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  • 28.11.2016 14:17

  • von Marcus Simmons (Haymarket)

Marco Wittmann: Warum er nicht in die Formel 1 muss

Der zweifache DTM-Meister streckt seine Fühler nicht Richtung Formel 1 aus - Ein Blick auf seine Karriere und warum er sich in der DTM bei BMW wie zu Hause fühlt

(Motorsport-Total.com) - Im Alter von 26 ist Marco Wittmann bereits ein zweifacher Meister in einer der konkurrenzfähigsten Rennserien neben der Formel 1. Als BMW-Werksfahrer sind seine Erfolge in nur vier DTM-Jahren beeindruckend. Seinen zweiten Titel gewann er vor einem Monat in einem spannenden Finale gegen Audi-Star Edoardo Mortara. Wenn wir von der konkurrenzfähigsten Serie neben der Formel 1 sprechen, dann meinen wir damit, dass alle 24 Fahrer in den vergangenen Jahren Profis sind, die sich ihren Platz verdient haben. Dieser Umstand macht die DTM laut Wittmann vielleicht sogar stärker als die Formel 1.

Titel-Bild zur News: Marco Wittmann

Mit 26 Jahren ist Marco Wittmann schon zweifacher DTM-Meister Zoom

Wenn man fragt, ob er diesen Erfolg als Sprungbrett in die Königsklasse verwenden will - so wie es Paul di Resta vor und Pascal Wehrlein nach ihm getan haben - antwortet er: "Es ist natürlich ein tolles Gefühl, Meister zu sein - vor allem in diesem Alter. Natürlich gab es Gedanken daran, ob es eine Möglichkeit im Formelsport gibt. Aber ich muss sagen, dass ich mich in der DTM bei BMW sehr wohlfühle."

Nach seinem ersten Titel 2014 mit 24 dachte er über die Königsklasse nach. "Aber die Formel 1 hat sich etwas verändert. Es ist sehr schwierig, einen Platz zu bekommen, wenn man nicht das Geld oder die Verbindungen hat, so wie es bei Pascal und Mercedes der Fall ist. Die Zeiten ändern sich und ich bin in der DTM recht zufrieden. Jetzt nach meinem zweiten Titel ist es noch besser."

"Als Fahrer muss man nicht unbedingt in die Formel 1. Ich denke, die DTM ist genauso konkurrenzfähig, vielleicht sogar besser. Die Formel 1 ist ohne Zweifel populärer, aber wenn man es von der sportlichen und vor allem von der Fahrerseite sieht, dann ist die Konkurrenzfähigkeit höher. Es gibt hier keine Bezahlfahrer, es gibt nur Werksfahrer. Das zählt wirklich."

Als Kind ein glühender Norisring-Besucher

Wittmann ist also glücklich in der DTM und kann für BMW ein Aushängeschild werden, wie es früher Bernd Schneider bei Mercedes war. Vielleicht ist das ein Nebenprodukt seiner Jugend, die er in der Bayerischen Stadt Fürth verbracht hat. Sie ist nur einen Steinwurf von Nürnberg und dem berühmten Norisring entfernt. Er wuchs nicht mit Michael Schumacher und Co. in der Formel 1 auf, sondern mit Schneider in der "old school" DTM.

Marco Wittmann

In der Formel 3 wurde Marco Wittmann zweimal Vizemeister (2010 & 2011) Zoom

"Meine Eltern hatten immer mit Autos zu tun", erinnert er sich zurück. "Mein Vater hatte seine eigene Werkstatt, also gab es einen Hintergrund mit Autos. Als Kind war ich immer am Norisring und beobachtete die DTM und die Formel 3. Mit sechs bekam ich mein erstes Gokart und alles begann."

Wittmann wechselte "mit 17, das ist für heutzutage schon ziemlich spät" in den Formelsport in die Formel BMW. Er fuhr 2007 in der deutschen Meisterschaft, die dann von der europäischen Serie ersetzt wurde. 2008 wurde Wittmann hinter Esteban Gutierrez Vizemeister. Anschließend folgten drei Jahre in der Formel-3-Euroserie. 2010 und 2011 wurde Wittmann Vizemeister.

DTM: Der Einstieg als BMW-Testfahrer

Dann kamen die ersten Probefahrten mit BMW. Die Marke kehrte 2012 in die DTM zurück, aber in der ersten Saison setzte man nur sechs Autos ein. Es war unwahrscheinlich, dass sofort für ihn ein Renncockpit frei wird, aber für 2013 bestand eine Chance, als BMW so wie Audi und Mercedes acht Autos einsetzte. "Ich wusste, dass es zunächst nur sechs statt acht Plätze geben wird. Ich entschied mich für den Test und dachte, dass ich vielleicht eine Chance bekomme. Am Ende musste ich ein weiteres Jahr warten."


