• 25.12.2012 11:54

  • von Stefan Ziegler

Plötzlich Sieger

Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt: Die WTCC hielt 2012 nicht nur für Stefano D'Aste und Norbert Michelisz Überraschungen bereit

(Motorsport-Total.com) - Was wäre der Motorsport ohne seine Überraschungen? Wahrscheinlich nur halb so spannend. Und weitaus weniger faszinierend. Deshalb ist es gerade das Unerwartete, das in Erinnerung bleibt. Wie die zahlreichen Szenen aus der vergangenen WTCC-Saison, die Fans und Experten fast ungläubig auf die TV-Bildschirme starren ließen. Eben Momente, in denen es ganz anders kommt, als gedacht.

Titel-Bild zur News: Norbert Michelisz

Stolzer Augenblick: Norbert Michelisz hat gerade sein Heimrennen gewonnen

Man nehme zum Beispiel das erste Qualifying der neuen Saison: Chevrolet hatte in Monza bereits in den Trainings klar das Tempo vorgegeben, doch letztendlich fuhr ein SEAT-Pilot auf die Pole-Position. Gabriele Tarquini gelang es, den Favoriten ein Schnippchen zu schlagen. Das noch junge Rennjahr hatte seine erste kleine Sensation, der in den folgenden Monaten noch viel mehr Überraschendes folgte.

Bleiben wir beim Qualifying: Am Slovakiaring war es BMW-Fahrer Norbert Michelisz, der ganz nach vorn fuhr und - eine Woche vor seinem Heimspiel am Hungaroring - seine erste Pole-Position in der WTCC erzielte. Um nur acht Tage später die vielleicht größte Leistung seiner bisherigen Karriere zu vollbringen: Michelisz siegte vor über 50.000 ungarischen Fans bei seinem WTCC-Heimrennen.

Keine Zielflagge, kein Sieger?

Und die Emotionen schwappten über: "Diese Erinnerungen werden mich ein Leben lang begleiten", hatte Michelisz nach Ehrenrunde, Siegerehrung und Pressekonferenz gesagt. "Als ich in Macao gewonnen hatte, sagte man mir, dass das etwas ganz Besonderes wäre. Ich muss aber sagen: Ein Rennen vor meinen heimischen Fans zu gewinnen, ist noch viel spezieller für mich", meinte der Ungar.

Man stelle sich nur einmal vor, die ungarische Rennleitung hätte vor lauter Freude vergessen, die Zielflagge zu schwenken. Völlig undenkbar? Von wegen! Ausgerechnet beim WTCC-Debüt in den USA kam es zu eben kuriosen Szene: Weil eben keine karierte Fahne gezeigt wurde, fuhren Rob Huff und seine Verfolger im zweiten Sonoma-Rennen eine zweite Schlussrunde. Sicher ist sicher.

Robert Huff

So wie hier in Schanghai wurde die Zielflagge nicht überall geschwenkt... Zoom

"Die Zielflagge wurde nicht gezeigt", erklärte Huff nach der endgültigen Zieldurchfahrt. "Hätten wir die Flagge gesehen, hätten wir Tempo herausgenommen. So fuhren wir halt einfach weiter. Wir wollten die Fans halt weiter gut unterhalten", sagte der spätere Weltmeister mit einem Augenzwinkern. Nach Scherzen war ihm einige Monate vorher aber nicht unbedingt zumute gewesen. Nicht in Salzburg.

Der verrückteste Zieleinlauf der Saison

Dort hatte Huff nach einem turbulenten zweiten Rennen den Sieg vor Augen, als er sich ausgerechnet in er letzten Runde einen Reifenschaden einfing. Was folgte, war der verrückteste Zieleinlauf der Saison: Die beiden BMW-Markenkollegen Tom Coronel und Stefano D'Aste wollten Huff auf den letzten Metern noch passieren, doch nur D'Aste wählte die richtige Seite für seine Schlussattacke.

