• 07.03.2012 09:50

Röhrl: "Man fühlt sich ein bisschen gebauchpinselt"

Walter Röhrl gibt auch mit 65 noch Gas - Im Interview schildert die Rallye-Ikone seinen größten Sieg und wie sehr er von Formel-1-Star Sebastian Vettel beeindruckt ist

(Motorsport-Total.com/SID) - Walter Röhrl war vor Michael Schumacher "der" deutsche Motorsport-Star. Zwei WM-Titel und vier Siege bei der Rallye Monte Carlo in vier verschiedenen Autos haben den "Langen" zu einem Idol gemacht, dessen Name noch heute einen guten Klang hat - selbst beim aktuellen Formel-1-Champion Sebastian Vettel. Den Heppenheimer hat Röhrl, der am Mittwoch 65 Jahre alt wird, ins Herz geschlossen, "weil er ein Mensch ist, der mit beiden Beinen auf dem Boden steht und nicht abhebt", wie Röhrl im Interview erzählt.

Titel-Bild zur News: Walter Röhrl

Rallye-Ikone Walter Röhrl feiert am heutigen Mittwoch seinen 65. Geburtstag

Frage: "Wenn du damals deinen Posten im bischöflichen Ordinariat behalten hättest, würdest du jetzt in Rente gehen. Wie ist das mit dem Rennfahrer Walter Röhrl? Geht der auch in Rente, oder ist das noch nicht absehbar?"
Walter Röhrl: "Momentan sieht es noch nicht so aus, als würde ich in Rente gehen. Es war zwar mal mein Ziel: Mit 65 muss spätestens Schluss sein. Aber man fühlt sich noch fit und auch ein bisschen gebauchpinselt, wenn die Firma einen noch will. Es gibt noch sehr viele interessante Aufgaben, sodass ich gesagt habe, ich mache auf jeden Fall noch ein Jahr weiter. Man muss körperlich und geistig fit bleiben. Wenn man nur Rentner ist, dann ist das dafür vielleicht nicht so das Ideale."

Frage: "Die Firma, das ist Porsche, wo du noch als Test- und Entwicklungsfahrer im Einsatz bist."
Röhrl: "Ja, genau so ist es. Das gibt es viele interessante Dinge. Speziell der 918 Spyder, der Nachfolger vom Carrera GT, wo ich schon vor sieben, acht Jahren zum ersten Mal eingebunden war. Das ist jetzt wieder der Fall, und das ist natürlich reizvoll."

Frage: "Wie oft ist denn der Rallyefahrer Walter Röhrl noch im Einsatz?"
Röhrl: "Ich fahre noch gerne historische Rallyes mit alten Autos. Ich entdecke immer mehr, dass ich eine Leidenschaft für diese alten Autos habe. Im vorigen Jahr bin ich noch eine wirkliche Rallye in Tasmanien gefahren. Wenn ich hier Gleichmäßigkeitsfahrten mache, geht es mehr oder weniger darum, ein altes Auto zu bewegen und nicht um einen Wettkampf. Das ist der Unterschied. Obwohl ich nach wie vor natürlich gerne schnell fahren würde."

"Aber da gibt es auf der einen Seite zu wenige Veranstaltungen, auf der anderen Seite ist mir das inzwischen zu viel Stress. Ich würde zwar ganz gerne wissen, ob ich noch schnell genug bin, wenn ich das dann aber auf der ersten Sonderprüfung sehe, sage ich: Es reicht schon wieder. Mehr muss ich nicht wissen. Es geht immer noch, und es passt."

"Wenn es dann länger geht, sage ich schon: Oh, musst du das noch haben? Oder dass man sogar noch in der Nacht durch die Gegend fährt. Das sind dann schon so Dinge, wo man merkt, dass man älter wird und nicht mehr hundertprozentig motiviert ist."

Der erste "Monte"-Sieg der schönste Erfolg

Frage: "Wenn du auf deine Karriere zurückblickst: Du hast viele Erfolge gefeiert, in der Rallye, aber auch auf der Rundstrecke. Was war dein schönster Erfolg?"
Röhrl: "Mein großes Ziel war immer, einmal die Rallye Monte Carlo zu gewinnen. Früher gab es ja noch keine Fahrer-Weltmeisterschaft, da war die Monte das Größte, was man gewinnen konnte. Und der erste Sieg ist immer der Schönste, da erinnert man sich dran. Das war für mich das Highlight, als ich zum ersten Mal die Rallye Monte Carlo gewonnen habe."

