Air-Race 2016: Matthias Dolderer, Weltmeister für Deutschland?

Vom Bankkaufmann zum Champion der Lüfte: Matthias Dolderer äußert im Interview das ambitionierte Ziel, Weltmeister im Red-Bull-Air-Race zu werden

(Motorsport-Total.com) - Wenn man Matthias Dolderer bei Markus Lanz im ZDF-Studio sitzen sieht, würde man nicht vermuten, dass er einer von nur 16 Piloten weltweit ist, die am Red-Bull-Air-Race, im Marketing-Speek als "Formel 1 der Lüfte" promotet, teilnehmen. Was sein Auftreten betrifft, würde man ihm den Bankkaufmann, den er einst gelernt hat, schon eher abnehmen - und zwar im positiven Sinn: unaufdringlich, bodenständig, geerdet, smart.

Ich habe den 45-jährigen Tannheimer bisher dreimal gesprochen: beim Air-Race in Spielberg 2014, bei einem für Journalisten organisierten Event in Schleißheim 2015 (bei dem ich selbst Gelegenheit hatte, einmal in so einem Air-Race-Flieger abzuheben) und nun für dieses Interview. Und bei aller Unaufdringlichkeit, bei aller Bodenständigkeit, bei aller Erdung und aller Smartheit: Unterhält man sich mit Dolderer, spürt man sofort, dass er die Fliegerei mit einer unbändigen Leidenschaft betreibt.

Auf dem elterlichen Flugplatz in Tannheim flog er schon mit 14 Jahren zum ersten Mal ganz alleine aus. Später wurde er zum jüngsten Deutschen mit einer Ultraleichtflug-Lizenz, noch später zum jüngsten deutschen Fluglehrer. Dolderer probierte sich als Kunstflieger aus, war durchaus erfolgreich, gründete mit seiner Schwester Verena das internationale Fly-in Tannkosh, zu dem jedes Jahr 1.300 Privatflieger mit ihren Flugzeugen kamen.

Seit 2002 gehört Dolderer den "Flying Bulls" an, der Kunstfliegerstaffel von Dietrich Mateschitz. Irgendwann entstand der Wunsch, den Kunstflug mit dem motorsportlichen Wettbewerb zu verbinden, und das führte ihn letztendlich unweigerlich zum Air-Race. Die Saison 2015, seine bisher erfolgreichste in diesem Sport, beendete der einzige Deutsche im Feld an fünfter Stelle. Und jetzt will er Weltmeister werden, wie er im Interview mit 'Motorsport-Total.com' verrät.

Winterpause? Gibt's nicht!

Frage: "Matthias, im Oktober war Ihr letztes Air-Race. Was machen Sie denn im Winter?"
Matthias Dolderer: "Zunächst einmal arbeiten wir alles auf, was die Saison über liegen bleibt. Sofort nach dem Saisonende geht die Planung für Modifikationen los, was wir machen am Fluggerät. Beziehungsweise machen wir die Planung unter dem Jahr schon, sodass wir mit den Modifikationen sofort nach Saisonende anfangen können."

"Im Winter geht es dann relativ zügig los, den Flieger für das nächste Jahr schneller zu machen. Der Winter ist die einzige Möglichkeit, einmal alles in Ruhe ganz genau anzuschauen. Wir bauen das ganze Ding komplett auseinander, dass wirklich fast keine Schraube mehr dran ist. Im Winter gibt es sozusagen einen ausführlichen 'TÜV', also im Prinzip die Herstellung zum Neuzustand. Und für uns als Team ist es eine Möglichkeit zur Reorganisation. Wir gucken, was nicht so gut war, was wir besser machen können."

"Außerdem bleibt auch Zeit, um etwas abzuschalten, wobei das relativ knapp ist, weil wir eben so viel zu tun haben. Es gibt eigentlich keine Zeit, in der wir nichts tun. Bei mir ist es so, dass der Körper während der Saison etwas abbaut. Da müssen wir daran arbeiten, den Körper über den Winter bis zum Saisonstart wieder fit zu machen."

