Erkenntnisse aus Katar: Die Analyse zum MotoGP-Auftakt 2016

Drei verschiedene Hersteller auf dem Podium: Die MotoGP-Saison 2016 verspricht spannend zu werden, doch wer steht wirklich wo? Wir analysieren den Saisonauftakt

(Motorsport-Total.com) - Das Bild kennt man bereits aus dem Vorjahr: Ganz vorne eine Yamaha, knapp dahinter eine Ducati. Auf den ersten Blick unterscheidet sich das Ergebnis des MotoGP-Auftakts in Katar 2016 nicht großartig von dem des Jahres 2015 (zum Rennbericht). Dass eine ganz große Überraschung ausblieb, lag unter unter anderem daran, dass Andrea Iannone stürzte und Maverick Vinales seine starke Leistung der Trainings im Rennen nicht mehr abrufen konnte. Doch was verrät uns der Saisonauftakt wirklich?

Titel-Bild zur News: Jorge Lorenzo

Beim MotoGP-Auftakt in Katar sahen die Fans ein bunt gemischtes Spitzenfeld Zoom

Wir werfen einen Blick auf die fünf Hersteller und ihre Leistungen am ersten Rennwochenende des Jahres. Werden die Yamaha-Piloten den Titel auch in dieser Saison wieder unter sich ausmachen? Ist Honda nach dem dritten Platz von Marc Marquez auf dem Weg zurück zu alter Stärke? Und können Ducati und Suzuki in diesem Jahr noch für Überraschungen sorgen? Wir suchen nach Antworten und beginnen beim amtierenden Weltmeister.

Yamaha: Favoritenrolle bestätigt

Eins scheint bereits nach dem Saisonauftakt klar zu sein: Der MotoGP-Titel wird auch in diesem Jahr nur über Weltmeister Jorge Lorenzo führen. Der Spanier legte in Katar einen beeindruckenden Sieg hin und bewies einmal mehr, warum er bereits 2015 die meisten Rennen und am Ende auch die Weltmeisterschaft gewinnen konnte. Doch aufgepasst: Auch mit Valentino Rossi wird in diesem Jahr wieder zu rechnen sein.

Der vierte Rang des Italieners mutet auf den ersten Blick zwar wie eine klare Niederlage an, doch es ist durchaus nachvollziehbar, warum der Italiener mit dem Ergebnis trotzdem zufrieden ist. Entscheidend ist nämlich nicht seine Platzierung, sondern der Rückstand auf Lorenzo, der lediglich bei 2,387 Sekunden lag (zum Rennergebnis). Im vergangenen Jahr gab es Rennen, bei denen der Spanier seinem Teamkollegen mehr als zehn Sekunden abnahm.

Jorge Lorenzo, Marc Marquez, Valentino Rossi

Valentino Rossi war langsamer als Jorge Lorenzo, verlor ihn aber nie aus den Augen Zoom

Weit ist Rossi also offenbar nicht vom amtierenden Weltmeister weg. Dass sich Lorenzo die Pole-Position sicherte, und Rossi nur von Startplatz fünf ins Rennen ging, ist ebenfalls keine Überraschung, schließlich war der Spanier auch im vergangenen Jahr auf einer Runde fast immer schneller als der Italiener. Rossis Stärken sind andere. Wenn er diese auch 2016 wieder so ausspielen kann wie im Vorjahr, dann wird er Lorenzo definitiv auf den Fersen bleiben.

Spannend wird ebenfalls sein, wie sich das Verhältnis der beiden abseits der Strecke entwickelt. Dass Rossi nach dem vierten Training einen Strafpunkt für Lorenzo forderte, könnte schon wieder der Beginn von Psychospielchen zwischen den beiden gewesen sein. Lorenzo revanchierte sich auf seine Art, als er nach seinem Sieg die geballte Faust in Richtung Rossi streckte und auf dem Podium eine eindeutige Geste in Richtung der Fans des Italieners machte.


Fotos: MotoGP in Doha


Rein sportlich machte Yamaha in Katar den stärksten Eindruck. Den Angriff der Ducatis wehrte Lorenzo am Sonntag souverän ab und Honda scheint momentan noch nicht in der Verfassung zu sein, um dem amtierenden Herstellerchampion wirklich gefährlich zu werden. Yamaha hat aktuell einen kleinen Vorsprung vor den Rivalen, doch eine Garantie für den Titel ist das noch nicht. In den kommenden Rennen werden Lorenzo und Rossi diesen Eindruck bestätigen müssen.

Honda: Probleme noch lange nicht gelöst

Keine Frage, der dritte Platz war für Honda und Marc Marquez am Sonntag ein großer Erfolg. Nachdem die Japaner im Winter noch die größten Schwierigkeiten von allen Herstellern zu haben schienen, erklärt auch der Spanier selbst, dass er Rang drei "sofort genommen" hätte, wenn ihm vor dem Wochenende jemand diese Platzierung angeboten hätte. Bei genauem Hinsehen wird allerdings schnell klar, dass Honda seine Probleme noch lange nicht überwunden hat.

