• 28.12.2015 08:07

  • von Roman Wittemeier

WEC-Rückblick 2015: Porsche-Glanz und Zitterpartien

Die WEC-Saison 2015 im Rückblick - Porsche: Der Weg zum Gewinn aller Titel, die technischen Zitterpartien und die erwarteten Schritte in Richtung Saison 2016

(Motorsport-Total.com) - Die Saison 2015 der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) hat spannenden Sport auf den acht Strecken in Europa, Asien und Amerika geboten. Im zweiten Jahr des neuen LMP1-Regelwerks haben die Hersteller einen gigantischen Aufwand im Bereich Entwicklung getrieben. Man optimierte die schnellen Prototypen nicht nur im Bereich der Hybridtechnologie, sondern legte auch bei Mechanik und Aerodynamik gewaltig zu. Wir blicken auf das intensive Jahr 2015 zurück. Heute: Porsche.

Titel-Bild zur News: Porsche Feier Bahrain LMP1

In Bahrain durften Mark Webber, Timo Bernhard und Brendon Hartley feiern Zoom

Die Werksmannschaft aus Weissach hat eine WEC-Saison erlebt, die LMP1-Leiter Fritz Enzinger so auf den Punkt bringt: "Das waren 100 Prozent!" Porsche siegte mit Nico Hülkenberg, Nick Tandy und Earl Bamber in Le Mans, man gewann zudem die Herstellerkrone auf der Langstrecke - erstmals seit 1986. Die Fahrer der Startnummer 17, Mark Webber, Timo Bernhard und Brendon Hartley, krönten sich in diesem Jahr zu den Fahrerweltmeistern.

"Das Highlight ist, dass wir alles in einer Saison geschafft haben. Das wird es nicht so oft geben. Le Mans gewonnen, alle Poles und alle WM-Titel. Das ist Wahnsinn", sagt Porsche-Technikchef Alexander Hitzinger im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'. "Ich wusste, dass wir einen großen Schritt machen würden. Das hat sich bei den Tests bestätigt. Dann war ich zuversichtlich. Ich wusste aber nicht, wie groß der Schritt von Audi sein würde - und der war letztlich größer als ich gedacht hatte."

Silverstone: #17: DNF (Getriebedefekt) / #18: 2.

Beim Auftakt der WEC-Saison 2015 ließ Porsche zunächst einmal die Hybrid-Muskeln spielen. Obwohl die beiden 919 mit ihren auf Le Mans getrimmten Aeropaketen nicht optimal für die Formel-1-Rennstrecke in Großbritannien gerüstet waren, konnten Mark Webber und Brendon Hartley souverän die Pole-Position erobern. Neel Jani und Romain Dumas platzierten das Schwesterauto knapp (Vorsprung: 0,012 Sekunden) vor den besten Audi.

Webber konnte die Pole-Position bestens nutzen, sich zunächst um rund sieben Sekunden vom restlichen Feld absetzen, aber nach rund 90 Minuten war für die Startnummer 17 Schluss: Ein Getriebedefekt zwang den 919 in die Garage. Im zweiten Porsche lieferte sich Neel Jani eine spannende Schlacht mit Marcel Fässler im Audi. Das bessere Ende hatten die Ingolstädter für sich. Dumas/Jani/Lieb fehlte im Ziel nur 4,610 Sekunden auf die Sieger Fässler/Lotterer/Treluyer.


WEC Silverstone 2015: Audi vs. Porsche um den Sieg

Marcel Fässler und Neel Jani fighten in der letzten Stunde des WEC-Auftakts in Silverstone verbissen um den Sieg.

"In Silverstone waren wir nicht allzu weit weg. Das war beruhigend, denn ich wusste ja, dass wir für Silverstone und Spa einen Kompromiss eingegangen waren", blickt Hitzinger zurück. Der für Silverstone zu geringe Abtrieb wurde auch bei den Topspeed-Messungen deutlich. Porsche war um fast 20 km/h schneller als der Rest der WEC-Welt. Aber die Stoppuhr zeigte die Wahrheit: Beim Auftakt war Porsche im Renntrimm um rund eine Sekunde pro Runde zu langsam.

