Crash-Festival in Kansas: Kenseth kommt heil durch

Matt Kenseth gewinnt ein von zahlreichen Abflügen gekennzeichnetes Rennen auf dem Kansas Speedway - Jimmie Johnson mit massiv verbogenem Auto in den Top 10

(Motorsport-Total.com) - Das erste Sprint-Cup-Rennen auf dem neu konfigurierten Kansas Speedway war an Dramatik und Unterhaltungswert kaum zu überbieten. Auf dem nagelneuen Asphalt fanden sich im Hollywood Casino 400 zahlreiche Favoriten neben der Spur und in den meisten Fällen in der Mauer wieder. Insgesamt 14 Mal musste das Feld im sechsten Chase-Rennen des Jahres mit der Gelben Flagge eingebremst werden.

Titel-Bild zur News: Matt Kenseth

Matt Kenseth behielt im Chaos die Übersicht und fuhr zum dritten Saisonsieg Zoom

Nach 267 Runden gab es nur wenige Autos, die sich noch im Originalzustand befanden. Schließlich war es Matt Kenseth, der in der Victory Lane seinen dritten Saisonsieg bejubelte, doch selbst der Roush-Pilot kam nicht ganz ohne Probleme über die Distanz. In Runde 134 überfuhr Kenseth in Führung liegend einen auf der Strecke liegenden Luftschlauch eines anderen Fahrzeugs. 99 Runden vor Schluss wurde Kenseth an die Mauer von Turn 2 gedrückt, als sich neben ihm Aric Almirola (Petty-Ford; 29.) einen von gleich drei Abflügen im Rennverlauf leistete.

Ungeachtet dessen fuhr Kenseth Saisonsieg Nummer drei nach dem Daytona 500 im Februar und dem ebenfalls dramatischen Chase-Rennen vor zwei Wochen in Talladega letztlich sicher nach Hause. "Das bedeutet mir nach all den Jahren mit Jack und den Jungs sehr viel", gab der zum Saisonende von Jack Roush in Richtung Joe Gibbs wechselnde NASCAR-Champion des Jahres 2003 zu Protokoll.


Fotos: NASCAR in Kansas


"Ohne die Power aus dem Motorenshop von Doug Yates und seinen Jungs wäre es für mich heute deutlich schwieriger geworden. Speziell bei den Restarts war mein Auto höllisch schnell", so Kenseth in der Victory Lane. Von diesen gab es im Verlauf der 267 Runden nicht weniger als 14. Nicht zuletzt der Umstand der vielen Gelbphasen trug dazu bei, dass sich hinter Sieger Kenseth so manche Comeback-Story abspielte. Die atemberaubendste lieferte ganz sicher Jimmie Johnson.

Jimmie Johnson mit irrem Comeback nach Crash

Jimmie Johnson

Mit einem massiv verbogenen Chevy fuhr Jimmie Johnson auf Platz neun Zoom

Die Anfangsphase des Rennens stand klar im Zeichen des fünffachen NASCAR-Champions in Diensten von Hendrick Motorsports sowie dem überraschend gut aufgelegten Aric Almirola. Der Petty-Fahrer war in der ersten Rennhälfte der Einzige, der das Tempo von Johnson mitgehen konnte. In Runde 122 erwischte es Almirola dann aber mit einem Reifenschaden vorn rechts, nachdem er seinen abgefahrenen Goodyear-Reifen ganz offensichtlich zu viel zugemutet hatte. Almirola krachte in Führung liegend in die Mauer von Turn 2 und musste zur Reparatur an die Box von Richard Petty Motorsports.

In Folge des ersten von drei Almirola-Abflügen kippte das Renngeschehen an der Spitze komplett. Johnson war kurz zuvor unter Renntempo an der Box gewesen und fand sich nach der Caution außerhalb der Top 20 wieder, weil die Konkurrenz unter Gelb beim Service war. Im Hinterfeld stopfte Johnson seinen Hendrick-Chevy nur wenige Runden nach dem Restart rücklings in die Mauer von Turn 4.

Nach mehreren notdürftigen Reparaturstopps, bei denen die Heckpartie von Johnsons Auto mehr schlecht als recht wieder zusammengezimmert wurde, startete "Five Time" eine furiose Aufholjagd, die ihn dank der zahlreichen weiteren Unterbrechungen wieder in die Führungsrunde brachte. In der Schlussphase war Johnson dann trotz seines aerodynamisch massiv gehandicapten Fahrzeugs einer der schnellsten Fahrer im Feld. Mit Platz neun holte sich der Hendrick-Pilot tatsächlich eine Top-10-Platzierung ab - und das, obwohl das Rennen genau wie die Heckpartie seines Autos kurz vor Halbzeit absolut verloren schien.

