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  • 31.12.2014 09:32

  • von Stefan Ziegler

Kolumne: Neustart = Fehlstart?

Redakteur Stefan Ziegler nimmt die WTCC-Saison 2014 unter die Lupe und schreibt über den "Loeb-Faktor", Dominator Jose-Maria Lopez und das neue TC1-Reglement

Titel-Bild zur News: Yvan Muller

Auftakt mit Knalleffekt: Die WTCC startete in Marrakesch nicht sehr gut in die TC1-Ära... Zoom

Liebe Leser,

was ist Euch von der WTCC-Saison 2014 am besten in Erinnerung geblieben? Der Einstieg von Citroen und Superstar Sebastien Loeb? Die Dominanz der französischen Marke? Jose-Maria Lopez' überlegene Fahrt zum WM-Titelgewinn? Oder vielleicht die Überraschungssiege von Lada durch Rob Huff? All dies hat das zehnte Rennjahr der WTCC geprägt. Genau wie das neue TC1-Reglement.

Ihr erinnert Euch an die Schlagworte, mit denen das modifizierte Regelwerk der Tourenwagen-WM angekündigt worden ist? Die WTCC ab 2014 sollte "größer, spektakulärer und schneller" sein. Dafür hat man die Autos einem "Facelift" unterzogen, sie optisch attraktiver gemacht, aber auch fragiler. Und so lautet die Bilanz nach einer Saison unter dem TC1-Reglement: ein guter, jedoch kein perfekter Schritt.

Marrakesch wird zum TC1-Eigentor

Den Auftakt in die neue Ära der Tourenwagen-WM haben sich die Verantwortlichen nämlich klassisch in den Sand gesetzt. Neue und teilweise kaum erprobte Fahrzeuge ohne nennenswerte Ersatzteile auf einen schnellen Stadtkurs zu schicken, das klang schon vor dem Saisonstart nicht nach einer tollen Idee. Und das war es auch nicht, wie die Ereignisse auf der Strecke in Marrakesch bewiesen haben.

Schade, denn damit hat die WTCC eine gute Chance verspielt. Das Interesse an der Meisterschaft hatte über die Wintermonate drastisch zugenommen. Neue Regeln und vor allem neue Autos machen natürlich neugierig. Das erste Rennwochenende war dann aber eine Enttäuschung: Die Fahrzeuge fielen auseinander, wurden teilweise komplett zerstört. Ein Rückschlag, der deutliche Spuren hinterließ.

Sebastien Loeb

Sebastien Loeb siegte schon im zweiten Rennen - zu früh, um Werbung zu machen Zoom

Dazu haben aber noch andere Faktoren beigetragen. Zum Beispiel Rallye-Rekordchampion Sebastien Loeb. Er hatte durch seinen Wechsel in den Tourenwagen-Sport für reichlich Furore gesorgt. Auch das stellte eine gute Möglichkeit für die Meisterschaft dar, sich mehr ins Rampenlicht zu fahren. Doch genau das Gegenteil war der Fall: Loeb siegte gleich beim Auftakt, der "Loeb-Faktor" verpuffte sofort.

Fahrerisch glänzen vor allem Lopez und Huff

Gleiches geschah beim Einstieg von Citroen. Das mit Spannung erwartete erste Kräftemessen der Hersteller geriet schon beim Eröffnungswochenende zur Farce, als Citroen die Konkurrenz klar in den Schatten stellte. Eine schöne neue Ära! Zumal das neue TC1-Reglement extra für Citroen von 2015 auf 2014 vorgezogen wurde. Die guten Vorzeichen für eine tolle Saison, sie waren also sogleich dahin.

Ein paar Lichtblicke gab es aber doch. Allen voran Jose-Maria Lopez. Seine Leistung ist einfach nur beeindruckend. Wie er sich teamintern gegen die beiden Citroen-Platzhirsche Loeb und Yvan Muller durchgesetzt hat. Wie er in einer neuen Rennserie von Anfang an zurechtkam. Wie er die Saison von Beginn an dominierte und dem Druck standhielt. Und wie ihn der anhaltende Erfolg nicht veränderte.