Matthias Dolderer

Die Zivko Edge 540 V3 wird über den Winter im Detail verbessert und optimiert Zoom

Frage: "Die Air-Race-Piloten kaufen ihre Flieger direkt beim Hersteller. Welche technischen Anpassungen dürfen Sie vornehmen, um einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz zu haben?"
Dolderer: "Da muss man prinzipiell sagen, dass ein Team beim Air-Race deutlich kleiner ist als bei anderen Motorsportarten wie der DTM oder der Formel 1. Wir haben auch keine Industrie hinter uns, wie es im Automobil-Motorsport oft der Fall ist. Von daher haben wir nicht jedes Jahr ein neues Flugzeug, weil natürlich auch die finanziellen Ressourcen dementsprechend kleiner sind."

"Man hätte schon Ideen, was man machen könnte, um ein komplett neues Konzept an den Start zu bringen. Aber das ist momentan einfach noch zu teuer. Bis irgendwann einmal große Sponsoren reinkommen, die mit uns gemeinsam einen Quantensprung machen wollen, werden wir unseren vorhandenen Flieger so lange modifizieren, bis wir ihn irgendwann da haben, dass wir sagen: 'Mehr geht nicht.' Da sind wir relativ nah dran."

Wie in der Formel 1: Aerodynamik am wichtigsten

"Man kann natürlich viel mit der Aerodynamik spielen. Das ist mehr oder weniger das einzige, was uns laut Reglement bleibt. Bei der Aerodynamik ist es so, dass du zwar alles berechnen und simulieren kannst, aber am Ende baust du Teile, die viel Geld kosten, und von denen du erst weißt, ob sie einen Wert haben, wenn du sie ausprobiert hast. Du erfährst das erst auf dem Rennkurs, denn wir haben keine Teststrecken, auf denen wir sie ausprobieren können."

"Es gibt keinen Rennkurs, der außerhalb der Rennwochen aufgebaut wird. Das ist natürlich etwas schwieriger als im Automobil-Motorsport. Der Motor, der Propeller und der Auspuff sind Standardteile, da dürfen wir nichts machen. Deshalb arbeiten wir an der Aerodynamik. An der Rumpfverkleidung werden wir vom Cockpit nach hinten deutlich etwas verändern. Außerdem bauen wir gerade neue Winglets, das sind die 'Ohren' außen an den Flügelenden."

"Parallel dazu läuft die Entwicklung im Simulator etwas langsamer als gewünscht. Das ist sehr aufwendig, weil wir uns um drei Achsen bewegen. Das Profil der Flugdynamik ist recht aufwendig zu programmieren. Es kostet einen Haufen Geld und dauert lang. Aber da sind wir drin und ich glaube, dass der Simulator ein Ersatz für eine Strecke in der Natur ist. Dort können wir einige Sachen ausprobieren."

Frage: "Beim Motorsport auf vier Rädern wünscht man sich zum Beispiel weniger Luftwiderstand oder mehr Anpressdruck. Was sind die Parameter, an denen Sie arbeiten?"
Dolderer: "Der Widerstand besteht bei uns nicht nur aus dem Stirnwiderstand, der vom Flugzeug erzeugt wird, während es durch die Luft fliegt. Wenn wir hohe g-Zahlen fliegen, dann ist es so, dass die Strömung auf der Tragflügeloberseite irgendwann abreißt. Da ist die Frage, durch was man diesen induzierten Widerstand reduzieren kann."

"Gleichzeitig bedeutet das weniger Energieverlust. Weil wir Standardmotoren haben, müssen wir schauen, wie wir die Energie möglichst gut beibehalten können. Ein weiteres Thema ist der Kühlwiderstand. Das ist beim Flugzeug sehr kompliziert, weil wir jedes Mal andere Temperaturen haben. Da gibt es die Möglichkeit zu sagen, dass wir eine hohe Temperatur im Motor akzeptieren. Da sind wir auch limitiert."

Tüfteln beim Motor: Jedes Detail zählt

"Wenn wir mehr als 250 Grad Fahrenheit Öltemperatur haben, dann werden wir disqualifiziert. Gleiches gilt, wenn die Zylinderköpfe wärmer als 500 Grad Fahrenheit sind. Da ist die Frage: Nimmst du es in Kauf, dass du höhere Temperaturen hast, dafür aber ein bisschen weniger Widerstand? Die zweite Variante: ein kühlerer Motor, dafür aber auch etwas mehr Kühlwiderstand. Wir gehen da momentan in die Richtung, dass wir überhaupt kein Problem mit Temperaturen haben."