Frage: "In den letzten Jahren hat sich Formel-1-Pilot Robert Kubica bei einer kleineren Rallye schwer verletzt. Kimi Räikkönen, ein früherer Formel-1-Weltmeister, ist nach zwei nicht sehr erfolgreichen Jahren in der Rallye-WM jetzt in die Formel 1 zurückgekehrt. Ist es anspruchsvoller und schwieriger, in der Rallye-WM zu fahren als in der Formel 1?"
Röhrl: "Das möchte ich jetzt nicht behaupten. Aber wer heute als Rennfahrer beginnt, der hat eine andere Schulung, was die Risikobereitschaft angeht. Der Ruf nach Sicherheitszonen ist heute sehr, sehr laut. Entsprechend sind in den letzten 20 Jahren auf den Rennstrecken auch sehr viele solcher Zonen eingerichtet worden. Deshalb ist der Rennfahrer von heute auch risikofreudiger."

"Räikkönen und Kubica waren gewöhnt, diese Sicherheitszonen zu haben. Das geht natürlich beim Rallyefahren nicht gut." Walter Röhrl

"Er sagt sich: Wenn es nicht passt, dann drehe ich mich halt, ich habe ja noch 50 Meter Auslaufzone, da passiert nichts. Das ist das Problem: Räikkönen und Kubica waren gewöhnt, diese Sicherheitszonen zu haben und dass man daher auch einfach mal 103 Prozent fahren kann. Das geht natürlich beim Rallyefahren nicht gut, denn der Baum, der Abgrund, der Felsen, die stehen seit 40 Jahren an ihrer Stelle und gehen nicht an die Seite. Daher wäre es eher möglich, dass ein Rallyefahrer auf die Rundstrecke geht. Da hat er mehr Platz, da kann er sich eher steigern, mehr Risiko eingehen. Aber umgekehrt ist es schwieriger."

Loeb und Schumacher nicht vergleichbar

Frage: "Vergleichen kann man die Leistung eines Rallye-Rekordweltmeisters Sebastien Loeb und eines Formel-1-Rekordweltmeisters Michael Schumacher also nicht?"
Röhrl: "Das ist schwer, das kann man nicht. Der eine lebt von der Perfektion, der andere von der Improvisation. Der Rennfahrer nutzt auch viel mathematisches Denken. Er hat 15 Kurven und versucht 80 Runden lang, jedes Mal noch genauer den Punkt des maximal Möglichen in einer Kurve zu treffen, immer auf den Zentimeter genau."

"Der Rallyefahrer ist mehr intuitiv. Er ist vor 14 Tagen zwar zweimal über die Strecke gefahren, aber inzwischen hat es geregnet, es war ein Sandsturm oder es hat geschneit. Er muss immer damit rechnen, dass irgendwas auftritt, dass die Gefahr wesentlich erhöht. Deshalb muss er viel intuitiver handeln. Wenn wir von Autofahrer sprechen, ist der Rallyefahrer sicherlich der perfektere Autofahrer. Im normalen Straßenverkehr ist man Rallyefahrer. An jeder Ampel kann etwas passieren, man muss schnell reagieren, improvisieren."

"Der eine lebt von der Perfektion, der andere von der Improvisation." Vergleich: Formel 1 - Rallye

Frage: "Hast du es vermisst, es nicht auch einmal in der Formel 1 probiert zu haben, oder war das für dich nie ein Thema?"
Röhrl: "Nein, das war nie ein Thema. Ich habe nie eine Sekunde daran gedacht. Die Rundstrecke habe ich immer so gesehen, dass man ein Top-Auto braucht. Wenn du kein Top-Auto hast, hast du keine Chance. Beim Rallyefahren war es dagegen immer schon so, dass wenn Schnee und Eis war und es bergab ging, man trotzdem mit einem kleinen, schwachen Auto zeigen konnte, dass man mehr Talent hat als ein anderer."

