• 12.06.2014 14:20

  • von Stefan Ziegler

Kolumne: Ein Neuling auf Titelkurs

Citroen steht vor dem souveränen Titelgewinn im Debütjahr, aber nicht mit Loeb oder Muller: Stefan Ziegler schreibt über Überraschungs-Mann Jose-Maria Lopez

Titel-Bild zur News: Jose-Maria Lopez

Ein inzwischen durchaus gewohntes Bild: WTCC-Spitzenreiter Jose-Maria Lopez jubelt Zoom

Liebe Leser,

Hand aufs Herz: Vor Saisonbeginn hättet Ihr niemals für möglich gehalten, dass zur Saisonhälfte ein anderer Fahrer als Yvan Muller die WM-Tabelle anführen würde. Und auch ich muss gestehen: Ich bin davon ausgegangen, dass natürlich der WTCC-Rekordchampion auf Platz eins liegen würde. Es kam aber anders. Denn Jose-Maria Lopez ist der große Überraschungs-Mann der ersten Jahreshälfte.

Lopez, der gleich bei seinem WTCC-Einstand in Argentinien 2013 sensationell im eigentlich unterlegenen Wiechers-BMW gewonnen hatte. Lopez, der daraufhin zu Testfahrten bei Citroen eingeladen wurde und ebenfalls auf Anhieb überzeugte. Lopez, der erst kurz vor Weihnachten als dritter Citroen-Werksfahrer bestätigt wurde. Als Stallgefährte eines französischen "Dreamteams".

Der "Dritte im Bunde" bei Citroen

Ganz klar: Anfangs war Lopez bei Citroen einfach nur "der Dritte im Bunde". Eben "der andere Fahrer" neben Muller und Sebastien Loeb. Denn während sich alles auf die beiden Weltmeister konzentrierte, hat sich damals kaum jemand für Lopez interessiert. Ihn selbst schien das nicht zu stören. Lopez hat vielmehr die Gunst der Stunde genutzt, seine bisher größte Chance mit beiden Händen ergriffen.

Dann kam Marrakesch. Und dort hat sich alles verändert. Beim Saisonauftakt der WTCC fuhr nämlich Lopez mit dem neuen Citroen C-Elysee auf die Pole-Position. Nicht Muller, der erfahrenste der drei Citroen-Piloten. Und auch nicht Loeb, der mit Abstand größte Name im Starterfeld. Nein, es war Lopez, das unbeschriebene Blatt aus Südamerika, von dem bisher nur Insider etwas gehört hatten.

Auf einmal war sein Name in aller Munde. Mehr noch, als er tags darauf gleich das erste Rennen unter dem neuen WTCC-Reglement für Neueinsteiger Citroen gewann und sich zum ersten WM-Spitzenreiter der Saison 2014 aufschwang. Das war im April. Jetzt, wo bereits die Saisonhälfte erreicht ist, führt er noch immer in der Gesamtwertung, überdeutlich mit einem Vorsprung von 41 Punkten.

Muller und Loeb stehen im Schatten von Lopez

Muller, Loeb - er hat sie bisher klar hinter sich gelassen. Genau wie den Rest des Feldes, der den C-Elysee mit der Startnummer 37 meist nur in der Heckansicht betrachten kann. Kein Wunder: Lopez ist ein absolutes Muster an Konstanz, mit im Schnitt 34,8 Punkten pro Wochenende. Was das heißt, verdeutlichen weitere Zahlen: Muller holte nur zweimal mehr Punkte als Lopez sie im Schnitt einfährt!

Eine einmalige Überraschung, wie beim Saisonauftakt in Marrakesch, das hätte Muller wahrscheinlich noch verkraftet. Aber eine so konstant herausragende Leistung - das gibt selbst dem Rekordchampion zu denken. Muller spricht nicht umsonst von seiner "bisher härtesten Saison in der WTCC" und muss sich zur Jahresmitte eingestehen: Lopez noch abzufangen, das wird wohl keine einfache Aufgabe.


Fotostrecke: Die Halbzeit-Champions der WTCC

Doch wer, wenn nicht Muller, sollte Lopez den überhaupt noch vom Titelgewinn abhalten können? Die Honda-Werksfahrer? Keine Chance! Lopez hat schon jetzt mehr Punkte gesammelt als die erfahrenen WTCC-Piloten Tiago Monteiro und Gabriele Tarquini zusammen. Kaum vorstellbar, dass Honda in der zweiten Saisonhälfte plötzlich eine wahre Leistungsexplosion hinlegt und Citroen um die Ohren fährt.

Nur Lopez kann Lopez schlagen

Bleibt der neue Superstar der Meisterschaft, Loeb. Er hat zwar schon Rennen gewonnen, fährt aber nicht konstant vorn mit, blieb vor allem zuletzt - einzige Ausnahme: das Regenrennen am Slovakiaring - hinter den Erwartungen zurück. Deshalb ist auch der Hype um seine Person schon etwas geringer geworden. Denn seinem Sieg am ersten Rennwochenende folgt wohl nicht gleich der Titelgewinn.

Für mich heißt das: Nur Lopez selbst kann verhindern, dass Lopez Weltmeister wird. Doch Anzeichen dafür kann ich beim besten Willen keine erkennen. Nein - "Pechito", wie man ihn nennt, ist die Ruhe selbst. Obwohl es in seinem Inneren regelrecht brodelt. Das zeigt sich, wenn er seinen Emotionen freien Lauf lässt. Nach den Rennen, auf dem Treppchen, in der Pressekonferenz, in den Interviews.


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Und gerade weil Lopez so erfrischend aufrichtig ist, hat er die Sympathien längst auf seiner Seite. Seine Gegner stehen indes mehr und mehr unter Druck. Am meisten Muller, denn er hat auch am meisten zu verlieren. Und auf einmal macht der Rekordchampion wieder Fehler, sogar auffällig viele! Das spielt Lopez natürlich in die Karten, auch wenn er das bisher noch nicht wahrhaben wollte.

Der Weg zum WM-Titelgewinn ist vorgezeichnet

Mit keinem Wort hat Lopez in der ersten Saisonhälfte den möglichen WM-Titelgewinn erwähnt. Doch nach den Rennen in Moskau hat er gestanden: Mit letzter Konsequenz war er dort nicht unterwegs, dachte vielmehr daran, gute Punkte mitzunehmen. Spätestens jetzt arbeitet er also klar auf den ersten Platz in der Gesamtwertung hin. Und wenn er so weitermacht wie bisher, dann gelingt es ihm auch.

Klar: Unfehlbar ist niemand. Das hat just das letzte Rennen vor der Jahres-Halbzeit gezeigt: Lopez konnte in der Startaufstellung den Gang nicht einlegen, rüttelte wie wild am Ganghebel. Und dabei ging im Inneren seines C-Elysee etwas zu Bruch. Neben einem Abflug im Training am Salzburgring (ohne Einschlag) der bislang einzige Fehler des Fahrers, der so souverän der Gesamtwertung führt.


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Ich erinnere mich noch gut an seinen Gaststart in Termas de Rio Hondo im vergangenen Jahr. Und an die offene, ehrliche Art, mit der er damals in sein Abenteuer gestartet ist. All das hat er sich bewahrt. Und gewonnen hat er seither nicht nur fünf WTCC-Rennen, sondern auch Respekt im Fahrerlager. Er ist nicht mehr "der Dritte im Bunde" bei Citroen. Jose-Maria Lopez ist der große Favorit auf den WM-Titel.

Beste Grüße & begeistere uns weiter, "Pechito"!

Stefan Ziegler