• 29.12.2010 13:06

  • von Roman Wittemeier

Le Mans: Bleibt die Zwei-Klassen-Gesellschaft?

Wie der Le-Mans-Veranstalter ACO für ein Ende der Diesel-Herrschaft sorgen will: Die Rundenzeiten im Rahmen von zwei Prozent - Arbeitsgruppe überwacht die Szene

(Motorsport-Total.com) - Die Dieselboliden von Audi und Peugeot haben dem 24-Stunden-Rennen in Le Mans mit ihrem Flüstern nicht nur einen Teil der prachtvollen Klangkulisse genommen, sondern sie haben vor allem für eine Zwei-Klassen-Gesellschaft gesorgt. Nicht einmal das erfahrene Werksteam von Aston Martin konnte mit einem Benziner gegen die Selbstzünder ankommen, von den privaten Teams wie Oreca, Rebellion oder Pescarolo ganz zu schweigen.

Titel-Bild zur News:

Die große Frage für 2011: Werden die Dieselautos wieder weit voraus sein?

Dass große Werksteams wie Audi und Peugeot jederzeit auf größere Ressourcen zurückgreifen können, die Entwicklungsabteilungen einen Aufwand betreiben wie in der Formel 1 und die Fahrerkader vorzüglich sind, hat den Abstand nur noch größer werden lassen. Tatsache ist, dass die Herren Hugues de Chaunac (Oreca) und Henri Pescarolo das LMP1-Feld nur noch auffüllten, echte Siegchancen beim Klassiker an der Sarthe gab es für deren Eigenbauten in den vergangenen Jahren nicht einmal ansatzweise.

Maximal 4,2 Sekunden Abstand in Le Mans

Diese Dominanz der Werke mit ihren Dieselautos soll nun endlich ein Ende haben. Der Automobile Club de l'Ouest (ACO) hat eine Leistungsangleichung oft angekündigt, aber doch nie erreicht. Die versprochene Chancengleichheit soll ab 2011 mit dem neuen Reglement endlich wieder hergestellt werden. Aus diesem Grund hat der ACO einen klaren Fahrplan festgelegt. Das Leistungsniveau der Autos wird bei Tests und den ersten Rennen genau beobachtet, notfalls wird es neue Anpassungen geben.

Ziel ist es, dass die Autos mit verschiedenen Antriebskonzepten in ihren durchschnittlichen Rundenzeiten nicht mehr als zwei Prozent auseinander liegen. Klingt nach wenig, ist es aber nicht. Zwei Prozent bedeuten bei einer gewünschten minimalen Rundenzeit von 3:30 Minuten auf dem 13,6 Kilometer langen Kurs von Le Mans immerhin einen Abstand von über vier Sekunden pro Runde - eine Welt!

Nicolas Minassian, Sébastien Bourdais, Pedro Lamy, Anthony Davidson, Alexander Wurz, Marc Gené

In Sebring wird man erste Eindrücke erhalten: Aber Audi noch mit dem R15 Zoom

Zum Vergleich: 2010 waren die schnellsten Diesel-908 in den Trainings meist um sieben Sekunden schneller als der beste Benziner von Aston Martin. Im Rennen war die Situation etwas anders. Dort waren Barazi/Hancock/Turner (Aston Martin/3:23.735 Minuten) auf der schnellsten Runde knapp fünf Sekunden von der absoluten Bestzeit des Peugeot 908 von Oreca (3:19.074) entfernt. Die Frage ist also, welche Grundlage nimmt der ACO für mögliche weitere Anpassungen?

Das neue Reglement gibt Auskunft. Dort heißt es: "Als Referenz dient die durchschnittliche Rundenzeit des jeweils schnellsten Autos einer Antriebstechnologie. Die durchschnittliche Rundenzeit errechnet sich aus dem Mittelwert der besten 50 Prozent eines Rennens." Ein Beispiel: Geht ein Rennen über 100 Runden, dann nimmt man den Mittelwert der 50 besten Rundenzeiten des schnellsten Dieselautos sowie des schnellsten Benziners. Diese Durchschnittswerte sollten dann um nicht mehr als zwei Prozent differieren.

