterreifen und die Airbox eines Konkurrenten auf, drehte sich in der Luft und schlug nahezu ungebremst mit der offenen Cockpitseite in den Fangzaun.

Die schiere Wucht des Einschlags führte ganz offensichtlich zu Wheldons tödlichen Kopfverletzungen. NASCAR-Pilot A.J. Allmendinger, früher selbst mit den IndyCars auf den schnellen US-Ovalen unterwegs, stellte gegenüber der 'AP' klipp und klar fest: "Wenn du bei 360 km/h kopfüber einschlägst, dann wirst du das nicht überleben können. Es ist ganz einfach tragisch."

Fangzäune im Fokus

Weil Wheldon aber nicht in der Safer-Barrier, also den seit der NASCAR-Saison 2005 für alle Strecken vorgeschriebenen Soft-Walls, einschlug, sondern im Fangzaun, rückt zunehmend auch die Frage in den Fokus, ob diese Fangzäune noch zeitgemäß sind. Paul Tracy warf etwa die Anregung in den Raum, Fangzäune durch durchsichtiges, ballistisches Verbundglas zu ersetzen.

Dan Wheldon

Das Desaster von Las Vegas stellt das Thema Fangzäune in den Raum Zoom

Sicher ist eines: Alle bei den IndyCars genutzten Intermediate-Ovale mit einer Streckenlänge von 1,5 Meilen wurden für die NASCAR gebaut. Dies gilt nicht nur für Las Vegas, sondern auch für Texas, Chicagoland, Kentucky und bis vor einem Jahr Kansas und Homestead. All diese Strecken weisen die Safer-Barrier auf, die aus rechteckigen Stahlrohren bestehen und zur besseren Energieabsorption mit Schaumblöcken ausgestattet sind. Montiert werden die Soft-Walls zwischen Rennstrecke und der eigentlichen Betonmauer.

Ein Anlass dieser Forschungsarbeiten damals war der tödliche NASCAR-Unfall von Dale Earnhardt in Daytona 2001. Als weiterer wesentlicher Sicherheitsbaustein der der NASCAR folgte 2007 natürlich das Car of Tomorrow (CoT). Der Erfinder der Soft-Walls, die - zusammen mit dem CoT - seither viele NASCAR- und auch IndyCar-Piloten vor schweren Verletzungen schützen konnten, war Dr. Dean Sicking von der University of Nebraska. Für seine Entwicklung der Safer-Barrier wurde Sicking in den USA bereits mehrfach ausgezeichnet.

Weil Sicking in der Vergangenheit auch regelmäßig mit den IndyCars zusammenarbeitete, ist zu erwarten, dass auch er zu den Las-Vegas-Vorfällen konsultiert wird. Noch kennt der Professor die Unfallbilder nur aus dem Video. "Daher ist es mir auch noch nicht möglich zu sagen, ob der Fangzaun das Problem verursachte oder nicht", erklärte Sicking gegenüber 'ESPN'. Er weiß jedoch: "Es gab auch in der Vergangenheit schon Probleme mit den Fangzäunen. Aber anhand der TV-Bilder ist eine genaue Analyse nicht möglich."

Sein Versprechen lautet: "Wenn der Zaun das Problem verursacht hat, dann werden wir uns dies genau ansehen." Denn eines darf in der ganzen Diskussion nicht vergessen werden: "Der eigentliche Zweck eines Fangzauns war es immer, Autos und Trümmerteile daran zu hindern, in die Zuschauer zu fliegen." Sicking vermutet, dass sich dies in Zukunft ändert. "Diesem Thema müssen wir uns widmen. Das Problem kann sicher gelöst werden, aber es wird Zeit brauchen."

Texas und nun Fontana?

Für das kommende Jahr 2012 gibt es noch keinen offiziellen IndyCar-Kalender. Neben dem Indy 500 und dem Short-Track von Iowa sind mit Las Vegas, Texas und Fontana drei weitere Ovale zumindest vorgesehen. Ob die Serie angesichts der schrecklichen Ereignisse des vergangenen Wochenendes nach Las Vegas zurückkehren wird, ließ IndyCar-Chef Randy Bernard noch offen.

Helio Castroneves 1999 Fontana Hogan mitte weiß

In Fontana fuhren die IndyCars noch schneller als in Las Vegas Zoom

Anders liegt der Fall Texas, wo für Mitte Juni 2012 wieder ein Doppelevent mit zwei Rennen an einem Wochenende geplant ist. Texas und Las Vegas gleichen sich mit einer Kurvenüberhöhung von 24, bzw. 20 Grad eminent. Lediglich das Griplevel von Las Vegas ist - nach Aussage vieler Piloten - höher, was das Pulkfahren noch einmal begünstigt. Dazu kommt die geplante Rückkehr von Fontana.

Texas und Las Vegas sind zwei der klassischen Intermediate-Ovale mit einer Streckenlänge von 1,5 Meilen. Das Zweimeilenoval von Fontana gilt hingegen bereits als Superspeedway, weist aber mit nur 14 Grad eine geringere Kurvenüberhöhung auf. Zudem ist die Strecke in Kalifornien wesentlich breiter. Aber Fontana verfügt über einige IndyCar-Historie.