Marc Marquez, Andrea Dovizioso, Valentino Rossi

Marc Marquez war der einzige Honda-Pilot, der wirklich konkurrenzfähig war Zoom

Denn momentan ist aus der Honda-Riege offenbar nur Marquez in der Lage, mit den Toppiloten mitzuhalten. Teamkollege Dani Pedrosa musste den Kontakt zur Spitzengruppe im Rennen in Katar früh abreißen lassen. Noch heftiger erwische es die Satellitenpiloten: Cal Crutchlow sah die Zielflagge nach einem Sturz gar nicht erst und Jack Miller und Tito Rabat belegten die Positionen 14 und 15 - und damit effektiv die letzten beiden Plätze.

Hondas größte Baustelle scheint noch immer die neue Elektronik zu sein. Da kommt es kaum überraschend, dass diese auch der Grund für Crutchlows Sturz war. "Das Motorrad wusste nicht, wo es gerade auf der Strecke ist. Es erkannte die falschen Sektoren. Das Motorrad dachte im finalen Sektor, dass es sich im ersten Sektor befindet und so weiter. Deswegen stürzte ich", berichtet der LCR-Pilot.

"Wir wussten, dass Katar eine schwierige Strecke für uns ist", erklärt Pedrosa. Sorgen machen allerdings trotzdem die mehr als 14 Sekunden Rückstand, die der Spanier im Ziel auf Lorenzo hatte. Im vergangenen Jahr lag sein Rückstand auf den damaligen Katar-Sieger Rossi nur bei rund zehn Sekunden - obwohl er damals mit Armpump-Problemen nur unter großen Schmerzen fahren konnte.


Fotostrecke: MotoGP: Alle Motorräder der Saison 2016

Und so kaschiert der dritte Platz von Marquez die Honda-Probleme zwar, gelöst sind die Schwierigkeiten aber bei weitem noch nicht. Dass der Spanier am Sonntag als einziger Honda-Pilot mithalten konnte, hängt auch damit zusammen, dass er die Maschine wieder einmal überfahren musste. "Wir verlieren beim Beschleunigen noch immer, also muss ich die Zeit beim Bremsen aufholen", erklärt er.

"Es ist vielleicht nicht der sicherste Weg, aber ich muss so fahren, wenn ich auf einem Level mit den anderen bleiben will", so Marquez. Doch obwohl der zweimalige MotoGP-Champion über dem Limit fuhr, muss auch er eingestehen: "Gegen Lorenzo konnte ich nichts ausrichten." Die kommenden Strecken in Argentinien und Texas kamen Marquez in der Vergangenheit mehr entgegen. Zumindest das könnte den Japanern ein bisschen Hoffnung machen.

Ducati: Schnell, aber noch nicht schnell genug

Die große Überraschung ist in Katar ausgeblieben - erneut. Nachdem Andrea Dovizioso den ersten Ducati-Sieg seit 2010 bereits im vergangenen Jahr in Doha verpasste, reicht es auch in diesem Jahr nicht. Dabei schienen die Voraussetzungen eigentlich optimal zu sein: Ducati hat mit den neuen Regeln offenbar deutlich weniger Probleme als die Konkurrenten, und dass die Strecke in der Wüste den Stärken der Desmosedici entgegenkommt, ist sowieso bereits seit Jahren bekannt.

Andrea Dovizioso, Andrea Iannone, Jorge Lorenzo, Valentino Rossi

Andrea Iannone und Andrea Dovizioso führten das Rennen zwischenzeitlich an Zoom

Auf der langen Start- und Zielgeraden flogen die Ducatis erwartungsgemäß an den Konkurrenten vorbei. Dovizioso wurde in der Spitze mit 349.8 km/h geblitzt, doch gegen Lorenzo, dessen Höchstwert satte neun km/h darunter lag, reichte es trotzdem nicht. Obwohl Dovizioso erneut "nur" Zweiter wurde und der Rückstand auf den Sieger sogar größer war als im vergangenen Jahr, kann das Rennen für die Italiener allerdings als Erfolg gewertet werden.

Denn im vergangenen Jahr starteten Dovizioso und Teamkollege Andrea Iannone noch mit den Vorteilen der Open-Klasse und durften im Rennen unter anderem vier Liter Sprit mehr verwenden als ihre Gegner. Diese Vorzüge genießt Ducati in diesem Jahr nicht mehr, doch trotzdem konnten die beiden Andreas lange mit Lorenzo mithalten. Auch auf einer schnellen Runde war man gut unterwegs, obwohl man in diesem Jahr nicht mehr auf einen weicheren Hinterreifen zurückgreifen kann.

Die große Frage lautet nach dem Rennen, was passiert wäre, wenn Iannone in Runde sechs nicht gestürzt wäre. Der Italiener präsentierte sich am gesamten Wochenende in einer stärkeren Form als sein Teamkollege und hatte die Pole-Position zuvor vermutlich schon nur deshalb verpasst, weil er auf seiner schnellsten Runde auf Scott Redding auflief. Die Frage,ob Iannone wirklich in der Lage gewesen wäre, Lorenzo im Rennen zu schlagen, wird allerdings für immer unbeantwortet bleiben.