"Deswegen schauen wir uns erst einmal die anderen Sachen an und schauen, was wir mit der Motorverkleidung machen. Da müssen wir probieren, inwieweit uns die jetzige Modifikation hilft. Denn wenn du alles auf einen Schlag änderst, dann weißt du nicht genau, was etwas gebracht hat und was negativ war. Daher machen wir es so, dass wir jetzt die Rumpfverkleidung anbauen und bestimmte Tests außerhalb vom Rennkurs fliegen."

"Dann schrauben wir die neuen Winglets an und dann schauen wir wieder, was anders ist. Denn jedes Mal, wenn du an der Aerodynamik etwas änderst, veränderst du auch das Flugverhalten. Es ist wichtig, dass der Flieger dem Piloten liegt. Und wenn der Pilot sich daran gewöhnen muss, was der Flieger tut, dann geht das zwar bis zu einem gewissen Grad - aber die Hauptsache ist, dass der Flieger dem Piloten liegt."

"In der Formel 1 ist ja auch so, dass die Fahrer sagen: 'Ich will das so und so.' Ich will einfach ein gutes Gefühl, das ist das Wichtigste. Wenn irgendein schlauer Aerodynamiker kommt und sagt: 'Jetzt bauen wir hier ein neues Raumschiff.' Dann mag das vielleicht viel schneller sein, aber auch unfliegbar. Das bringt uns dann auch nichts."

Frage: "Führen Sie all diese Modifikationen in Eigenregie durch oder passiert das in Kooperation mit dem Hersteller?"
Dolderer: "Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Man kann natürlich zum Hersteller gehen und fragen, ob der sein Okay gibt. Das will ich in meinem Fall auch haben, weil ich denen vertraue."

"Zum anderen ist es wichtig, dass du Leute hast, die Flugzeugentwickler sind und genau wissen, was sie tun; wie man Sachen befestigt, wie man sie baut, testet und so weiter. Wir machen das bei uns so, dass wir mit Flugzeugentwicklungsfirmen hier aus Deutschland zusammenarbeiten. Wir lassen uns dann anschließend vom Hersteller noch einmal bestätigen, dass es okay für ihn ist."

"All unsere Modifikationen müssen durch ein Komitee vom Red-Bull-Air-Race. Der Technische Direktor muss das absegnen. Du kannst natürlich auch sagen, dass du einen neuen Flieger mit den und den Änderungen haben willst. Dann kommt 1:1 alles vom Hersteller. Das geht schon. Im Air-Race ist es ganz schwierig zu sagen, welcher Flieger der schnellste ist, weil es sehr viel auf den Piloten ankommt."

60 Prozent Pilot, 40 Prozent Flugzeug

Frage: "Also ist der Pilot wichtiger als der Flieger?"
Dolderer: "Es ist eine Kombination aus allem. Du kannst den schnellsten Piloten in den langsamsten Flieger reinsetzen und es kann sein, dass er immer noch schneller ist als der langsamste Pilot im schnellsten Flieger. Der Pilot macht schon sehr viel aus - aber es muss immer alles zusammenpassen. Die mentale Stärke ist extrem wichtig, weil du in Millisekunden Entscheidungen treffen musst. Da ist überhaupt kein Platz für falsche Entscheidungen, und du kannst dich nie ausruhen."

"Außerdem haben wir jedes Mal andere Windbedingungen und Temperaturen, was sich natürlich auf die Charakteristik des Fliegers und die Flugbahn auswirkt. Unser Rennkurs ist etwa eine Minute lang, das sind in der Regel fünf bis sechs Kilometer. Wenn du nach zehn Sekunden einen Fehler machst, der sich mental in deinem Kopf verankert, dann kannst du eigentlich gleich aufhören."

"Da ist die Schwierigkeit, zu sagen: 'Ich schaue nicht in den Rückspiegel, sondern nur nach vorne.' Das ist eine riesige Herausforderung. Du musst gut mit Fehlern umgehen können, sie korrigieren und wegstecken. Meistens gewinnt derjenige mit der größten Konstanz, der sich von nichts ablenken lässt. Ich denke mal, wenn man es in Prozenten angeben müsste, dann kommt es zu 60 Prozent auf den Piloten an und zu 40 Prozent auf das Flugzeug."

