• 13.07.2007 15:50

  • von Pete Fink

Schulz: "Montoya wird auf dem Oval Rennen gewinnen"

Premiere-NASCAR-Kommentator Jacques Schulz im Gespräch mit 'Motorsport-Total'.com über Juan Pablo Montoya und dessen NASCAR-Aktivitäten

(Motorsport-Total.com) - Juan Pablo Montoya feiert in diesen Tagen seinen ersten Geburtstag als NASCAR-Pilot und 'Motorsport-Total'.com nahm dies zum Anlass, um ein ausführliches Gespräch mit Premiere-NASCAR-Kommentator Jacques Schulz zu führen, in dem auch viele Gemeinsamkeiten und Unterschiede von NASCAR und der Formel 1 erläutert wurden.

Titel-Bild zur News: Jacques Schulz

Jacques Schulz ist langjähriger 'Premiere'-Kommentator auch für NASCAR

Frage: "Jacques, seit 'Premiere' die NASCAR im Programm hat, kommentierst du auch die NASCAR-Rennen. Kann man sagen, dass du so richtig Gefallen an dem amerikanischen Stockcar-Sport gefunden hast?"
Jacques Schulz: "Da müssen wir ein wenig zurückgehen, denn vor meiner 'Premiere'-Formel-1-Zeit war ich schon bei einem anderen Privatsender für mehrere Motorsportarten zuständig, unter anderem auch für NASCAR. Ich habe schon zu Beginn der Neunziger Jahre NASCAR übertragen, doch damals litt das ganze unter der aufkommenden Formel 1, als Schumacher und Benetton ihre ersten beiden WM-Titel einfuhren - von daher ist es damals etwas untergegangen. Aber ich habe diese Liebe zum Tourenwagensport immer schon gehabt, bin aber dann über die Erfolge von Schumacher und der Gründung des digitalen Fernsehens mehr in Richtung Formel 1 gegangen."#w1#

Frage: "Mit anderen Worten: Eigentlich bist du ein langjähriger NASCAR-Fan?"
Schulz: "Definitiv."

Formel 1 hat eine andere Philosophie

Frage: "Jetzt ist es so, dass die NASCAR wesentlich offener mit Medien und Fans umgeht, als es die Formel 1 wahrscheinlich jemals tun wird. In wie weit gibt es dadurch eine ganz andere Dimension in der Zusammenarbeit zwischen Medien, Sponsoren, Fans und Fahrern?"
Schulz: "Das ganze Geheimnis liegt letztendlich in der amerikanischen Philosophie des Marketings, des Herangehens an den Zuschauer. In Amerika gilt - im Übrigen für alle Sportarten - der berühmte Satz: Der Kunde ist König. Hier wird aktiv auf den Zuschauer zugegangen, die Zusammenarbeit ist viel offener. Man kann an einen Dale Earnhardt Jr. journalistisch ganz anders herantreten, als an einen Michael Schumacher."

Bernie Ecclestone

Bernie Ecclestone geht anders an den Motorsport heran, als die NASCAR Zoom

"Die Formel 1 hat aufgrund ihrer Erfolge die Philosophie umgedreht. Die Formel 1 macht sich interessant, in dem sie wenig Zugang gewährt, in dem sie mit dem Geheimnisvollen, mit dem Mythos spielt, während die NASCAR-Serie völlig auf dem Boden geblieben ist. Sie geht an den Zuschauer heran, da sind Fahrer und Zuschauer auf der Tribüne eins. Insofern ist es als Medium natürlich viel leichter, vordergründig an eine Sportart wie NASCAR heranzutreten, als an die Formel 1."

Frage: "Der Umkehrschluss wäre dann natürlich, dass Themen wie Marketing und wirtschaftliche Ingredienzien bei NASCAR wesentlich wichtiger sind, als in der Formel 1. Würdest du so einer These zustimmen?"
Schulz: "Nein. Beide Serien haben es im Prinzip nicht mehr nötig. Was Bill France in Amerika geschaffen hat und was Bernie Ecclestone in der Formel 1 erreicht hat, sucht weltweit seinesgleichen. Das hat mit einer Intention weniger etwas zu tun. Es geht mehr um die Annäherung an die Öffentlichkeit."