1999 verunglückte dort Greg Moore ausgangs Turn 2 tödlich. Ein Jahr später stellte Gil de Ferran in der Saison 2000 den bis heute gültigen Geschwindigkeitsrekord der IndyCars auf. Der Brasilianer erreichte damals mit seinem turbobefeuerten Penske-Honda in der Qualifikation einen Schnitt von 241,426 Meilen oder 388,537 Stundenkilometern.

Handford-Device

Damals hatten die Turbo-Boliden wesentlich mehr PS und waren seit 1998 mit dem sogenannten Handford-Device ausgestattet. Dabei handelte es sich um eine flache Platte, die am oberen Ende des Heckflügels montiert war und senkrecht nach unten stand. Dadurch entstand ein enormer Windschatten. Durch die hohen PS-Zahlen waren die Piloten selbst im weitläufigen Fontana nicht in der Lage, eine Runde Vollgas zu fahren. Jede Kurve musste angebremst werden.

Talladega

Zu viert nebeneinander: NASCAR musste in Talladega einbremsen Zoom

Einige Stimmen aus dem IndyCar-Umfeld wünschen sich nun auf den schnellen Ovalen eine Rückkehr des Handford-Device. Allerdings ist dieser Heckflügel nicht unumstritten. Zwar produzierte er eine geradezu unglaubliche Zahl an Überholvorgängen, dem Handford-Device wurde aber auch immer nachgesagt, genau deswegen ein Sicherheitsrisiko darzustellen. 2001 wurde er abgeschafft.

Zudem gab es damals noch nicht die Regelung der Double-File-Restarts, sodass die Piloten in der kritischen Restart-Situation gar nicht in der Lage waren, rundenlang in den engen Kolonnen zu fahren, wie es nun aktuell der Fall ist. Und wie es die NASCAR in Talladega und Daytona praktizierte. Apropos: Auch die NASCAR sah sich auf den großen Superspeedways dem grundsätzlichen Problem der hohen Geschwindigkeiten ausgesetzt.

Aber dort ging man einen anderen Weg. Tempi jenseits der 200 Meilen, also kann 322 Stundenkilometer, sind in der NASCAR grundsätzlich nicht gerne gesehen. Bill Elliott fuhr 1987 in Daytona mit einem Schnitt von 210 Meilen, in Talldega erreichte er knapp 213 Meilen. Ebenfalls 1987 in Talladega hatte Bobby Allison einen schweren Unfall, als er auf der Start-/Zielgerade in den Zaun krachte. Trümmerteile verletzten mehrere Zuschauer.

Next-Generation IndyCar

Daraufhin zog NASCAR erschreckt die Notbremse und führte für die beiden großen Superspeedways von Daytona und Talladega die Restrictor-Plates, die Luftmengenbegrenzer ein. Diese halbieren in etwa die PS-Zahlen. Auch heute noch stellen die 200 Meilen eine nicht offiziell ausgesprochene Schallmauer da. Aber sobald die Piloten diese Grenze durchbrechen, reagiert NASCAR schnell, in dem sie kleinere Öffnungen vorschreiben.

Heckpartie Chassis 2012

Das Heck des neuen Autos ist ein wesentliches Sicherheitsfeature Zoom

Zum Vergleich: Rusty Wallace fuhr 2004 in Talladega einen NASCAR-Boliden ohne Restrictor Plates und erreichte dabei 228 Meilen oder 367 km/h. "Die Natur eines jeden Rennwagens ist es, so schnell wie möglich zu sein", merkt Dr. Sicking dazu an. "In diesem Fall müsste man die Philosophie des Racings in Richtung NASCAR ändern. Dann wiederum lautet die Frage: Ist das dann immer noch ein interessanter und aufregender Sport? Ich kann diese Frage nicht beantworten."

Randy Bernard und seine Leute müssen sie beantworten. Und sie haben duchaus Spielräume. In der kommenden IndyCar-Saison wird das Next-Generation IndyCar kommen. In der Ovalkonfiguration ist dabei ein Sicherheitsfeature, dass die offenen Hinterräder stark umbaut sind. Auch die Frage der gewünschten PS-Zahlen ist rein theoretisch völlig offen, denn über den Twin-Turbo und dessen Ladedruck könnte die gewünschte Geschwindigkeit für jeden Streckentyp individuell angepasst werden.

Zudem soll die Konstruktion des neuen IndyCar-Chassis auch die Gefahr des so gefährlichen Abhebens verringern. Zumindest stand dies im IndyCar-Aufgabenheft an Dallara und die anderen damaligen Bewerber weit oben. Eine schützende Kuppel für das brandneue Auto, wie es zum Beispiel Ryan Briscoe anregte, erscheint zum jetzigen Zeitpunkt hingegen unrealistisch.

Neben der Beantwortung vieler Fragen wird Bernard also einige Hoffnungen auf sein neues Auto setzen können und müssen. Kein Zweifel: Die Formel 1 erlebte 1994 den Senna-Unfall, die NASCAR traf es 2001 mit Dale Earnhardt. Jetzt bleibt es zu hoffen, dass die IndyCars die richtigen Lehren aus dem tragischen Unfall von Dan Wheldon ziehen können.