"Wir haben Piloten, die alle die gleiche Zeit fliegen können, wenn sie im gleichen Flugzeug sitzen. Aber dann kommt es auch wieder auf die Situation an und welchen Gegner du hast, denn wir fliegen im Head-to-Head-Modus. Im Prinzip musst du in jedem Flug nur gegen dich fliegen und versuchen, die schnellste Zeit herauszuholen."

Matthias Dolderer

Die Formel 1 der Lüfte: Das Air-Race findet nach langer Pause wieder statt Zoom

"Denn in dem Moment, in dem du auf einen anderen schaust und vielleicht denkst, dass du keinen Druck hast, etwas langsamer fliegen kannst, wird es viel schwieriger. Wenn du einen Gegner hast, von dem du weißt, dass er definitiv langsamer ist, weil er neu ist oder einen langsamen Flieger hat, dann versuchst du, taktisch vorsichtig und ohne Fehler zu fliegen. Das ist aber extrem gefährlich."

Frage: "2015 standen Sie zweimal auf dem Podium und landeten auf Rang fünf in der Meisterschaft, Ihr bisher bestes Ergebnis in einer Air-Race-Saison. Sind Sie damit zufrieden?"
Dolderer: "Natürlich bist du nie zufrieden, wenn du nicht gewinnst, aber rückblickend war es insgesamt okay. In den letzten beiden Rennen habe ich gesehen, dass es funktioniert. Das wusste ich auch vorher schon, aber mein Selbstvertrauen war am Anfang der Saison nicht besonders hoch."

2015: Wichtige Lektionen für 2016

"Dann habe ich ein paar Mal Pech gehabt mit dem Rennformat und mit meinen Wing-Fences. Der Flieger ist viel zu schnell gerollt und ich hätte mich früher dafür entscheiden sollen, wieder zu der alten Konfiguration zurückzugehen. Aber man lernt halt nie aus. Du kommst aus jeder Niederlage stärker heraus, und es ist auch gut zu wissen, wie man damit umgehen muss."

"Wenn du das Ziel hast, irgendwann Weltmeister zu werden - und das wollen wir in diesem Jahr -, dann musst du auch damit umgehen können, wenn es einmal nicht so gut läuft. Wir haben im letzten Jahr viel gelernt, und ich glaube, wenn niemand einen Quantensprung mit einem viel schnelleren Flugzeug macht, dann haben wir sehr gute Chancen."

Frage: "Der WM-Titel klingt auf den ersten Blick nach einem sehr ambitionierten Ziel. Wie schätzen Sie selbst die Wahrscheinlichkeit ein?"
Dolderer: "Realistisch. Wenn man sich die Ergebnisse des letzten Jahres anschaut, dann muss man einfach mal einen Blick auf die Nettozeiten werfen und schauen, was so passiert ist. Alleine mit den Ergebnislisten kann man so eigentlich nicht viel anfangen. Da steht zwar ein Ergebnis drin, aber theoretisch ist es bei dem Rennformat möglich, dass du zum Beispiel die viertschnellste Zeit in der ersten Runde fliegst und trotzdem rausfliegst."

"Dann kann es sein, dass du in der Round of 8, der zweiten Runde sozusagen, mit der drittschnellsten Zeit rausfliegst. Dann bist du plötzlich Achter, obwohl du eigentlich eine der schnellsten Zeiten des Tages geflogen hast. Du musst einfach konstant schnell sein und jedes Mal deinen Gegner schlagen."

Matthias Dolderer

Die Fliegerei ist von früher Kindheit an Matthias Dolderers Lebensthema Zoom

Frage: "Ist das auch eine Erklärung dafür, warum Nigel Lamb auf Platz sieben abgestürzt ist, obwohl er 2014 noch Weltmeister war?"
Dolderer: "Bei Nigel Lamb gibt es auch den Grund, dass er seine Höhenrudereinstellung geändert hat, die er dann in Dallas wieder zurückgeändert hat - so wie ich auch. Er hat eine seiner Modifikationen rückgängig gemacht und konnte dann wieder den alten Flugstil fliegen."

"Das meinte ich vorhin: Wenn du einen Flieger so veränderst, dass er dir nicht mehr liegt, dann kannst du auch nicht mehr die schnellste Zeit fliegen. Man muss sehen, wie es funktioniert. Und ich glaube, wenn du nicht selbst das Ziel hast, Weltmeister zu werden, dann fliegst du von Rennen zu Rennen und schaust einfach mal, was so kommt."

