• 28.12.2015 08:05

  • von Roman Wittemeier

WEC-Rückblick 2015: Audi kämpft bis zum Ende

Die WEC-Saison 2015 im Rückblick - Audi: Die starken Fahrten zum Saisonstart, das tiefe Tal im Sommer und das überraschende Comeback in Asien

(Motorsport-Total.com) - Die Saison 2015 der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) hat spannenden Sport auf den acht Strecken in Europa, Asien und Amerika geboten. Im zweiten Jahr des neuen LMP1-Regelwerks haben die Hersteller einen gigantischen Aufwand im Bereich Entwicklung getrieben. Man optimierte die schnellen Prototypen nicht nur im Bereich der Hybridtechnologie, sondern legte auch bei Mechanik und Aerodynamik gewaltig zu. Wir blicken auf das intensive Jahr 2015 zurück. Heute: Audi.

Titel-Bild zur News: Audi R18 e-tron quattro, Porsche 919 Hybrid

Audi konnte in Spa-Francorchamps (Foto) und in Silverstone siegen Zoom

Die Ingolstädter wollten nach dem verlorenen Titelkampf 2014 gegen Toyota in diesem Jahr sofort wieder an die Spitze stürmen. Auf technischer Seite wurde daher erheblich aufgerüstet. Die Aerodynamik des R18 e-tron quattro sorgte bei Saisonstart für Staunen - und für Erfolge. Allerdings wurden die Ingolstädter später von Porsche ausgekontert und phasenweise abgehängt. "Die ersten beiden Rennen gingen an uns, auch in Le Mans waren wir vernünftig aufgestellt", fasst LMP1-Leiter Chris Reinke zusammen.

"Wir haben in den ersten drei Rennen und in den letzten drei Läufen jeweils spektakulären Wettbewerb geboten. Auf diesem Niveau wollen wir uns sportliche Kämpfe liefern, es war großartig", sagt der Audi-Rennleiter in der WEC und bringt damit auch den Respekt gegenüber den Wettbewerbern zum Ausdruck. "Starke Gegner sorgen für eine wertvolle Meisterschaft. Wir sind stolz und froh, dass wir auf einem solch hohen Niveau agieren durften."

Silverstone: #7: 1. / #8: 5.

Audi erlebte in Großbritannien einen Traumstart in das neue Jahr - und die gesamte WEC gleich mit. In einem harten Kampf sicherten sich Andre Lotterer, Marcel Fässler und Benoit Treluyer den Sieg im 6-Stunden-Rennen von Silverstone. Vor allem das epische Duell zwischen Fässler und Neel Jani (Porsche #18) wird vielen Fans in Erinnerung geblieben sein. Die beiden überholten sich mehrfach pro Runde gegenseitig, spielten die unterschiedlichen Stärken ihrer Fahrzeuge voll aus.

"Da wird das Jahr 2014 nur bedingt souverän abgeschlossen hatten, war ich sehr positiv überrascht, wie stark wie zu Beginn der Saison aufgetreten sind. Wir konnten uns dem Wettbewerber auf Augenhöhe stellen", sagt Reinke. Vor allem Treyluer stellte mit einigen extrem schnellen Runden das Potenzial des R18 dar. Nimmt man die ideale Rundenzeit, also die Kombination der besten Sektorenzeiten, dann wird klar: Audi war in Silverstone fast eine Sekunde pro Runde schneller als Porsche.

Chris Reinke

Chris Reinke verantwortet die Einsätze von Audi in der LMP1-Klasse der WEC Zoom

Die Kollegen des siegreichen Trios hatten Pech. Loic Duval, Lucas di Grassi und Oliver Jarvis mussten zweimal zu unplanmäßigen Stopps in die Garage. Zuerst hatte die Verkleidung am Heck einige Schäden, später musste man auch noch die Frontpartie neu fixieren. Am Ende blieb für die Mannschaft im Audi #8 nur Rang fünf. Somit hatten Duval/di Grassi/Jarvis intern sofort den Anschluss an die dreimaligen Le-Mans-Sieger verloren.