Der ACO muss mindesten zwei Rennen beobachten

Allerdings wird der ACO im Falle eines Falles nicht sofort eingreifen. Erst wenn der Abstand von zwei Prozent bei zwei Rennen überschritten wurde, kann man neue Anpassungen vornehmen. "Die erste Anpassung kann bei Bedarf zum dritten Rennen der Saison 2011 unter dem neuen Reglement vorgenommen werden. Maximal zwei Angleichungen pro Antriebstechnologie sind pro Jahr möglich", lautet der entsprechende Text im Regelwerk.

Das bedeutet im Klartext, dass vor dem Start zu den 24 Stunden von Le Mans 2011 schon jetzt hitzige Diskussionen vorprogrammiert sind. Das erste Aufeinandertreffen der besten Autos dürfte es im März in Sebring geben, der zweite Vergleich wird vermutlich erst im Mai in Spa-Francorchamps möglich sein. Man darf fest davon ausgehen, dass sich die Favoritenteams eher nicht beim Auftakt der Le-Mans-Series (LMS) in Le Castellet oder beim ALMS-Lauf in Long Beach begegnen.

¿pbvin|64|2897|le mans|0|1pb¿Hinzu kommt, dass Audi in Sebring noch mit dem alten Fahrzeug fahren wird. Frühestens beim Le-Mans-Vortest Ende April wird den ACO-Herren bezüglich der angeblichen Chancengleichheit ein Licht aufgehen können. Eingreifen dürfen sie dann allerdings erst nach dem ILMC-Rennen in Spa-Francorchamps, weil erst dann die Bedingungen für Anpassungen erfüllt sind - zwei direkte Aufeinandertreffen der besten Diesel und Benziner.

Wird der ACO also tatsächlich erst kurz vor dem Saisonhöhepunkt neue Einstufungen, veränderte Ladedrücke oder Größen von Luftmengenbegrenzern bekanntgeben? In einem solchen Fall wäre die Stimmung möglicherweise vom ersten Tag der Le-Mans-Woche an versaut. Da man sich die feierliche Fahrzeugabnahme auf dem Place de Jacobins nicht vermiesen lassen will, hat sich der ACO einige Hintertürchen offen gehalten.

Wie die Hintertürchen geschlossen werden sollen

"Der ACO behält sich das Recht vor, die Regeln jederzeit zu ändern, sollte sich abzeichnen, dass die gewünschte Leistungsangleichung auf dem geplanten Weg nicht herbeigeführt werden kann", heißt es beispielsweise. Eine Kommission bestehend aus sechs bis acht Vertretern von Teams, Herstellern und Motorenfabrikanten wird die Leistungsdichte jederzeit zusätzlich im Auge behalten. Der ACO verlangt von den Teams immer wieder aufgezeichnete Daten der Fahrzeuge.

Die Audi-Mannschaft muss auf Nachfrage jederzeit Daten an den ACO geben Zoom

Die nun verabschiedete Regelserie zum Herstellen von Chancengleichheit bietet die große Verlockung für die Favoritenteams, in den ersten Rennen des Jahres mit verdeckten Karten zu spielen. Welchen Grund gibt es für die Schnellsten, schon in Sebring, Spa, oder beim Vortest wirklich Vollgas zu geben? Für ein paar mögliche ILMC-Punkte mehr? Angesichts der Tatsache, dass im Langstreckensport eigentlich nur Le Mans zählt und sonst nichts, ist das kaum denkbar.

Aber auch dieses Schlupfloch will der ACO schließen. Im Regelwerk heißt es explizit: "Der ACO kann jederzeit von Teams und Herstellern weitere Daten für die Analyse verlangen. Diese Daten bleiben streng geheim. Jeder Teilnehmer, der falsche Informationen herausgibt, oder den Anpassungsprozess durch Vertuschen der eigentlichen Leistungsfähigkeit beeinflussen will, kann mit dem Entzug der ACO-Homologation bestraft werden."

Das sind scharfe Drohungen, allerdings dürften die ACO-Wachhunde in dieser Beziehung eher zahnlos erscheinen. Dass sich ein Topteam aufgrund von herausgegebenen Daten möglicherweise nachweisen lassen kann, dass man einige Wettbewerbe nur mit angezogener Handbremse bestritten hat, ist wahrscheinlich unwahrscheinlich. Und vier Sekunden Vorsprung pro Runde in Le Mans reichen für eine Siegesfahrt allemal...