Spa-Francorchamps: #17: 3. / #18: 2. / #19: 6.

Beim zweiten Saisonrennen, gleichzeitig der Generalprobe für die 24 Stunden von Le Mans, wurden die Nachteile eines speziell auf den Langstrecken-Klassiker an der Sarthe zugeschnittenen Aerodynamik erneut sichtbar. Beim ersten Einsatz von drei Autos - Hülkenberg/Tandy/Bamber feierten ihr Renndebüt in der #19 - verloren die Autos aus Weissach im wichtigen Mittelsektor fast zwei Sekunden auf die Audis. Die Dreifach-Pole konnte man nicht in den ersten Saisonsieg ummünzen.

Bernhard/Webber/Hartley hatten zunächst erneut an der Spitze fahren können, aber eine 15-Sekunden-Strafe und der Wechsel eines Dämpfers warfen die #17 so weit zurück, dass nur noch Rang drei möglich war. Die Startnummer 18 kämpfte unterdessen an der Spitze munter mit. Marc Lieb lieferte sich ein sehenswertes Duell gegen Benoit Treluyer (Audi #7). Am Ende reichte es zu Platz zwei. Der dritte Porsche (#19) fiel wegen einer Kollision - ausgerechnet mit einem Werks-911er aus der GTE-Pro - weit zurück.


So feiert Porsche die WM-Titel

Zweimal im Qualifying extrem schnell, zweimal im Rennen den erfahrenen Audianern in der Startnummer 7 unterlegen - die Bilanz nach Spa-Francorchamps las sich aus Porsche-Sicht nur mäßig. Dennoch blieb man im Lager aus Weissach sehr geduldig. "Es war schon klar, dass wir für die zweite Jahreshälfte einen großen Sprung beim Abtrieb machen würden. Aber als ich zuerst die Performance von Audi gesehen habe, war ich mir nicht sicher, wie es sich in Le Mans darstellen würde", so Hitzinger.

Le Mans: #17: 2. / #18: 5. / #19: 1.

Porsche holt den 17. Gesamtsieg bei den 24 Stunden von Le Mans! Der Triumph im Juni 2015 gilt als eindeutiges Glanzlicht eines extrem erfolgreichen Jahres. Die konsequente Vorbereitung mit über 30.000 Testkilometern, darunter vier 30-Stunden-Tests, zahlte sich aus. In 3:16.887 Minuten stellte Neel Jani (#18) im Qualifying einen neuen Rekord auf, die beiden Schwesterautos reihten sich in der Zeitenjagd direkt dahinter ein. Im Rennen war Audi aber plötzlich da.

"Dort war es relativ knapp", analysiert Porsche-Technikchef Alexander Hitzinger nüchtern und realistisch. Im Renntrimm waren Audi und Porsche auf Augenhöhe. Allerdings hatte die Konzernschwester ungewöhnlich viele Probleme an allen drei Autos (unter anderem Unfall #8, Plattfuß #7, Hybriddefekt #9), sodass Porsche ausgerechnet mit Formel-1-Pilot Hülkenberg und den beiden Eigengewächsen Bamber und Tandy den Sieg sichern konnte.

Neel Jani, Marc Lieb

Porsche musste im Kampf um Siege mehrfach auch ans Limit gehen Zoom

"Wir haben nicht glücklich gewonnen, sondern waren in allen Bereichen siegfähig - von den Mechanikern in der Box über die Ingenieure bis hin zur Rennstrategie. Auch die Pitstops waren außerordentlich. Die Fahrer haben einen sensationellen Job gemacht", so Teamchef Andreas Seidl. Bei der Siegfahrt der #19 zeigte sich vor allem Tandy mit bärenstarken Stints von seiner besten Seite - auch Hülkenberg überzeugte mit starken Fahrten in der Nacht.

Nürburgring: #17: 1. / #18: 2.