Spa-Francorchamps: #7: 1. / #8: 7. / #9: 4.

Der Trend von Silverstone setzte sich in Belgien fort. Erneut begegneten sich Audi und Porsche auf Augenhöhe, es wurde auch in den Ardennen um jeden Millimeter gekämpft. "Was für ein Rennen", jubelte Ben Treluyer nach dem zweiten Saisonsieg des Audi #7. Die Ingolstädter setzten ihr Potenzial zumindest mit dem siegreichen Fahrzeug nahezu ohne Abstriche um. Einzig ein Dreher zum Rennbeginn blieb als Makel einer ansonsten sauberen Leistung.

Beim Duell in Spa-Francorchamps waren nicht nur die Hybridleistung, der Topspeed oder der Abtrieb die entscheidenden Faktoren. Auf der berühmten Formel-1-Rennstrecke trat der Faktor Reifennutzung besonders zutage. Und genau in diesem Bereich war Audi der Konkurrenz von Porsche zu Beginn dieses Jahres überlegen. Man schaffte es sogar, die schnelleren Stoppzeiten der Mitbewerber durch starkes Tempo zu kompensieren.


WEC: Emotionaler Rückblick von Audi

Zwei Siege zum Start, harter Kampf in Le Mans und dann gegen Porsche im Hintertreffen: Audi in der WEC-Saison 2015

Die Autos mit den Startnummern 8 und 9 (erster Start von Rast/Bonanomi/Albuquerque) wurden durch einige Zwischenfälle zurückgeworfen. Vor allem Duval/di Grassi/Jarvis erwischte es herb: zweimal Tausch der Fronthaube, einmal Wechsel eines Steuergeräts und schließlich noch ein Abflug von Jarvis brachten nur Rang sieben. Die Startnummer 9 kam mit weniger Defekten immerhin auf den vierten Rang. "Wie schon in Silverstone war es harte Arbeit bis zum Schluss, aber es hat großen Spaß gemacht", so Treluyer nach dem Sieg seines Audi #7.

Le Mans: #7: 3. / #8: 4. / #9: 7.

"Ich bin überzeugt, dass wir gut vorbereitet sind und drei sehr gute Rennautos haben, in denen sich unsere Fahrer wohlfühlen. Das ist in Le Mans wichtig" - mit diesen Worten blickte Audi-Sportchef Wolfgang Ullrich nach dem Le-Mans-Testtag und den ersten Trainings an der Sarthe voraus auf das Rennen. Die Ingolstädter standen in allen Zeitenlisten des beginnenden Events in Frankreich hinter Porsche, aber man ließ sich davon keinesfalls beirren.

Audi hatte alle Sessions intensiv dafür genutzt, die Haltbarkeit und Nutzung der Michelin-Reifen zu optimieren. "An der Zeitenjagd haben wir uns wie immer nicht beteiligt, denn die Konstanz ist in Le Mans einfach wichtiger als eine einzige schnelle Runde", so die Ansage von LMP1-Leiter Chris Reinke. Im Warmup am Samstagmorgen zeigte sich ein neues Bild: Alle drei Audis an der Spitze des gesamten Feldes. Im Rennen übernahm der Audi #7 in der Frühphase sogar die Führung.

Marcel Fässler

Marcel Fässler hätte sich gern zum vierten Mal in Le Mans als Sieger feiern lassen Zoom

Aber wie schon in Spa-Francorchamps waren es die von Audi ungewohnten Zwischenfälle, die den Erfolg unmöglich machten. Die in der WM führenden Lotterer/Fässler/Treluyer verloren am Sonntagmorgen entscheidende sieben Minuten an der Box und wurden am Ende Dritte. Loic Duval flog nach rund drei Stunden in einer merkwürdigen Aktion in die Leitplanken. Die Nummer 8 landete auf Rang vier. Die Crew im Audi #9 lag phasenweise auf Siegkurs, aber wurde von Problemen mit dem Hybrid eingebremst: Platz sieben.

Nürburgring: #7: 3. / #8: 4.