"Wir geben einfach nie auf", sagte Johnson und hielt fest: "Darauf bin ich stolz. Gleichzeitig bin ich aber auch sauer auf mich selbst, weil ich das Auto weggeschmissen habe. Ich wollte an der 56 (Martin Truex Jr.; Anm. d. Red.) vorbeigehen und konnte den Wagen nicht mehr einfangen."

Tabellenführer Brad Keselowski in Bierlaune

Brad Keselowski

Von wegen Miller Lite: Brad Keselowski hatte in Kansas kein leichtes Spiel Zoom

Tabellenführer Brad Keselowski (8.) konnte aus dem Johnson-Crash bei Rennmitte kein Kapital schlagen. Der Penske-Pilot hatte gleich mehrere kritische Momente zu überstehen und war froh, aus dem Kansas-Chaos mit einer Top-10-Platzierung hervorgegangen zu sein. "Jetzt bin ich bereit, nach Hause zu gehen und mir ein paar Bier zu genehmigen. Es war ein verdammt langes Rennen. Ich hatte den Eindruck, dass alle Crashs im Rennen unmittelbar vor meiner Nase passierten. Ich bin heilfroh, dass dieses Rennen hinter uns liegt", so ein sichtlich erleichterter Brad Keselowski nach Platz acht im Ziel.

Der am spektakulärsten anzusehende seiner zahlreichen "Close Calls" trug sich zu, als sich Ryan Newman (Stewart/Haas-Chevrolet; 30.) und Kyle Busch (Gibbs-Toyota; 31.) nach einer Kollision in Turn 4 direkt vor dem blauen Penske-Dodge von Keselowski drehten. Da die nachfolgenden Fahrzeuge im dichten Reifenqualm verzögerten, wäre der Tabellenführer um ein Haar von seinem eigenen Penske-Teamkollegen Sam Hornish Jr. aufs Korn genommen worden. Die trudelnden Fahrzeuge von Busch und Newman verpasste Keselowski dann ebenfalls nur um wenige Zentimeter, als er sich auf der mittleren Fahrspur seinen Weg durch das Chaos in Turn 4 bahnte.

Der als Dritter der Gesamtwertung nach Kansas gereiste Gibbs-Pilot Denny Hamlin konnte angesichts von Platz 13 keinen Boden auf Keselowski und Johnson gutmachen. Auf einer abweichenden Boxenstopp-Strategie unterwegs, hatte Hamlin als einer der wenigen unter Grün tanken müssen, bevor die 14. und letzte Gelbphase herauskam. In dieser holte ihn Crewchief Darian Grubb dann noch einmal herein, um den Versuch zu starten, mit vier frischen Reifen nach vorn zu kommen. Der Plan ging nicht auf und Hamlin lief außerhalb der Top 10 ein.

Zahlreiche Reifenschäden auf dem nagelneuen Belag

Derweil hatte Darian Grubbs letztjähriger Fahrer - der amtierende NASCAR-Champion Tony Stewart - am Steuer seines Stewart/Haas-Chevrolet mehr Glück. In Runde 165 machte "Smoke" seinem Spitznamen zunächst alle Ehre, als er den Chevy im Infight mit Kasey Kahne (Hendrick-Chevrolet; 4.) ausgangs Turn 2 aus der Kontrolle verlor und mit rauchenden Reifen in Richtung innerer Safer-Barrier schlidderte. Auf der rechten Fahrzeugseite waren die Goodyear-Gummis nach der Notbremsung zwar komplett herunter, eine Beschädigung seines Chevys konnte Stewart aber dank grandioser Fahrzeugbeherrschung vermeiden und beendete das Rennen schließlich auf Platz fünf.

Aric Almirola

Überraschungsmann Aric Almirola war nur eines der vielen Reifenopfer Zoom

Waren einige der Abflüge am wilden Oktober-Tag auf dem Kansas Speedway schlicht und ergreifend dem mangelnden Grip des neuen Asphalts geschuldet, so erwischte es diverse Piloten aufgrund von Reifenschäden, die durch Trümmerteile oder aber eine zu lange Belastung zustande kamen. Casey Mears (Germain-Ford; 37.) eröffnete in Runde 32 mit einem Abflug in Turn 2 die Serie der Reifenopfer. A.J. Allmendinger (35.) erging es bei seinem zweiten Auftritt im Phoenix-Chevrolet genauso. Nach Reifenschaden vorn rechts und anschließendem Crash in die Safer-Barrier von Turn 3 musste der erst kürzlich von NASCAR rehabilitierte Kalifornier das Rennen aufgeben. Zum Zeitpunkt seines Abflugs in Runde 71 lag Allmendinger als Sechster sicher in den Top 10.