Nach dem Triumph in Le Mans legte Porsche technisch nach. Die Werksmannschaft kam mit einer komplett neuen Aerodynamik, um mit rund 20 Prozent mehr Abtrieb für die restlichen Saisonrennen gerüstet zu sein. Der Schritt wurde auf vielen Ebenen sichtbar: Porsche dominierte am Nürburgring, feierte einen souveränen Doppelerfolg und stellte den bisherigen Wettbewerb 2015 auf den Kopf. Durch die neue Aero war der 919 plötzlich auf den Geraden langsamer als der Audi, in den Kurven aber schneller. Der Spieß war umgedreht.

Trotz zahlreicher Zwischenfälle erreichten Bernhard/Webber/Hartley das Ziel auf Platz eins, das Schwesterauto #18 machte die Porsche-Dominanz noch viel deutlicher. Ein defekter Ladedruck-Sensor hatte zur Konsequenz, dass der 919 zu viel Benzin pro Runde verbrannte. Es hagelte vor 62.000 Zuschauern beim Heimspiel drei Stop-and-Go-Strafen von bis zu 60 Sekunden Länge. Dennoch hatten Jani/Lieb/Dumas nach sechs Rennstunden noch 15 Sekunden Vorsprung auf den besten Audi.


Fotos: Porsche Rennsport Reunion V


Austin: #17: 1. / #18: 12.

Der erhebliche Vorsprung auf Audi wurde beim 6-Stunden-Rennen von Austin noch einmal deutlich. Im Qualifying hatte Porsche mehr als eine Sekunde Vorsprung, im Rennen waren die beiden 919 eigentlich ohne Gegner. Aber die Technik sorgte dafür, dass die Fahrer der #18 ihre Titelträume begraben mussten. Ein Elektronikdefekt warf Jani/Lieb/Dumas weit zurück und raubte ihnen die wichtigen WM-Punkte, die es für (mindestens) Gesamtrang zwei hätte geben können.

Das Schwesterauto von Bernhard/Webber/Hartley lief wie ein Uhrwerk, aber es waren menschlich bedingte Pannen, die der #17 das Leben schwerer machten als notwendig. Der fahrerische Fehler, der im Rennen passierte, unterlief ausgerechnet dem erfahrenen Mark Webber. Bei einem Boxenstopp fand er seinen Standplatz nicht und rollte an seiner Mannschaft vorbei. Weil bei einem Stopp zu viele Mechaniker arbeiteten, hagelte es zudem eine Strafe. Dennoch hatte man am Ende eine Minute Vorsprung.


FIA-Gala 2015: Die WEC-Weltmeister im Interview

Mark Webber, Brendon Hartley und Timo Bernhard haben in der WEC-Saison 2015 den Fahrertitel geholt und wurden im Rahmen der FIA-Gala in Paris geehrt

Fuji: #17: 1. / #18: 2.

Bei teils schwierigen äußeren Bedingungen erreichte Porsche beim 6-Stunden-Rennen in Japan einen weiteren Doppelerfolg. Beim Sieg von Bernhard/Webber/Hartley gab es Hybridprobleme und Stallregie, die dazu führte, dass das Trio in der #17 die Führung in der Fahrermeisterschaft übernahm. Jani/Lieb/Dumas mussten ihre Führung an die Kollegen abgeben. Dass Porsche erneut beide 919 an der Spitze ins Ziel brachte, war nicht selbstverständlich.

"Audi hat uns vom Start bis ins Ziel einen starken Kampf geliefert", sagt Teamchef Andreas Seidl. Tatsächlich: Nach den lauten Weckrufen am Nürburgring und in Austin hatten die Ingolstädter noch einmal erheblich aerodynamisch nachgelegt. Die Dominanz der 919 war gebrochen, der Rennbetrieb für die Fans wieder spannender. Der Vorsprung von einer Runde auf die Audis täuschte über das veränderte Kräfteverhältnis in Fuji hinweg.

Schanghai: #17: 1. / #18: 2.

Beim vorletzten Saisonlauf der WEC 2015 hatte Porsche noch weniger leichtes Spiel als zuvor in Fuji. Bei wechselnden Bedingungen in Schanghai waren die Audis phasenweise bärenstark und schneller als die 919. Enge Duelle entwickelten sich auf der Strecke. "Aufgrund der wechselnden Witterungsbedingungen haben wir sechs Stunden extreme Anspannung erlebt", fasst Porsche-LMP1-Leiter Fritz Enzinger zusammen. Im Regen war Audi kaum zu packen.