Lausitzring: Vorfreude auf das Heimspiel

Frage: "2016 haben Sie auf dem Lausitzring ein Heimrennen. Ist das etwas Besonderes für Sie? Bekommt man von den Fans in der Luft überhaupt etwas mit? Und werden Sie sich in der Promotion für den Lausitzring auch engagieren?"
Dolderer: "Ich freue mich sehr auf den Lausitzring und dass wieder ein Rennen in Deutschland stattfindet. Bekomme ich in der Luft viel von der Action am Boden mit? Nein. Sobald du startest, ist es eigentlich egal, in welchem Land du fliegst. Das interessiert mich dann auch nicht mehr."

"Aber vorher und nachher nimmst du die Stimmung natürlich wahr. Das sind schon positive Anreize, die einen beflügeln. Bei einem Heimrennen hast du dann natürlich auch viel mehr Aufwand mit Medien, Promotion und so weiter. Da wollen wir das tun, was in unserem Rahmen möglich ist. Wir sind nicht der Veranstalter und ich als Rennpilot bin nicht dafür verantwortlich, ob 10.000 oder 50.000 Besucher kommen. Das ist die Aufgabe des Veranstalters."

"Wir werden alles tun, um einen positiven Teil beizutragen. Ich hoffe, dass wir während der Rennwoche gut zur Ruhe kommen und das Rennen einfach so bestreiten können wie alle anderen auch. Man muss mental abschalten und aufpassen, dass man nicht dem Druck des Heimrennens verfällt. Ich sehe es aber sowieso eher als motivierend und nicht als Druck."


Matthias Dolderer bei Markus Lanz

Frage: "Das Air-Race findet seit 2014 wieder statt. Sie waren zuletzt beispielsweise auch in der Talkshow von Markus Lanz zu Gast. Hat sich Ihre Popularität in Deutschland seitdem merklich verändert?"
Dolderer: "Wenn ein Vettel, ein Podolski oder ein 'Schweini' durch München laufen, dann müssen die sich verkleiden, um nicht erkannt zu werden. Das ist bei mir nicht der Fall."

"Es ist so, dass die Leute, die das Air-Race verfolgen, einen natürlich kennen. Das ist auch cool, wenn wir die Möglichkeit haben, mit unserem Sport die Art und Weise unseres Fliegens nach außen zu tragen. Es ist aber schwierig zu sagen, ob sich die Popularität merklich gesteigert hat. Als ich zum Beispiel bei Markus Lanz war, hat das gefühlt eigentlich nichts verändert."

Trotz Joko & Klaas: Bekanntheit überschaubaren Rahmen

Frage: "Also werden Sie abseits von Flugplätzen selten bis nie angesprochen?"
Dolderer: "Ja. Wir sind noch weit davon weg, dass man auf der Straße von fremden Menschen angesprochen wird und dass da jemand sagt: 'Ich kenne dich aus dem Fernsehen!' Wenn man aber in irgendeiner Show war und am gleichen Abend irgendwo unterwegs ist, dann kann es schon sein, dass die Leute sagen: 'Hey, du warst doch im Fernsehen, da habe ich dich gesehen!'"

"In der Szene ist die Bekanntheit gestiegen, weil die Leute da natürlich begeistert sind, dass das Air-Race wieder da ist. Und wenn man die Leute drauf anspricht, dann kennen sie das auch. Das merkt man auch in der ganzen Bevölkerung. Da hilft natürlich ein Auftritt beim Lanz oder eine Aktion mit Joko und Klaas. Das bringt die Popularität nach oben und steigert vor allem den Bekanntheitsgrad. Ich glaube, dass man zuerst einen großen Bekanntheitsgrad von dem braucht, was wir machen. Wenn es den gibt, dann identifizieren sich die Leute auch irgendwann mit einzelnen Athleten."

Frage: "Sie haben acht Renntermine pro Saison. Würden Sie sagen, dass Sie hauptberuflich Air-Race-Pilot sind?"
Dolderer: "Ja, hauptberuflich Red-Bull-Air-Race. Das nimmt sehr viel Zeit in Anspruch."