Gut 50 Umläufe vor Schluss sorgte Aric Almirola mit seinem endgültigen Abflug für die 13. von insgesamt 14 Gelbphasen. Wie schon bei seinem ersten Crash in Runde 122 war auch im Falle von Almirolas finalem Abgang an diesem Tag ein Reifenschaden vorn rechts der Grund. Zwischenzeitlich war der Petty-Pilot bei einem Dreher im Kampf um die Führung mit Mark Martin (Waltrip-Toyota; 24.) und dem späteren Sieger Matt Kenseth für einmal ohne weitere Beschädigungen seines Ford davongekommen.

Nicht so in Runde 213. "Der Reifen verabschiedete sich ohne Vorwarnung. Nach dem Einschlag musste ich erst einmal tief durchatmen. Es ist enttäuschend, denn ein derart gutes Auto wie heute hatte ich wohl in meinem ganzen Leben noch nicht. Bevor man ein Rennen gewinnt, muss man wohl eines in den Sand setzen. Das haben wir heute eindeutig erledigt", so Almirola. 33 Runden vor Schluss erwischte es schließlich auch Sam Hornish Jr. (Penske-Dodge; 26.) mit einem geplatzten Goodyear-Reifen vorn rechts.

Privatfehde zwischen Danica Patrick und Landon Cassill

Danica Patrick

Danica Patrick machte in Kansas eine ganz neue NASCAR-Erfahrung... Zoom

Danica Patrick (32.) verabschiedete sich in Turn 1 der 155. Runde im Formationsflug mit Landon Cassill (BK-Toyota; 18.). Cassill war auf Höhe Start/Ziel an der Stewart/Haas-Pilotin vorbeigegangen, woraufhin diese ihm einen aufs Heck verpasste. Wenige Runden zuvor hatte sich das NASCAR-Greehorn im Cockpit ihres giftgrünen Chevy mit der Startnummer 10 über ein rustikales Überholmanöver von Cassill beschwert und wollte es ihm in Runde 155 heimzahlen.

"Ich war einfach frustriert darüber, wie mich die 83 (Cassill; Anm. d. Red.) behandelt hat. Er fuhr mir auf der Geraden ins Auto. Ich musste dann einfach Maßnahmen ergreifen", erklärte Danica Patrick die Szene in Runde 155 aus ihrer Sicht.

Das Problem dabei: Bei dieser Gelegenheit flog sie gleich selbst mit ab. Patrick schlug in der Mauer ein, Cassill konnte sein Auto abfangen, das Rennen fortsetzen und sich über Funk einen Seitenhieb gegen Danica Patrick nicht verkneifen: "Regel Nummer eins im Stock Car Racing ist es, zu lernen wie man jemanden aus dem Rennen befördert ohne dabei selbst rauszufliegen."

Erneute Enttäuschung für die Busch-Brüder

Zum turbulenten Rennverlauf mit insgesamt 14 Gelbphasen trug auch "Wild Thing" Kyle Busch bei. In Runde 40 (Caution Nummer zwei) war er der erste von vielen Piloten, die ihr Auto in Turn 4 übersteuernd aus der Kontrolle verloren. Auch für Gelbphase Nummer zwölf zeichnete ein Abflug von Kyle Busch verantwortlich und wieder war der Ausgang von Turn 4 Ort des Geschehens. Ryan Newman (Stewart/Haas-Chevrolet) leistete in diesem Fall allerdings tatkräftige Unterstützung und schickte den Gibbs-Toyota mit der 18 auf eine Umlaufbahn. Brad Keselowski kam bei dieser Szene nur mit viel Glück ungeschoren davon.