Timo Bernhard, Mark Webber

In den letzten Saisonrennen saß Audi den 919 Hybrid oftmals eng im Nacken Zoom

Mit einem gewagten Reifenpoker - früher Wechsel auf Slicks - setzten die Ingolstädter die Konzernschwester bei abtrocknender Strecke gegen Ende des Rennens unter Druck. Aber es reichte nicht mehr zum Kampf um den Sieg. Mit einem weiteren Doppelerfolg konnte sich Porsche vorzeitig die Herstellerkrone sichern, aber der Kampf um die Fahrer-WM war noch nicht entschieden. In Bahrain ging es für Webber/Bernhard/Hartley noch einmal um alles.

Bahrain: #17: 5. / #18: 1.

Beim ersten Saisonsieg von Neel Jani, Marc Lieb und Romain Dumas feierten die Kollegen aus dem Schwesterauto noch viel mehr. Mark Webber, Timo Bernhard und Brendon Hartley krönten sich in einem Krimi zu den Weltmeistern 2015. Ein Problem am Antrieb der Startnummer 17 ließ den Gewinn der Fahrerkrone lange Zeit an einem seidenen Faden hängen. Nur durch eine improvisierte Reparatur, viel Zittern und einiges Glück holte das Trio die notwendigen Punkte beim Finale.

Nach einem sauberen und souveränen Qualifying und einer weiteren Pole-Position zum Abschluss, legt die #17 bei sonnigen und warmen Bedingungen los wie die Feuerwehr. Doch nicht die Temperaturen sind es, die die Porsche-Crew an der Box zum Schwitzen bringt. Am 919 der Favoriten geht das Gestänge der Drosselwalze kaputt. Alex Hitzinger und seine Mannschaft lassen sich eine Notlösung einfallen, die zuerst hält, aber dann noch einmal fixiert werden muss. Rang fünf reicht am Ende zum Titelgewinn.

Fazit und Ausblick auf 2016

Porsche hat der Konkurrenz mit einem enormen Entwicklungssprung den Schneid abkaufen können. "Solch große Fortschritte wird man jetzt innerhalb eines Jahres nicht mehr machen können. Erst einmal geht es nun per Reglement einen Schritt zurück. Das macht drei bis vier Sekunden in Le Mans aus, in etwa halb so viel auf den anderen WEC-Strecken. Mal schauen, wie viel wir davon wieder zurückholen können. Wir werden bestimmt nicht viel langsamer sein als in diesem Jahr. Wir werden schon etwas finden", sagt Hitzinger.

Allerdings werden sich Audi und Toyota nicht noch einmal derart überrumpeln lassen. Die beiden Porsche-Konkurrenten gehen mehr Risiko, um mehr Performance zu finden. "Ich erwarte von beiden einen modifizierten Antriebsstrang für das kommende Jahr. Die werden auch bei Toyota alle Register ziehen, Japan arbeitet bestimmt seit Monaten wie verrückt am Antrieb. In Köln wird bis zum Ende des Jahres der Windkanal kaum noch stillstehen", meint der Porsche-Technikchef. "Bei Audi wird es genauso laufen."


Porsche: WEC-Saison 2015 im Rückblick

Porsche blickt zurück auf die erfolgreiche WEC-Saison 2015, mit einigen schönen Bildern.

"Ich denke nicht, dass einer von beiden mit etwas Revolutionärem kommen kann. Das Feld Technologie und Möglichkeiten ist jetzt schon abgesteckt", ist sich Hitzinger sicher. "Die Mitbewerber werden jeweils um eine Megajoule-Hybridklasse aufsteigen und allein dadurch Performance gewinnen. Das ist bei uns nicht der Fall, deshalb müssen wir es über andere Bereiche kompensieren. Ich wünschte, wir könnten die diesjährigen Erfolge wiederholen. Aber das wird schwierig."