Montoya-Experiment auf dem richtigen Weg

Frage: "Jetzt fährt seit ziemlich genau einem Jahr jemand in der NASCAR, der uns Europäern aus seinen Formel-1-Zeiten bestens bekannt ist. Die Rede ist natürlich von Juan Pablo Montoya. NASCAR hat immer gesagt, dass man ihn gerne auch als Marketing-Aushängeschild benutzen würde, um neue Märkte zu erschließen - sprich: Die hispanische Bevölkerung in den USA und auch Europa. Hältst du dieses Experiment für gelungen?"
Schulz: "Das halte ich für definitiv auf dem richtigen Weg. Da geht es ja auch um den gesamten südamerikanischen Markt. Weil man begriffen hat, dass Montoya ein globaler Sportler ist, hat man versucht, sich dessen Popularität zunutze zu machen, weil man auf dem nordamerikanischen Markt - sprich Kanada - möchte und auf den südamerikanischen Markt. Europa ist dann der zweite Schritt. Das ist jetzt noch nicht erreicht, das wird auch noch dauern."

Juan Pablo Montoya

Das NASCAR-Experiment Juan Pablo Montoya ist auf einem guten Weg Zoom

Frage: "Du glaubst also, dass es NASCAR gar nicht bewusst war, wie viele Fans Montoya auch in Europa hat? Ich rede jetzt nicht nur von Deutschland, sondern auch Großbritannien, die Mittelmeerländer und Osteuropa."
Schulz: "Ja. NASCAR hat da zunächst einmal an Südamerika und Kanada gedacht."

Frage: "Dann ist der Europa-Effekt ein Bonus?"
Schulz: "So ist es. Das sind zum Glück nicht wenige, aber auf der Wunschliste der NASCAR steht zunächst einmal die Eroberung von Südamerika und Kanada."

Er hatte das Zeug zu einem Formel-1-Weltmeister

Frage: "Was hast du dir persönlich eigentlich gedacht, als Montoya vor einem Jahr gesagt hat: 'Ich gehe von McLaren-Mercedes weg in die NASCAR'?"
Schulz: "Mein erster Gedanke war: Was für eine Verschwendung von Talent. Der Montoya kann an einem guten Tag, wenn die Einstellung stimmt, wenn die Umstände passen, wenn das Auto gut ist, wenn der liebe Gott auf seiner Seite ist, alles und jeden schlagen. Es gab Wochenenden, die waren so unglaublich, dass der Montoya, wenn er mehr davon gehabt hätte, alles in Grund und Boden hätte fahren können. Das war mein erster Gedanke, dass er sich das alles hat entgehen lassen, denn er hatte definitiv das Zeug zum Formel-1-Weltmeister."

Juan Pablo Montoya

Juan Pablo Montoya hätte auch Formel-1-Weltmeister werden können... Zoom

Frage: "Das klingt aber fast danach, dass der Wechsel von BMW-Williams zu McLaren-Mercedes schon ein Fehler war, denn er passte da einfach nicht dazu."
Schulz: "Das war eine momentane Bauchentscheidung, so wie der Kolumbianer immer gewesen ist. Da gab es einen Sonntag, da hat er sich mit Ron Dennis gut verstanden und der hat ihm gesagt: 'Du, mach doch'. Und Montoya war gerade sauer auf Ralf Schumacher, weil er das Gefühl hatte, der Ralf sei da am Nürburgring und in Frankreich zweimal bevorzugt worden. Da hat er spontan gesagt: 'Mach ich' . Ein Mensch wie sein Manager Julian Jakobi schlägt natürlich die Hände über dem Kopf zusammen. Aber so ist er halt, der Montoya, und deswegen lieben ihn die Leute."

Bei Ganassi als Führungspersönlichkeit

Frage: "Jetzt arbeitet er wieder mit dem Chip Ganassi zusammen. Mit ihm hat er in Amerika schon gigantische Erfolge gefeiert. 1999 wurde er ChampCar-Meister, 2000 gewann er das Indy 500. Ganassi ist ein alter Freund und Weggefährte. Dass Ganassi sagt: 'Jawohl, das machen wir', das ist wahrscheinlich kein Wunder. Aber: Er hat in der NASCAR kein Top-Team. Jetzt ist Montoya in einer Situation, wo er als Rookie in einem Mittelfeldteam eine Führungsrolle übernehmen muss. Traust du ihm das zu?"
Schulz: "Ja, das traue ich ihm sogar ganz bewusst zu, weil ich glaube, wenn er von Anfang an in ein Topteam wie Hendrick oder Roush gekommen wäre, dann wären Erwartungshaltung und Erfolgsdruck noch viel größer gewesen. So war ihm der Wohlfühlfaktor wichtiger, mit seinem alten Kumpel Ganassi die Sache voranzutreiben und langsam aber sicher die ersten Erfolge zu holen - siehe Mexiko, siehe Sears Point."