Fotostrecke: WTCC 2014: Tops & Flops

Respekt nötigt auch das Auftreten von Rob Huff und Lada ab. Ja, die umgedrehte Startaufstellung für das zweite Rennen hat dem Briten im russischen Auto geholfen. Aber auch andere Marken haben mal davon profitiert, um erstmals ganz vorn zu sein. Und Huff hat es 2014 gleich zweimal geschafft, Lada zur Siegermarke zu machen. Wer hätte denn vor ein paar wenigen Monaten noch damit gerechnet?

Michelisz entzaubert die Honda-Werksfahrer

Schade nur, dass Citroen meilenweit voraus war. Denn der Wettbewerb auf den Plätzen war meistens recht gut. RML darf sich zur Entwicklung des TC1-Cruze gratulieren lassen: Mit der im Vergleich kürzesten Entwicklungszeit gelangen immerhin zwei Siege. Honda bringt es auf die gleiche Ausbeute, ist aber trotzdem der große Verlierer des Jahres. Und ein Honda-Privatfahrer schlug auch noch die Werksfahrer.

Überhaupt ist Norbert Michelisz - neben Lopez - eine der großen Überraschungen der WTCC-Saison 2014. Und ein Fahrer, der endlich ein Werksauto erhalten muss! Zumindest sollte Honda für 2015 alles dafür tun, den sympathischen Ungarn nach Leibeskräften zu unterstützen. Denn er ist ihre Speerspitze, nicht Tiago Monteiro und auch nicht (mehr) Ex-Weltmeister Gabriele Tarquini.

Norbert Michelisz

Mann mit Zukunft: Norbert Michelisz wurde 2014 bestplatzierter Citroen-Verfolger Zoom

Lasst mich auch über Tarquini noch ein paar Worte verlieren. Er wirkte 2014 manchmal lustlos, schien nicht mehr den alten Biss zu haben, fuhr oft hinterher. Dazu verlor er das Teamduell gegen Monteiro, holte aber immerhin den Honda-Heimsieg in Suzuka. Aber: Tarquini hat die Saison früh abgeschrieben und viel herumprobiert. Gut möglich, dass seine Formkurve schon bald wieder nach oben zeigt.

Und jetzt? Überraschungen nicht ausgeschlossen...

Ob das auch für die Meisterschaft gilt? Ich bin gespannt. 2015 fahren ja gleich fünf Citroen-Autos mit. Da schwant mir Übles, wenn Honda, Lada und RML über den Winter nicht gerade eine Rakete zünden. Und damit ist nicht unbedingt zu rechnen. Auch nicht mit einem "Loeb-Faktor" reloaded. Denn dafür sind Lopez und Muller (noch immer) zu gut. Vielleicht täusche ich mich aber auch und alles kommt ganz anders.

Das hatten wir ja 2014 auch mehrfach: Peking statt Sonoma (was hoffentlich ein einmaliger Ausflug in die chinesische Hauptstadt bleibt!), der überfällige erste Sieg von Mehdi Bennani in Schanghai, die beiden Lada-Erfolge durch Huff in Peking und Macao oder der sensationelle Überflieger Lopez. Keine Frage: Das Unerwartete hat in diesem Jahr für Spannung gesorgt, das Renngeschehen leider nicht immer.


Fotos: Top 20: Die WTCC-Girls 2014


Es war mir trotz allem einmal mehr eine große Freude, die WTCC durch die Saison zu begleiten und für Euch von den Höhen und Tiefen der Meisterschaft zu berichten. Und ich freue mich schon jetzt auf den Saisonauftakt in knapp drei Monaten! Geben wir dem TC1-Reglement noch eine zweite Chance, sich zu bewähren und uns alle zu überzeugen. Und vielleicht überrascht uns die WTCC dafür mit "Real Cars, Real Racing"...

Beste Grüße & vielen Dank für Euer Interesse in der Saison 2014!

Euer


Stefan Ziegler