Frage: "Worin unterscheidet sich das Aufgabengebiet Ihres Renningenieurs von dem eines Renningenieurs in der Formel 1?"
Dolderer: "Die Renningenieure sind zunächst einmal dafür verantwortlich, dass die ganze Elektronik im Flieger, die die Flugdaten aufzeichnet, funktioniert. Wir sind da mit unserer Technik in meinem Rennflieger ziemlich gut. Wir haben circa 80 Daten, die wir aufzeichnen. Da sind unter anderem auch die Steuerwerksensoren drin. Wir können also bis auf ein My genau sehen, wie viel sich welches Ruder bewegt."

"Dann ist der Renningenieur für den Einbau und die Verlässlichkeit dieser Materialien verantwortlich. Vor Ort wertet er die ganzen Flüge aus. Zum einen gibt er mir Tipps, welche Linie wohl die schnellste ist. Das besprechen wir gemeinsam. Dann wertet er sofort nach dem Flug die Linien und die Flugparameter aus. Welche Steuereingaben richtig waren oder anders sein sollten, Motordaten und so weiter."

Matthias Dolderer

In Budapest fliegen dir Air-Race-Piloten unter einer Kettenbrücke durch Zoom

Frage: "Gibt es im Air-Race irgendwelche speziellen Passagen? Haben Sie quasi eine persönliche Eau Rouge?"
Dolderer: "Ja. Die Brücke in Budapest ist natürlich schon eine Sensation. Da kann man nur drunter durchfliegen, wenn wir maximal zehn Meter Wasserstand haben. Das ist eine riesige Herausforderung, denn wenn du unter einer Brücke fliegst, dann hast du einen Point of no Return. Der kommt circa 150 Meter vor der Brücke. Da musst du dich entscheiden, ob du untendurch oder obendrüber fliegst. Das macht das Ganze spannend. Wobei es so ist, dass du so fokussiert bist, dass das dann eigentlich nebenbei passiert."

"Ansonsten ist halt immer die Frage, was drumherum so geboten ist. Im Prinzip ist es aber egal, auf welchem Rennkurs du fliegst, weil es einfach nur darauf ankommt, die schnellste Linie zu fliegen. Ob das in New York oder in Rio ist, das ist dann egal. Budapest ist so ein bisschen das Monaco des Air-Race. Das hat immer einen besonderen Touch und ein besonderes Flair."

Die Eau Rouge des Air-Race: Kettenbrücke in Budapest

Frage: "Wie extrem müsste ein Flugmanöver sein, damit einem erfahrenen Piloten wie Ihnen buchstäblich schwarz vor Augen wird, wie ich das bei meinem Air-Race-Testflug erlebt habe?"
Dolderer: "Im besten Fall sollte uns das natürlich nicht passieren, und das tut es auch nicht. Wenn du es selbst provozierst, dann weißt du genau, in welcher Millisekunde es passiert, weil deine eigene Hand das ja verursacht."

"Es hängt auch davon ab, wie lange diese g-Kräfte auf dir lasten. Wenn du nur eine 180-Grad-Kurve fliegst, dann hast du vielleicht vier oder drei Sekunden, in denen konstant acht bis neun g auf dir lasten. Zehn g hast du eigentlich nur beim Peak. Dann machst du eine Pressatmung, bei der du deine Beine zusammen mit dem ganzen Oberkörper anspannst. Das verhindert, dass das Blut vom Kopf absackt. Das ist eine Gewöhnungssache und das lernt man beim Kunstflug, wo wir eigentlich alle herkommen."

Frage: "Also ist Ihnen das - auch außerhalb vom Air-Race - noch nie passiert?"
Dolderer: "Doch, es ist schon mal passiert. Ich glaube, dass es gerade beim Kunstflug jedem mal passiert. Eigentlich sollte es nur einmal passieren, weil du dann genau weißt, wie du funktionierst. In dem Moment bist du natürlich überrascht und denkst dir: 'Ups, das war jetzt etwas zu viel.' Je mehr Erfahrung du hast, desto besser kannst du das kontrollieren."


Selbstversuch: Air-Race-Flight mit Pilot Sergio Pla

"Wenn wir vor dem Rennen ein Warm-up fliegen, dann kannst du die Sternchen ein bisschen herbeiziehen. Dann lässt du etwas nach und die Sternchen sind wieder weg. So kannst du deinen Körper testen und gucken, wie weit du gehen kannst und wie du heute drauf bist. Dann weiß dein ganzer Kreislauf schon einmal, was Sache ist. Das mache ich beim Warm-up auch immer."

