• 12.12.2016 12:10

  • von Scott Mitchell (Haymarket)

Simulator-Exkurs: Die Kunst des effizienten Bremsens

Kein Rennfahrer spricht gerne übers Bremsen, doch für eine schnelle Rundenzeit ist es essenziell - Wie viel sich durch professionelle Beratung gewinnen lässt

(Motorsport-Total.com) - Ein feinfühliger Fahrstil mag nach außen nicht so spannend anmuten wie ein spektakuläres Überholmanöver. Und alle Fahrer werden lieber mit großem Mut in schnellen Kurven in Verbindung gebracht als mit Effizienz in langsamen Ecken. Ein Auto am absoluten Limit in schnellen Kurven hin und her zu werfen wirkt weitaus mehr sexy als effizientes Runterschalten, vernünftiges Einlenken und sauberes Beschleunigen nach dem Scheitelpunkt. Aber je mehr Zeit man in einer Kurve verbringt, umso langsamer ist man und umso mehr Zeit verliert man.

Titel-Bild zur News: Simulator

Simulatoren eignen sich hervorragend zur Verbesserung der Fahrtechnik Zoom

Seit ich aus dem Kartsport aufgestiegen bin und Autos - oder andere Fahrzeuge und Simulatoren - getestet habe oder mit ihnen Rennen gefahren bin, ist das Ergebnis dasselbe gewesen: Die Linie stimmt, schnelle und mittelschnelle Kurven sind gut, und die generelle Herangehensweise passt in der Theorie. Aber es fehlt etwas; irgendwas läuft falsch in der Umsetzung von dem, was ich weiß, in das, was ich im Auto mache. Deshalb ging es im Simulator von Position One um ein simples Ziel: Wie kann ich meine Bremsleistung verbessern?

"Testfahrzeug" ist ein Porsche 911 GT3 Cup, ein gut aussortierter Rennwagen. Fahrtrainer Ben Barker hat reichlich Erfahrung mit diesem Fahrzeug - sowohl im Simulator, als auch der realen Version. Gefahren wird die "National"-Variante von Silverstone. Warum nicht der ganze Kurs? "Man fährt dieselben Kurven öfter", begründet Simulator-Guru Matt Beers. "Man muss keine zwei Minuten rumrollen, bis man dieselbe Kurve wiedersieht - so können wir sie häufiger trainieren." Barker führt hinzu: "Die Technik, die du für Brooklands lernst, kannst du auf jeder Strecke anwenden." Angekommen.

Barker fährt eine Benchmark-Zeit und generiert dabei reichlich Daten, was für uns noch wichtiger wird. An diesem Punkt ist der Simulator in seiner eigenen Liga, wenn es um die Entwicklung des Fahrstils geht - man kann sich nirgends verstecken. Und da wir uns hier auf eine spezifische Technik konzentrieren: Die Möglichkeit, so tief in einen spezifischen Bericht hineinzugehen, ist extrem hilfreich.

Fundamentaler Fehler sofort aufgedeckt

Mein erster Versuch ist nicht gerade vielversprechend: Meine 56,016 Sekunden mögen nur 1,5 Sekunden hinter Barkers Zeit liegen. Aber Silverstone National hat gerade einmal vier Kurven! Überraschenderweise ist Copse meine beste Kurve in diesem Quartett. Ich hatte die falsche Vorstellung, dass sie als schnellste Kurve die schwierigste sein würde. Aber ich verliere hier gerade einmal zwei Zehntel vom Kurveneingang bis zur Mitte der nächsten Geraden.

Im Vergleich der besten Sektorzeiten verliere ich dann aber in Becketts drei Zehntelsekunden (was ich die Wellington Straight vor mir her schiebe), durch Brooklands 0,6 Sekunden und in Luffield noch einmal 0,4. Was mich wirklich umhaut, ist die Tatsache, dass meine Bremspunkte zu früh zu liegen scheinen: Wenn ich den Scheitelpunkt erreiche, muss ich ewig darauf warten, dass die Kurve endet. Ich stehe dort nicht mehr auf der Bremse, aber muss das Fahrzeug rollen lassen, weil ich das Gas nicht so früh in der Kurve öffnen kann. Es ist unübersehbar, dass ich das Auto zu sehr verlangsame.

Datananalyse, Monitor

Die Datenanalyse fördert jeden Fehler gnadenlos zu Tage Zoom

Doch wenn ich versuche, später zu bremsen, verhaue ich die Kurve völlig. Barker und Beers schauen die gesamte Zeit über zu, aber in diesem Run geht es noch nicht ums "Live"-Coaching. Sie sehen es sich lediglich an. Die Live-Anweisungen kommen später, zuvor benötigen wir ein vernünftiges Debriefing.

Die direkte Analyse zeigt den Grund, warum ich das Auto zu sehr verlangsame: Es liegt nicht daran, dass ich zu viel, sondern dass ich falsch bremse. Ich bremse zu lang und lasse das Pedal zu abrupt los. Luffield eignet sich perfekt, um es zu veranschaulichen: Mein maximaler Bremsdruck ist niedriger, aber ich halte diesen Peak 20 Meter länger. Barker lässt die Bremse noch 23 Meter länger als ich mitschleifen - das sogenannte Trail Braking. Das ist beim Cup-Porsche entscheidend, weil sich das Gewicht weiter nach hinten verlagert, wenn die Bremse nicht betätigt wird. Dem Heckmotor-911 muss man Gewicht auf die Vorderachse zwingen, damit die Vorderreifen Grip aufbauen.