Auf Zeitreise: Die DTM-Meisterautos von BMW

DTM-Champion Marco Wittmann bewegt alle BMW-Meisterautos seit 1984. Weitere DTM-Videos

"2012 war ich der Test- und Ersatzfahrer für BMW, also der siebte Fahrer. Es ist immer schwierig, wenn man den anderen beim Rennfahren zusehen muss und im Hintergrund steht. Aber natürlich habe ich viel gelernt. Ich war bei allen Meetings dabei. Ich bin Langstrecken- und 24-Stunden-Rennen gefahren. Dadurch bekam ich etwas Tourenwagen-Erfahrung. Schlussendlich war es die richtige Entscheidung, wenn ich die vergangenen vier Jahre betrachte. Im ersten Jahr habe ich beobachtet und so viel Erfahrung wie möglich gesammelt."

Super Verhältnis zu Timo Glock

Natürlich musste Wittmann beeindrucken, um für 2013 das Renncockpit zu bekommen. "Ich dachte mir, dass es passieren wird. Aber trotzdem habe ich ständig auf den Anruf von BMW gewartet, er kam sehr, sehr spät. Ich habe die gesamte Saison auf eine Antwort für 2013 gewartet, aber ich wusste, dass BMW zwei weitere Autos haben wird. Also konzentrierte ich mich darauf, in den Meetings gute Arbeit zu leisten und an den Testtagen einen guten Speed zu zeigen."

Timo Glock, Marco Wittmann

Starke Teamkollgen: Timo Glock (li.) und Marco Wittmann (re.) verstehen sich gut Zoom

Der Einstieg geschah mit dem MTEK-Team von Ernest Knoors. Es war eine neue Mannschaft, die die beiden zusätzlichen BMW einsetzte. Teamkollege war Ex-Formel-1-Pilot Timo Glock, der ebenfalls neu in die DTM einstieg. Wittmann zeigte eine tolle Leistung und stand schon im dritten Rennen auf dem Red-Bull-Ring als Dritter auf dem Podium. Gegen Saisonende eroberte er in Zandvoort seine erste Pole-Position. Er beendete die Meisterschaft als Achter, einen Platz vor Glock, und wurde als kommendes Talent angesehen.

Außerdem war die Beziehung zu Glock eng, so wie sie es noch heute ist. Wittmann wechselte direkt ins RMG-Team, wo Maxime Martin 2014 und 2015 sein Teamkollege war. Glock wurde in diesem Jahr zu RMG geholt, womit die alte Partnerschaft wieder Bestand hatte. Glock war zwar in der DTM neu, aber er verfügt über viel Erfahrung, wie man in großen Teams arbeitet. Das muss auch für Rookie Wittmann zu Beginn nützlich gewesen sein.


Fotos: DTM-Finale in Hockenheim, Girls


"In einigen Punkten sicherlich", stimmt Wittmann zu. "Es war nützlich, Feedback und etwas Erfahrung von ihm zu bekommen. Am Ende hat er sich vielleicht etwas Speed von meiner Seite angeeignet! Wir hatten eine gute Zeit (2013; Anm. d. Red.) und waren 2016 wieder zusammen. Es funktioniert mit Timo sehr gut. Er ist sehr ehrlich und sagt auch zu mir: 'Du verdienst es.' Unser Verhältnis ist großartig, das haben wir auch 2016 gezeigt, als wir das stärkste BMW-Team waren."

2014: Der erste Meistertitel

Mit seinem RMG-Cockpit hatte sich Wittmann 2014 seinen Platz in der DTM gesichert. Und als BMW auf den M4 wechselte, arbeitete er über den Winter hart mit seinem neuen Team und wurde mit dem ersten DTM-Titel belohnt. "Man muss sich kennenlernen und Vertrauen aufbauen. Es ist mehr Arbeit. Ich würde es Extramotivation nennen."

Marco Wittmann

In der Saison 2014 lieferte Marco Wittmann eine souveräne Vorstellung ab Zoom

"Wir arbeiteten am Set-up für meinen Fahrstil, damit wir das volle Potenzial des Autos nutzen konnten. Über den Winter hatten wir sehr gut gearbeitet und begannen die Saison mit einem Sieg. Das unterstrich, dass wir die richtigen Änderungen am Auto vorgenommen hatten. Von diesem Punkt weg war es eine großartige Saison." Beeindruckend war, dass Wittmann nie nachgelassen hat. Statt sich auf dem Punktevorsprung auszuruhen, hat er versucht zu gewinnen, wo es möglich war. Es war eine dominante Saison, die in einer engen Serie wie der DTM bemerkenswert ist.

"Ich bin jemand, der nicht zu viel an die Meisterschaft denkt. Ich habe das früher gemacht, vor allem im Kart. Ich habe auch einige Titel verloren, weil ich zu viel auf die Punkte geachtet habe", gibt er zu. "Also änderte ich mich und dachte nur von Rennen zu Rennen. Es geht aber nicht immer um den Sieg. Man muss versuchen, das Maximum herauszuholen. Manchmal ist das Platz drei, manchmal der Sieg. Manchmal ist es nur der siebte Platz. Unter dem Strich sind es Punkte. Diesen Ansatz hatte ich auch 2016."