Nach dem für Audi enttäuschenden Saisonhöhepunkt in Le Mans fiel die Mannschaft aus Ingolstadt in ein Loch. Beim 6-Stunden-Rennen am Nürburgring fand man sich plötzlich im Niemandsland zwischen den dominanten Porsches und den wenig konkurrenzfähigen Toyotas wieder. Die beiden R18 kamen in der Eifel vor 62.000 Zuschauern zwar auf die Plätze drei (#7) und vier (#8), aber der Rückstand auf die Konzernschwester war riesig - vor allem, weil Porsche ein neues Aerodynamikpaket nutzte.

Der Wettbewerb in Deutschland war ein Weckruf für alle Audi-Sport-Mitarbeiter in Ingolstadt, Neckarsulm und Neuburg. Man hatte die WM-Führung zwar zunächst noch verteidigen können, aber es wurde mehr als deutlich, dass ohne weitere Updates kaum noch Chancen entstehen würden. Die Entwicklungsmaschinerie wurde komplett hochgefahren, aber die wenige Zeit bis zum fünften Saisonrennen in Austin reichte für entsprechende Verbesserungen nicht aus.


Audi Sport Finale 2015

Austin: #7: 2. / #8: 3.

Beim 6-Stunden-Rennen in Texas brachte Audi beide Autos hinter dem siegreichen Porsche #17 auf das Podest - ein Ergebnis, das auf dem Papier besser aussah als der wahre Wettbewerb auf der Strecke. Mit einem nach Le Mans noch nicht angepassten Paket konnten die Ingolstädter den Porsches nicht folgen. Man profitierte im Endklassement nur vom technischen Problem am lange Zeit führenden 919 Hybrid von Jani/Lieb/Dumas.

"Wir waren in Austin der einzige Hersteller, der beide Autos ohne technische Probleme über die Runden brachte, mussten uns am Ende aber Porsche im Kampf um den Sieg geschlagen geben", brachte Ullrich die Situation in seinem Lager auf den Punkt. Anders gesagt: Aus eigener Kraft war Audi im Sommer nicht siegfähig - zumindest bis zum Abschluss des Texas-Wochenendes. Anschließend legten die 13-maligen Le-Mans-Sieger in einigen Bereichen stark nach.

Fuji: #7: 3. / #8: 4.

"Als bei Porsche nachgelegt wurde, als die Entwicklungsintensität dort erhöht wurde, konnten wir dennoch dagegenhalten - obwohl wir der Meinung waren, schon bei 100 Prozent zu sein. Da ging trotzdem immer noch etwas", erklärt Chris Reinke das Aufbäumen seiner Mannschaft ab dem 6-Stunden-Rennen in Japan. Audi brachte neue Aerodynamik-Lösungen nach Fuji, man passte Betriebsstrategien an und war plötzlich auch bei den Boxenstopps schneller.

Lucas di Grassi, Oliver Jarvis

In den Asien-Rennen zum Saisonende war Audi wieder voll im Wettbewerb Zoom

Das Ergebnis: Die Fans durften endlich wieder tolle Zweikämpfe zwischen den beiden Volkswagen-Marken genießen, im Lager der Audianer witterte man neue Chancen im Kampf um die WM-Titel 2015. "Audi ist wieder da", sagte Reinke nach dem Qualifying, in dem der beste Audi nur noch drei Zehntelsekunden hinter Porsche lag. Zuvor war es stets eine Sekunde mehr gewesen. Ernüchterung folgte im Rennen: unglückliche Reifenwahl, Pech in Gelbphasen und beschlagene Scheiben verhinderten, dass mehr als die Ränge drei und vier heraussprangen. Immerhin zeigte man mit schnellsten Rennrunden die verbesserte Performance.

Schanghai: #7: 3. / #8: 4.