Frage: "Fliegen gehört für Sie zum Alltag. Sie fliegen zum Beispiel auch einfach mal zum Abendessen. Wie oft kommt so etwas denn vor?"
Dolderer: "Ab und zu, wenn es sich ergibt. Es ist nicht so, dass wir jeden Tag zum Pizzaessen nach Italien fliegen (lacht; Anm. d. Red.), aber es besteht halt die Möglichkeit, dass man so etwas kann. Keine Ahnung, wie oft im Jahr das vorkommt. Man nimmt sich immer viel zu wenig Zeit dafür, aber wir machen das schon ein paar Mal im Jahr."

Spektakulärer Flug durch das Monument Valley

"Oder wenn wir jetzt Flugzeuge von Indianapolis nach Las Vegas oder von Dallas nach Las Vegas überführen, dann fliegt man natürlich auch mal dahin, wo ein cooler Flugplatz ist, wenn es außerhalb eines Rennens nicht so auf die Zeit ankommt. Das ist schon witzig, wenn man zum Beispiel einen Abstecher zum Grand Canyon macht. Das ist dann schon ein sehr großes Privileg."

Frage: "Wie viele Flieger haben Sie zu Hause stehen?"
Dolderer: "Drei. Alles Kunst- beziehungsweise Rennflugzeuge."

Frage: "Haben Sie eine Ahnung, wie viel Zeit in Ihrem Leben Sie in der Luft verbracht haben?"
Dolderer: "Ja. Es sind um die 8.000 Flugstunden. Das ist ein knappes Jahr. Das ist schon ein ziemlicher Haufen. Und wenn du kein Langstreckenpilot bist, dann ist es gar nicht so einfach, die Stunden zusammenzubekommen."

"Wenn wir beim Air-Race fliegen, haben wir im Durchschnitt maximal zehn oder 15 Minuten, in denen wir in der Luft sind. Wenn wir eine Rennwoche haben, dann kommt man vielleicht auf vier Flugstunden, wenn es hochkommt. Das ist nicht viel. Im Verhältnis sind die 8.000 dann ein Haufen Zeug. Die habe ich in meinem Leben mit Air-Shows, Businessflügen, als Fluglehrer, mit Rundflügen, Kunstflug und dem Air-Race zusammenbekommen."

"Wenn wir beim Air-Race fliegen, haben wir im Durchschnitt maximal zehn oder 15 Minuten, in denen wir in der Luft sind." Matthias Dolderer

Frage: "Wie ist es für Sie, wenn Sie als normaler Passagier in einen Jet steigen, zum Beispiel um zu einem Rennen zu fliegen?"
Dolderer: "Das ist Alltag für mich. Da hocke ich mich einfach hin und schlafe oder schaue mir noch ein Video an. Du kannst ja sowieso nichts machen. Da hocken vorne zwei drin, die das schon können werden."

"Wenn jetzt einer ausfallen würde - oder beide -, dann würde ich es mir schon zutrauen, den Karren trotzdem runterzubringen. Aber wenn ich irgendwo hinfliege, dann bin ich eigentlich mehr oder weniger schon im Rennmodus. Mit so einem Airliner eine Langstrecke zu fliegen ist glaube ich eine Zeit lang schon mal ganz witzig, aber als Beruf wird es auch irgendwann einmal langweilig."

Musterberechtigung kostet zehntausende Euro

Frage: "Aber dürften Sie solche Flugzeugen theoretisch fliegen?"
Dolderer: "Die Lizenz habe ich, aber für jeden Airliner brauchst du eine eigene Musterberechtigung. Die beinhaltet zunächst einmal eine theoretische und praktische Ausbildung im Simulator und dann Check-Flüge. Dann brauchst du natürlich zunächst einmal eine bestimmte Erfahrung als Co-Pilot, bevor du als Kapitän fliegen darfst."

"Wenn jetzt einer kommt und will, dass man eine Boeing 747 fliegt, dann ist es nicht so, dass man das Ding mal eben fliegt. Nicht umsonst ist es sehr aufwendig, dort hinzukommen und die Lizenzen zu erwerben. Selbst für einen kleinen Jet kostet eine Musterberechtigung heutzutage schon 25.000 bis 30.000 Euro. Das machst du natürlich nicht zum Spaß. Da ist es auch so, dass einer nicht alle Muster gleichzeitig im Schein hat."