"Das ist beim Rallyefahren leichter zu zeigen als auf der Rundstrecke, wenn du da nicht ein Top-Auto hast. Deshalb war die Formel 1 für mich nie ein Thema. Der zweite Grund war meine Körpergröße von 1,96 Metern. Damit wäre es sowieso nicht gegangen. 1980, als ich Weltmeister war, habe ich mal in einem Formel-1-Auto gesessen, im Vergleich mit Emerson Fittipaldi. Okay, es fuhr sich wie ein Auto, aber ich hatte auf dieser Probefahrt kein euphorisches Gefühl."

Röhrl ein bekennender Vettel-Fan

Frage: "Du sagtest eben: Top-Auto: Das traf in der Formel 1 in den letzten beiden Jahren auf Sebastian Vettel zu. War es bei ihm nur das Auto?"
Röhrl: "Nein, nein, nein, das ist nicht der Fall. Das reicht nicht. Wenn man so fährt, wie der Sebastian, dann ist da schon mehr dahinter. Er war ja nicht von Anfang an in einem Top-Auto, wie 2008, als er sein erstes Rennen in Monza im Regen gewonnen hat. Das ist eine Möglichkeit auch in der Formel 1, auch in einem nicht absoluten Top-Auto zu zeigen, dass man mehr Talent hat als die anderen. Das hat er damals gezeigt. Er ist schon top. Seitdem interessiere ich mich auch wieder für die Formel 1. Vorher hatte ich das abgehakt, aber seit Sebastian da ist, verfolge ich es wieder und bin natürlich begeistert, wenn er gut ist."

Frage: "Du hast Sebastian im vorigen Jahr in Melbourne persönlich kennengelernt und warst überrascht, wie sehr er sich auch für den Rallyesport und deine Karriere interessiert. Welchen Eindruck hast du persönlich von ihm?"
Röhrl: "Sebastian hat mich unheimlich fasziniert. Ich habe gedacht, der Bub weiß doch gar nicht, wer Walter Röhrl ist. Der ist Rennfahrer und interessiert sich sonst für nichts. Aber ich wurde eines Besseren belehrt. Er kannte alles, hat mir erzählt, dass er alle Videos von mir hat, alle dummen Sprüche von mir kennt. Das zeigt den Horizont von diesem jungen Mann, der über seinen Tellerrand hinausschaut."

"Wenn man so fährt, wie der Sebastian, dann ist da schon mehr dahinter." Röhrl über Vettel

Frage: "Und nach seinem Sieg hat er dann in der weltweiten Pressekonferenz von seinem Treffen mit seinem Idol Walter Röhrl erzählt..."
Röhrl: "Das war unfassbar. Ich habe gedacht, das darf nicht wahr sein, ich glaube, mir ist die Schamesröte ins Gesicht geschossen, als ich das gehört habe. Aber daran sieht man, dass er nicht nur etwas sagt, sondern das auch ehrlich meint und rüberbringt. Sonst wäre er auf diese Idee nicht gekommen. Er hätte mit mir reden können, und für einen normalen Menschen ist das dann vielleicht abgehakt."

"Aber wenn er in so einer Stunde daran denkt, dann muss etwas dahinter sein, dass er sich mit meinem Metier wirklich beschäftigt hat. Das war schon toll, und deshalb bin ich auch ein großer Fan von ihm geworden, weil er ein Mensch ist, der mit beiden Beinen auf dem Boden steht und nicht abhebt. Wenn man mir etwas nachsagen kann, dann ist es, dass ich immer so geblieben bin, wie ich vor 40 Jahren war."

Frage: "Glaubst du, dass Sebastian in diesem Jahr den dritten WM-Titel in Folge holen kann?"
Röhrl: "Die Formel 1 ist ein großes Geschäft mit viel Taktik. Es hat sich im letzten Jahr schon abgezeichnet, dass die anderen näher gekommen sind. McLaren war schon gut. Bei Ferrari weiß ich nicht so recht, die machen zwar große Sprüche, aber wenn ich mir das Gesicht von Fernando Alonso anschaue, scheint es bei ihnen nicht so hundertprozentig zu klappen. Wenn es auf den Fahrer ankommt und die Autos etwa gleich sind, bin ich überzeugt, dass der Sebastian wieder große Chancen hat."