Kurz darauf gewann er sein erstes WTCC-Rennen. Er fuhr aber mit Vollgas weiter, weil er vor lauter Action die Zielflagge übersehen hatte und nicht wusste, dass das Rennen bereits vorbei war. Den Salzburgring hatte er schon halb umrundet, als er schließlich per Funk erfuhr, erstmals gesiegt zu haben. Dominik Greiner, Teammanager bei Wiechers-BMW, hatte es selbst kaum glauben können.

Stefano D'Aste, Robert Huff, Tom Coronel

Rob Huff, Stefano D'Aste und Tom Coronel feiern - nach dem kuriosen Finish Zoom

"Es war der Wahnsinn", sagt Greiner rückblickend bei 'Motorsport-Total.com'. Die Ereignisse hätten sich regelrecht überschlagen. "Stefano hat dann blitzschnell und super-clever reagiert, indem er rechts außen vorbeizog und siegte. Die letzten Sekunden waren für alle sehr überraschend und emotional. Es war schließlich der erste Sieg für ihn und der erste für Team Wiechers", meint der Teammanager.

D'Aste überrascht in vielerlei Hinsicht

Nicht für alle war es eine positive Überraschung, wie Greiner hinzufügt: "Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass Eric (Neve, der damalige Chevrolet-Sportchef; Anm. d. Red.) an der Boxenmauer stand und seinem Fahrer Rob zum Sieg applaudieren wollte. Er musste dann aber erschrocken feststellen, dass nicht Rob, sondern unser Fahrer Stefano als Erster die Ziellinie überquerte." Huff wurde Dritter.

Und statt Gratulationen entgegenzunehmen, eilte Neve kurzerhand zum Kommandostand von Wiechers und gratulierte der Konkurrenz. "Als einer der Ersten", meint Greiner, der daraufhin zum ersten Mal einen WTCC-Siegerpokal erhielt. "Zu siegen und dann mit Freunden wie Rob, Tom und natürlich mit Stefano auf dem Podest zu stehen, war traumhaft. Wir hatten eine Menge Spaß."

Stefano D'Aste

...und hier die USA-Ausführung des witzigen Rennanzugs von Stefano D'Aste Zoom

Mit dem immer gut gelaunten D'Aste sowieso. Der Italiener hatte schon beim zweiten Wochenende in Valencia für Aufsehen gesorgt. Mit einem sehr auffälligen - weil außergewöhnlichen - Rennanzug: In den italienischen Landesfarben Grün, Weiß, Rot gehalten, bestach sein Overall durch das Aussehen eines Gala-Smokings. Komplett mit Hemdkragen und Krawatte, sogar einige Knöpfe waren zu sehen.

Michel Vaillant siegt auch in der WTCC

Und damit fuhr D'Aste gleich auf das Treppchen. Passender war bei der Siegerehrung wohl noch kein Rennfahrer angezogen. "Ich denke, Stefano war in dieser Saison der bestgekleidete Rennfahrer auf dem Podest", meint auch Greiner. "Leider war der Anzug nicht gleich zum ersten Rennen in Monza fertig, aber in Valencia punkteten wir damit auf Anhieb und standen schließlich auch auf dem Podium."

Übrigens genau wie Michel Vaillant, die berühmte Comicfigur von Jean Graton. Chevrolet und Eurosport ermöglichten dem Zeichentrick-Helden einen echten Auftritt in der WTCC - und Michel-Vaillant-Fan Alain Menu schlüpfte in die Rolle der Rennfahrer-Legende. Mit Erfolg: Menu gewann als Vaillant das zweite Rennen von Portimao. Und Michel Vaillant wurde auch in der WTCC zum Sieger.

Alain Menu

Alain Menu als Michel Vaillant und der Sohn von Vaillant-Erfinder Jean Graton Zoom

Und so überraschend, wie die Saison mit der Pole-Position von Tarquini in Monza begonnen hatte, so überraschend endete sie mit dem Finale in Macao, wo Huff seinen riesigen Punktevorsprung beinahe noch weggeworfen hätte. Im ersten Rennen landete er als Führender (!) in der Mauer, nach dem vielleicht besten Überholmanöver des Jahres. "Schweigen wir darüber", sagte Huff danach. Na gut.