Fotostrecke: 10 wichtige Zahlen zur MotoGP-Saison 2016

Ducati wird nun zeigen müssen, ob man auch auf anderen Strecken, die der Desmosedici nicht so gut liegen, ähnlich gut mithalten kann. Mit einem Sieg könnte es aber auch in diesem Jahr schwierig werden, denn früher oder später werden auch Honda und Co. die neue Elektronik besser in den Griff bekommen und in dieser Hinsicht auf die Italiener aufschließen. Spätestens dann wird sich zeigen, wo nah Ducati in diesem Jahr wirklich herangekommen ist.

Suzuki: Licht und Schatten

Bei Suzuki ist noch nicht ganz klar, wohin die Reise in diesem Jahr gehen wird. Während Maverick Vinales das Potenzial der GSX-RR in den Trainings und im Qualifying immer wieder aufblitzen ließ, konnte er im Rennen dann doch nicht ganz vorne mithalten und wurde mit etwas mehr als 15 Sekunden Rückstand schließlich Sechster. Immerhin: Vor einem Jahr war der Rückstand des Spaniers noch mehr als doppelt so groß.

Daniel Pedrosa, Maverick Vinales, Cal Crutchlow

Maverick Vinales blieb am Sonntag nur ein Platz in der Verfolgergruppe Zoom

Allerdings darf dabei nicht vergessen werden, dass es sich damals um den ersten Grand Prix nach der Suzuki-Rückkehr handelte und um das erste MotoGP-Rennen von Vinales überhaupt. Dass der Spanier ein Jahr später mit einem sechsten Platz bereits nicht mehr zufrieden ist, spricht aber zumindest einmal dafür, dass die Ansprüche bei Fahrer und Team mittlerweile deutlich gestiegen sind. Im vergangenen Jahr hätte man ein Finish nur 1,340 Sekunden hinter einem Honda-Wekrspiloten wohl sofort unterschrieben.

Fakt ist, dass Suzuki noch immer einige Baustellen hat. Beim Topspeed hat man zwar Fortschritte gemacht, liegt aber noch immer etwas zurück. Außerdem verzichtete Vinales in Katar auf das neue komplette Seamless-Getriebe, das noch nicht komplett ausgereift ist. Der Spanier verwendete stattdessen die Version, die lediglich das Hochschalten ohne Zugkraftunterbrechung ermöglicht. Hier haben die Japaner also definitiv noch etwas in der Hinterhand.


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Ein schwieriges Jahr könnte es allerdings für Aleix Espargaro werden. Der Spanier kommt mit den neuen Michelin-Reifen überhaupt nicht zurecht. Sein aggressiver Fahrstil ist extrem abhängig von einem guten Gefühl für die Front, doch genau das vermitteln die Pneus ihm momentan nicht. Dass er die Zielflagge mehr als 20 Sekunden nach Vinales sah ist kein Zufall. Dieses Kräfteverhältnis innerhalb des Teams dürfte sich (wenn auch nicht ganz so eklatant) in den kommenden Rennen bestätigen.

Aprilia: Noch viel Aufbauarbeit

Eine kritische Analyse zur Leistung von Aprilia an diesem Wochenende wäre ungerecht. Der erste Test der neuen RS-GP fand erst wenige Wochen vor dem Saisonauftakt in Katar statt. Stefan Bradl und Alvaro Bautista mussten sich also nicht nur an die neue Elektronik und die neuen Reifen gewöhnen, sondern auch an ein komplett neues Bike. Das führte unweigerlich dazu, dass man am ersten Rennwochenende des Jahres eine Menge Testarbeit betrieben musste.

Alvaro Bautista, Stefan Bradl

Auf Alvaro Bautista und Stefan Bradl wartet noch eine ganze Menge Arbeit Zoom

Daher kommt es auch wenig überraschend, dass sich Bradl mehrfach ganz hinten in der Zeitenliste wiederfand. Zu einem Dauerzustand dürfte das aber ganz sicher nicht werden. Klar ist allerdings auch, dass Aprilia noch ein weiter Weg bevorsteht. Immerhin: Im Rennen sah Bautista die Zielflagge als 13. und konnte die beiden Marc-VDS-Piloten auf ihren Satelliten-Hondas hinter sich lassen. Das gibt etwas Hoffnung.

Der Rückstand von mehr als 40 Sekunden auf Lorenzo ist allerdings trotzdem gewaltig. Stefan Bradl stürzte zu allem Überfluss gleich mehrfach, einmal davon im Rennen. Andernfalls hätte der Deutsche ebenfalls eine sehr gute Chance gehabt, zumindest einen Punkt mitzunehmen. Da mit Sam Lowes bereits ein neuer Fahrer für die Saison 2017 feststeht, kämpfen Bradl und Bautista in diesem Jahr um den zweiten Platz bei Aprilia. Alleine schon deshalb müssen beide das Beste aus der schwierigen Situation machen.