Kyle Busch

Kyle Busch wurde von Ryan Newman (39) umgedreht und war nicht begeistert Zoom

"Es war heute eine ständige Suche nach Grip", erklärte Kyle Busch. "Jeder war am Limit. Ich hatte im gesamten Rennverlauf ein übersteuerndes Auto. Als Newman hinter mir ungeduldig wurde und mir ins Heck fuhr, war der Dreher nicht zu vermeiden. Ich habe keine Ahnung, warum er das getan hat, bin aber froh, dass er mit mir gemeinsam abgeflogen ist", kommentierte der jüngere der beiden Busch-Brüder wie gewohnt ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Unterdessen zeigte Bruder Kurt Busch im Furniture-Row-Chevy eine starke Leistung und fuhr vorübergehend in den Top 5 mit. Elf Runden vor Schluss geriet aber auch der ältere der beiden Busch-Brüder wie zuvor schon Casey Mears, A.J. Allmendinger, Aric Almirola und Sam Hornish Jr. aufgrund eines Reifenschadens vorn rechts an die Mauer von Turn 2 und beendete das zweite Rennen für sein neues Team schließlich auf Platz 25.

Nicht viel besser erging es NASCAR-Oldie Mark Martin. Im Zuge der 14. und letzten Gelbphase hatte der Teilzeitfahrer in Diensten von Michael Waltrip Racing Pech: Als Führender war er kurz zuvor unter Grün zum letzten Tankstopp an der Box und fand sich beim Restart nur noch am Ende der Führungsrunde wieder, weil der Rest der Meute bequem unter Gelb tanken konnte. 35 Umläufe vor der Karierten Flagge meldete sich zu allem Überfluss noch ein Zylinder ab und Mark Martin wurde abgeschlagener 24. - nach Platz zwei im Qualifying und 60 Führungsrunden eine herbe Enttäuschung für den nimmermüden NASCAR-Haudegen.

Situation an der Tabellenspitze unverändert

Nach all den Crashes brachten Martin Truex Jr. (Waltrip-Toyota; 2.) und Paul Menard (Childress-Chevrolet; 3.) ihre Autos in den Top 3 ins Ziel. Truex hatte schon das Frühjahrsrennen auf dem damals noch flacheren Kansas Speedway auf Platz zwei beendet. Für Menard bedeutete Platz drei die erste Top-5-Platzierung des Jahres.

"Local Boy" Clint Bowyer (Waltrip-Toyota) beendete sein Heimrennen hinter Kasey Kahne und dem amtierenden Champion Tony Stewart auf Platz sechs. Als Chase-Mitstreiter Greg Biffle (27.) seinen Roush-Ford 92 Runden vor Schluss ausgangs Turn 4 in die Mauer stopfte und anschließend ins Infield trudelte, hatte Bowyer großes Glück, nicht mit ins Verderben gerissen zu werden. Dank Platz sechs konnte der Waltrip-Pilot seinen Rückstand auf Tabellenführer Brad Keselowski um drei auf nun 25 Punkte verkürzen und ist im Rennen um den NASCAR-Titel 2012 weiterhin voll im Geschäft.

Regan Smith (7.) brachte den Hendrick-Chevrolet von Dale Earnhardt Jr. genauso in die Top 10 wie seine Teamkollegen Kasey Kahne (4.), Jimmie Johnson (9.) und Jeff Gordon (10.) ihre jeweiligen Dienstfahrzeuge. Die Platzierung von Johnson war nach dem Crash in Runde 136 aber ohne jeden Zweifel die überraschendste in Reihen der Mannschaft von Rick Hendrick.

Brad Keselowski, Jimmie Johnson

Der Abstand zwischen Keselowski und Johnson beträgt weiterhin sieben Punkte Zoom

In der Gesamtwertung sind Brad Keselowski und Jimmie Johnson nach sechs von zehn Chase-Rennen weiterhin durch sieben Punkte getrennt. Die Positionen drei bis fünf - Denny Hamlin, Clint Bowyer, Kasey Kahne - blieben ebenfalls unverändert. Der Abstand zwischen Tabellenführer Keselowski und dem Gesamtfünften Kahne beträgt aber nur noch 30 Zähler. Sieger Matt Kenseth machte den größten Sprung in der Tabelle und ist nach seinem zweiten Sieg in sechs Chase-Rennen nun Gesamtneunter mit 55 Punkten Rückstand auf Keselowski.

Nach dem dramatischen Rennen auf dem Kansas Speedway ist am kommenden Sonntag ein weiteres Highlight zu erwarten. Das siebte von zehn Rennen im diesjährigen Titelkampf steigt auf dem kürzesten Oval im gesamten NASCAR-Kalender: Auf dem nur 0,526 Meilen langen Martinsville Speedway in Virginia ist beinharte Short-Track-Action vorprogrammiert. Die Messlatte in Sachen Unterhaltungswert liegt nach dem Hollywood Casino 400 aber alles andere als niedrig.