"Wir haben den Wettbewerb angenommen, haben sehr intensiv die Challenge gesucht", erklärt Chris Reinke im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com' den Kampf von Audi in Asien. Nach dem Pech von Fuji sollte in Schanghai endlich wieder ein Sieg gelingen. Doch erneut waren schnellste Rennrunden unter guten Bedingungen nicht ausreichend. Porsche siegte, holte vorzeitig die Herstellermeisterschaft - aber immerhin retteten Lotterer/Fässler/Treluyer (#7) als Dritte die notwendigen Punkte, um die Fahrerkrone noch holen zu können.

Bahrain: #7: 2. / #8: 6.

"Wenn man nach 30 Minuten eine Chance bekommt und selbst die erhoffte Stärke an den Tag legt, dann aber am Ende wieder alles durch die Hände gleitet, dann ist das eine für die Serie und Fans tolle Dramaturgie, aber es ist für Audi ernüchternd", so fasst Chris Reinke die Erlebnisse vom Saisonfinale der WEC 2015 in Bahrain zusammen."Es ist irgendwie auf eine positive Art ernüchternd. Wir haben den Wettbewerb bis ganz zum Schluss offen halten können. Wir haben die ganze Saison tollen Sport geboten."

In Bahrain mussten Lotterer/Treluyer/Fässler (#7) klar vor den Porsche-Konkurrenten Bernhard/Webber/Hartley (#17) landen, um erneut Fahrer-Weltmeister zu werden. Die Chancen waren vor dem Start eher mathematischer Natur, wurden aber schon in der ersten Rennstunde sehr real, als die Gegner mit technischen Problemen weit zurückfielen. Audi hatte phasenweise eine Doppelführung, aber am Ende reichte es dennoch nicht.


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Zunächst musste Lucas di Grassi mit dem Audi #8 wegen Bremsproblemen an die Box, dann verlor das Schwesterauto #7 das direkte Duell gegen den Porsche #18 um den Sieg. Weil Webber/Bernhard/Hartley ihren waidwunden 919 auf Platz fünf ins Ziel brachten, mussten sich Andre Lotterer, Benoit Treluyer und Marcel Fässler mit der Vizemeisterschaft begnügen. Das Flutlicht-Rennen in Bahrain war mit allen Höhen und Tiefen ein Abziehbild der gesamten Saison.

Fazit und Ausblick auf 2016

"Es wird auf diesem Niveau weitergehen", stellt Chris Reinke klar. Audi wird wieder voll angreifen - trotz des Dieselskandals im VW-Konzern. "Die Authentizität, die der Motorsport für die Marken Audi und Porsche mit sich bringt, ist nicht in Frage zu stellen. Wenn man ein solches Spektakel auf der WEC-Bühne bietet, dann ist das genau das, was man mit den Marken erreichen möchte. Es wäre überraschend, wenn man daran nicht festhalten würde."

"Für 2016 haben wir ein komplett neues Auto. Die Arbeit daran läuft bereits seit ungefähr zwei Jahren. Unser Ziel ist klar: Wir haben in diesem Jahr die großen Pokale nicht mitnehmen können. Das wollen wir ändern. Wir haben die Kriegsbemalung schon drauf", so der erfahrene Ingenieur und LMP1-Einsatzleiter voller Enthusiasmus. Der neue R18, der unlängst in München vorgestellt wurde, hat seine ersten Testfahrten unter anderem in Le Castellet bereits hinter sich.


Fotostrecke: Vergleich: Audi R18 2015 vs. Audi R18 2014

"Der Schritt zur 6MJ-Klasse ist wichtig. Somit sind wir auf Grundlage unseres Vierliter-V6-Turbodieselantriebs nun so nahe wie möglich an Porsche herangerückt. Wir werden die Energie in Batterien speichern, die bei uns im Haus produziert werden. Das ist eine große Herausforderung. Weitere Details möchten wir noch nicht bekanntgeben", erklärt Reinke bei den Kollegen von 'radiolemans.com'. Bei Porsche wird man gewarnt sein. Im Gegensatz zum 919 steigt der Audi R18 um eine Hybridklasse auf. Allein die zusätzliche Elektropower dürfte dem LMP1-Diesel aus Ingolstadt mehr Performance verleihen.