"Wenn du es gewerblich machst, dann hast du meistens nur ein Muster oder maximal zwei, weil die Systeme so komplex sind, dass du dir gar nicht alles merken kannst. Dadurch wärst du dann nie so gut, wie du eigentlich sein müsstest. Denn wenn einmal etwas am Flieger kaputt ist, dann musst du schnell reagieren. Du musst genau wissen, wie was funktioniert und welche Systeme wie zusammenhängen - mechanisch, elektrisch, elektronisch, pneumatisch. Du musst den ganzen Flieger in- und auswendig kennen. Es geht eigentlich nicht, dass du über verschiedene Flugzeuge alles weißt."

"Wenn einmal etwas am Flieger kaputt ist, dann musst du schnell reagieren."

Frage: "Was ist der größte Vogel, den Sie je selbst geflogen sind?"
Dolderer: "Das war eine B-25 von Red Bull. Das ist ein Bomber aus dem Zweiten Weltkrieg. Und als Jet die Cessna Citation. Das ist ein Businessjet mit acht Sitzen."

Frage: "Sie sind vor einigen Jahren mal ein paar Rennen in der Mini-Challenge gefahren. Können Sie das ein bisschen mit dem Fliegen vergleichen?"
Dolderer: "Es ist definitiv anders. Zum einen hatte ich eigentlich gar kein Training und natürlich keine Erfahrung. Da ist es auch so, dass jeder Kilometer auf der Rennstrecke zählt."

Mini-Challenge: Schwieriger Ausflug auf vier Räder

"In meinem ersten Rennen war es nass und ich war nach dem Qualifying relativ weit hinten. Dann habe ich mich erst einmal gefragt: 'Ich sehe ja gar nichts, wie soll ich das jetzt machen?' Das war recht witzig und da musst du natürlich die Zähne zusammenbeißen und den Mut haben zu sagen: 'Wenn da einer steht, dann fahr ihn halt über den Haufen.' Mein Ansatz war es, dass ich nichts kaputt machen wollte, und ich war dadurch etwas langsamer."

"Es war eine gute Erfahrung und hat richtig Spaß gemacht. Aber dann habe ich mir gesagt, dass ich nur hinterherfahre, wenn ich nicht die Möglichkeit habe zu trainieren, um schneller zu werden. Dazu hatte ich auch keine Lust. Im Prinzip ist es ähnlich. Du brauchst die optimale Linienführung, du musst das Auto gut kennen und genau wissen, wann es geht und wann nicht. Da fehlte mir einfach die Erfahrung, um irgendwie mitzuhalten."

Frage: "Gibt es abschließend noch weitere Unterschiede, die Sie unseren Lesern erläutern möchten?"
Dolderer: "Es ist vielleicht noch ein Unterschied, dass wir als Air-Race-Piloten gleichzeitig Teambesitzer, Teammanager und Piloten sind. Wir gehen mit viel mehr Aufgaben und Situationen um als ein normaler DTM- oder Formel-1-Fahrer."

"Wir müssen uns um das Team kümmern, für eine gute Kommunikation sorgen, nach Sponsoren suchen und sicherstellen, dass der Flieger gut entwickelt wird. Das macht es irgendwo auch spannend, weil man nicht nur fliegt, sondern auch viel mehr Verantwortung trägt. Der große Unterschied ist außerdem, dass es bei uns kein Kiesbett gibt. Da kommt entweder der Boden oder das Wasser. Der Flug ist erst dann beendet, wenn der Flieger am Boden steht und der Propeller aus ist."

"Es gibt also schon Unterschiede zum Autorennsport. Wenn uns der Sprit ausgeht, dann können wir nicht einfach rechts ranfahren - das darf einfach nicht passieren. Darum ist es bei uns sehr wichtig, dass wir vorsorgen und versuchen, das Risiko zu minimieren. Das ist ein ganz großer Teil unserer Aufgabe. Auch die Organisatoren vom Red-Bull-Air-Race tun alles Mögliche - vom Streckendesign über Rettungstaucher bis zum Unterwassertraining."

"Wir tun alles, was in unserer Macht steht, um vorzubeugen. Außerdem macht der Techniker bei jedem Air-Race einen 'TÜV'. Das ist so wie eine Jahresnachprüfung. Ich schaue mir den Flieger vor jedem Flug auch selbst an. Wenn man ins Auto einsteigt, dann guckt man in der Regel gar nicht danach. Du fährst halt einfach los."