Es bedeutet auch, dass meine Lenkbewegungen völlig chaotisch sind. Ich lenke zu stark, weil das Fahrzeug aufgrund der nach hinten verschobenen Gewichtsbalance nicht richtig einlenken will. Deshalb versuche ich, die Nase des Fahrzeugs mit Gewalt nach innen zu zwingen. Die wertvolle Lektion ist, dass ich die Kurve richtig fahren kann, wenn ich erst einmal später bremse. Untersteuern wird nicht durch das Fahrzeug hervorgerufen, sondern durch eine schlechte Bremstechnik.

Rückstand mehr als halbiert

Beim zweiten Versuch sieht man überall Verbesserungen. Ich fahre eine 55,375 und halbiere das Defizit. Und die meisten meiner Rundenzeiten sind im 55er-Bereich. Die Zeit, die ich in Copse und Becketts verliere, ist nun minimal, obwohl meine Technik in Letzterer noch immer nicht perfekt ist. Brooklands und Luffield sind nach wie vor mein Schwachpunkt: Hier verliere ich 0,3, respektive 0,2 Sekunden.

In Brooklands bin ich am Scheitelpunkt noch immer völlig orientierungslos, weil ich das Auto weiterhin zu sehr verlangsame. Ein Blick in die Daten verrät, dass meine niedrigste Geschwindigkeit wesentlich früher anliegt als bei Barker und dass ich noch immer zu stark lenke. Meine Technik beim Trail Braking hat sich zwar verbessert, aber ich habe sie noch nicht mit dem Einlenken kombiniert. Ich bin noch immer zu sehr im abgehackten "Schritt eins, Schritt zwei, Schritt drei" Modus. Ich muss diese Elemente noch zu einem eleganten Ganzen zusammenfügen.

Ben Barker

Ben Barker im Brooklands/Luffield-Komplex: Schwerer als gedacht Zoom

Luffield ist recht einfach, aber eine echt frustrierende Kurve, was sie aufgrund ihrer Hufeisen-Form auch in der Realität ist. Barker glaubt, dass ich nicht weit genug in die Ecke hinein denke. Ich bremse zu hart und zu früh, weil ich nur den "ersten" Scheitelpunkt im Kopf habe. Gottseidank, eine klare Anweisung, um mich zu verbessern! Das Wissen, dass Copse/Becketts so gut wie aussortiert sind, ist ein willkommenes Gefühl, als es in den finalen Versuch geht. Jetzt zahlt sich das Training auf dem nationalen Kurs aus: Ich kann mich zwei großen Tests immer und immer wieder unterziehen.

Ich habe genug Zeit, um - dank des direkten Funkkontakts mit Barker - schnell alles einsacken zu lassen, was schiefläuft und was verbessert werden kann, aber dann auch gleich wieder ans Eingemachte zu gehen. In zwei Stunden spulen wir etwa 34 Runden ab. Nicht schlecht.

Quintessenz: Bremsen gehört zur Kurvenfahrt

Selbst nach dem letzten Anlauf steht fest, dass noch Arbeit geleistet werden müsste, aber deutlich weniger als zuvor. Ich beende den Tag mit einer Zeit von 55,159 Sekunden - 0,5 Sekunden hinter Barker, aber mit einem schnelleren ersten Sektor. Das ist das Resultat einer guten Fahrt durch Copse und meiner Entscheidung, vor Becketts noch kurz in den sechsten Gang zu schalten, wie ich es den ganzen Tag gemacht habe.

Der Zeitverlust erstreckt sich größtenteils über Brooklands und Luffield, wo ich drei Zehntel verliere. Ich könnte ich noch immer die Bremse mehr schleifen lassen. Aber der gesamte Ablauf funktioniert besser. "Es ist noch ein Hügel, keine Steilküste mehr", stellt Beers fest. In Luffield beiße ich auf die Zähne und steige später und weniger intensiv in die Eisen. Das Resultat ist eine um neun km/h höhere Kurveneingangsgeschwindigkeit!

Porsche 911 GT3 Cup

Der Porsche erfordert aufgrund des Heckmotors einen eigenen Fahrstil Zoom

Unterm Strich lässt sich sagen, dass das Bremsen fundamental wichtig ist für die Kurvenfahrt. Es scheint auf der Hand zu liegen und trotzdem sehen viele Leute das Bremsen und die Kurvenfahrt als zwei voneinander unabhängige Dinge an. Doch sie sind untrennbar miteinander verbunden. Das ist das Herzstück dessen, was ich gelernt habe. Man kann schnell bei Fachbegriffen wie "Trail Braking", "Gefühl" und "Scheitelpunkt" den Überblick verlieren. So schnell, wie man sich im Kreis drehen kann, weil Worte wie "Untersteuern" missverstanden werden.

Das Setup ist nicht das einzige, was ein Auto davon abhält, schnell durch eine Kurve zu fahren. Es ist unglaublich, wie viel Performance einfach nur beim Fleisch und Blut hinter dem Lenkrad gefunden werden kann.

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