Chip Ganassi Juan Pablo Montoya

Bei Chip Ganassi werden Montoyas Führungsqualitäten gefragt sein Zoom

"Er hat dieses Jahr eine Lernkurve, die meiner Meinung nach klar nach oben zeigt, auch wenn da mal ein 32. oder 33. Platz steht. Er muss nächstes Jahr Ergebnisse liefern und das wird er mit Ganassi hinbekommen, weil dort Infrastruktur, Ressourcen, Fahrer, das nötige Talent und vor allem die Begeisterungsfähigkeit, ein Team mitzureißen, definitiv vorhanden sind."

Frage: "Du sprichst Montoya also in keinem Fall Führungsqualitäten ab?"
Schulz: "Nein, nicht in der NASCAR-Serie."

Frage: "Warum?"
Schulz: "Weil ich glaube, dass in dieser Serie das Herangehen und das Miteinander an einem Rennwochenende die Motivation des Montoya auf einem konstanten Level halten werden. Ich denke, dass er da drüben, wo er in Miami und demnächst in Charlotte auch lebt, dass er da in seinem natürlichen Umfeld über eine Saison gleichmäßigere Leistungen abliefern kann, als in der Formel 1, wo er eben nur ein paar Galawochenenden hatte. Diese Führungsqualitäten besitzt er definitiv, Montoyas Können und Talent reichen aus, um in einem Team wie Ganassi mittelfristig Erfolg haben zu können. Montoya wird Rennen gewinnen."

Der Gegner 2008 scheint übermächtig

Frage: "Aber 2008 werden wir bei Hendrick mit Jeff Gordon, Jimmie Johnson und Dale Earnhardt Jr. ein Superteam haben, wir haben die ganz erfahrene Roush-Truppe und auf der Dodge-Seite haben wir ein Vakuum. Evernham ist nirgendwo, Penske hält einigermaßen mit, aber Ganassi ist in keinster Weise als Dodge-Vorzeigeteam zu gebrauchen. Traust du ihnen zu, dass sie 2008 einen Riesensprung nach vorne machen?"
Schulz: "Ja, das halte ich für möglich. Ich sehe 2008 auch Hendrick als Meistertruppe, denn diese Kombination ist einfach sensationell, aber ich sehe den Ganassi auf einem Ovalkurs in der Cup-Serie mit Montoya siegen."

Rick Hendrick

Rick Hendrick hat für 2008 eine scheinbar übermächtige Truppe am Start Zoom

Frage: "Bei Ganassi hat man aber das Problem, dass neben Rookie Montoya wahrscheinlich mit David Stremme und Reed Sorenson zwei - sagen wir mal Top-10-Piloten - fahren werden. Meinst du nicht, dass bei Ganassi das Fahrerpotenzial insgesamt nicht ausreicht?"
Schulz: "Das ist richtig, ich traue weder Stremme, noch Sorenson wirklich viel zu. Aber nehmen wir einmal einen Kasey Kahne, der nun für Dodge im letzten Jahr aus dem Nichts heraus sechs Rennen gewonnen hat. Was in der NASCAR mehr zählt, als eine Klassifizierung in Mittelklasse oder Topteams, ist das richtige Drücken von Knöpfen und das Aktivieren der richtigen Weichen zur richtigen Zeit."

"Die Leistungsdichte in der NASCAR ist viel höher, als sich das momentan vielleicht in der Tabelle ausdrückt. Das ganze Geheimnis der NASCAR ist die viel breitere Konkurrenzfähigkeit gegenüber der Formel 1, in der immer nur zwei oder drei Teams gewinnen werden. Wir können hier nicht Ganassi mit einem Red-Bull-Formel-1-Team vergleichen, wenn man mal einen Mittelklassevergleich ziehen würden. Red Bull wird in der Formel 1 nur dann ein Rennen gewinnen, wenn der liebe Gott aus dem Himmel herunter steigt. Aber bei Ganassi halte ich das in der kommenden Saison für viel eher möglich, als für ein Mittelklasseteam in der Formel 1 zu gewinnen."

Frage: "Jetzt wird 2008 mit dem Car of Tomorrow gefahren, mit dem die Dodge-Teams bislang keinen Fuß auf den Boden gebracht haben, während Hendrick mit fünf weißen LKWs zum Testen kommt. Du glaubst also, dass Montoya als Speerspitze alleine durch sein Können und seine Führungspersönlichkeit dagegen etwas unternehmen kann?"
Schulz: "Ja, das halte ich für möglich. Auch wenn ich ganz klar Hendrick auf der Liste habe. Hendrick ist für mich McLaren oder Ferrari der NASCAR, vor allem mit der Kombination für 2008, dagegen wird man nicht ankämpfen können, wenn es um die Titelvergabe und den Chase geht. Aber ich bleibe dabei, dass ein Mittelklasseteam wie Ganassi das Potenzial, das Können, den Willen und den Fahrer besitzt, dass sie im kommenden Jahr gewinnen können. For those about to ... race, we salute you!"