Formel 1: Test mit Toro Rosso

Die 2015er-Saison dazwischen war nicht sehr erfolgreich für BMW, obwohl Wittmann nur elf Punkte hinter dem besten BMW-Fahrer, Bruno Spengler, war. Aber er erfüllte sich ein persönliches Ziel und fuhr auf dem Red-Bull-Ring mehr als 100 Runden mit dem Formel-1-Boliden von Toro Rosso. Es war aber nicht nur ein Spaß, denn Wittmanns beste Runde hätte im Q2 für Platz zehn gereicht. "Es war ein Geschenk von BMW, aber auch von Red Bull, weil sie Partner von BMW sind. Es war eine tolle Erfahrung. Ich habe immer davon geträumt, mindestens einmal ein Formel-1-Auto zu fahren. Ich habe es sehr genossen."

Marco Wittmann

2015 durfte Marco Wittmann den Toro Rossi in Spielberg testen Zoom

Wittmann scheint immer sehr gut auf dem Red-Bull-Ring zurechtzukommen. Sein Sieg 2016 hat wirklich erst seine Titelchance gestartet. Das war wichtig, weil er ein desaströses Eröffnungswochenende in Hockenheim hatte. Eigentlich hatte er sich für dort ein gutes Rennen ausgerechnet. Auf dem Lausitzring und dem Norisring ging man davon aus, dass BMW Mühe haben wird. Deswegen war Wittmann nach dem Saisonauftakt nicht optimistisch.

"Nach Hockenheim 1 dachten wir nicht, dass wir um den Titel kämpfen werden. 2015 war wirklich schwierig und dann begann 2016 gleich mit einem schlechten Wochenende", blickt er zurück. Als er am Norisring die Tabellenführung übernahm, begann das Momentum. "Wir kämpften uns zurück und hatten gute Wochenenden. Wir sammelten auch auf Strecken Punkte, wo wir in der Vergangenheit nicht so stark waren - Lausitzring und Norisring."

2016: Überraschend frühe Tabellenführung

"Dass ich auf dem Norisring die Tabellenführung übernommen habe, war eine Überraschung. Es kam sehr früh und wir waren gerade auf zwei für uns schlechte Strecken. Das war trotzdem für uns ein gutes Zeichen: 'Okay, es könnte immer noch eine Chance geben'. Dann versuchten wir das Maximum aus dem Auto herauszuholen. Wir hatten definitiv nicht das stärkste Auto, denn Audi hat zehn der 18 Rennen gewonnen. Aber wir waren vielleicht cleverer und sammelten die entscheidenden Punkte."

Marco Wittmann, Edoardo Mortara

2016: Mit Edoardo Mortara hat Marco Wittmann einen starken Kontrahenten Zoom

Siege in Moskau und auf dem Nürburgring verschafften Wittmann einen guten Vorsprung. Nach dem vorletzten Rennen in Ungarn sah es noch besser aus, denn er war der einzige Titelaspirant in den Punkterängen, nachdem Mortara und Jamie Green beim Start des zweiten Rennens einen Unfall hatten. Dann kam jedoch das Desaster für Wittmann. Er wurde vom vierten Platz disqualifiziert, weil sein Skid-Plate zu dünn war.

"Ich konnte mit einem ziemlich beschädigten Auto Vierter werden und war damit zufrieden. Diese zwölf Punkte waren für mich wie ein Sieg. Die Disqualifikation drei oder vier Stunden später war dann ein Schlag ins Gesicht. 26 Punkte Vorsprung für Hockenheim wären viel schöner gewesen als 14. Dort geht es immer eng zu und alles kann passieren. Aber wir mussten diese Entscheidung treffen, auch wenn ich sie nicht verstehe. Mein Auto war beschädigt und dadurch langsamer, aber Regeln sind Regeln."

Die Ironie der Geschichte ist, dass die illegale Skid-Platte bei dem Unfall beschädigt wurde. "Wir haben die Daten gecheckt und es gab Schäden vom Startunfall mit Mortara", sagt Wittmann. "Wir gingen zur ITR und haben ihnen unsere Daten gezeigt. Deshalb ist die Entscheidung wahrscheinlich so spät gefallen. Schließlich gingen wir nicht in Berufung, weil wir aus der Fansicht nicht erst nach Hockenheim eine Meisterentscheidung haben wollten. BMW und ich entschieden uns dazu, in Hockenheim einen sauberen Titelkampf zu führen."

Schließlich wurde Hockenheim zu einem Thriller. Wittmann hielt sich genau aus dem DRS-Fenster des aufholenden Mortara und wurde im ersten Rennen Zweiter. Dann beschützten mehrere BMW im Finale seine Position, während Mortara vorne wegfuhr. "Bis zur letzten Runde war nicht klar, wer den Titel holt", hält Wittmann fest. "Mortara führte und ich war Vierter. Aber wenn ich einen Reifenschaden bekommen hätte, dann wäre er Meister. Es war eine der engsten Titelentscheidungen in der DTM."

Wie hätte sich dieser Junge in den 1990ern beim Beobachten der V6 Mercedes C-Klasse, des Opel Calibras und der Alfa 155 ausmalen können, dass er selbst einmal zweimaliger DTM-Meister sein wird? Kein Wunder, dass er sich wohlfühlt. Er ist Teil der BMW-Geschichte, so wie es auch Hans-Joachim Stuck und der CSL sind.